8. Sonntag nach Trinitatis (25. Juli 2021)
1. Korinther 6,9-14.19-20
IntentionDie Predigt sucht der Frage nachzugehen, wie die kritische Haltung des Paulus gegenüber menschlicher Grenzüberschreitung nicht als leib- und sexualitätsfeindlich verstanden werden kann, sondern als Ausdruck christlicher Freiheit.
6,9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.
Eine apostolische Laster-Liste: Ist die Kirche nicht sexy genug?Das hört sich nach einem Donnerwetter an. Was wohl die Gemeinde in Korinth dazu gesagt hat, als da jemand in ihrer Mitte aufstand, um diese apostolische Laster-Liste zu verlesen, dazu mit der Frage: Wisst ihr das nicht alles schon längst? Die Liste war ihnen bekannt. Sie ernst zu nehmen im eigenen Leben, das kam nicht so gut an. „Alles ist mir erlaubt“, lautete die Parole. Paulus bestritt das nicht. Doch setzte er hinzu: Mag sein, dass alles erlaubt ist. Aber nicht alles dient zum Guten im menschlichen Zusammenleben.
Wie kommt die Laster-Liste des Apostels bei uns an? Bei Diebstahl und Raub sind wir uns einig. Aber wenn es um Sex geht? Sind wir mit unserem Stolz über die bunte Vielfalt menschlicher Sexualität nicht längst über altmodische Kleinigkeiten hinweg? Doch Paulus drohte sogar damit, dass Christenmenschen am Ziel ihres Christenlebens vorbeischlittern könnten: am Reich Gottes. Kann der Apostel das gesagt haben? Kann er es so gemeint haben? Paulus, der große Verkündiger der großen Gnade Gottes? Wenn wir ihn nicht gleich in die sexfeindliche Ecke stellen wollen, dann müssen wir uns diesen Fragen stellen. Das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist auch in sommerlichen Zeiten glatt. Wir werden aufpassen müssen, dass wir nicht ausrutschen. Scheinen heute die Freuden des sexuellen Genusses erst den Zugang zu paradiesischen Gärten zu eröffnen, so war für Paulus ihre Grenzenlosigkeit ein Hindernis auf der Schwelle der Himmelstür. Dafür wird ihm nachgesagt, er sei ein leibfeindlicher Moralapostel gewesen. Gefragt, warum sie nicht in die Kirche gehe, hat eine amerikanische Schauspielerin einmal geantwortet: „It’s not sexy enough.“ Zu unerotisch, die Veranstaltung.
Schönheit der KörperIrgendwie hat sie da Recht. Die Schönheit, die Anziehungskraft des menschlichen Körpers! Ihn feierten die Griechen in vollkommener Nacktheit. Energie, Schönheit, Fruchtbarkeit sprangen in die Augen. Der Anblick weckte Lust und Sehnsucht: So möchte ich auch aussehen! So möchte ich auch sein! Das Schöne und das Gute gehörten untrennbar zusammen. Wer wäre nicht heute noch begeistert von der Kunstfertigkeit der Statuen, Mosaiken, Gemälde!
Im Feiern der Körper liegt eine große Wahrheit: In unserem Körper leben wir. Nirgendwo anders erfahren wir die Energie unseres Daseins. „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin, das erkennt meine Seele“ – so hat es auch ein Psalmbeter gesagt (Psalm 139). Vielleicht stieg diese Erkenntnis in ihm hoch, als er an einem Morgen aufstand und im Sonnenlicht an seinem nackten Menschenkörper herunterblickte. Und staunte: Das bin ich! Und dankte: Ein Geschenk, dass ich so bin wie ich bin!
Paulus, der SpielverderberTrotzdem wurde Paulus zum Spielverderber beim Spiel der Körper in Korinth. Die Menschen in Israel wussten um die Schönheit der Menschenkörper. Aber sie wussten auch um ihre Verletzlichkeit. Die kostbaren Dinge im Leben sind Dinge, die wir nicht im Griff haben. „Wisst ihr nicht, dass ihr euch nicht selbst gehört?“, fragte Paulus die Gemeinde in der griechischen Multikulti-Metropole Korinth. Sie schienen es nicht zu wissen. Damals schon – und heute noch mehr – ist das eine ärgerliche Einsicht. Und wer sich nicht mehr ärgern mag, lacht dann eben nur noch:eine lächerliche Vorstellung! Natürlich gehöre ich mir selbst. Natürlich kann ich über mich selbst frei verfügen. Natürlich sind das moralsaure Apostel, die mir meine Freiheit streitig machen wollen, meine Individualität, mein Ich-Sein!
Lachen als WirklichkeitsverweigerungPaulus hat dieses Lachen gespürt. Doch lachten die Korinther für ihn zu früh. Die unendliche Weite einer neuen Welt ohne Grenzen? Gerade im weltoffenen Korinth konnte davon keine Rede sein. Freiheit, ohne die Grenzen zu spüren und zu achten? Eine leere Behauptung! Wer zu früh lacht, merkt nicht, wie schnell die neue Freiheit sich wieder in ihr Gegenteil verkehrt und Menschen erneut gefangen nimmt. Fremde, kritische Gedanken lächerlich zu machen: Das scheint den Korinthern leicht über die Lippen gekommen zu sein. Es war die lockere Art, sich nicht mit einem dahergelaufenen Apostel beschäftigen zu müssen, der ihnen ihre Lebensart streitig machte. Den Griechen – so schrieb er ihnen zu Beginn seines Briefes ins Stammbuch – ist die Botschaft von Jesus Christus eine Torheit. Einfach dumm, eine lächerliche Vorstellung.
Was genau war ihnen lächerlich, wenn sie doch sonst so tolerant waren? Hier tut sich ein Abgrund auf. Zum Vorschein kommt eine gespaltene Gesellschaft. Ein Streit der Kulturen. Zwei Bilder vom Leben, wie sie gegensätzlicher nicht sein können. Der grenzenlosen Verehrung der Körper steht ein Glaube entgegen, der nicht in diese Welt passen will. Dem faszinierenden Anblick eines makellosen Leibes begegnet der widerwärtige Anblick eines Menschen, des Gekreuzigten, bei dem alles Lachen vergeht. Einen solchen Glauben verkündigt Paulus. Es ist der Glaube daran, dass Gott einem verletzten, geschundenen Menschenkörper Würde und neues Leben zuspricht.
Jenseits der Schönheit: Gottesgegenwart in den Leibern der Gemeinde Christi„Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.“ So wird schon beim Propheten Jesaja ein Mensch beschrieben, der durch sein Leid getragen hat, was andere nicht tragen wollten. Das uralte Echo dieses geschlagenen Menschen hat seinen Widerhall bis auf den Hügel von Golgatha geschickt. Die grenzenlose Erfüllung aller Möglichkeiten, zu denen die Menschenkörper drängen, findet dort ein jähes Ende. Paulus treibt es auf die Spitze: Gott selbst, der jedes Menschenkind ins Leben ruft und staunen lässt über die Schönheit des Lebens – dieser Gott nimmt die Gestalt eines verletzten und am Ende ermordeten Menschenkörpers an in Jesus, dem Gekreuzigten. Das hat mit euch zu tun, Ihr Korinther: Mit der Freiheit, die ihr meint, kommt ihr nicht vorbei am Kreuz Jesu Christi. „Ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leib.“ Was ist den Griechen eine lächerliche Vorstellung? Das „Wort vom Kreuz“ nennt Paulus eine „Gotteskraft, die selig macht“. In ihrem Lachen werden sich die Erlösten nicht darüber ausschütten, dass am Ende alles egal ist, was sie mit ihrem Körper gemacht haben. Sie werden sich freuen daran, dass ihr Körper Ort der Gottesgegenwart ist, „Tempel des Heiligen Geistes“. Er ist es auch dann, wenn da nicht alles glitzert und glänzt. Dieser Geist wohnt auch in einem Menschenkörper, der nicht voller Energie und Stolz sämtliche Grenzen seines eigenen Ichs zu überschreiten versucht.
Ich verstehe schon, dass man darüber schlucken muss – oder eben anfängt, seinen Spott damit zu treiben. Im alten Rom, an eine Wand gekritzelt, gibt es eine Karikatur des Kreuzes Jesu. Da hängt ein Mensch mit einem Eselskopf. Daneben kniet ein Soldat, dazu ist die Spottschrift zu entziffern: "Alexamenos betet seinen Gott an." Nicht nur in Korinth, auch in Rom und sonst in Europa: Der Glaube an Jesus Christus ist und bleibt für viele eine Eselei, eine lächerliche Vorstellung. Ein Gott, der sein Schicksal in die Hand von Menschen gibt, ist ein Esel. Er macht sich abhängig von Menschen, von ihren Meinungen, ihrem überlegenen Lächeln, das fröhlich alles besser weiß – solange, bis sie am Ende eben nicht mehr lächeln, sondern ihn umbringen.
Was antworten wir unserer Schauspielerin, der es in der Kirche nicht sexy genug zugeht? Was antworten wir Menschen, die die Kirche für körperfeindlich halten? Daran ist nicht einfach „die Kirche schuld“, wie häufig behauptet wird, sondern das Leben selbst. „Täuscht euch nicht!“, sagt Paulus. Nicht überall, wo „Freiheit“ draufsteht, ist auch Freiheit drin. Der Weg in die Weiten des Reiches Gottes führt nicht über die grenzenlose Inanspruchnahme all dessen, was erlaubt ist. So altmodisch fromm es klingen mag: Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Hier ist Gottes Gegenwart, hier ist der Ort der Freiheit. Diese Freiheit freut sich mit allen Fasern des Lebens. Amen.
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