8. Sonntag nach Trinitatis (11. August 2019)
Jesaja 2, 1-5
2,1 Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem.
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen,
3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
4 Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
IntentionDie Zeit der Friedensbewegung ist vorbei und auch die Friedensparole »Schwerter zu Pflugscharen!« hat ihre Strahlkraft verloren. Die Predigt möchte dieses Gefühl der Ernüchterung ernstnehmen. Vielleicht kann der nüchterne Blick auf das Große und Ganze dazu ermutigen, diesen einzigartigen Friedenstext für das eigene Leben zurückzugewinnen.
Liebe Gemeinde! »Schwerter zu Pflugscharen!« Früher hat man davon öfter gehört, auf Ostermärschen und Friedensdemonstrationen, heute nicht mehr. »Schwerter zu Pflugscharen!« Früher war das noch ein starkes Bild: Waffen, die dem Tod dienen, werden umgeschmiedet zu Arbeitsgeräten, die dem Leben dienen. Heute ist es schon etwas verblasst. Früher hat man über dieses einzige Wort eine ganze Predigt gehalten. Heute hält man sich eher zurück. Trotzdem gehört unser Predigttext zu den wenigen Texten, die eine grandiose Friedensvision entwerfen. Mich interessiert dieses große und außerordentliche Zukunftsgemälde, das uns der Prophet Jesaja vor Augen malt. Werfen wir einen Blick auf das Ganze! Versetzen wir uns für den Moment in die biblische Zeit, in der diese Friedensvision entworfen wurde:
Jerusalem war damals tatsächlich nur ein Provinznest, der Berg Zion ein unbedeutender Hügel. Die Machtzentren lagen woanders, in Persien und in Ägypten. Dort spielte die Politik auf der großen Bühne. Von Jerusalem nahm man so gut wie keine Notiz. Doch das wandelt sich in der Vision des Propheten Jesaja radikal. Wann das geschieht, wird nicht gesagt. Irgendwann in den letzten Tagen. Doch der Wandel ist so radikal, dass sogar die Landschaft davon betroffen ist. Der Berg Zion wird zur höchsten Erhebung, er überragt alle anderen Berge und Hügel. Woher kommt dieser Bedeutungszuwachs, diese Verschiebung der Größenverhältnisse, sodass der Zion sogar Moskau und Washington in den Schatten stellt? Wir sehen die Völker der Erde zum Gottesberg nach Jerusalem ziehen. Es sind keine Heere, keine Streitkräfte. Auch hier ist der Wandel radikal. Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe machen sie friedlich auf den Weg. Sie trennt kein Rassismus, kein Fremdenhass. Sie sind gemeinsam unterwegs, haben ein gemeinsames Ziel: »Auf, lasst uns nach Jerusalem ziehen und auf Gottes Wort hören. Denn von Zion wird Gott seine Weisung mitteilen, seine Tora bekanntmachen.« Die Völker als eine Lerngemeinschaft der Tora! Können wir uns das vorstellen? Wie Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe zusammensitzen, in der Heiligen Schrift lesen und daraus lernen? Auf dem Tempelberg! Dem umstrittensten Ort in der heutigen Zeit. Ja, dort wird der Ort sein, an dem Recht gesprochen und Frieden hergestellt wird. Die Welt ist noch nicht frei von Konflikten, aber Gott schlichtet sie, und zwar so, dass es bei dieser Art der Konfliktlösung keine Sieger und Verlierer gibt. In allen Streitfällen wird vielmehr ein gerechter Ausgleich zwischen den Völkern geschaffen. Neudeutsch: eine Win-Win-Situation. Waffen werden jetzt nicht mehr zur Konfliktlösung gebraucht. Und so tun die Völker von sich aus das Selbstverständliche: Sie schaffen die Waffen ab und machen land-wirtschaftliche Geräte daraus. »Schwerter zu Pflugscharen«. Und damit ist noch nicht Schluss: Kein Volk, kein Staat wird in dieser fernen Zukunft jemals wieder Menschen zum Führen einer Waffe ausbilden.
Die große Ernüchterung durch die GegenwartGrandios, möchte ich ausrufen, liebe Gemeinde! Eine Welt ohne Waffen! Aber schnell werde ich dann doch recht kleinlaut, sprachlos und ein wenig deprimiert, wenn ich in unsere Gegenwart schaue: 1600 Milliarden Dollar wurden vergangenes Jahr für die Waffenproduktion ausgegeben, so viel wie schon lange nicht mehr. Auch die Kriege und Krisengebiete sind nicht weniger geworden. Wir haben uns daran gewöhnt. Die Zeiten der großen Friedensdemonstrationen sind vorbei. Es ist dieses Gefühl der Ernüchterung, das mich vielleicht am stärksten bewegt. Die Kraft der großen Friedensvision des Jesaja hat nachgelassen. Wie kommt das? Vielleicht liegt das auch an der Macht der Bilder, die uns Tag für Tag erreichen. Bilder von Krieg, Terror und Gewalt, Bilder von flüchtenden Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, Bilder einer heillos zerstrittenen Welt, die wir uns im Fernsehen, auf dem Tablet oder Smartphone ansehen. Und sie vermitteln uns immer und immer wieder den gleichen Eindruck: So ist eben die Welt! Da kann man nichts machen! Ja, ich muss zugeben: Gegen diese erdrückende Macht der Bilder kommt unser kleiner Text aus der Bibel nicht an. Und ich denke manchmal: Wir leben doch sehr in einem geschlossenen System. Wir binden uns an Algorithmen und an Prognosen, erheben alle möglichen Daten aus der Vergangenheit und berechnen so unsere Zukunftsaussichten. Aber was ist das für eine Zukunft? Sie ist doch nur die Verlängerung der Gegenwart, die Fortschreibung der alten Welt: Das Gestern ist unser Morgen!
Ich habe den Mut zu fragen: Ist das schon die ganze Wirklichkeit? Das Große und Ganze? Dieses geschlossene System, in dem Gott keinen Platz hat, in der eine Welt ohne Waffen keinen Platz hat? Warum nicht die Welt in den Horizont Gottes stellen, so wie es Jesaja in seiner Friedensvision tut? Braucht denn unsere Welt nicht auch und gerade diesen Weitblick, der sich von keiner Machbarkeitsstudie beeindrucken lässt? Müssen wir denn diese ferne Zukunft, bevor sie Wirklichkeit wird, auf ihre Wahrscheinlichkeit prüfen? Es geht doch vielmehr um die Kraft der Hoffnung, die sie entfalten kann. Es geht um den großen Umschwung in unserem Denken, Sehen und Fühlen, wenn wir unseren Blick aufs Große und Ganze richten, wenn wir dieser Welt von ganzem Herzen eine Chance geben. Ich glaube, dass wir da noch etwas lernen können, von den Kindern und Jugendlichen, die sich weltweit in der Bewegung »Fridays for Future« engagieren und sich für einen radikalen Wandel in der Umweltschutzpolitik einsetzen. Sie lassen sich genauso von einer Hoffnung für das Große und Ganze leiten, von der Vision einer Welt, in der emissionsarm und nachhaltig gewirtschaftet wird. Ja, sie rufen uns zu: »Wir können noch viel, viel mehr tun, als bisher geschehen ist!« Und inzwischen haben auch die Politiker und Kritiker gemerkt: Da ist was Wahres dran!
Sich in Gottes Zukunft hineinziehen lassenLiebe Gemeinde! Aber auch so löst sich das Dilemma nicht, in das uns die Friedensvision des Propheten Jesaja zwingt. Ich weiß ja nur zu gut: Der heillose Zustand unserer Welt und der von der Bibel verheißene Weltfrieden, sie liegen sehr, sehr weit auseinander. Da müsste noch viel geschehen, bis wir auch nur in seine Nähe kommen. Und so ist die Frage ja durchaus berechtigt: Was hat denn dieses große und außerordentliche Zukunftsgemälde mit uns zu tun? Ganz konkret: mit dir und mir? Tatsächlich ist das auch die Frage des Propheten Jesaja. Denn unser Predigttext endet ja gar nicht mit der Verheißung »Schwerter zu Pflugscharen« und auch nicht mit der Feststellung, dass niemand mehr zum Führen einer Waffe ausgebildet wird. Unser Predigttext endet mit dem Satz: »Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!« Ja, mit dieser Aufforderung wird die Zukunft in die Gegenwart hineingezogen. Jesaja lässt uns nicht wort- und sprachlos vor seinem Friedensgemälde stehen. Er nimmt uns in seine Vision hinein. So wie die Völker in ferner Zukunft zum Gottesberg nach Jerusalem ziehen, schickt er uns schon heute auf den Weg, »im Licht des HERRN zu wandeln«. Ich verstehe das so, dass wir uns schon jetzt in Gottes Zukunft hineinziehen lassen und so zu leben versuchen, als würde der Weltfrieden einmal Wirklichkeit werden. Hörer von Gottes Wort bemühen sich schon jetzt, die eigenen Waffen in den alltäglichen Auseinandersetzungen gegen Friedensworte einzutauschen. Sie bemühen sich, alte Verhaltensmuster aufzugeben und in etwas Neues umzuschmieden. Ja, ich glaube, allein schon dieses Umschmieden ist ein hartes Stück Arbeit. Und ich weiß noch nicht so recht, ob ich dazu wirklich bereit bin. Aber es reizt mich für den Augenblick, unsere gemeinsame Welt in den Horizont Gottes zu stellen und mein Leben so auszurichten, als würde der Weltfrieden einmal Wirklichkeit werden. Von der Zukunft des Jesaja her möchte ich denken und handeln, statt mich von den Zwängen der Welt bestimmen zu lassen. Von der Kraft der Hoffnung her möchte ich leben, statt mich von der Kraft des Faktischen auszehren zu lassen. Ich will es heute mal versuchen, und morgen vielleicht ein bisschen mehr. Ich will mich heute mal an Jesaja halten, der den Blick auf das Große und Ganze richtet und uns zugleich die Kraft für den nächsten Schritt gibt: »Kommt und lasst uns schon jetzt wandeln im Licht des HERRN!« Versuchen wir’s! Bei Gott ist mehr möglich, als wir uns vorstellen können. Amen.
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