8. Sonntag nach Trinitatis (22. Juli 2018)

Autorin / Autor:
Kirchenrat i.R. Dr. Werner Schmückle, Korntal [Werner.Schmueckle@arcor.de]

1. Korinther 6, 9-20

Liebe Gemeinde!

Was hat unsere Sexualität mit dem Glauben zu tun? Haben nicht die Verbote der Kirche in diesem Bereich die Menschen jahrhundertelang in große Nöte gebracht und ihnen die Freude an dieser guten Gabe Gottes vermiest?

„Religion ist doch schließlich Innerlichkeit. Der Glaube ist etwas fürs Herz und für die Seele. Wie wir leben, steht auf einem anderen Blatt.“ So dachten damals manche in der Gemeinde in Korinth. „Sexuelle Bedürfnisse stillt man wie den Hunger und den Durst. Die Beziehung zu Jesus ist davon nicht tangiert.“ Darum schien selbst der Gang zur Dirne kein Problem. Man muss ja schließlich auch als Christ Spaß haben und auf seine Kosten kommen.

Was manchen damals ganz normal erschien, das klingt doch ganz modern. In unzähligen Talkshows werden heute ähnliche Thesen verbreitet.
Das gilt anscheinend bereits für die Jugendlichen.
Neue Statistiken sagen: Mit sechzehn oder siebzehn Jahren haben bereits die Hälfte aller Mädchen und Jungen entsprechende Erfahrungen gemacht.
Aber Berater der Jugendlichen berichten auch: „Sie sehnen sich nach Zärtlichkeit, nach einer verlässlichen Partnerschaft, sie möchten später eine Familie gründen.“
Manche Jugendliche kommen unter Druck und wenden sich an die entsprechenden Berater.

Offenbar brauchen Menschen auch in diesem Bereich den guten Rat. Nicht nur Jugendliche, auch die Erwachsenen. Vielleicht nicht nur guten Rat, sondern Seelsorge. Denn in Wahrheit gehört auch die Sexualität zu den Lebensbereichen, die nur im Glauben verantwortlich gelebt werden können.
Auch für diesen Bereich gilt, was im Barmer Bekenntnis von 1934 so ausgesprochen wird:
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“

Damit macht der Apostel Paulus ganz ernst, wenn er auch den Bereich der Sexualität unter diesem Vorzeichen behandelt und die Korinther damals und uns heute fragt: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“
Dabei geht es ganz bestimmt nicht darum, dass Paulus unsere Sexualität uns madig machen wollte. Wenn durch Kirche und Moral in vergangenen Jahrhunderten die Sexualität zu etwas Peinlichem und Negativem gemacht wurde, dann wird die Bibel damit gründlich missverstanden.
Die Sexualität ist eine gute und schöne Gabe Gottes. Aber sie will im Glauben verantwortet sein. Auch dieser Bereich unseres Lebens soll von Jesus Christus her gestaltet sein.
„Im Glauben“ – das ist der Ausgangspunkt.
„Denkt daran!“ – sagt der Apostel den Korinthern, „Denkt daran, dass in eurem Leben eine tiefgreifende Veränderung passiert ist.“
Ihr seid reingewaschen! Ihr seid geheiligt! Ihr seid gerecht geworden!
Paulus malt vor Augen, was Jesus für uns getan hat. Er hat sein Leben für uns gegeben, damit wir Vergebung der Sünden erfahren. Vergebung auch für Dinge, die bei den Korinthern vorher an der Tagesordnung waren: Diebstahl und Trunkenheit, Habsucht und Götzendienst, und eben auch Irrwege im sexuellen Bereich: Der Ausbruch aus der Ehe, der Gang zur Dirne und die homosexuelle Verführung Jugendlicher.
Solche Dinge, die vorher im Leben der Korinther der Normalfall waren, sind unter die Vergebung zu stehen gekommen. Reingewaschen, geheiligt und gerecht gemacht, das stand jetzt über ihrem neuen Leben. Da konnte man doch nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Aber offensichtlich sind auch Menschen, die Jesus Christus ganz gehören wollen, vor Irrtum und Verführung nicht gefeit. Darum hatten die Christen in Korinth seelsorgerliche Hilfe und Wegweisung nötig.
„Dem im Glauben gebundenen Menschen in seinen Lebensfragen und Lebensnöten im Bereich des geschlechtlichen Lebens zu helfen“, war vor Jahren die Absicht einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Fragen der Sexualität.
Wir brauchen solche Hilfen. Wir dürfen sie aus den Worten des Paulus erwarten.
Drei Denkanstöße will uns Paulus geben:

1. Denkt daran: Euer Leib ist wertvoll!„Der Leib ist wertlos, nur eine äußere Hülle, nichts als ein Gefängnis der Seele.
Und wenn dieser Leib einmal vergeht, dann wird die Seele erst frei.“ Das war die philosophische Lehre der Gnosis. So dachte man damals in Korinth. Deshalb schien es ganz gleichgültig, was man anstellt mit seinem Leib. Darum war auch der Gang zur Hure moralisch kein Problem.
Diese Handlungsweise schien ja nur äußerlich, sie betraf ja nur den vergänglichen Leib. Die Seele hatte nichts damit zu tun. Das Wesen der Persönlichkeit schien dadurch nicht betroffen.

Paulus macht den Christen in Korinth deutlich: Dieses Denken ist ein radikaler Irrtum.
Auch der Leib muss von Gott her in den Blick genommen werden.
Ein Kollege hat seinen Konfirmandinnen und Konfirmanden in der ersten Unterrichtsstunde immer die Hausaufgabe mitgegeben: „Stell dich jeden Tag einmal vor den Spiegel, sieh dich an und sage: Ich bin wertvoll, ich bin von Gott gut gemacht.“
Paulus betrachtet den Leib auch von der Zukunft her, die Gott mit ihm vorhat.
Euer Leib ist dazu bestimmt, einmal ganz neu geschaffen zu werden in der Auferstehung von den Toten – schreibt er. Christen glauben nicht nur an ein Weiterleben der Seele nach dem Tode, sie glauben an die Auferstehung, sie warten auf die Auferweckung und Verwandlung ihres Leibes.
„Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib“, schreibt Paulus im selben Ersten Korintherbrief.
Von daher bekommt auch unser gegenwärtiger Leib seine Würde, seinen unschätzbaren Wert. Christen sind keine Leibverächter! Sie können ihren Körper nur sehen von der Zukunft her, die Gott für ihn bestimmt hat.

Deshalb dürfen wir uns freuen am Geschenk unseres Leibes, an der Schönheit und an der Anziehungskraft, die Gott unserem menschlichen Körper gegeben hat.
Daran dürfen wir ruhig denken, wenn wir uns das nächste Mal vor unseren Spiegel stellen. Egal, ob wir uns schön oder weniger anziehend finden.
Gott hat unseren Leib geschaffen und hat ihn uns geschenkt. Und wir dürfen Antwort geben und unserem Schöpfer sagen: „Ich danke dir, mein Gott, dass ich wunderbar gemacht bin.“
Unser Leib ist wertvoll, das ist das Erste, was Paulus uns zeigt.
Paulus gibt einen weiteren Denkanstoß:

2. Denkt daran: Gott wohnt in eurem LeibWisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist – schreibt Paulus. Der Tempel ist Gottes Wohnung. Wenn unser Leib als Tempel des göttlichen Geistes bezeichnet wird, dann heißt das: Gott wohnt in unserem Leib.

Wenn wir neu in eine Wohnung einziehen, dann richten wir sie her, verändern sie und gestalten sie nach unseren Vorstellungen. Erst dann fühlen wir uns wohl in unserer neuen Wohnung.
Wenn Gott bei uns einzieht, dann will er seine Wohnung nach seinen Vorstellungen und nach seinem Willen gestaltet wissen. Deshalb stehen wir auch mit unserem Leib und mit unserer Sexualität in der Verantwortung vor Gott.
Paulus erinnert an die Worte, die in der Schöpfungsgeschichte die Ehe zwischen Mann und Frau begründen: „Und die zwei werden ein Fleisch sein.“ Nicht mehr zwei Einzelne, sondern ein Ganzes.
Jede geschlechtliche Vereinigung zielt auf diese Einheit vor Gott. Geschlechtsverkehr, der vor Gott verantwortet wird, kann darum nie bedeuten:
„Ich will etwas vom anderen. Eben die Befriedigung meiner Wünsche und Sehnsüchte und Triebe. Hauptsache, ich komme dabei auf meine Kosten.“
Nein, recht verstanden muss es immer heißen: „Ich schenke mich dem anderen mit meinem ganzen Leib, als ganze Person. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen für meinen Partner oder meine Partnerin.“

Und diese Verantwortung ist auf ein ganzes Leben angelegt. Denn mit unserer geschlechtlichen Vereinigung sind wir ja eins vor Gott. Zur gemeinsamen Sexualität gehört darum das gemeinsame Leben.
Von dieser biblischen Grundeinsicht her treibt es der Apostel Paulus in seiner Argumentation in fast grotesker Weise auf die Spitze: „Oder wisst ihr nicht: Wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr?“ Der vollzieht gewissermaßen die Ehe, obwohl er das ja gerade nicht will. Er zieht damit die Würde des anderen Menschen in den Schmutz. Die gute Gabe Gottes wird in ihr Gegenteil verkehrt. Der Gang zur Dirne ist Vollzug der Ehe in ihrer totalen Perversion.

Unzucht nennt es Paulus, wo in der Sexualität Gemeinschaft nur gespielt und nicht gelebt wird.
„Dein nackter Körper sollte nur dem gehören, der auch deine nackte Seele liebt“, hat Charlie Chaplin seiner Tochter geraten.
Aber hält, wer so redet, nicht einfach nur Moralvorstellungen von vorgestern hoch?
So einfach ist das doch nicht, vor allem für junge Menschen auf dem oft langen Weg zur Ehe. Mit Moralpredigten ist es da nicht getan.

Paulus redet auch nicht als Moralapostel, sondern als Seelsorger und Berater.
Und Seelsorge heißt an dieser Stelle zuerst: Sich miteinander unter die Vergebung Gottes stellen.
Aus der Vergebung wächst dann die Verantwortung.
Verantwortung ist mehr, als miteinander das Bett zu teilen.
Die Gemeinschaft, die Gott schenken will, ist auf Ganzheit und auf Dauer angelegt.
Darum wird Beratung und Seelsorge dazu ermutigen, miteinander den Weg hin zur Ehe zu gehen.

Der dritte Denkanstoß des Paulus lautet:

3. Denkt daran: Euer Leib gehört dem Herrn!„Ihr seid teuer erkauft!“ – schreibt Paulus. Christus hat bezahlt für euch mit seinem Leben. Durch eure Taufe seid ihr sein Eigentum geworden. Jetzt lebt auch wie Menschen, die ihm ganz gehören!
Wenn Jesus alles für euch gegeben hat, wie sollte es da noch Bereiche geben in eurem Leben, in denen er nicht Herr sein darf?
„Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich“ – schreibt Paulus.
Wie könnt ihr euch dann noch den Mächten ausliefern, die euren Glauben und euer Leben zerstören? Nicht nur euer Leben, auch das Leben eines anderen Menschen?

Paulus weiß, dass der Sex zu einer solchen Macht werden kann, die unser ganzes Denken und Handeln beherrscht. Zu einer Macht, die sich zerstörerisch auswirkt in unserem Leben. Ehen gehen darüber kaputt, und Kinder sind manchmal die Opfer. Paulus weiß an dieser Stelle nur einen Rat: die Flucht! „Fliehet die Unzucht!“
Wenn überhaupt, dann gilt an dieser Stelle: „Leidenschaft macht blind“, blind für Gottes gute Gabe und für seinen Willen. Die gute Gabe der Sexualität wird zum Fluch, wenn sie unser ganzes Denken gefangen nimmt. Davor will uns der Seelsorger Paulus bewahren. Er zeigt uns: Die gute Gabe der Sexualität hat von Gott her eine klare Bestimmung. „Ihr sollt Gott preisen mit eurem Leibe!“
Gott der Schöpfer wird gepriesen, wenn zwei Menschen sich Liebe schenken in der Ehe und die Verantwortung füreinander übernehmen für ein ganzes Leben.
Dann wird ihre Gemeinschaft zu einem Raum der Geborgenheit.
Und wenn sie das in der Lebensverbindung mit Jesus tun, im Glauben und im Gehorsam gegen Gottes Willen, dann wird ihr Leib zu dem, was er sein soll: ein Tempel des Heiligen Geistes.
Amen.


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