7. Sonntag nach Trinitatis (15. Juli 2018)
Philipper 2, 1-5
Einleitung: Freude am Kirchengebäude in Bad CannstattWas gefällt Ihnen an unserer Stadtkirche am besten, liebe Gemeinde?
Das filigrane spätgotische Gewölbe von Aberlin Jörg aus dem 15. Jahrhundert?
Der mächtige und zugleich feine Renaissance-Turm von Heinrich Schickhardt aus dem 17. Jahrhundert?
Das Geläut der Glocken, die zusammen die ersten Töne des Osterchorals „Christ ist erstanden“ erklingen lassen?
Die Walcker-Orgel mit ihren vielfältigen Klangfarben, den lauten und leisen Tönen, die zu Herzen gehen und uns so oft berühren und bewegen?
Die kunstvollen Glasfenster von Wolf-Dieter Kohler aus den 60er Jahren, die den Kirchenraum in buntes Licht tauchen?
Oder ist es die Kirche als Gesamtkunstwerk, entstanden durch die Schaffenskraft vieler Generationen?
Was Sie auch am meisten anspricht: Die Stadtkirche ist das unbestrittene Wahrzeichen Cannstatts, Mitte und Herz der Altstadt.
Doch sie ist nicht nur Zeichen der Heimat, sie ist vor allem ein Zeichen des Glaubens mitten in der Stadt: Der gen Himmel weisende Turm lenkt den Blick der Betrachter nach oben. Das hochaufragende Gewölbe erzählt in demütiger Ehrfurcht von der Größe Gottes und schafft Raum für Gemeinschaft. Die Glocken rufen zum Gebet und zum Gottesdienst. Die im Sonnenlicht leuchtenden Fenster führen uns vor Augen, wie wir vom Licht der Liebe Gottes verwandelt werden. So gibt die Kirche Zeugnis vom christlichen Glauben. Sie ist ein äußeres Zeichen für das, was Kirche im Inneren ausmacht. Sie ist ein Raum der Freude an der Gemeinschaft und des Dankes für Gottes Liebe – mitten unter uns.
Freude am Glauben in der Gemeinde von PhilippiGewölbe, Türme, Fenster, Glocken- und Orgelklänge – diese äußeren Kennzeichen unserer Kirchen sind der christlichen Gemeinde in Philippi noch fremd, die sich auf die Verkündigung des Paulus hin gefunden und versammelt hat. Sie kann kein prächtiges Gebäude ihr Eigen nennen. Und doch, sie ist reich – reich an der Freude am Glauben. Im Brotbrechen feiert sie die Gemeinschaft mit Gott und untereinander.
Voller Dankbarkeit staunt sie über die Nähe Gottes, die ihr geschenkt ist.
Ein Staunen, wie es auch den ersten Jüngern widerfahren ist, als Jesus auf sie zugegangen ist am Ufer des Sees Genezareth, als er sie herausgerufen hat aus ihrem hoffnungslosen Alltag und ihnen das Reich Gottes erschlossen hat.
Sie weiß sich hineingenommen in die Gemeinschaft mit Gott, die Jesus seine Jünger hat erfahren lassen, als er mit ihnen unterwegs war, mit ihnen gebetet und gesprochen hat. Als er für sie gelitten hat und ihnen so auch im Leiden nahe ist.
Als er für sie gestorben ist und so für sie den Tod überwunden hat. Als er für sie auferstanden ist und ihnen ungeahnte Freiheit erschlossen und einen tiefen Frieden geschenkt hat.
Dieser Glaube, den sie mit den ersten Jüngern teilen, hat die Gemeindeglieder verwandelt. Frauen und Männer, Sklaven und Freie, Juden, Griechen und Römer sitzen an einem Tisch. Eine neue Gemeinschaft in Christus hat sich gefunden, die stärker ist als Misstrauen und Feindschaft. In ihrem Miteinander, das die sozialen Gräben überwindet, bricht Gottes Reich schon jetzt an.
Die Freude an der Glaubensgemeinschaft in Philippi – trotz KritikMit großer Freude nimmt Paulus aus der Ferne Anteil an dieser Gemeinschaft. Er schreibt vom Trost, den sich die Gemeindeglieder gegenseitig erweisen, wenn einer niedergeschlagen und verzweifelt ist, vom gegenseitigen Verständnis und Einfühlungsvermögen. Er ist glücklich darüber, dass Barmherzigkeit an die Stelle des gegenseitigen Aufrechnens getreten ist, das Auge um Auge fordert, Zahn um Zahn.
Er freut sich, dass die Liebe zur leitenden und treibenden Kraft geworden ist, nicht die Wut, die Gier, der Neid, der Hass.
Doch Paulus kennt seine Gemeinde in Philippi. Er weiß, dass die gelebte Menschlichkeit schnell umkippen kann in allzu Menschliches. Dann macht sich auch hier die Sorge breit um das eigene Ansehen und um die eigene Stellung. Dann kreisen die Gedanken um den eigenen Stand, und der altbekannte Drang, wichtig zu sein, setzt sich durch. Dann wird Freude an der neuen Gemeinschaft von der alten Gewohnheit getrübt, nach dem eigenen Nutzen und der eigenen Ehre zu fragen.
Hier greift Paulus kritisch ein, bevor ein Ringen um Einfluss und Bedeutung beginnt, bevor Bündnisse sich entwickeln, bevor der offene und freie Blick auf den anderen verloren geht, bevor die gewonnene Gemeinschaft in Gruppen zu zerfallen droht, die sich jeweils im Besitz der Wahrheit wähnen. Paulus mahnt die Gemeinde zur Wachsamkeit, damit sie die Freude nicht verspielt, die ihr durch die gelebte Gemeinschaft in Christus geschenkt ist.
Doch bei aller Kritik, die Paulus an der Gemeinde übt, so überwiegt deutlich seine Freude an ihr, eine Freude, die den ganzen Brief durchzieht, den er den Philippern zukommen lässt. Er traut der Gemeinde zu, dass sie einen Sinn hat für die Einheit in Christus, dass sie versteht, wie reich wir beschenkt werden, wenn wir unserem Gegenüber mit Achtung und Wertschätzung begegnen. Wenn wir also den Wert unserer Mitmenschen zu schätzen wissen, der uns im Miteinander geschenkt ist. Wenn wir im anderen auch ein Kind Gottes sehen, in dem Gott uns begegnen will.
Freude an der Kirche heute – trotz ihrer MängelDoch wie ist das heute? Gibt auch unsere Kirche heute einen Anlass für solche Freude? Haben sich viele nicht abgewandt – und das zurecht, weil sie ungute Erfahrungen gemacht haben? Weil sie sich hier Engherzigkeit und Misstrauen ausgesetzt sahen, weil leblose Traditionen und humorlose Rechthaberei ihnen die Freude am Glauben und am Miteinander genommen haben?
Die Kirche ist nicht perfekt. In ihr finden sich alle menschlichen Schwächen. Darum braucht sie den kritischen, wachsamen Blick und die Bereitschaft zur Erneuerung.
Auch in dieser Hinsicht ist unser Kirchengebäude ein Zeichen für den Glauben:
Denn unsere Stadtkirche ist immer wieder renovierungsbedürftig und muss an verschiedenen Stellen erneuert werden: So steht die Sanierung des Sandsteins am Nordportal ebenso an wie die Ausbesserung des Putzes an der Nordfassade. Vor allem wollen wir den Zugang zur Kirche für Rollstuhlfahrer vereinfachen, damit sich niemand ausgeschlossen fühlen muss und deutlich wird: Du bist herzlich willkommen hier in der Gemeinde.
In gleicher Weise gilt es, auch die Mängel in unserer Gemeinde offen und ehrlich in den Blick zu nehmen: Wir sind wenig attraktiv für junge Erwachsene, für die vielen Studierenden, die für ein paar Jahre hier im Stadtteil ihre Bleibe haben.
Zudem gelingt es uns nur ansatzweise, so einladend auf die vielen hier wohnenden Menschen aus anderen Ländern zuzugehen, dass sie Heimat finden in unserer Gemeinde.
Doch bei aller nötigen Selbstkritik nimmt uns das doch nicht die Freude an der Gemeinschaft, so wenig, wie ihre baulichen Mängel uns die Freude an unserer wunderschönen Stadtkirche nehmen. Wie berührend ist der volle Gesang, wenn Chor und Gemeinde gemeinsam in die Lieder einstimmen. Wie schön ist es, bei den Festen generationsübergreifend ausgelassen miteinander zu feiern.
Wie gut tut es doch, beieinander Anteilnahme, Verständnis und Unterstützung zu finden, wenn in Zeiten der Krankheit das Warten lang wird und die bange Frage im Raum steht, was die Zukunft bringen wird. Wie gut tut es, in Zeiten der Trauer Menschen an meiner Seite zu wissen, die nach mir schauen, die mich abholen und begleiten, die Gemeinschaft suchen und anbieten, wenn ich nicht mehr kann.
Schluss: Der frohen Botschaft Raum geben„Seid so unter euch gesinnt,
wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“ –
schreibt Paulus und erinnert uns daran, dass unser Miteinander getragen ist von der Gemeinschaft in Christus. Der Künstler Wolf-Dieter Kohler hat uns dies hier vorne an unseren Glasfenstern vor Augen geführt. In ihrer Mitte sehen wir Christus, in Liebe entbrannt, am Abendmahlstisch. Christus räumt uns einen Platz ein an seinem Tisch. Er schenkt uns Frieden mit Gott und untereinander.
Unsere wunderschöne Kirche in der Mitte Cannstatts bezeugt auf ihre Weise diese frohe Botschaft und gibt ihr einen Ort.
Es ist eine Freude, der frohen Botschaft Raum zu geben:
mitten in unserer Stadt, mitten in unserer Gemeinde, mitten in unserem Leben.
Amen.
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