6. Sonntag nach Trinitatis (11. Juli 2021)
Matthäus 28, 18-20
IntentionDer Abschied Jesu nach dem Matthäusevangelium vollzieht sich als Nicht-Abschied Jesu und als Auftrag an Jesu Jünger: aufbrechen, Christsein vorleben, Menschen durch die Taufe auf den dreieinigen Gott aufnehmen und sie umfassend mit Jesu Lehre vertraut machen. Der Gott-mit-Uns (Immanuel) bleibt „alle Tage bis an der Welt Ende“ bei seinen Jüngerinnen und Jüngern. Diese Verheißung gilt auch in diesen Pandemiezeiten.
Liebe Gemeinde,
Abschiede – jeder Mensch vollzieht sie täglich und persönlich. Wir üben sie lebenslang: morgens aus dem Haus, mittags aus der Schule, abends weg vom Arbeitsplatz. Für diese Fälle haben wir gute Gewohnheiten und kleine Rituale entwickelt: ein Kuss, eine Umarmung, einfach nur Tschüss, Bis später oder Servus, mach’s guet! Meist sieht man sich ja bald schon wieder.
Was für einen Abschied gibt Jesus seinen Jüngern? Mehrere Fäden im Matthäusevangelium laufen auf dessen letzte vier Verse zu. Wir hören „Matthäi am letzten“:
„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Was für ein Abschied! Was für ein dicht gepackter Text! Matthäus sagt hier alles, was die Gemeinde bis zur erwarteten Wiederkunft Jesu braucht. Wir folgen dem Text Schritt für Schritt.
Am Ostermorgen hatte Jesus den Frauen aufgetragen: „Verkündigt meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“ Jetzt waren die elf Jünger (nämlich ohne Judas) in Galiläa. Hier hatte einst alles angefangen: Jesus hatte hier Jünger berufen und viele Menschen geheilt. Hier hatte er das Reich Gottes in Gleichnissen verkündigt. Hier hatte er Kontakt zu Menschen aus den angrenzenden Welten von Römern, Griechen und Syrophöniziern aufgenommen. In und um Galiläa war Jesus Juden und Heiden begegnet.
Und nun sind die elf Jünger erneut in Galiläa, „wohin Jesus sie beschieden hatte“, auf einem Berg. Der Berg ist ein Ort besonderer Unterweisung: so wie in der Bergpredigt, wie auf dem Berg der Verklärung, bei Jesu Versuchung oder vorzeiten auf dem Berg Sinai bei der Übergabe der Zehn Gebote Gottes an Mose. Auch der Tempel auf dem Zion oder das Kreuz Christi auf Golgatha erinnern an einen Berg. Aus eigener Erfahrung wissen wir: Auf Bergen fühlt man sich Gott gerne etwas näher.
Nun stehen Jesu Jünger also im hügeligen Galiläa auf dem Berg, und sie sehen Jesus, den Auferstandenen. Voller Ehrfurcht gehen sie auf die Knie vor ihm; „einige aber zweifeln“. Jüngerin oder Jünger sein heißt damals wie heute: eigene Zweifel zulassen, mit Herz und Sinnen glauben, den Verstand nicht ablegen, sondern Gott auch mit seinem Verstand lieben. Zum Glauben gehören Zweifel, so wie eine Lichtquelle immer zugleich Schatten wirft. Man mag an den „Kleinglauben“ der Jünger denken, von dem Matthäus an verschiedenen Stellen seines Evangeliums spricht. Aber – Glaube so groß wie ein Senfkorn kann bekanntlich Berge versetzen (Mt 17,20)! Unsere Zweifel an Jesus und Gott lassen wir also getrost zu. Sie sind mensch-lich. Zweifel sind Jüngerinnen und Jüngern nicht unbekannt.
Jesus „tritt hinzu“. Er kommt zu seinen Jüngerinnen und Jüngern, zu Ihnen und zu mir. Jesus scheut unsere Zweifel nicht, sondern „tritt hinzu“. Dann beginnt er zu sprechen.
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Was für ein Satz! Wer diesen Satz spricht, fürchtet nicht kleine oder große Zweifel von Jüngerinnen und Jüngern, sondern akzeptiert sie. Wer diesen Satz spricht, weiß um die wahre, göttliche Vollmacht hier auf Erden und im ganzen Universum. Der diesen Satz spricht, ist Schöpfer und Weltenherrscher in Zeit und Ewigkeit. Jesus sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Wer oder was, liebe Gemeinde, möchte uns da noch Angst einjagen? Jesus ist da. Er „tritt hinzu“: zu Ihnen und zu uns, zu Dir und zu mir. Jesus schenkt Zuversicht und Gewissheit. Jesus macht Mut, täglich miteinander zu glauben und zu leben. Gemeinsames Glauben und Leben immer wieder neu einzuüben, macht Menschen stark für den Alltag.
Nun folgt ein Auftrag, der es in sich hat. Der genau genommen so etwas wie die Magna Charta (oder Basiserklärung, Great Commission) evangelischer Bildung und Erziehung ist. Der Auftrag besteht aus drei Teilen:
1) „Darum gehet hin und lehret alle Völker“ lautet der erste Teil. „Hingehen“ heißt: die Menschen besuchen, ihnen nachgehen, wie Jesus es vormacht, „aufbrechen“ aus der eigenen Komfortzone und sich für die oder den Nächsten zu interessieren. Was bewegt den Menschen neben mir? Was sind seine Fragen, seine Sorgen, seine Ansprüche und seine Bedürfnisse? Ein lebensweltorientierter Zugang ermöglicht, dass wir Menschen dort finden, wo sie sind. Nur dann gelingt es, mit ihnen zu leben, sie zu stärken und vom Evangelium her zu begleiten.
Das „Lehret alle Völker“ oder „Machet zu Jüngern alle Völker“ wurde oft als „Befehl“ zu Bekehrung und Mission anderer Menschen verstanden. Aber nach meinem Verständnis befiehlt Gott nicht, sondern er beauftragt. Ein Offizier erteilt Befehle, aber Gott beschenkt. Gott stattet jeden Menschen mit Talenten aus und gibt zugleich mit der Gabe einen Auftrag. Jesus beauftragt, eine gute Botschafterin oder ein guter Botschafter für das tröstliche, frei machen-de Wort des Evangeliums zu sein. Nach meinem Verständnis sind Zwang und Intoleranz und die Suche nach der „Bekehrung“ eines Menschen unnötig und letztlich verfehlt. Stattdessen beauftragt Jesus dazu, auch für andere gut zu leben: andere mit einzubeziehen, anderen Ein-blick zu gewähren in das eigene Denken und Tun, sich von anderen berühren und auch mal hinterfragen zu lassen – egal um wen es sich handelt. Das ist das Erste: Aufbrechen aus der eigenen Komfortzone und auch auf andere zu achten, für andere gut zu leben, sich von ihnen hinterfragen zu lassen und in ein offenes und werteorientiertes Gespräch mit ihnen zu gehen.
2) Der zweite Teil von Jesu Auftrag lautet: „Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Seit dem frühesten Christentum bildet die Taufe den Aufnahmeritus in die christliche Gemeinde. Hier am Ende des Matthäusevangeliums beauftragt Jesus selbst dazu, Menschen durch die Taufe aufzunehmen in die Gemeinschaft des Glaubens. Wie im Judentum der Eintritt in den Bund durch die Beschneidung am achten Tag stattfindet, erfolgt im Christentum die Aufnahme in den Leib Christi durch das Sakrament der Heiligen Taufe. Im symbolischen Untertauchen und wieder Auftauchen aus dem Taufwasser wird eine enge Verbindung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus sichtbar und fühlbar (so erklärt Paulus die Taufe im 6. Kapitel des Römerbriefs, Röm 6,3f). In der Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes erfährt ein Täufling göttlichen Zuspruch. Eine Verheißung des dreieinigen Gottes! Gott selbst als Vater, Sohn und Geist liebt und verbindet sich mit einem Menschen so fest, dass er im Leben und im Tod an Gott gebunden bleibt. Jesu Auftrag zur Taufe bedeutet nach meinem Verständnis: Macht die Türen der Gemeinde weit auf. Versperrt nicht den Weg zu den Sakramenten. Nehmt gerne Menschen in eurer Mitte auf, egal woher sie sind und was sie mit sich tragen. Das ist das Zweite: Anteil geben am Sakrament der Heiligen Taufe und Menschen gleich woher den Zugang zum Leib Christi und in seine weltweite Gemeinde gewähren.
3) Jesu Auftrag schließt mit „und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe“. Bei diesem Auftrag denke ich zuerst an den persönlichen Raum jeder einzelnen Christin und jedes einzelnen Christen: Zeigt den Menschen um Euch her, was Ihr von Jesus gelernt habt! Lasst im Zeugnis Eures Lebens erkennen, wer Ihr durch Eure Taufe geworden seid, welche Überzeugungen Ihr pflegt und welche „Gebote“ Jesu wichtig für Euch sind, z.B. das Nächsten-liebegebot oder das Gebot, auch die Schöpfung zu lieben und sie nach bestem Wissen und Gewissen zu bewahren. Bei „lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe“ denke ich auch an guten Religionsunterricht an Schulen, an die vielen Bildungsangebote in Kirchengemeinden für Kinder, Jugendliche und Erwachsene oder an die Arbeit der evangelischen Bildungswerke. Wie lernen Menschen? Erklären und ins Gespräch gehen ist wichtig und gut; der Königsweg aber ist, selbst ein gutes Beispiel zu geben. „Mit gutem Beispiel voranzugehen ist nicht nur der beste Weg, andere zu beeinflussen ... es ist der einzige“, sagt der Theologe, Kirchenmusiker, Arzt und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. Der dritte Teil von Jesu umfassendem Auftrag ist „und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe“ – im Sinne des Einübens einer gemeinsamen, inklusiven Praxis.
Wie ein feierliches Finale folgt daraufhin Jesu letzter Satz: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Mit dieser Verheißung Jesu endet das Evangelium nach Matthäus. So etwas wie eine Himmelfahrt Jesu wird nicht erzählt. Jesu „Ich bin bei euch alle Tage“ gilt Christinnen und Christen auf der gesamten Welt, aus allen Ländern und zu allen Zeiten. Die Gegenwartsverheißung Jesu gilt Ihnen und uns, Dir und mir. Lassen Sie uns festhalten, dass Jesus mitten unter uns ist. Lassen Sie uns aus dieser Gewissheit immer wieder gemeinsam glauben und leben lernen.
Liebe Gemeinde, welchen Abschied gibt Jesus seinen Jüngern? Gar keinen, sondern stattdessen einen Trost, einen Auftrag und ein Versprechen: Der „Immanuel“, d.h. Gott-mit-Uns (Mt 1,23), ist da, mitten unter uns! „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Jesu „letzte Worte“ im Evangelium gelten uns allen und für immer. Diese Worte stärken Sie und mich für diese neue Woche und für alle Tage unseres Lebens. Amen.
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