5. Sonntag nach Trinitatis (09. Juli 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer Arnold Moskaliuk, Beuren [a.moskaliuk@gmx.de]

Johannes 1,35–51

IntentionNicht Johannes, genannt der Täufer, sondern Jesus ist es, auf den es ankommt. Er ist „Gottes Lamm“. Johannes weist Jünger auf Jesus hin. Damit beginnen die Jesusbewegung und letztlich das Christentum. Die Predigt fokussiert Begegnungen mit Jesus: Zu ihm kommen, bei ihm bleiben, andere zu ihm führen ist das eine. Das andere ist: Jesus kennt Menschen und nennt sie mit Namen. Er eröffnet Beziehung. Letztlich kommt der Glaube bis heute auf diese Weise zu Menschen.

Johannes 1,35–51
Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wirst du bleiben? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.
Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.
Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa ziehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach! Philippus aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und des Petrus. Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth. Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh!
Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist. Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen. Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres sehen als das. Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.

Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich vor, am Eingang der Kirche begrüßt Sie jemand und fragt: „Was suchst du? Warum bist du gekommen? Welche Fragen bringst du heute mit?“
Ich wäre vielleicht erschrocken und sprachlos, aber es gäbe für mich einen Grund nachzudenken:
Ach, ich bin das so gewohnt. Ohne Kirche ist es kein Sonntag.
Ich treffe immer jemand zum Reden, zum Erzählen.
Ich will einfach da sein und hören.
Ich will mich mitnehmen lassen von den Klängen der Orgel, von den Liedern, vom Wort.
Ich will zur Ruhe kommen nach einer Woche, in der mich vieles umgetrieben hat.

Wenn ich weiter nachdenke, fällt mir noch mehr ein:
Ich bringe aus meiner Woche viel mit.
Ich habe so viel Schönes erlebt. Ich war auch müde. Ich war oft unruhig. Manche Fragen ließen mich nicht los.
Ich will hören, was Gott mir heute sagen will.
Vielleicht bekomme ich eine Antwort und verstehe meine Fragen.

Hinweisen und hingehenJohannes der Täufer steht wieder am Ufer des Jordan. Zwei seiner Schüler sind bei ihm. Er schaut auf, und da sieht er Jesus vorübergehen. Er deutet auf ihn hin und sagt den beiden: „Seht, das ist Gottes Lamm!“
Sie schauen einander erstaunt an. Hatte Johannes nicht gesagt: „Es kommt einer, der größer ist als ich“?
So hatten sie es gestern gehört. Und jetzt weist er auf Jesus hin: „Der ist es!“

„Wenn Johannes uns auf ihn zeigt, dann sollten wir gehen. Komm, wir gehen zu ihm!“
Hören und nachgehen. Ob das auch für uns wichtig ist?
Hören? Nur was sollen wir hören?

Hier ist es Johannes, der seine Schüler auf Jesus hinweist. „Geht ihm nach! Geht zu ihm! Er ist es, auf den wir gewartet haben.“
Seine Jünger hören, begreifen und gehen. Sie gehen Jesus nach. Jesus sieht sie und wendet sich um. Er schaut sie an, spricht mit ihnen: „Was sucht ihr?“

Hören wir die Frage Jesu jetzt für uns?
Wie gut, wenn wir angesprochen werden!
Wie gut, wenn uns einer fragt: „Was sucht ihr?“
Dann beginnen wir zu überlegen: „Was ist mir wichtig? Was brauche ich? Wen suche ich?“

Jesus wendet sich zu, hier den Jüngern des Johannes. Jesus wendet sich zu. Das begegnet uns immer wieder. Jesus schaut Menschen an, die zu ihm kommen. Er sieht, was in ihnen vorgeht. Er kennt ihre Fragen. Er kennt auch unsere Fragen. Er weiß sogar um die ganz tiefen Fragen in uns. Er weiß, dass da Rätsel sind, die uns plagen und umtreiben und nicht loslassen. Er sieht auch die Fragen, die wir noch nicht aussprechen können. Er ist für uns da.

Wo bleibst du?
Die Jünger fragen: „Rabbi, wo wirst du bleiben?“
Sie fragen nicht: „Wo wohnst du? Wo hast du deine Schule, dein Haus, deine Herberge?“

„Rabbi“ sprechen sie ihn an, Lehrer. Sie wollen von ihm lernen.
Johannes hatte ihnen gesagt: „Das ist Gottes Lamm.“ Gottes Lamm ist viel mehr als ein Rabbi. Es gibt viel mehr zu erkennen.
Jetzt heißt es zunächst: „Kommt und seht.“
Sie wissen nicht, was auf sie zukommen wird, doch sie gehen mit. Noch ohne zu verstehen, warum und wieso. Aber sie begreifen: Bleiben ist hier wichtig. Und sie blieben den Tag bei ihm. Es war aber am späten Nachmittag.

Bleiben und findenDann kommt der Morgen. Und nun erkennen wir einen der Jünger, Andreas.
Andreas findet seinen Bruder Simon. Er sagt ihm, was er begriffen hat: „Wir haben den Messias gefunden!“ Andreas führt Simon zu Jesus.

Andreas hat noch einmal deutlicher und mehr verstanden. Erst ein Nachmittag und eine Nacht waren vergangen. Doch er hat begriffen: „Er ist es! Auf ihn haben wir gewartet. Er ist der, der uns auf eine ganz neue Weise heil und ganz machen will. Er wird uns freimachen.“

Jetzt gilt es zu verstehen, was das bedeutet. Frei werden! Frei wovon?
Von der Besatzungsmacht? Frei von Angst? Frei von Schuld? Frei von allem, was bindet und hindert? Der Messias als Lamm Gottes?
Sie verstehen es noch nicht. Aber Andreas ruft seinen Bruder.

Gerufen und erkanntSimon kommt zu Jesus. Jesus sieht ihn und nennt ihn beim Namen: „Simon, Sohn des Johannes.“
Mit dem Namen wird ein Mensch ansprechbar. Er wird zu einem Gegenüber. So kann er vertraut werden. Jesus kennt Simon und nimmt ihn an. Er nennt ihn Petrus, Felsen.

Andreas hat gehört und ist Jesus nachgegangen. Er ist geblieben und findet andere.
Aus Namenlosen werden auf einmal Angesprochene.

Sind wir auch Angesprochene heute Morgen?
Sind wir angesprochen von dem, was uns gesagt wird?
Jesus spricht uns an. Er begegnet uns. Jesus kennt uns mit unserer Geschichte, mit allem, was zu uns gehört. Er kennt unsere Ängste, unsere Nöte, aber auch die Freuden und Hoffnungen.
Ob uns das verändert? Ob uns das Möglichkeiten eröffnet, die wir noch gar nicht gesehen haben?

Wir können uns lösen aus Verstrickungen. Wir können frei werden von Dingen, die uns belasten. Wir können frei werden für Beziehungen, die uns guttun.
Wir sind angesprochen und gerufen.
Wir sind gerufen, wie Andreas seinen Bruder Simon gerufen hat.

Hören, bleiben, findenSo ist der Glaube auch zu uns gekommen.
Viele vor uns haben im Glauben ihren Alltag gelebt und gemeistert. Wir kennen und erleben gläubige Menschen. Wir sehen, wie sie ihr Vertrauen, ihre Hoffnung auf Gott setzen, wie sie Kraft im Glauben erhalten und Hoffnung und Liebe schöpfen.
Sie verlassen sich auf Gott. Sie haben erfahren, dass er da ist und hilft. Er tröstet, er baut auf, und er stärkt sie. Von diesen Erfahrungen erzählen sie.

Wir kennen vielleicht jemand, der mit einer schweren Krankheit umgehen muss. Wir staunen über seine Fröhlichkeit.
Wir erleben die trauernde Mutter, die für ihre Kinder da ist.
Da gibt es die Jungscharleiterin. Die Geschichten von Jesus werden bei ihr richtig lebendig.
Oft sind es gar nicht die Geschichten und Worte, die wir hören, sondern, was wir sehen und erleben mit Menschen im Glauben.
Wir hören von Menschen. Wir sehen, wie sie leben. Wir spüren: „Hier ist etwas, das sich lohnt.“ Wir beginnen, selbst zu vertrauen, zu glauben.

Wir hören, wir glauben und wir finden.
Wir geben weiter und erzählen, was uns im Leben trägt.
Wir machen Erfahrungen in unserem Glauben und halten sie fest.
Es kann sein, dass wir stolpern. Dann brauchen wir einen Menschen, der uns hilft. Manchmal brauchen wir einen Menschen, der uns mit seinem Glauben trägt. Wir brauchen jemanden, der für uns betet.
Wir brauchen einander, wenn unser Alltag schwer und dunkel ist, gerade da.

„Seht da ist Gottes Lamm!“, sagt Johannes zu Andreas.
„Schau hin, da ist er, der dich durch das Leben trägt!“, sagt jemand zu mir.
Stehe ich auf und gehe hin? Will ich bei Jesus bleiben? Will ich bleiben und Erfahrungen machen mit dem Glauben?

Andreas und der andere Jünger sind bei Jesus geblieben. Sie haben angefangen, zu verstehen, was es bedeutet: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Hier geschieht viel, auch für uns.

„Was suchst du?“, sind wir gefragt worden.
Manchmal weiß ich das wirklich nicht. Ich kenne noch nicht einmal meine Fragen. Dann werde ich angesprochen:
„Schau da ist er, der dir hilft. Da ist er, der dich trägt! Lass dich auf ihn ein! Bleib!
Er lässt dich nicht.“ Amen.


Lied nach der Predigt
EG 407,1–3: Stern, auf den ich schaue
EG 406,1–4: Bei dir, Jesu, will ich bleiben

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