5. Sonntag nach Trinitatis (04. Juli 2021)
1. Korinther 1, 18-25
IntentionDie Weisheit der Welt zerbricht an Unrecht, Unheil und Leid. Denn damit kann diese menschliche Weisheit nicht umgehen. Sie rechnet ja mit der guten Ordnung und dem guten Leben. Gott aber sieht auch die Menschen mit den schlimmen Schicksalen und stellt sich an ihre Seite. Das gilt den Weltweisen als Dummheit. Aber der Glaube erkennt das und begreift die Weisheit Gottes.
1,18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.
Liebe Gemeinde!
Gott macht die Weisheit der Welt zunichte, schreibt der Apostel Paulus. Ich kann ihm da erst einmal nicht zustimmen. - Hätten wir den Kampf gegen das Corona-Virus nicht besser überstanden mit einigen Zusatzportionen an Weisheit? Ich meine jetzt nicht in erster Linie die wissenschaftliche Erforschung des Virus und der Ansteckungswege und die Entwicklung der Impfstoffe. Die sind ja erstaunlich schnell in Gang gekommen. Ich meine die Einsicht in das, was die Epidemie für unser Leben bedeutet. Wie wir uns vor der Ansteckung aber auch vor Panik schützen.
Ja doch, es gab bei uns eine erstaunliche Bereitschaft, besonders gefährdete alte und chronisch kranke Mitmenschen zu schützen. Wie aber schützt man sie auch vor der Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen? Wie fördert man die sich selbst überlassenen Schülerinnen und Schüler, wie gibt man den Schulleitungen lebbare Regeln an die Hand? Wie verteilt man die Last der Einschränkungen einigermaßen gerecht auf die Geschäfte? Zu all diesen schwierigen Fragen gab es zwar manche guten Ideen, aber auch viele kurzschlüssige, aktionistische Maßnahmen. Und Corona-Leugner haben den Unverstand in Wort und Tat hinausposaunt. Die Besserwisserei am Beginn der Impfungen, das umständliche Anmeldeverfahren und wie darüber hergezogen wurde - oft war das nicht besonders weise. Auch bei mir nicht.
Deshalb ist es gut, wenn wir ein bisschen weise würden. Weiser. Mehr Weisheit wäre also gut. Dazu gehört: sehen, wie die Menschen sind, was sie sich wünschen, wovor sie Angst haben und was sie wütend macht. Wahrnehmen, wo es ihnen langweilig wird und welche Vorurteile sie pflegen. Weisheit sieht aufmerksam und realistisch auf diese Welt und fühlt mit den Menschen. Sie will, dass es möglichst vielen Menschen gut geht, sie unterscheidet das Mögliche vom Unerreichbaren. Die Weisheit hat Respekt vor jedem einzelnen Menschen, ja sogar vor den Tieren. Sie schätzt ein funktionierendes Gemeinwesen, in dem die Einzelnen und die Gesellschaft in einem ausbalancierten Verhältnis leben. Sie ist überzeugt, es gibt eine gute Ordnung der Welt, der Menschen, der Natur und der Dinge. Und wir sollten alles tun, damit Menschen in dieser guten Ordnung leben können.
Ich wünsche mir also für uns und alle, die maßgeblich unser Leben mitbestimmen, nicht weniger Weisheit, sondern gerne etwas mehr. Die Weisheit - griechisch Philosophia - für die gebildeten Menschen in Korinth war sie der Schlüssel zu einem sinnvollen und reichen Leben.
Wo liegt also das Problem, Paulus? Was stört Paulus an dieser Weisheit? Gibt es eine Schwachstelle in dieser besonnenen Lebenshaltung? Ja, die gibt es. Allzu oft wird nämlich die gute Ordnung der Welt erschüttert: Unfälle, Gewalt und Krankheit bringen Schmerzen, machen gesunde Menschen zu Behinderten, nehmen ihnen die Kraft, für sich und ihre Familien zu sorgen, bringen frühen Tod. Menschen werden zu Menschenschindern, zu Ausbeutern und Mördern. Kinder werden missbraucht und misshandelt. Ganze Völker werden unterdrückt, Millionen sind auf der Flucht. Männer, Frauen und Kinder müssen unter schlimmen Bedingungen für einen Hungerlohn arbeiten. Andere profitieren davon. Menschen werden schuldig und klagen sich jahrzehntelang an, manche fühlen sich ein Leben lang minderwertig oder leiden an Depressionen.
Vor diesen dunklen Abgründen kommt die Weisheit der Menschen an ihre Grenzen: gutes Leben in einer guten Ordnung? – Von wegen! „Die Weisheit dieser Welt“ nennt der Apostel Paulus sie, sie muss die Augen verschließen vor dieser zerrissenen Welt. Sonst zerreißt es einen.
Gott aber blendet auch das Schlimme und Dunkle nicht aus. Er ist der Schöpfer. Am Anfang der Bibel wird ja die Erschaffung der Welt abgeschlossen mit den Worten: Und siehe, es war sehr gut! – Aber dann bleibt Gott nicht der weise alte Mann mit dem langen Bart, der über die Fehler, Schwächen und Leiden der Menschen in seinem Himmel milde lächelt. Er sieht, wie es mit seiner guten Schöpfung weitergeht. Er leidet mit und mischt sich ein, er ist manchmal zornig auf seine Menschen und vor allem liebt er sie.
Er mischt sich ein, indem er selbst zur Welt kommt. Geboren als Jesus Christus. In ihm ist Gott selber da, Jesus zeigt Gott in vielem anders und neu, menschennah und barmherzig. Er widerspricht den religiösen Gebräuchen, sein Anspruch und sein Erfolg ziehen Hass auf sich. Jesus hatte chronisch Leidende und entstellte Leprakranke geheilt, Ausgestoßene als Kinder Abrahams aufgenommen. Er hatte seine hungrigen Zuhörer mit Brot und Fisch wunderbar satt gemacht. Aber dann wurde er selber am Kreuz in die Tiefe hinabgerissen, in unsäglichen Schmerzen und Atemnot, durch den Spott der Zuschauer, jetzt schrie er vor Durst.
Und Paulus erkennt: Dort am Kreuz haben die Menschen trotz ihres Verstandes und ihrer „Weisheit“ Gott aus der Welt hinausgedrängt. So einen Gott wollen sie nicht. Einen, der bei den Armen bleibt und für die Schwachen da ist. So einen wollen die Weisen der Welt nicht und die Mächtigen auch nicht. Gott in seiner Barmherzigkeit und in seinem weisen Willen für uns Menschen scheitert an der Menschheit. Und die Menschen mit ihren Vorstellungen und mit ihrer Lebensweisheit scheitern an Gott. Dort am Kreuz zerbrechen die frommen, philosophischen und alltäglichen Weisheiten über das Leben und über Gott.
Die Predigt vom Gekreuzigten ist der Kern meiner Botschaft, schreibt der Apostel. Vielen muss das als pure Dummheit erscheinen. Ganz unphilosophisch! Was soll man aus so einer Hinrichtung für Lehren für das Leben ziehen? Und für manche war es furchtbar peinlich, dass so ein erniedrigter und in Schande Gekreuzigter als Gott angebetet werden soll. Das Kreuz war in der römischen Welt tatsächlich so schambesetzt, dass es auch in den ganz frühen christlichen Darstellungen nicht gemalt wurde. Nur die Gegner der Christen haben es in Cartoons verspottet. Vielleicht haben Sie das Grafitto aus Rom im 3. Jahrhundert auch schon irgendwo gesehen. Da spottet ein heidnischer Sklave vermutlich über seinen christlichen Mitsklaven. Ein Mensch mit Eselskopf hängt am Kreuz, davor steht einer mit erhobenem Arm, darunter auf lateinisch: „Alexamenos betet seinen Gott an.“
Paulus würde den Gekreuzigten vermutlich nicht auf Papyrus oder Stein malen. Aber mit Worten tut er es schon. Was die Menschen mit ihrem scheinbar gesunden Menschenverstand dumm und schwach und abstoßend finden: Das Leiden, die Armut, die Verzweiflung, in Gottes Augen ist das stark. Denn da, wo Menschen leiden, erweist sich Gottes Kraft. Paulus erwähnt hier die Auferstehung Jesu an Ostern zwar nicht ausdrücklich. Aber sie zeigt die Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Und sie setzt die Kraft der Neuschöpfung Gottes frei.
Gott hat sich an die Seite der Schwachen und Kranken gestellt, der Gekreuzigte hängt zwischen Leben und Tod und streckt allen Sterbenden die Hand hin: Du fällst nicht ins Nichts, sondern in Gottes Hand. Jesus nimmt die Schuld auf sich, die uns sonst erdrücken müsste. Und damit verbindet er uns Schwache, Kranke, Sterbende und Schuldige mit der schöpferischen Kraft Gottes.
Sie hat Jesus zu neuem Leben auferweckt. Sie kann auch uns in das Kraftfeld der Liebe und der Weisheit Gottes hineinziehen. Wo scheinbar alles aus ist, öffnet die Kraft der Auferstehung den Horizont; verschlossene Türen gehen auf.
Zum Schluss ist mir noch eine anregende Frage gekommen. Vielleicht kann das Kreuz ja auch unsere begrenzten Lebensweisheiten erweitern und korrigieren? Wir sehen Gott auf der Seite der Schwachen und beiseite Geschobenen. Das wird doch auch unser politisches Denken beeinflussen, es wird unseren Sinn für Gerechtigkeit anregen und unsere Begegnungen im Alltag vertiefen. Gott schenke uns das durch seinen Geist. Amen.
Anmerkung: Wertvolle Anregungen zu dieser Predigt habe ich von Wolfgang Vögele in seiner Predigt vom 26.6.2016 (5.So.n.Trin): https://predigten.evangelisch.de/predigt/widerspruch-predigt-zu-1-korinther-118-25-von-wolfgang-voegele
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