4. Sonntag nach Trinitatis (23. Juni 2024)
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]
1. Samuel 24, 1-20
IntentionDie Predigt ermutigt, nach anderen, besseren und Gott wohlgefälligen Wegen zu suchen, Konflikte zu lösen, und sei es auch nur im nächsten Umfeld, in der Nachbarschaft, im Kollegenkreis oder in der Familie.
„Es muss doch etwas Besseres geben, als sich gegenseitig umbringen zu wollen“ (Navid Kermani und Natan Sznaider in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung zum Israel-Gaza-Krieg unter der Überschrift: „Lass uns reden, Freund“. Süddeutsche Zeitung, 28. 2. 2024, S. 9)
Hassen bis aufs Blut. Wie Menschen miteinander umgehenLiebe Gemeinde, die meisten von uns möchten einfach nur ihr Leben leben. Wir wollen in Frieden mit denen leben, die in unserer Nähe sind. Deswegen muss man noch lange nicht mit allen befreundet sein. Gut miteinander auszukommen, das ist schon viel.
In der Bibel wird viel davon erzählt, wie Menschen einander nach dem Leben trachten. Gleich am Anfang erzählt sie die Geschichte von Kain und Abel. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Aus Neid. Sein Bruder soll nicht weiterleben. Er hasst ihn. Und als sich die Gelegenheit ergibt, schlägt er zu.
Das setzt sich fort und fort. Und es hört nicht auf bis heute. …
Man kann es kaum ertragen, das alles zu lesen und zu hören. In der Zeitung, im Fernsehen. Und eben auch in der Bibel.
Die andere GeschichteDoch in der Bibel finden wir auch eine ganz andere Geschichte. Ich erzähle sie Ihnen kurz. Sie ist im 1. Samuelbuch aufbewahrt.
Es geht da um den König Saul und um David.
Saul war der erste König in Israel. Er war groß und stark. Er führte viele Kriege. Aber er war nicht wirklich ein guter König. Was er tat, gefiel Gott immer weniger.
David war das jüngste von acht Kindern. Er war kleiner als seine Brüder. Er wurde leicht übersehen und nicht ganz ernst genommen. Doch Gott hatte ihn ausersehen, in Zukunft König in Israel zu sein. Der Prophet Samuel kam extra, um ihn ganz im Geheimen zum König zu salben (1. Samuel 16).
Und damit war er für Saul ein Konkurrent. Dennoch gab es auch Zeiten, in denen sie Freunde waren. Allmählich aber hasste Saul den David bis aufs Blut. David entwickelte sich zu dieser Zeit zu einem gefürchteten Anführer von Söldnern und streifte mit ihnen durch das ganze Land.
Saul verfolgte ihn mit seinen Soldaten.
Und dann kamen sie sich unversehens ganz nahe. Und da passierte es.
Saul musste kurz austreten. Dazu ging er in eine Höhle. Hinten in der Höhle aber hatte sich David mit seinen Leuten versteckt.
Jetzt hatte er seinen Feind in der Hand. Seine Leute feuern ihn an: „Los, mach schon, bring ihn um. Gott hat ihn in deine Hand gegeben. Tu es, das ist deine Chance.“
Und David nimmt sein Messer, geht ganz nahe zu Saul – und schneidet heimlich einen Zipfel von Sauls Kittel ab. Mehr nicht.
Er geht mit dem Stofffetzen in der Hand wieder zurück zu seinen Männern. Fassungslos starren sie ihn an: Warum hat er’s denn nicht getan? Das war doch eine todsichere Gelegenheit! Was ist bloß in ihn gefahren?
Ich lese Ihnen, was dann geschah:
„Aber danach schlug ihm, David, sein Herz, dass er den Zipfel vom Rock Sauls abgeschnitten hatte, und er sprach zu seinen Männern: Das lasse der Herr ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn; denn er ist der Gesalbte des Herrn. Und David wies seine Männer mit diesen Worten von sich und ließ sie sich nicht an Saul vergreifen“ (1. Samuel 24,6-8).
Aber eins konnte sich David dann doch nicht verkneifen. Nachdem Saul mit seinem Geschäft fertig war und die Höhle verlassen hatte, ging ihm David hinterher. „Hey Saul“, rief er ihm nach, „ich hätte dich abstechen können. Dann wär’s aus gewesen mit dir. Aber ich hab’s nicht getan. Schau her, ich habe bloß einen Zipfel von deinem Kittel abgeschnitten. Du hast es nicht einmal bemerkt. Da siehst du, ich habe nichts Böses gegen dich im Sinn. Du aber jagst mir nach, um mir das Leben zu nehmen.“
Saul zuckt zusammen. Das ist doch Davids Stimme. Er erschrickt zutiefst, fängt an zu weinen, und sagt, mit Tränen in den Augen:
„Du bist gerechter als ich, du hast mir Gutes erwiesen; ich aber habe dir Böses erwiesen. Und du hast mir heute gezeigt, wie du Gutes an mir getan hast, als mich der Herr in deine Hand gegeben hatte und du mich doch nicht getötet hast. Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn im Guten seinen Weg gehen? Der Herr vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast!“ (1.Samuel 24,18-20)
David war es gelungen, das Böse, das zwischen ihm und Saul herrschte, mit Gutem zu überwinden. So gehen die beiden im Guten auseinander, jeder seines Weges.
Nicht hassen, lieben!Inmitten einer dunklen Welt der Gewalt blitzt da ein helles Licht auf. Das Einander-Umbringen war angehalten worden. Die beiden reden miteinander. Sie zeigen Gefühle. Saul weint sogar. Diese Geschichte ist inmitten von Gewalt- und Kriegsgeschichten sorgfältig aufbewahrt worden. Die Welt ist seither nicht besser geworden. Eher im Gegenteil. Tag für Tag hören und lesen wir davon, wer jetzt wieder wem den Tod androht. Die Hamas-Terroristen wollen alle Israelis umbringen. Die israelische Regierung will Krieg führen, bis alle Hamas-Kämpfer erledigt sind. Im Iran wird Jagd gemacht auf Frauen, die kein Kopftuch tragen. Die russische Armee schießt jede Nacht Raketen in die Ukraine, auf Wohnhäuser. Es scheint gang und gäbe unter Menschen zu sein, den anderen zum Feind zu erklären und ihm den Tod zu wünschen oder gar selbst Hand anzulegen.
Doch die Geschichte von David und Saul in der Höhle ist nicht vergessen worden. Es gibt einen anderen Weg, als einen Feind umzubringen. Kurz gesagt heißt er: „Tu ihm Gutes.“ In der Sammlung der Weisheitssprüche ist das anschaulich ausgeführt:
„Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser, denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der Herr wird dir’s vergelten“ (Sprüche 25,21.22).
Noch 1000 Jahre später kennt Paulus diesen Rat und fügt an: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21).
„Feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“; das ist symbolisch gemeint. Wir benützen den Ausdruck nicht mehr. Aber wir kennen das Gefühl „Es ist mir siedend heiß geworden.“
So ging es auch Saul. Als er merkte, was geschehen ist und was hätte passieren können, da wurde ihm siedend heiß: „Es hätte vorbei sein können mit mir. Um ein Haar. Aber ich lebe noch.“ Vor lauter Schreck kommen ihm die Tränen. Er schämt sich. Und er bekennt: „Du bist gerechter als ich. Du hast mir Gutes erwiesen.“
Auch Jesus erinnert auf seine Weise an diese Geschichte. Er sagt: „Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, segnet, die euch verfluchen, bittet für die, die euch beleidigen.“ (Lukas 6,27.28)
Keine Selbstjustiz!Noch etwas geht David durch den Kopf. Auch das muss er Saul noch sagen. Jetzt, da man schon einmal am Miteinander-Reden ist.
„Ich habe mich nicht an dir versündigt, aber du jagst mir nach, um mir das Leben zu nehmen. Gott der Herr wird Richter sein zwischen mir und dir, und mich an dir rächen. Aber meine Hand soll nicht gegen dich sein.“ (1. Samuel 24,12c.13)
David ist eingefallen, dass es eine Grenze gibt. Rache geht nicht. Wer auf Rache sinnt und sich rächt, bringt immer neue Gewalt hervor. Er festigt die Feindschaft, die immer aufs Neue Hass produziert, über Generationen hinweg.
Rache geht nicht im Zusammenleben der Menschen. Gott selbst hat sich das letzte Gericht vorbehalten. „Die Rache ist mein“, spricht Gott“ (5. Mose 32,35, zitiert von Paulus in Römer 12,19). Das dient dem Schutz der Menschheit, und dem Schutz einzelner Menschen.
Eine Kugel Eis und feurige Kohlen dazuDie Geschichte von David und Saul in der Höhle führt unsere Gedanken in schwere Gefilde. Es bedrückt, an das Furchtbare zu denken, das Menschen Tag für Tag und Nacht für Nacht einander antun. Einmal ist es geglückt, das aufzuhalten. Meinen Sie, dass das wieder und wieder möglich ist, auch heute?
Hören Sie zum Schluss noch eine leichtere Geschichte.
Eine Schulklasse ist auf Ausflug mit dem Bus. Am Ende des Besichtigungsprogramms gibt es noch eine Stunde freie Zeit für alle. Treffpunkt und Uhrzeit für die Abfahrt werden vereinbart. Der Bus wird gegenüber von einem Eiswagen warten. Markus und Timo kommen knapp vor der Abfahrt an. Aber ein Eis muss noch sein. Die Schlange ist nicht zu lang. Sie stellen sich an. Der Eisverkäufer, ein Italiener, ist sehr freundlich. Timo nimmt zwei Kugeln Stracciatella. Markus bestellt zwei Kugeln Joghurt-Kirsch. Timo zahlt sein Eis und schlendert zum Bus. Markus holt die zwei Euro 40 aus seinem Geldbeutel. Aber bevor er zahlen kann, muss der Eisverkäufer nach hinten. Eine Lieferung Milch ist angekommen. Die Zeit wird knapp. Da nimmt Markus die Waffel mit dem Eis in die eine Hand, in der andern hat er noch seine Münzen – und rennt los. Kaum ist er im Bus, fährt der los. Aber nach wenigen Metern stoppt er wieder. Vor dem Bus steht ein Mann und gestikuliert wild, klopft an die Tür. Der Fahrer öffnet, er steigt ein und sagt: „Ich suche einen Jungen, blond, nicht zu groß, Brille. Er hat etwas vergessen. Er geht suchend durch den Mittelgang. Markus erkennt ihn. Er sinkt immer tiefer in den Sitz. Es wird ihm siedend heiß. Jetzt kommt’s raus. Das gibt Ärger: in der Schule, mit den Eltern. Der Eisverkäufer erkennt Markus auch. Geht zu ihm hin und sagt: „Du hast etwas liegenlassen. Hier hast du deinen Geldbeutel wieder, damit du das nächste Mal dein Eis bezahlen kannst.“ Dreht sich um und steigt aus dem Bus.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Amen.
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