4. Advent (18. Dezember 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]

Lukas 1, 26-38

Ein Engel, ein Auftrag. Ein Auftrag der anderen Art„Hmm“, brummte er. Schon wieder ein Auftrag, der schnell zu erledigen ist. Warum kam nur immer ihm das „H“ abhanden? Statt „Heilig, heilig, heilig“ wie die anderen hört er immer nur „eilig, eilig, eilig“.
Eilig. Schon wieder geht es um eine Schwangerschaft. So eine Botschaft hatte er doch gerade überbracht. Naja, gerade, war schon 6 Monate her. Damals hatte er in Jerusalem, im Tempel, im Allerheiligsten, einem alten Priester mitgeteilt, dass seine alte Frau, die als unfruchtbar galt, doch noch ein Kind bekommen solle. Und wohin sollte ihn jetzt der Auftrag bringen? Nach Nazareth? Zu einer jungen Frau, verlobt, also vermutlich eher einem Teenager als einer Frau? In ein Haus?
Nazareth – wo um Himmels willen liegt denn das? Wer hat je von Nazareth gehört? Ein Blick auf die Karte – Nazareth, das liegt jwd, janz weit draußen! In Galiläa. Hügellage. Was bitte soll er in Nazareth?
Und dann soll er auch noch mit so einem blutjungen Gemüse reden. Die von nichts ne Ahnung haben wird. Die sich vermutlich auf das vorbereitet, was man von ihr erwartet, was sie sich von ihrem Leben erwartet: Ehefrau und Mutter zu sein. Harte Arbeit und Momente des Glücks. Und zu der soll er? Was ist an der besonders?
Warum darf er nicht mit ihrem Verlobten reden? Der hat wenigstens eine anständige Herkunft: aus dem Hause Davids. Na, das ist doch was. Wobei: 1000 Jahre nach David – wie viel da noch von David unter und in den Nachkommen steckt? Joseph heißt der Typ. Aber das braucht ihn ja nicht zu interessieren. Er soll ja mit dem Mädel reden. Wie war doch noch ihr Name? Ach ja, Maria. Was erwartet Gott denn da von ihm?
Er. Gabriel. Dessen Name bedeutet: Mein Held ist Gott. Der Engel. Von Gott gesandt. Und doch, weil Gott sein Held ist, macht Gabriel sich halt auf den Weg.

Umsetzung des Auftrags: Der Anfang – nicht ganz geglückt.Alltag in Nazareth. In wie vielen Häusern Mädchen sind, die sich auf ihre mehr oder weniger baldige Ehe vorbereiten, wer weiß? Wie viele der Mädchen Träume haben, wie viele eher pragmatisch denken, wie viele sich auf das Neue freuen, wer weiß? Bei einem dieser Mädchen steht jedenfalls plötzlich einer im Zimmer. Nein, er hat nicht angeklopft. Und nein, er hat auch nicht gewartet, bis man ihm die Tür aufgemacht hat. Er ist einfach so hereingeplatzt. Mit den Worten: „Hallo, Gnade empfangen Habende, der Herr ist mit dir!“, eröffnet er das Gespräch. Woraufhin das Mädchen leicht verstört wirkt. Oder eher schwer verstört. Und in der Tat, der Gruß hat Maria aus dem Gleichgewicht gebracht. Gnade empfangen Habende? Hat der sie noch alle? 1. Woher will der das wissen? Und 2. Warum redet er sie so an?

Gnade empfangen Habende. Ein resultatives Perfekt. Womit man ausdrückt: Etwas, was in der Vergangenheit längst angefangen hat, hat sich fortgesetzt bis jetzt und wird auch weiterhin Konsequenzen haben. Gnade empfangen Habende. Hat Maria in der Vergangenheit Gnade erfahren? Die sich bisher auswirkt und noch in Zukunft? Was heißt da überhaupt Gnade? Und was bedeutet das für die Zukunft? Wovon redet der? Und will sie das wirklich wissen? Oder soll sie sich lieber den Archimedes zitieren und diesem Typen erklären: Stör mich nicht in meinen Kreisen?

Umsetzung des Auftrags: Die Botschaft der Gnade.Der Engel spürt ihre Verstörung und redet die Verstummte und um Worte Verlegene an: „Keine Angst, Maria“ – und das junge Mädchen notiert im Hinterkopf: O.k., die Anrede „Gnade erfahren Habende“ war keine Verlegenheitsanrede, der weiß meinen Namen. Und das ist gut. – „Keine Angst, Maria, du fandest Gnade bei Gott.“ Ob Maria wohl geschwind darüber nachdenkt, ob sie eigentlich Gnade gesucht hat? Was sie mit einem Fund soll, nach dem sie keine Ausschau gehalten hat? Doch vielleicht bleibt sie lieber beim „Keine Angst“ hängen. O.k., keine Angst. Gnade.

Doch bevor sie noch nachfragen kann, redet der für sie namenlos Gebliebene weiter: „Siehe.“ Und dann kommt es im Stakkato, eins nach dem anderen:
1. Du wirst schwanger. 2. Du wirst einen Sohn gebären. 3. Du wirst ihm den Namen Jesus geben.
4. Der wird ein ganz großer werden. 5. Der wird Sohn des Höchsten, sprich Gottes, genannt werden. 6. Gott wird ihm den Thron seines Ahnvaters David geben. 7. Er wird König sein über Jakob alias Israel und 8. Sein Reich kennt kein Ende.
Wow. Rede vom Anfang. Und vom Ziel ohne Ende.

Aufnahme der Botschaft? Von wegen. AblehnungUnd Maria? Ihre Reaktion: „Wie soll das gehen? Dein Plan scheitert schon an dem 1. Punkt, der mich betrifft. Ich bin noch Jungfrau.“ Eigentlich verrückt. Sie könnte ja fragen: Warum erzählst du mir das jetzt schon? Jetzt heirate ich erstmal Joseph und dann können wir noch mal über den Plan nachdenken. Sie regt sich nicht auf: Was? Denkst du etwa, ich plane außer – oder auch nur vorehelichen Verkehr zu haben? Für wen hältst du mich denn?
Maria blickt auf sich und den Moment und sagt: „Ist nicht.“

Weil Gottes Botschaft(er) sich nicht so schnell geschlagen gibt…Und Gabriel? Der macht seinem Namen alle Ehre und formuliert, warum Gott sein Held ist:
„Geht doch. Unterschätze nicht den Heiligen Geist und die Kraft des Höchsten. Es ist ja nicht deinetwegen, dass das Wesen heilig genannt werden wird. Sondern weil das Heilige mit dir in Berührung kommt und durch dich das Heilige dann da ist. Lebt. Auf dieser Erde.
Geht doch. Ich erzähl dir mal von deiner Verwandten, von der alten Elisabeth. Sie ist bereits schwanger. Sie, bei der es niemand mehr für möglich gehalten hat.
Geht doch. Weil bei Gott kein Ding, keine Anordnung, kein Wort, keine Rede unmöglich ist. Wenn er spricht, so steht es da. Also.“

…wird aus Ablehnung EinwilligungUnd Maria? Sie willigt ein. Wenn es an Punkt 1 nicht scheitert, dann ist sie dabei. Dann stellt sie sich Gott zur Verfügung. Dann soll geschehen: Dein Ding, deine Anordnung, dein Wort, deine Rede. Bzw. Gottes Ding, Anordnung, Wort, Rede. Soll geschehen. An ihr. Mit ihr. Soweit sie involviert ist. Den Blick auf die Zukunft des Sohnes des Höchsten, ihres Sohnes, den wirft sie nicht. Weil das noch ganz andere Denkvoraussetzungen sprengt? König soll der werden, den ein junges Mädchen aus Nazareth geboren hat? Sohn Gottes? Mit einem Reich ohne Ende?
Maria übernimmt für sich die Verantwortung. Mir geschehe.
Woraufhin der, der anfangs so beredt gegrüßt hat, jetzt grußlos verschwindet.

Der TextIm Lukas-Evangelium, im 1. Kapitel, die Verse 26-38 liest sich die Geschichte so:

„Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.
Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!
Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?
Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.“

Wie wirkt Gnade? Für Maria? Für uns in der letzten Adventswoche?Sei gegrüßt, du, die du Gnade empfangen hast. Hat Maria gehört.
Sie haben vorhin bei der Begrüßung gehört: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Gnade sei mit euch. Jetzt und hier.
Gnade für Maria. Gnade für uns.

Gnade, die sich auswirkt. Und wie wirkt sich Gnade, Gottes Gnade aus? Für Maria? Und dementsprechend für uns? Jetzt, in dieser letzten Adventwoche?
Mit so vielem, was noch zu erledigen ist.
Mit der Vorfreude auf diese so andere Zeit.
Mit so manchen Ängsten: Wie wird das Fest werden, bei dem in diesem Jahr vielleicht zum ersten Mal einer im Kreis fehlt? Wie wird das Fest werden, wenn so viele Erwartungen damit verbunden sind und so manche Erfahrung von Stress und Streit einen begleiten?
Und mit der großen Anstrengung, möglichst alles so vorzubereiten, dass es rund läuft.
Wie wirkt sich Gottes Gnade und Freundlichkeit aus?

So: 1. Wie eine StörungMaria hört: Kreise und Pläne werden gestört. Über den Moment hinaus. Da kommt anderes. Da kommt Leben. Unerwartet. Und ganz anders als gedacht. Und darin liegt Gutes.
Was den Blick auf solche Störungen verändert. Vielleicht stören nicht sie, vielleicht stören unsere Pläne. Vielleicht verändert Gottes Gnade: Ich werde offen, bereit für anderes, Neues. Und wenn der Tannenbaum umkippt, das Essen verbrennt – dann gelassen Ausschau halten, was daraus werden könnte.

2. Als eine Aufforderung zur HorizonterweiterungMaria erfährt: Man muss über das Hier und Jetzt und über das uns Vorstellbare hinausdenken. Das Unerwartbare ernst nehmen. Den Unerwartbaren ernst nehmen. Und sein Kommen erwarten.
Auf seltsame Weise – eben: von einem jungen Mädchen aus einem Kaff.
Gottes Gnade bewirkt, sein Leben so zu gestalten zu lernen, dass Raum bleibt für das, was noch völlig überraschend werden soll.
Ich habe keine Zeit, vor Weihnachten die Kaffeeeinladung anzunehmen – und was, wenn ich es doch tue? Ich habe keine Zeit, vor Weihnachten das Auto meines Nachbarn abzuschleppen – und was, wenn ich es doch tue?

3. Zur Einwilligung in das UngewollteMaria handelt: Sie wird aktiv passiv. Sie willigt ein: Mir geschehe. Nicht mein Wille, sondern Gottes Wille.
Mir geschehe. Ein Weihnachten ohne den geliebten Menschen. Und ich lasse mich darauf ein.
Mir geschehe. Ein Geschenk, das ich nicht wollte. Und das nehme ich an. Mal sehen, was mir damit passiert.

Mal sehen – neugierig bleibenWie wirkt sich Gottes Gnade aus?
Ich bin gespannt, was wir uns nach Weihnachten erzählen können. Was seine Gnade mit uns gemacht hat und noch macht.
Gnade sei mit euch. Und Friede. In dieser letzten Adventswoche und darüber hinaus. Amen.


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