3. Sonntag nach Trinitatis (02. Juli 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Ute Stolz, Weilheim-Hepsisau [ Ute.Stolz@elkw.de]

Lukas 15, 1-3; 15, 11-32

Liebe Gemeinde,
ob er wohl noch zum Fest gegangen ist, der ältere Sohn? Jesus lässt sein Gleichnis am Ende offen. Wir können es selbst fortschreiben und uns einen eigenen Schluss überlegen.
Und – Hand aufs Herz – wir fragen uns doch auch, ob wir noch hingegangen wären, wären wir an der Stelle des älteren Sohnes gewesen. Oder?

Der ältere Sohn und der VaterIch finde, er hat Recht mit seiner Klage. Sie steht ihm zu. „So viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist...“ Man hört es förmlich wie er dieses „dieser dein Sohn“ dem Vater ins Gesicht schleudert.
Ich glaube, wir kennen dieses Gefühl, das den älteren Sohn überkommt, als er erfährt, warum im Haus getanzt und gelacht wird. Er verspürt Eifersucht. Er fühlt sich zurückgesetzt, nicht anerkannt, nicht gesehen. So ausgelassen wie bei diesem Fest ist es zu Hause schon lange nicht mehr zugegangen.
Ich stelle mir vor, wie der Vater nach dem Weggehen des jüngeren Sohnes gelitten und wie sich das wie ein Schatten über seine Familie gelegt hat. Wie er im Haus umhergegangen ist, immer wieder am Fenster stand, am Tisch saß und vor sich hin schaute. Und der ältere Sohn hat sich doppelt in der Verantwortung gefühlt, in Haus und Hof nach dem Rechten zu sehen und die Arbeit zu tun, die getan werden musste. Natürlich gehörte nun, nachdem sie das Erbe geteilt hatten, alles ihm. Aber er wollte es dem Vater doch recht machen, wollte ihm keinen Grund zur Klage geben. Und immer wieder stellte er sich dabei vor – er konnte sich nicht dagegen wehren – wie sich sein Bruder amüsierte. Feierte, Frauen um sich scharte, seine Freiheit genoss. Manchmal sehnte er sich auch danach, einfach abzuhauen und alles hinter sich zu lassen. Aber gleich verbot er es sich wieder: Weg damit. So etwas durfte er nicht denken. Die ganze Zeit hatte er sich im Griff gehabt. Doch nun, wo sein Nichtsnutz von Bruder einfach heimkam und gefeiert wurde, kochte sein Zorn hoch.
So viel Arbeit, so viel Pflicht und Treue, die er seinem Vater erwiesen hatte. Und was hatte er dafür bekommen? Nichts! Nichts Besonderes. Jedenfalls nichts so Besonderes wie sein Bruder es nun bekam.

FamilieWir kennen solche Konflikte, und wir kennen solche Gefühle, liebe Gemeinde. Hinter ihnen steht der verständliche Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung.
Vor allem in der Familie, dort, wo Jesus sein Gleichnis auch spielen lässt.
Da meint eine Frau: Was tut mein Bruder denn schon? Mich unterstützt er kaum. Aber die Mutter ist ja immer ganz außer sich vor Freude und Aufregung, wenn er mal zu Besuch kommt. Er muss nur dasitzen und Kaffeetrinken und danach kann ich mir tagelang anhören, wie nett und geduldig er ist. Dass er sich so viel Zeit nimmt. Und dass er so weit Auto fährt, nur um einen Besuch bei seiner alten Mutter zu machen. Dabei bin ich viel öfter da. Manchmal jeden Tag. Zum Helfen, zum Unterstützen. Nicht zum gemütlichen Dasitzen. Dass sie ihn so anhimmelt, finde ich einfach ungerecht.
Oder ein Mann sagt: Wo war denn meine Schwester, als es darum ging, unseren Vater zu pflegen? Ja, ab und zu ist sie eingesprungen. Aber man durfte sie ja nicht so belasten. Sie war ja voll berufstätig. Und das ach so erfolgreich. Die liebe Karriere, Frau Doktor hinten, Frau Doktor vorne. Da konnte man doch nicht auch noch von ihr verlangen, dass sie sich die Hände schmutzig macht. Nun, wo es ums Erben geht, steht sie natürlich auch da.

Nochmal – Der ältere Sohn und der VaterEs sind ähnliche Gedanken, die der ältere Sohn gegenüber seinem Vater im Gleichnis ausspricht.
Und dieser macht seinem Sohn keinen Gegenvorwurf. Er sagt nicht: Bist du etwa eifersüchtig? Wie kannst du nur! Er ist doch dein Bruder? Ja, freust du dich denn gar nicht, dass er wieder da ist?
Der Vater sagt: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und was mein ist, ist dein.“ Das ist eine Liebeserklärung. Sie kommt schlichter daher als ein rauschendes Fest, aber es ist eine. Nur: Ob der ältere Sohn sie gerade hören kann? Ob er in seinem Zorn wahrnimmt, dass der Vater ihn wirklich bittet, sich mitzufreuen, weil er sich sonst auch nicht richtig freuen kann. Dass er ihn genauso dabeihaben möchte wie seinen jüngeren Bruder?

Das FestDer jüngere Sohn sitzt drin im Haus und weiß noch gar nicht, wie ihm geschieht. Zum Tanzen und Singen kommt er bisher nicht. Er muss erst einmal seine Gefühle sortieren. Und essen, denn er hatte solchen Hunger.
So anders ist seine Heimkehr verlaufen, als er es erwartet hat. Mehr tot als lebendig ist er den weiten Weg nach Hause gegangen in der Hoffnung, als Tagelöhner wieder aufgenommen zu werden. Seine Niederlage wollte er eingestehen. Sagen, dass er seine Kindschaft verspielt hat. Und um Arbeit bitten.
Aber so weit kam er gar nicht. Der Vater lief ihm entgegen Er hat ihn geküsst und seine wohlvorbereitete Beichte unterbrochen. Einen Ring und ein Gewand hat er bringen und das Mastkalb schlachten lassen. Und Schuhe hat er ihm geben lassen. Sollte das tatsächlich heißen, dass er wieder als Sohn anerkannt war? Kein Knecht, kein Tagelöhner trug doch Schuhe und Ring!

Der jüngere SohnDer ältere Sohn ist mir nahe, liebe Gemeinde, denn ich verstehe seine Gefühle nur zu gut. Aber auch der jüngere ist mir sympathisch. Er tat nichts Unrechtes, als er seinen Vater bat, ihm sein Erbteil auszubezahlen. Es war das damals übliche Verfahren: Die Jüngeren bekamen ihr Erbe ausbezahlt, um ihnen die Gründung einer eigenen Existenz zu ermöglichen, während der Älteste Haus und Hof oder das Gewerbe des Vaters erhielt, um es weiter zu betreiben.
Vielleichte wäre es angemessener und gehorsamer gewesen zu warten, bis der Vater das Erbe aufteilen wollte, aber es ist doch nachvollziehbar, jung und voller Neugier auf das Leben zu sein. Der Vater jedenfalls lässt seinen Jüngsten ziehen, als dieser nach einer Weile aufbricht.
Und so marschierte der jüngere Sohn in die weite Welt hinaus, wie das Hänschen im Lied, um erwachsen zu werden und sein eigenes Leben zu finden. Natürlich wäre es seinen Eltern lieber gewesen, er hätte sich in der Nähe etwas aufgebaut. Eine Familie gegründet. Wäre weiterhin da gewesen, um zu Hause bei der vielen Arbeit zu helfen. Doch er darf gehen.
Dass er erst einmal ordentlich über die Stränge schlägt, finde ich genauso verständlich. Endlich frei, endlich ohne Kontrolle, endlich aus dem Vollen schöpfen. Er lebt in den Tag hinein und genießt in vollen Zügen. Dass es so gründlich schief geht, ist keine Strafe. Es ist einfach die Folge seines Leichtsinns. Denn für die Hungersnot, die in dem Land ausbricht, in dem er lebt, kann er ja nichts. Ohne sie hätte er es vielleicht geschafft, wieder Boden unter die Füße und Geld in seine Taschen zu bekommen. Aber er hat nicht vorgesorgt.
Und so steht er nun vor dem Nichts. So sehr vor dem Nichts, dass er die Schweine bei einem hütet, der anscheinend noch genug hat. Bei dem er aber nicht einmal die Schoten essen darf, die die Schweine im Trog haben. So elend ist es ihm noch nie gegangen.

ErkenntnisDas, was der Sohn in der Fremde nun tut, können Menschen oft nicht oder nur ganz schwer. Er gesteht sich seine Niederlage ein. Natürlich kann man einwenden, dass ihm auch nicht viel anderes übrig blieb. Aber ich bleibe bei meiner Anerkennung dafür, dass er sich der Wahrheit stellt. Ihm ist bewusst, dass er sich nicht wie ein treuer Sohn verhalten hat. Ihm ist bewusst, dass er, dreckig und stinkend und durch den Kontakt mit den Schweinen unrein geworden, mit nichts im Elend dasitzt.
Und er ist bereit, das einzugestehen, sich selbst und zu Hause seinem Vater. Er lässt seinen Stolz, sein Ego, all das, was Menschen oft noch vor sich her tragen, selbst wenn sie verspielt haben, hinter sich und ist bereit zu bereuen und zu büßen, indem er dort, wo er zuvor die Rechte eines Sohnes hatte, fortan als Knecht arbeitet.

HeimkehrAber das mit dem Büßen wird nichts. Im Gegenteil. Dem Sohn kommt eine Großzügigkeit und eine Liebe entgegen, mit der er niemals gerechnet hätte. Die Bußfertigkeit des Sohnes geht förmlich unter in der Freude des Vaters über seine Rückkehr. Gar nichts wird ihm auferlegt, er wird auch nicht gedemütigt oder erzogen, weder durch ein kleines „Nun siehst du, was dabei herauskommt“ noch durch ein „Das wird aber hoffentlich nicht nochmal vorkommen“ noch durch eine vollmundig ausgesprochene Vergebung. Der Vater handelt einfach. Ohne große Worte.

Großherzige LiebeDie Schönheit dieses Gleichnisses liegt in all der Großherzigkeit des Vaters und darin, dass es ihm gar nicht einfällt, den moralischen Zeigefinger zu heben. Sie liegt in der Freiheit des jüngeren Sohnes, ehrlich zu sein, und so einen Neuanfang zu ermöglichen, der alle menschlichen Erwartungen übersteigt. Die Vergangenheit ist vorbei und eine Zukunft tut sich auf, in der er es besser machen kann. Nicht aus Angst. Nicht mit schlechtem Gewissen, das ihn weiter verfolgt. Sondern in dem Bewusstsein, wieder daheim zu sein. Und daheim bei seinem Vater wird nicht nachgerechnet und nicht aufgerechnet.
Da ist nichts als Freude über den, der heimfindet. Und Liebe. Von der Liebe des Vaters hatten sich beide Söhne entfernt. Der Jüngere, indem er fortging, der Ältere, indem er blieb, aber nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.
Nun können sie beide in die Liebe des Vaters zurückkehren. Wird der ältere Sohn auch noch einen Weg finden?

WirMit diesem Gleichnis, liebe Gemeinde, lässt uns Jesus direkt in Gottes Herz blicken. Er sagt uns: Schaut her, so ist Gott. Und wir? Mal stehen wir dem älteren, mal dem jüngeren Sohn näher. Beide Male erwartet uns Gottes Liebe mit offenen Armen.
Wie könnten wir darauf anders antworten als damit, dass wir jeden Tag neu damit anfangen, fröhlich zu sein.
Amen.

Literatur:
Fulbert Steffensky, Der Schatz im Acker – Gespräche mit der Bibel, S. 60f; Für Arbeit und Besinnung 2011 und 2017; Wolfgang Kruse (Hrsg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe III.


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