3. Sonntag nach Epiphanias (26. Januar 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Dr. Dieter Koch, Künzell [koch.korb@web.de]

Johannes 4,5–14

IntentionHeilende Kräfte fließen Dir von Gott zu. Wasser des Lebens brechen in Dir auf. Entdecke, dass auch Du ins Strömen kommen kannst.

PredigttextDa kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.
Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Söhne und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.

Brunnen faszinierenLiebe Gemeinde, Brunnen faszinieren. Frisches Wasser erquickt. Da sind die Nutzbrunnen, die lebensnotwendiges Wasser bereithalten, Wasser zum Trinken und Tränken, zum Waschen und Kochen. Kein Haus, kein Dorf ohne Zugang zum Wasser. Da sind die Schaubrunnen mondäner Städte, kunstvoll angelegte Wasserspiele, die verzaubern. Das Auge sieht das Licht, das sich im Fließen des Wassers spiegelt. Das Herz weiß sich beglückt von einer namenlosen Kraft. Ob physische Notwendigkeit, ästhetischer Wohlgenuss oder Ahnung des Umgreifenden, in lebendigem Wasser begegnen wir uns selbst.
Ein Schluck frischen Wassers – und ein leichtes Beben geht durch den ganzen Menschen. Ein zweiter, und ich spüre ein Strömen, das Heimat verheißt. Ein dritter, und ich meine: Da ist ein Ankommen noch ohne Worte, ein Kosten des Glücks. Körper, Seele und Geist vereinen sich neu. Lebenskraft kehrt wieder, Lebensmut erstarkt, Lebensgeist belebt. So unverzichtbar Wasser für das Stillen des Lebensdurstes ist, so reich ist seine sinnspendende Macht. Denn bei Dir, Gott, ist die Quelle des Lebens – in Deinem Licht sehen wir das Licht.

Jesus und eine Frau aus Samarien begegnen sich am JakobsbrunnenAll dies und mehr bestimmt die Begegnung Jesu mit einer Frau aus Samarien am Jakobsbrunnen bei Sychar. Es ist ein besonderer Ort. Dieser Brunnen ist nicht einfach nur ein Brunnen, an dem es Wasser gibt. Andere liegen näher zu Sychar. Es ist ein heiliger Brunnen. Er liegt in Blicklinie zum Berg Garizim, wo einst der von jüdischer Hand zerstörte Tempel der Samaritaner stand. Was ihnen blieb ist der Brunnen. Wer hierher kommt, sucht heilendes Wasser für die Seele. Wer hierher kommt, will in Kontakt mit den Segnungen Jakobs, den religiösen Quellen des Lebens, kommen.
Wir sehen eine Frau mit ihrem Krug in der Hand an diesen Brunnen treten. In der Höhe des Tages, es ist die sechste Stunde, also 12 Uhr mittags, kommen Jesus und sie einander nahe. Es ist eine Begegnung über viele Grenzen hinweg. Tabuzonen werden durchbrochen. Hier gilt nicht länger Jude oder Samaritanerin, nicht Reiner gegen Unreine, nicht Mann gegen Frau mehr. Hier geht es um das Entdecken der echten Quellen des Lebens. Was kann er ihr geben, was wird sie ihm geben? Was braucht er? Was sucht sie?
Da ist er, matt und ausgelaugt von der Reise. Schweiß rollt ihm von der Stirn. In der Hitze der Mittagsglut verlieren sich die Gedanken. Die Füße tragen nicht mehr. Er braucht den Schluck. Er braucht ihn sehr. Wasser muss durch seine Kehle laufen. Sie kann ihn geben. Er bittet sie. Sie lässt den Krug in den Brunnen hinab. Sie holt Wasser hoch. Sie neigt ihn zu seinem Mund. Er trinkt. Welch Labsal! Welche Güte! Als gäbe es all die trennenden Schranken nicht zwischen Juden und Samaritanern, Mann und Frau, dem Freien und der Magd.
Und sie? Was hat sie hinausgeführt zu dieser Stunde an den Jakobsbrunnen? Was bringt sie mit an Enttäuschungen und Hoffnung? Liest man weiter, wird der Dialog der beiden sich um ihre glücklich-unglücklichen Männergeschichten drehen, um die Frage nach der wahren Religion und dem legitimen Tempel kreisen und in ein Wort münden, das die beiden tief miteinander verbindet: Die Stunde ist da, die Zeit ist reif für ein tief geläutertes Glauben, Hoffen und Lieben. Denn Gott ist Geist. Er gibt Licht und Leben. Die zum Vater finden, werden frei. Sie beten ihn an in Geist und Wahrheit.

Jesus gibt ihr lebendiges Wasser, und eine Quelle entspringt in ihrDa kommt ein Strömen in sie, ein erneuertes Glück, ein freies und weites Gottesbewusstsein. Aber alles konnte nur beginnen mit ihrem Mut, beim Fließen des Wassers aus ihrem Krug Jesus anzureden. Keck und frech, frisch und lockend sind ihre Worte. Spannung liegt in der Luft. Die Spannung im Augenspiel zweier, deren Herkommen sie gegeneinander treiben müsste, und die sich nun in ihrer sie rettenden Menschlichkeit erkennen. Sie gibt ihm das Wasser zum Leben, das sein Körper dringend braucht. Er gibt ihr das Wasser zum Leben, das ihre Seele sucht.
Denn er weiß um die Quellen des Herzens. Er ruht und strömt in Gott. Von Gott geht ein Strömen aus, das den Geist erfüllt, Glauben heißt und sich in Hingabe äußert. Gott wohnt nicht einfach in einem Haus aus Stein und schon gar nicht in einem Herz aus Stein. Was Gott und Mensch vereint, ist Liebe allein. Diese Gewissheit macht ihn zum Freudenboten. Er ist erfüllt von der Gegenwart des göttlichen Atemwindes. Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Die ihn lieben, werden sein wie die Sonne, die aufgeht in ihrer Pracht.
Was zwischen Jesus und der Frau aus Samarien geschieht, ist eine Sternstunde der Begegnung. Zwischen beiden fließt ein Strom des Verstehens. Sie öffnen sich füreinander. In Jesu Wort und Blick beginnt diese Frau sich neu zu entdecken, sich selbst zu begegnen. Mir scheint: überhaupt ein erstes Mal frei von all den verstellenden Normen und Geboten, frei von all den tief in die angelernte Religion eingewobenen Denkmustern,. Sie entdeckt sich als Frau mit ihrem eigenen Lebensrecht, ihrer eigenen Freude, ihrem eigenen Sehnen nach Anerkennung und Glück.
Eine Quelle geht in ihr auf. Geistige Wasser beginnen zu strömen, wie er ihr den Gotteshorizont öffnet. Dabei sagt Jesus der samaritanischen Frau ja „nicht einfach: ‚Ich gebe dir lebendiges Wasser. Ich bin die Quelle. Schöpfe aus ihr, solange du willst‘. Er sagt vielmehr: ‚Das Wasser, das ich dir gebe, wird in dir zur Quelle werden. Du wirst aus einem Empfänger der Lebensenergie zum Lebensspender, aus einem Gefäß zur Quelle … (Denn) aus Abhängigen sollen Selbständige werden, aus Untergeordneten Gleichgestellte … wo Gott im Geist und in der Wahrheit verehrt wird, da wachsen wir aus unseren Traditionen hinaus und begegnen Gott in ursprünglicher Weise“ (Gerd Theißen).

Gott erfahren – das Beispiel Rabindranath TagoresGott erfahren, das heißt berührt werden von einem grenzenlosen Geheimnis voller Seligkeit. Stellvertretend für diese ganz kostbaren, bisweilen namenlos bleibenden Erfahrungen, in denen ein ursprünglicher Glaube aufbricht, will ich kurz von der Erweckung des großen indischen Weisen Rabindranath Tagore (1861–1941) berichten:
„Als ich 18 Jahre alt war, schreibt er, drang plötzlich zum ersten Mal ein Frühlingsausbruch religiöser Erfahrung in mein Leben und verwehte wieder, in meinem Gedächtnis eine unmittelbare Botschaft geistiger Wirklichkeit hinterlassend.
Als ich nämlich eines Tages im ersten Morgendämmern beobachtete, wie die Sonne ihre Strahlen hinter den Bäumen emporsandte, fühlte ich plötzlich, wie wenn irgendein uralter Nebel sich in einem Augenblick von meinen Augen gehoben hätte, und das Morgenlicht über dem Angesicht der Welt offenbarte mir ein inneres Strahlen der Freude.“
Tagore weiß sich berührt. Eine unendliche Schönheit ging ihm auf. Sein Bewusstsein erfuhr sich als grenzenlos geweitet. In seinem ersten Gedicht „Das Erwachen des Wasserfalls“ sucht er diesen Gottesmoment in Worte zu fassen: „Früh am Morgen – Sonnenstrahlen/ Dringen tief in meine Seele,/ … Oh Wunder! Hätte ich je gedacht, / Dass meine Seele so jäh aufwacht?// … Mein Seelenschmerz, mein Herzensdrang/ Will heute nicht sich fesseln lassen.“
Wie ereignet sich Sinn? Wie erfährt der Mensch tiefe Geborgenheit? Ohne eigene Erfahrungen inneren (Wieder-)Strömens, und seien sie noch so anfanghaft, bleibt Jesu Verheißung ohne Sinn, eine bloße Behauptung. Anders, wo es zum geistigen Kosten des heilenden Wassers von innen kommen darf – welch ein Befreiung liegt darin, ein beglückendes Sicherfreuen am eigenen Selbst, an seinem Können, seiner Begabung, seinem Leib, seinem Lieben. Entdecke, dass auch Du ins Strömen kommen kannst.

Coda: Die Geburt des SelbstBrunnen faszinieren. Frisches Wasser erquickt. Strömendes, belebendes Wasser steht für die Reise nach innen. Die Geburt des Selbst ist die Geburt deiner Freiheit. Spüre deine Bestimmung. Folge ihr! Und eine Quelle kann sich auch in Dir öffnen – so wie für Maria, die die Kraft fand, aus ihrer verletzenden Beziehung auszutreten. Eine Quelle kann sich auch in Dir öffnen – so wie für Lisa, die ihren Traum umsetzte, ein Café zu eröffnen, weil sie Menschen zusammenführen wollte; so wie für Helen, die im Lobpreis Jesu ihr inneres Glück fand; so wie einst für die Frau am Brunnen. Sie entdeckte durch die achtsame geistige Anleitung Jesu das Strömen des geistigen Wassers. Sie lebte auf. Sie wusste sich erquickt, befreit, erlöst. Jesus eröffnete ihr die inneren Quellen eines sinnerfüllten Lebens: ganz in sich, ganz frei, ganz hingegeben. Sie ließ ihren Krug stehen! Sie wurde zur ersten Freudenbotin für Samarien. Amen.

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