3. Advent (11. Dezember 2022)

Autorin / Autor:
Kirchenrat i.R. Dr. Werner Schmückle, Korntal [Werner.Schmueckle@arcor.de]

Jesaja 40,1-11

IntentionBeim Trost geht es um die Grundlage unseres Glaubens, darum, was unser Leben hält und trägt. Der Trost, den der Prophet seinem Volk in der Gefangenschaft in Babylon zu verkündigen hat, enthält vier Zusagen. Ich will diese Zusagen entfalten und auf unsere Trostbedürftigkeit beziehen.

40,1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet. 6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Liebe Gemeinde!
„Tröstet, tröstet mein Volk!“
Trösten ist der Auftrag, den der Prophet von Gott bekommt.
Brauchen wir Trost?
Ja, Menschen im Leid und in der Trauer brauchen Trost.
Das kleine Kind, das in der Nacht aufwacht und nach der Mutter weint, braucht Trost.
Die Mutter setzt sich zu ihrem Kind ans Bett und streicht ihm mit der Hand übers Haar und das Kind schläft beruhigt wieder ein.
Aus der Sicht der Bibel und der Reformatoren ist Trost allerdings mehr als die Erfahrung, dass jemand einem liebevoll über die Haare streicht.
Trost ist, was ein Leben hält und trägt in Zeit und Ewigkeit. Was der Mensch an Sinn, Halt und Hilfe in seinem Dasein nötig hat, das ist Trost.
Vielleicht haben wir ja angesichts von Corona und dem furchtbaren Krieg in der Ukraine mit all seinen Auswirkungen entdeckt, dass wir solchen Trost nötig haben.

Jeder Mensch braucht Trost„Wer meint, er brauche keinen Trost, der täuscht sich, der Mensch ist auf Trost hin erschaffen“, hat der Theologe Rudolf Bohren geschrieben.
Das Gebet einer jungen Frau macht deutlich, dass kein Mensch ohne Trost leben kann.
„Trost ist nicht weniger lebenswichtig als Brot“ hat sie über ihr Gebet geschrieben, und dann heißt es:

„Herr,
ich habe ein so verzweifeltes Verlangen nach Getröstetwerden.
Es ist niemand da,
der meine Hand hält,
an dessen Brust ich mich flüchten,
in dessen Arme ich mich bergen kann,
bei dem ich weinen darf,
der mir Trost zuspricht.
Herr, ich habe gelernt,
dass du mir Zuflucht sein willst,
aber es ist nur ein Wissen des Verstandes.
Mein Herz vermag es nicht zu stillen.
Ich bitte dich,
lass mich deine Nähe erfahren
wie die Nähe eines geliebten Menschen.
Birg mich Herr, an deinem Herz.“

Wo finde ich Trost?Wie kommt es zu diesem Trost?
Der Prophet, den man den zweiten Jesaja nennt, bekommt einen Einblick in den Himmel geschenkt.
Dort erklingt Gottes Aufforderung: Tröstet mein Volk!
Dort hört er Stimmen, die die Ausführung dieses Befehls in die Wege leiten.
Und eine solche Stimme spricht auch ihn an: Predige!
Wie aber soll er einem Volk predigen, dessen Schicksal von Vergänglichkeit geprägt ist wie das Gras und die Blumen auf dem Feld?
Seit langen Jahren befand sich das Volk Israel in der Gefangenschaft in Babylon.
Am Anfang war da ja noch Hoffnung auf Heimkehr.
Aber diese Hoffnung hat sich als genauso vergänglich erwiesen wie ein Menschenleben.
Jetzt war da nur noch Hoffnungslosigkeit und Resignation.
Die Gefangenen glaubten sich von Gott vergessen.
„Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber“ (Jesaja 40,27).
So lautete die Parole ihrer Hoffnungslosigkeit.
Es blieb ihnen nur die Klage. Später haben sie davon so gesungen:
„An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion, an unsere Heimat in Jerusalem gedachten.
Die uns gefangen hielten, hießen uns dort singen und in unserem Heulen fröhlich sein. Wie könnten wir des Herrn Lied singen im fremden Lande?“ (Psalm 137, 1-4)
Können Menschen in so einer Situation überhaupt auf die Trostbotschaft des Propheten hören?

Trost oder Vertröstung?Werden sie ihn nicht für einen unverbesserlichen Optimisten halten, für einen Rattenfänger, auf dessen Versprechungen man sich auf keinen Fall einlassen darf?
Ja, menschlicher Trost würde diesem resignierten Volk in seiner Situation nicht weiterhelfen.
Was dieses Volk, was Menschen ohne Hoffnung brauchen, ist ein Wort, das neuen Lebensmut schenkt,
eine Botschaft, die Mühselige und Beladene aufatmen lässt.
Auch wir brauchen einen Trost, der hineinreicht in die Ängste und Dunkelheiten unserer Zeit und unseres Lebens.
Ein solcher Trost kann nur von Gott herkommen.
Gottes Trost für sein niedergeschlagenes Volk besteht in vier Zusagen. Die darf der Prophet verkündigen:

(1) Die Schuld ist bezahltGottes Volk Israel hat in der Gefangenschaft in Babylon Gottes Gericht über seine Sünde erfahren.
Jetzt aber lässt Gott verkündigen: Die Gerichtszeit ist zu Ende, die Schuld ist vergeben.
Die volle Strafe hat Israel getragen. Die „doppelte Strafe“ müsste man eigentlich übersetzen. Das erinnert an eine Rechtsvorschrift aus dem Gesetz des Alten Testaments, nach der für einen verursachten Schaden zweifacher Ersatz zu leisten ist.
Wenn das geschehen ist, dann besteht keine Forderung mehr.
Das gibt die Gewissheit: Es ist alles erledigt.
Gott selber hat den Schuldschein zerrissen.
Wie diese Vergebung geschieht, wird hier nicht gesagt.
Die Antwort gibt der Prophet später in seinem Lied vom Gottesknecht.
Da heißt es:
„Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5)
Die christliche Gemeinde hat dieses Wort immer auf Jesus bezogen.
Er ist der leidende Gottesknecht.
Er stirbt am Kreuz für unsere Schuld und schenkt uns Gottes Vergebung.
Das ist die Trostbotschaft, die uns gilt.
Was war, muss uns nicht mehr belasten.
Was kommt, muss uns nicht mehr schrecken.
Wir dürfen aufatmen und frei sein, denn uns ist vergeben.
„Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Leben und Seligkeit“, hat Martin Luther geschrieben.

(2) Der Weg ist gebahntVom Bau einer Straße ist da die Rede, die von Babylon nach Jerusalem führt und auf der Gottes Herrlichkeit den Weg mitzieht, so wie es das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten in das verheißene Land schon einmal erlebt hat.
Ein Schöpfungswunder wird da angekündigt, das nur Gott selbst vollbringen kann.
Die Wüste wird passierbar, Berge werden eben gemacht, Täler werden aufgefüllt und alles Unebene, alles Krumme wird gerade.
Auf wunderbare Weise werden alle Hindernisse weggeräumt.
Vielleicht sind damit auch die inneren Hindernisse angesprochen, die dem Vertrauen der Gefangenen in Babylon im Weg stehen.
Die Wüste ist der Ort, an dem es keine Lebensmöglichkeit gibt und auch ein Bild für Zeiten der Dürre in einem Menschenleben.
Das Tal ist das finstere Tal von Psalm 23, das für die Bedrohung und für die dunklen Erfahrungen in unserem Leben steht.
Berge und Hügel sind im Alten Testament die Orte fremder Götter und Mächte, die dem Vertrauen zu lebendigen Gott entgegenstehen.
Und das Krumme sind die Irrwege, die wir Menschen gehen.
All diese Hindernisse räumt Gott weg und lädt damit ein:
„Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt. Er selbst kommt uns entgegen, die Zukunft ist sein Land.“ (EG 395,3)

(3) Das Wort Gottes bleibtWas gibt Anlass zu solchem Vertrauen, wenn doch alles vergeblich und vergänglich erscheint?
Der Prophet bekommt die Antwort:
Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Gott hat sich gebunden an sein Wort, seine Verheißungen fallen nicht dahin.
Deshalb können die Gefangenen in Babylon jetzt neue Hoffnung schöpfen.
Gott hat auch uns sein Wort gegeben.
In Jesus Christus hat Gottes Wort der Liebe unter uns Gestalt gewonnen.
Es ist das Wort, das hält und trägt in dieser Zeit und auch in Ewigkeit.
Jochen Klepper hat es in seinem Morgenlied so ausgedrückt:
„Das Wort der ewgen Treue,
die Gott uns Menschen schwört,
erfahre ich aufs neue,
so wie ein Jünger hört.“ (EG 452,2)
Und am Ende steht dann ein Versprechen:

(4) Der gute Hirte führt und trägtDer Gott, der seinem Volk zu Hilfe kommt, wird im Bild des Hirten vorgestellt:
„Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinem Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.“
Eindrücklicher könnte die fürsorgliche Liebe Gottes zu seinem Volk nicht beschrieben werden.
Im Bild des Hirten öffnet sich das Fenster ins Neue Testament.
Jesus ist der gute Hirte.
Er sucht das Verlorene und trägt es nach Hause.
Er gibt sein Leben für die Schafe.
Er kennt die Seinen mit Namen und schenkt ihnen das ewige Leben.
Und nichts und niemand kann sie, kann uns aus seiner Hand reißen.
So geschieht das Getröstetwerden in unserem Leben, dass wir die starken Arme unseres guten Hirten spüren dürfen.
Auch in den dunklen Tälern unseres Lebens ist er da und trägt uns durch.

Beim Trost geht es um die Grundlage unseres Glaubens.
Der Heidelberger Katechismus beginnt mit der alles entscheidenden Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“
Und er gibt die Antwort: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.“ Amen.

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)