3. Advent (15. Dezember 2019)
Pfarrerin Dr. Karoline Rittberger-Klas, Tübingen [karoline.rittberger-klas@elkw.de]
Lukas 3, 3-14; 3, 18
IntentionDie Predigt will deutlich machen: Johannes der Täufer redet in ethischer Hinsicht Klartext. Seine Worte sind auch heute für den Alltag relevant. Jesus aber kommt nicht als Axt im Walde, sondern begleitet uns als geduldiger Gärtner.
Liebe Gemeinde,
unangenehme Wahrheiten hört keiner gern. Wenn einer mir direkt ins Gesicht sagt, was bei mir falsch läuft, dann wehre ich mich. Oder schalte auf Durchzug. Besonders, wenn die Kritik nicht freundlich und aufmunternd, sondern wie eine Anklage klingt. Vielen Leuten geht offensichtlich auch so, wenn sie die Anklagen der jungen Menschen von „Fridays for Future“ hören. Sie fühlen sich angegriffen und hören weg. Deshalb verhallen solche drastischen Worte oft ungehört.
Aber manchmal ist es auch anders. Dann erschrecken die Leute. Dann spüren sie plötzlich, es ist ja wahr. So geht es nicht weiter... So war das anscheinend damals bei Johannes, den wir den Täufer nennen. Wir hören von ihm im Neuen Testament – aber in seiner Sprache und seiner Art erinnert er an die alttestamentlichen Propheten. Ich lese aus Lukas 3:
„Er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): ‚Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.‘ Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun? Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!
Und mit vielem andern mehr ermahnte er das Volk und predigte ihm.“
„Was sollen wir tun?“ – Dreimal wird in der Szene, die wir gerade gehört haben, diese Frage gestellt – und dreimal gibt Johannes der Täufer eine einfache Antwort. Eine klare Sache also! Wir haben gehört, was zu tun ist. Braucht es da noch große Worte? Nun, die Person, die diese Antworten gibt, ist auf jeden Fall der Rede wert. Also:
Wer ist dieser Johannes?Wenige Monate älter als Jesus und mit ihm weitläufig verwandt ist er, das erfahren wir bei Lukas. Die anderen Evangelien zeichnen ein drastischeres Bild: Ein rauher Typ, wild und spärlich gekleidet, der sich in der Wüste aufhält und sich von Heuschrecken ernährt. Diplomatische Worte sind von so einem nicht zu erwarten: „Ihr Otterngezücht!“ Was macht Johannes so wütend? Er spürt: Gott kommt in die Welt. Oder mit unserem Wochenspruch: „Der Herr kommt gewaltig.“ Seine Aufgabe ist: Er soll die Menschen darauf vorbereiten, er soll Gott den Weg ebnen. Wenn Gott auf dem Weg ist, so ist er überzeugt, dann müssen die Menschen sich ändern.
Die Menschen bewegen, sich zu ändern – das ist keine leichte Aufgabe, so viel ist sicher! Wie soll er sie angehen?
Johannes versucht es, wie viele seiner prophetischen Vorgänger, mit der harten Methode. „Wer hat euch gesagt, dass ihr Gottes Zorn entgeht, wenn er kommt?“, fragt Johannes seine Zuhörer. Und er lässt angestammte Rechte nichts gelten. „Wir haben Abraham zum Vater“, sagen die frommen Juden seiner Zeit. Ich zahle doch Kirchensteuer, ich komme doch zum Gottesdienst, sagt einer vielleicht heute. Doch Johannes hält dagegen: Gott kann Abraham aus Steinen Kinder erwecken! Gott kann sich auch genau denen zuwenden, die noch nie hier in der Kirche waren, denen, die wir am wenigsten für Christen halten. Ja, auch denen, die vielleicht einer ganz anderen Religion angehören und trotzdem mehr davon verstanden haben, auf was es ankommt, als mancher Kirchgänger.
Angestammte Rechte gelten nichts. Es geht darum, was einer tut. Ein guter Baum trägt gute Früchte. Jemand, der mit Gott lebt, tut auch seinen Willen. Der Baum aber, der keine guten Früchte trägt, wird abgeschlagen. Das Bild ist deutlich. Wie gesagt, Johannes wählt die harte Methode.
Und seine Zuhörer, wie reagieren sie auf diese drastischen Worte? Mich überrascht ihre Reaktion. Sie fühlen sich nicht beleidigt, sie sprechen Johannes nicht das Recht ab, so zu reden. Die Botschaft, dass Gott kommt, den Aufruf, dass sich etwas ändern muss, stellen sie nicht in Frage. Sie wollen schlicht wissen: „Was sollen wir tun?“. Deshalb:
Was sollen wir tun?Die Antworten, die Johannes gibt, klingen eigentlich völlig vernünftig. Da werden keine religiöse Höchstleistung und keine totale Aufopferung für den Nächsten gefordert. „Wer zwei Hemden hat, soll dem eins geben, der keins hat. Und wer etwas zu essen hat, soll es mit jemandem teilen, der Hunger hat.“ Niemand muss hungern oder frieren. Die Zöllner sollen nicht mehr verlangen als ihnen zusteht. Und die Soldaten nicht mit Gewalt Geld erpressen. Eigentlich selbstverständlich.
Doch was ist, wenn der Krieg so angelegt ist, dass er sich selbst ernährt? Wenn Plünderungen zum Konzept gehören und die Soldaten nur von dem leben, was sie anderen stehlen? Und was ist, wenn die Beamten so wenig verdienen, dass ihre Familien von dem Geld leben, das sie andern aus der Tasche ziehen? Plötzlich ist die einfache Regel schwer einzuhalten.
Selbst für uns ist das so. Wo wir es doch eigentlich so einfach hätten. Wir haben wohl alle mehr als zwei Hemden, wir haben alle mehr als genug zu essen. Aber irgendwie klappt es nicht gut mit dem Abgeben. Wir alle haben mehr Freizeit als alle Generationen vor uns – und dennoch sind wir ständig im Stress und haben kaum Zeit füreinander oder für Menschen in Not. Die einfachen Gebote überfordern uns offenbar.
Nach Johannes ist das Urteil recht eindeutig: Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt. Düstere Aussichten also für uns? Ich glaube, es lohnt sich zu bedenken, wer das ist, den Johannes ankündigt. Also:
Wer ist es, der da kommt?Der kommende Herr, den Johannes ankündigt, das ist Jesus. Jesus aber kommt nicht als Axt im Walde. Auch Jesus will, dass die Menschen ihr Leben verändern, sicher. Aber er hat andere Mittel und Wege als die Drohungen des Johannes. Er richtet nicht über die Menschen, denen es nicht gelungen ist, nach Gottes Geboten und im Einklang mit ihren Mitmenschen zu leben. Er verurteilt nicht die Zöllner, die zu viel Geld einnehmen. Er verurteilt nicht die Frau, die ihre Ehe gebrochen hat. Er verurteilt nicht die Ausländer, die den jüdischen Glauben nicht kennen. Im Gegenteil, er kommt zu ihnen, er setzt sich mit ihnen an den Tisch und isst mit ihnen. Er redet mit ihnen, ermutigt sie, hilft ihnen. Er lebt vor, wie es anders gehen kann. So verändert er ihr Leben. Nicht mit Drohung und Strafe, sondern mit Liebe und Geduld. Auch Jesus geht davon aus, dass ein guter Baum gute Früchte trägt. Aber einen Baum, der nicht trägt, den muss man deshalb nicht gleich abhauen. Man kann ihn auch pflegen. Und abwarten.
Jesus kommt nicht als die Axt im Walde, sondern als ein Gärtner, der dafür sorgt, dass aus schlechten Bäumen gute werden. Aber was heißt es für unser Leben?
Deshalb zuletzt noch einmal:
Was sollen wir tun?1. Tut niemandem Gewalt noch Unrecht: Ich verstehe das heute so: Zeigt Zivilcourage. Immer wieder geschieht es um uns herum, dass Menschen schikaniert werden. Es findet sich schnell jemand, der ein perfektes Opfer abgibt – weil er anders aussieht, weil er woanders herkommt, weil er nachgiebig ist. An dem kann man seinen Frust ablassen – im Bus, in der Schulklasse, im Büro, aber manchmal auch in der Nachbarschaft oder sogar in der weiteren Familie. Wir sollen da nicht mitmachen. Noch besser: Wir sollen uns auf die Seite der Opfer stellen. Wie Jesus es getan hat.
2. Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat: Teilt! Viele von uns haben materiell schon viel. Wir können versuchen, an Weihnachten dieses Jahr auf Überflüssiges zu verzichten. Nicht, dass wir es uns nicht gutgehen lassen dürfen. Jesus hat auch gerne gegessen und getrunken. Aber wir können verzichten auf das, was echt zu viel ist: Auf überflüssige Mengen an Essen, die keiner mehr wirklich zu schätzen weiß. Auf übertriebene Mengen an Geschenken, die vorher Stress machen und hinterher im Regal verstauben. Das Geld, das wir dadurch übrighaben, können wir abgeben. Organisationen wie „Brot für die Welt“ werden dafür sorgen, dass daraus Nahrung und Kleidung für die wird, die keine haben. Die Zeit und die Aufmerksamkeit, die wir dadurch gewinnen, können wir teilen und verschenken. Unseren Freunden und Partnern, unseren Kindern und Enkeln, unseren Eltern und Großeltern, und vielleicht auch ganz anderen Menschen, die uns brauchen.
3. Siehe, der Herr kommt gewaltig: Sei aufmerksam dafür, dass Gott im Kommen ist. Gerade jetzt in der Adventszeit fällt das nicht leicht. Da sind ganz andere Dinge gewaltig im Kommen: Vorbereitungen Familienbesuche, Vereinsfeste, Konzerte... Aber in all dem vielleicht auch die Sehnsucht nach einem guten Leben, nach echter Freiheit. Versuchen wir doch, diese Sehnsucht ernst zu nehmen. Geben wir ihr Zeit und Raum und spüren der Frage nach, wonach wir uns sehnen – und wo wir es finden könnten.
Siehe, der Herr kommt, sagt Johannes. Und ich möchte mich daran erinnern, wer es ist: Jesus. Er sieht, dass Gott uns alle als gute Bäume gepflanzt hat. Jesus kommt – er bleibt bei uns und lässt gute Früchte in uns reifen.
Amen.
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