3. Advent (13. Dezember 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Stefan Koch , Starnberg [Stefan.Koch@elkb.de]

1. Korinther 4, 1-5

Liebe Gemeinde,
vor Jahren gab es eine Fernsehsendung, die zum heiteren Beruferaten einlud. Ein Expertenteam von vier Frauen und Männern hatte genau zehn Fragen Zeit, um den Brotberuf eines geladenen Gastes herauszubekommen. Wir wollen sehen, ob wir das auch schaffen, mit ein paar Fragen zu klären, was Paulus im Korintherbrief meint, wenn er sich als „Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ beschreibt.

Erste Frage an Paulus: Redest du von deinem ganz besonderen Beruf? Und ist das auch ein Beruf, den wir heute noch kennen, den wir vielleicht sogar selbst ausüben könnten?

Die Antwort ist ein klares Ja, das ist ein Beruf, den es bis heute gibt und den es braucht. Die Geheimnisse Gottes sind heutzutage zwar den Eingeweihten bekannt, wurden auch in vielen verschiedenen Medien veröffentlicht, kommentiert und ausgesendet – aber dennoch sind es für viele Menschen bis heute unbekannte Welten, für manche sogar ein Buch mit sieben Siegeln. Die Geheimnisse Gottes erschließen sich nicht auf einmal und auf einen Blick. Oft genug werden sie erst dort entschlüsselt, wo ein Mensch sie sich zu Herzen nimmt.

Beruf und BerufungNächste Frage: Das klingt so, als wären damit heute vor allem Pfarrerinnen und Pfarrer beschäftigt, vielleicht auch Lektorinnen und Lektoren, Kirchenmusiker, Gemeindepädagoginnen – alles Menschen, die Gottes Wort auslegen und kreativ verkündigen, richtig?

Das ist die erste Verpackung, aus der wir heute das Geheimnis Gottes wickeln: Wenn wir es recht anschauen, dann verschwinden alle Unterschiede zwischen Profession und Laie, zwischen Pfarrerin und Bibelleserin, zwischen kindlichem Verstehen und Theologiestudium an der Universität. Das Geheimnis Gottes besteht auch darin, menschliche Unterschiede einzuebnen, einen hohen Status wie den des Apostels Paulus auf seinem angeblichen Sockel des Höhergestellten im Sinn eines exklusiven Gottesdieners anzutasten und den Niedrigen in der Gemeinde in Korinth so hoch wie möglich zu erheben.

Im Buch des Propheten Jesaja (40,3-5) ist davon die Rede, dass vor Gottes Erscheinen die Berge zu Tälern werden und in der Wüste ein Weg entsteht: so ebnet das Geheimnis Gottes auch die Unterschiede zwischen denen ein, die immer da sind, und denen, die heute mal in der Kirche auftauchen.

Also kann man so recht gar nicht von einem „Beruf“ reden, wenn es darum geht, was es heißt, „Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ zu sein?

Aber ein Ehrenamt ist das auch nicht. Martin Luther würde trotzdem von „Beruf“ sprechen und damit unser aller Berufung meinen. Vielleicht lässt sich die Aufgabe am ehesten so beschreiben, dass wir alle dieses Geheimnis bezeugen sollen. Anders als andere Geheimnisse hüten wir es am besten, indem wir es ausplaudern. Wie dieses Ausplaudern genau gehen soll, dafür gibt es unter uns viele verschiedene Möglichkeiten – und wir kennen unterschiedliche Einschätzungen, wie wir Gottes Geheimnisse am besten unters Volk bringen.

Das Geheimnis Gottes: der Dienst ChristiWas hat das Dienen mit dem Geheimnis zu tun? Paulus schreibt beides, es gehört für ihn ganz offensichtlich auch zusammen: „Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ …
Ich lese Paulus so, dass beides zusammengehört, „Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ – aber nicht durch ein schlichtes plus. Das Geheimnis Gottes erschließt sich dann, wenn man vom Dienst Christi herkommt.

Nicht alles Mysteriöse, das Menschen um Gott machen, trifft tatsächlich die Wirklichkeit. Nicht alles Unheimliche, was mit außergewöhnlichen Erlebnissen verbunden ist, weist wirklich auf Gott. Das Geheimnis Gottes, um das es uns geht, erschließt sich von Jesus her, von seinem Dienst, dem dann auch Paulus folgt – und dem wir folgen sollen. Man könnte also sagen: „Als Diener Christi“ sind wir „Haushalter über Gottes Geheimnisse“.

Aber die Geheimnisse Gottes verwalten, das klingt doch stark nach landeskirchlicher Bürokratie, nach Amtsschimmel und Dienst nach Vorschrift, den man auch bei kirchlichen Ämtern erleben kann, die einem schnell mit Öffnungszeiten oder Zuständigkeiten kommen, wenn man eine wichtige Frage hat – man kann Gottes Geheimnisse doch nur an den Mann und an die Frau und ans Kind bringen, wenn man es mit Herz tut und selbst überzeugt ist, oder?

Wenn man in den christlichen Texten der alten Kirche etwas über Ökonomie und Verwaltung liest, dann hat das wenig mit Wirtschaften und in die Scheunen sammeln zu tun. Vielmehr geht es darum, den Menschen mit vollen Händen auszuteilen, was wir als Christen von Gott geschenkt bekommen haben. Vielleicht kann man es mit einem Firmenchef vergleichen, der lieber die Gewinne in das Unternehmen investiert, als sie irgendwelchen Aktionären zu über-lassen, die damit Geld verdienen wollen. Die Geheimnisse Gottes verwaltet am besten, wer sie nicht vergräbt, sondern mit ihnen wuchert und macht und schafft …

Man würde Paulus missverstehen, wenn man den Ton beim Verwalten der Geheimnisse Gottes aufs Verwalten legen würde. Wenn Paulus von vielen oder doch mehreren Geheimnissen Gottes redet, so deshalb, weil es etwa für einen Verwalter eine Vielzahl von Tätigkeiten gibt, die in seinen Bereich fallen. Alle Geheimnisse Gottes beziehen sich aber auf den einen Jesus Christus, in dem alles verborgen ist, was es über Gott noch herauszufinden gibt.

Der größte Dienst: nicht richten!Jetzt aber mal etwas konkreter, was genau ist denn dieses Geheimnis Gottes, wie wird es anschaulich? Was ist gemeint, wenn Christus dieses Geheimnis ist?

Jetzt kommt es darauf an, wie nahe wir bei Paulus und seinem Beispiel bleiben wollen, das er im Brief an die Korinther hier anfügt. Wir könnten auch eigene Beispiele finden. Aber alles, was jetzt bei Paulus kommt, steht unter der Überschrift, die Jesus in der Bergpredigt allem gibt, was die Jünger zu tun haben. Sollen wir als Salz der Erde und als Licht der Welt in Erscheinung treten, so steht auf der Rückseite dieser Münze „richtet nicht!“ (Mt 7,1).

Paulus spitzt es sogar noch zu, indem er es zu sich selbst sagt. Paulus sagt es über sich selbst, und auch daran sollen wir uns ein Beispiel nehmen: Nicht nur, was andere über mich meinen, sondern auch was der morgendliche Blick in den Spiegel zeigt; ob ich nun genau um die Gründe für meinen schlechten Gesundheitszustand weiß oder wirklich überrascht sein muss davon, dass die Beine nicht mehr so wollen, ich schneller ins Schnaufen komme, die Augen schlechter werden, die Luft eher weg bleibt, längere Wege zur Last werden, Lesen nicht mehr viel Freude macht …

„Richtet nicht!“ (1. Kor 4,5). Was Menschen so gerne auf sich selbst beziehen, was Menschen an sich selbst stört; die größeren Charakterschwächen und die kleineren Hautunreinheiten, auch alle unsere Zipperlein, gegen die die Werbung mildernde Mittel anbietet, um meine Falten zu kaschieren, dein Alter zu verschleiern, die Nebenwirkungen unseres Tuns zu verschieben, die Auswirkungen unseres Unterlassen zu verhindern: durch nichts bin ich gerechtfertigt, ob ich es nun habe oder nicht, ob ich es vermeide oder nicht.

Jeder Gedächtnis-, Körper- und Gesundheitskult – alles mögen Dinge sein, um die ich mich kümmere, wenn ich verantwortlich mit meinem Körper und meinem Geist umgehen will (was ich tun sollte). Nichts davon spricht gerecht oder verurteilt vor Gott. Dicke oder Dünne, Gesunde oder Kranke, Alte oder Junge, Kurz- und Weitsichtige, Asthmatiker und solche, die immer genug Luft bekommen … sie alle haben einen Platz im Reich Gottes, weil der Dienst Christi ihnen Platz macht.

Gottes Gnade spricht frei„Richtet nicht!“ Hier schimmert wieder durch, was Martin Luther die „Freiheit eines Christenmenschen“ nennt: diese Freiheit, die Luther erst als angeblichen Zorn Gottes erleidet, dann als Befreiung erlebt und schließlich selbst als Gnade begreift. Das Geheimnis Gottes führt zum Ende aller menschlichen Unschuldsbeteuerungen. Kein Mensch muss mehr auf der Jagd nach der inneren Stimme in Angst leben, kein Gewissen schlägt mehr zu. Gottes Geheimnis ist die Freiheit, sich selbst wegen Jesus für entschuldigt zu halten und im Wissen um alle menschliche Schuld auf die Gnade Gottes zu warten, unter deren Regentschaft am Ende der letzte Freispruch vernehmbar werden wird.

Die christliche Profession: nicht verurteilenSo lösen wir jetzt also das Geheimnis auf, was die „Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse“ sind: Sie bitten darum, dass von Menschen nicht gerichtet wird über andere und über sich selbst. Und sie verkündigen, dass in Christus am Ende der Freispruch gesprochen wird über alle, die sich im Dienst Christi um die Aufgabe verdient gemacht haben, Menschen vom Verurteilen abzuhalten.

Wie mag man diesen Beruf genauer bezeichnen? Vorläufig versuche ich es, indem ich uns die Aufgabe zuschreibe, die Vergebung durch Christus persönlich zu nehmen und als Gerechtfertigte in Frieden mit uns selbst und mit Gott (Röm 5,1) zu leben – und just dieses anderen weiterzusagen, andere spüren zu lassen, was das heißt, „richtet nicht!“

Mögen die Menschen genau das bei uns erleben, könnte doch diese Botschaft zu dem werden, was man mit uns verbindet! Wir wären ganz nahe an dem, was Paulus seiner Gemeinde in Korinth ans Herz legt, im Umgang mit ihm, dem großen Apostel, im Umgang mit sich selbst, und im Zeugnis von unserem Gott und allen seinen Geheimnissen.
Amen.

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