3. Advent (16. Dezember 2012)
Prälat i.R. Paul Dieterich, Weilheim a.d. Teck [Paul.Dieterich-online.de]
Jesaja 40, 1-11
Liebe Gemeinde,
zwei ganz verschiedene Leute treten mit diesen Worten vor uns. Der erste: ein unbekannter Prophet, dessen Namen wir nicht einmal kennen und den wir den zweiten Jesaja, den Deuterojesaja, nennen, weil wir ihm die Kapitel 40 bis 56 im Jesajabuch verdanken. Er kommt zu den verschleppten Fremdarbeitern irgendwo in einem Winkel Babylons, des heutigen Irak, zu diesem verlorenen Haufen, der keine Perspektive mehr sieht und nur noch so vor sich hin vegetiert.
„Genug gelitten habt ihr, mehr als genug gestraft seid ihr, Gott ist unterwegs zu euch, nicht um euch noch einmal zu tunken, sondern er will euch befreien wie damals eure Urväter und –mütter aus Ägypten, er will euch zurückführen ins Gelobte Land, aus dem ihr deportiert wurdet. Gott fängt mit euch neu an. Gott wird eure Sache in seine Hand nehmen.“ Der Namenlose redet freundlich mit dem verlorenen Haufen.
Besonders gefällt mir dieses Bild eines fürsorglichen Hirten, das er vor uns hinmalt: Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer (die den weiten Weg durch Wüste und Steppe ins Gelobte Land nicht schaffen, die hinken, weil sie sich irgendwo verletzt haben), in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen. Der rechte Hirte selektiert nicht zwischen denen, die man mitnehmen kann, und denen, die man lieber gleich abhängt,sondern er trägt die Schwachen, Verletzten. So spricht der Trostprophet.
Der raubeinig Andere
Daneben der ganz Andere, Johannes der Täufer, an den wir am Dritten Advent besonders denken. Ein Raubein, schon äußerlich. Er muss exotisch gewirkt haben in seinem Mantel aus Kamelfell, der Mann, der sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt hat. Ein Radikalalternativer, der gerade die ‚bes-seren Leute’, die von der Dekans- und Prälatenkaste aus Jerusalem, mit Publikumsbeschimpfung empfängt: „Schlangenbrut! Otterngezücht! Ihr! Was wollt denn ihr hier! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, mit euch habe Gott noch was am Hut! Was habt ihr im Volk Gottes alles kaputtgemacht!“
Johannes, der jedem, der sich etwas darauf einbildet, zu Gottes erwähltem Volk zu gehören, übers Maul fährt: Gott braucht dich nicht! Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken, wirklich Glaubende, nicht eingebildete, die so tun als ob.
Johannes, der den Menschen, die vor ihm sitzen, ins Gesicht sagt: Ihr kommt mir vor wie dürre Bäume, die der Holzfäller schon mit der Axt gezeichnet hat. Morgen kommen die Männer mit der Säge. Aus euch wird Brennholz! Was denn sonst?
Johannes, der sich auch vor dem gernegroßen Tyrannen Herodes und seiner Maitresse nicht fürchtet. Er sieht dessen Stasileute unter seinen Zuhörern, wie sie jedes Wort mitschreiben, jetzt gerade feuert er seine Breitseiten ab auf den jämmerlichen Möchtegernkönig von Roms Gnaden, der seinen Bruder umgebracht hat, um ungestörter mit dessen Frau ins Bett zu können. „Sagt ihm, ich hätt’s gesagt!“ Johannes, kein Mann der leisen Töne, vor den Mächtigen schon gar nicht.
Johannes, der den Leuten nicht nachläuft. „Die sollen kommen, hierher, heraus in die Wüste. So lange einer in seinem Kaff bleibt, kapiert er nichts vom kommenden Gottesreich, wird er nie frei, sein Leben zu ändern. Heraus aus dem miesen Clan! Und herunter in den Jordan; du, du musst untergehn; erst dann geht’s wieder aufwärts mit dir.“
Den Weg bereiten in der Wüste
Diese beiden so ganz verschiedenen unter den Propheten, der Trostprophet und das Raubein, sagen unisono dasselbe: "In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserem Gott. Denn, siehe, er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen!"
Dietrich Bonhoeffer wurde einmal gebeten: „Sag mit einem Wort, was unsere Aufgabe als Christen ist.“ Seine Antwort: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Er wollte seiner Ethik diesen Titel geben: „Wegbereitung“.
Mancher von uns, als wir jung waren, damals im CVJM, meinte: Mit uns kommt das Reich Gottes, wir verbreiten es, wir verwirklichen es. Bis wir dann immer deutlicher gemerkt haben: Wir verkörpern es nicht. Das Gottesreich ist hundertmal größer, tiefer, schöner, stärker als das, was wir zu Wege bringen. Wir sind nicht die "Reichssekretäre" des Reiches Gottes. Aber: „In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg!“
In der Wüste. Jeder kennt seine Wüste. Oft erscheint uns unsere Umgebung, erscheinen wir uns selbst als Wüste. „Die Wüste wächst. Stein knirscht an Stein“, sagt Nietzsche. Aber zu uns ‚wüsten’ Leuten kommt Jesus Christus. Der uns zu der Quelle führt, die unser fruchtloses Leben noch einmal fruchtbar macht. Er, der auch unsere Abgründe kennt. Der weiß, woran wir leiden. Der uns zueinander bringt und beieinander hält. Der uns eine neue Vernunft gibt, dass wir seine Stimme vernehmen. Einen neuen Verstand, dass wir ihn und dann auch einander verstehen. Ein neues Herz, dass wir ein Herz füreinander haben und dass einer im Herzen des andern heimisch werden kann. Eine neue Gerechtigkeit, damit wir ihm und dann auch einander gerecht werden. Gott ist im Kommen, damit wir in Ordnung kommen. Und damit wir ganz neu zueinander kommen. Gott erbarmt sich über uns und unser Leben, damit wir miteinander wirklich unser Leben feiern können. Die Wüste lebt, wenn Gott zu uns kommt. Da wird die Wüste zum fruchtbaren Garten. Dem dürfen wir den Weg bereiten.
Intrade! Einzugsmusik!
Wie? Zum Beispiel durch unser Posauneblasen! Wir blasen Intraden. Einzugsmusik. Wer zieht da ein? Ein König? Das ist längst passé. Für mich ist das immer die Einzugsmusik für den König aller Könige! Jedes Bläserstück, auch jeder Choral ist mir eine Intrade: Jetzt kommt Gott. Empfangen wir ihn mit unserer festlichsten Musik. Blasen wir sie in unseren schönen Kirchen. Er kommt zu uns mit allem, was wir brauchen an Versöhnungs- und Friedenskräften, an Liebesvitalität, mit der er Ermatteten aufhilft.
Empfangen wir ihn am Krankenbett, wo ein Mensch zwischen Hoffen und Verzweifeln sich fragt, ob ihm noch zu helfen ist.
Blasen wir unsere Freiheitslieder vom kommenden Gott vor dem Gefängnis. Er bringt eine Freiheit, die auch einen gefangenen Menschen, der sich verraten, gestraft, gedemütigt und ausgesperrt fühlt, zurückbringt zu der Hoffnung, die ihm die Kraft gibt, vieles zu überstehen und das Bedrückende hinter sich zu lassen.
Blasen wir unser Hoffnungslied der alten Frau zum Geburtstag, die mit dem Eindruck kämpft, sie habe nichts Gutes mehr zu erwarten. Gott kommt auf sie zu. Und: "Der Herr ist gut."
Die Tal lasst sein erhöhet, macht niedrig, was hoch stehet
Signaltöne des kommenden Gottes dürfen wir sein. Aber dazu gehört noch mehr, als ins Horn stoßen und womöglich große Töne spucken. "Macht eine ebene Bahn unserem Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden. Was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden..." Es ist nicht gut, dass in unserer Gesellschaft die einen hochgestellt, einige gar als Stars behandelt werden und das große Sagen haben, und andere im tiefen Tal bleiben, als Nobodies missachtet, mundtot gemacht. So soll es nicht sein bei uns Jesus-Leuten. Und wenn gar unter kirchlichem Vorzeichen diese Erhöhungs- und Erniedrigungsrituale gepflegt werden, dann sind wir von Jesus weit entfernt und ganz untauglich, ihm den Weg zu bereiten. Die Berge sollen erniedrigt werden. Wer sich hochgestellt vorkommt, der kehre zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Und wer im tiefen Loch sitzt, sich schon fast begraben vorkommt, der soll in der Nähe des kommenden Jesus entdeckt und erhoben werden, so dass wir, die wir Jesus erwarten, alle auf Augenhöhe miteinander verkehren.
Und "was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden. Fällt euch dazu etwas ein?" In der Gemeinde? In der Familie? Im Geschäft, wo man sich liebt, wo man sich übt, wo die Fetzen fliegen und wir einander verletzen? Im Verein, im Chor, in der Landeskirche? Da wäre einiges zu tun. Durch dich und mich. Warte nicht drauf, dass Jesus das für uns tut. Da sind wir dran. Zueinander gehen, sagen: Es tut mir leid, verzeih' mir bitte. Komm', fangen wir neu an. Ich brauch' dich. Wohl auch anderen eine Brücke bauen, über die sie wieder zueinander kommen können.
Erworben und gewonnen
Und ein Letztes: "Sieh hin, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erworben hat, geht vor ihm her." Mancher von uns kann heute viel gewisser als vor Jahrzehnten sagen: Ja, er hat mich gewonnen: durch seine Menschlichkeit, die ich so sonst nirgends sehe, durch seine totale Hingabe für uns Menschen bis ans Kreuz. Er hat mich gewonnen durch seinen Geist, mit dem er mir hundertmal aufgeholfen hat, als ich total ausgepowert und ausgebrannt am Boden lag; er hat mich gewonnen durch Menschen, die er mir im dunkelsten Augenblick über den Weg geschickt hat; ich könnte ihre Namen aufzählen. Gottes Engel sind wenige Zentimeter über dem Boden unterwegs. Er hat mich, als ich ein etwas zickiges Lämmlein war – kein Unschuldslamm freilich - sozusagen auf seinem Arm und ‚im Bausch seines Gewandes’, auf seinem Herzen getragen hat. Ja, er hat mich gewonnen. In seiner Nähe saugt meine innere Wurzel Saft und Kraft, die ich so nötig brauche, um in der Wüste fruchtbar zu leben.
Wenn es auch bei euch so ist, dann lasst uns dazu stehen in aller Selbstverständlichkeit. „Was er sich erwarb, geht vor ihm her“, ist seine Vorhut. Ja! Jeder soll es wissen, jeder soll spüren, wer bei uns im Kommen ist. Mit wem wir rechnen, wen wir ankündigen. Mit unseren Worten, unseren Tönen. Mit Herztönen. Mit Leib und Leben.
Amen.
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