23. Sonntag nach Trinitatis (03. November 2024)
Römer 13,1-7
IntentionStaatliche Ordnung ist ein Segen für das Gemeinwesen! Ohne sie versinkt die Welt im Chaos. In unserer Zeit der Wut und des Niedermachens gilt es, das Gute der demokratischen Staatsordnung zu erhalten und zu bewahren.
PredigttextJedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.
Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Liebe Gemeinde,
Paulus eckt hier gewaltig an. Schon damals gehen seine Sätze einigen Mitchristen ganz gegen den Strich. Denn sie sind in ihrem Glauben so begeistert, dass sie sich „wie im Himmel“ fühlen. Über alles Irdische bereits erhaben. Sie sind überzeugt: „Staat und Steuern – das geht uns doch nichts mehr an. Wir sind Gott verpflichtet, aber die weltliche Ordnung hat uns nichts mehr zu sagen.“ Paulus widerspricht: „Ihr irrt! Auch die staatliche Macht steht im Dienste Gottes. Auch wir Christen sind auf einen funktionierenden Staat angewiesen. Hört auf, diesen zu verachten!“
Die christliche Freiheit und der StaatHier die „Freiheit eines Christenmenschen“ (Martin Luther) – dort die staatliche Ordnung: wie geht das zusammen? Auch für Paulus steht fest: Der Glaube an Jesus Christus hat befreiende Kraft. Wir sind nicht länger den Zwängen und Mächten dieser Welt ausgeliefert. Auch nicht unserem eigenen Ich. Christus ist unsere Mitte. Wir leben aus seinem Geist, aus seiner Kraft. Aber die Freiheit, die er schenkt, verbindet sich mit der Liebe. Die beiden gehören untrennbar zusammen. Das ist der Knackpunkt. Daran entzündet sich der Streit. Paulus will seinen Mitchristen, die voller Enthusiasmus sind, klarmachen: „Wenn ihr meint, schon im Himmel zu schweben, wenn ihr nur um eure eigene Glückseligkeit kreist, dann verratet ihr die Liebe. Hier in dieser unvollkommenen Welt habt ihr eure Freiheit zu bewähren. Hier müsst ihr mit anderen auskommen. Hier gibt es die staatliche Ordnung, die ihr zu respektieren und zu achten habt.“ So holt Paulus seine Mitchristen unsanft auf die Erde zurück. Mit Nachdruck betont er, dass die staatliche Herrschaft ein Segen ist. Denn sie hat von Gott einen Auftrag erhalten, der allen, auch den Christen zugutekommt. Die staatliche Macht, ihre Gesetze und Organe sollen ein gedeihliches Zusammenleben in dieser Welt ermöglichen, indem sie das Gute fördern und das Böse nach Kräften verhindern. Darum ist die staatliche Ordnung für Paulus eine Wohltat Gottes. Wenn es sie nicht gäbe, käme die Liebe hoffnungslos unter die Räder. Alles ginge drunter und drüber. Es herrschte das Recht des Stärkeren. Die Schwächeren hätten das Nachsehen. Solche Zustände können Christen – auch um der Liebe willen – nicht wollen. Darum ist es für Paulus sehr wohl mit der christlichen Freiheit vereinbar, die staatliche Ordnung anzuerkennen und zu respektieren.
Wider die Verachtung von Politik und PolitikernPaulus sticht mit seinen Aussagen auch bei uns in ein Wespennest! Denn sie passen so gar nicht zur Stimmung im Land. Bei uns hat sich der Blick verengt auf das Negative. Alle meinen zu wissen, was hier schlecht läuft, aber kaum einer weiß noch das Gute zu schätzen. So viel Nein war selten. Und die Wut ist groß. Aber auch gefährlich. Unfassbar, was Menschen erleben, die in öffentlichem Auftrag unterwegs sind, wie etwa Feuerwehrleute, Rettungssanitäterinnen oder Polizisten. Was wäre unser Gemeinwesen ohne sie! Sie hätten unsere Hochachtung verdient. Stattdessen werden sie bei Einsätzen oft angepöbelt, behindert, attackiert. Und wie viel Häme und Hass erfahren unsere Politiker tagtäglich. Das bringt unsere freiheitliche Demokratie in Gefahr.
In dieser Situation kommt unser heutiger Predigttext wie gerufen. Er hat uns Wichtiges zu sagen. Er kann unseren verengten Blick wieder weiten. Wir können ihn so aktualisieren: „Haltet inne. Wisst ihr eigentlich, was euch geschenkt ist mit einer weithin intakten staatlichen Ordnung? Wenn ihr krank werdet, könnt ihr auf ein Gesundheitssystem zurückgreifen, das zu den besten in der Welt gehört. Milliarden Menschen auf der Erde würden euch darum beneiden. Wenn euch Unrecht geschieht, könnt ihr selbstverständlich euer Recht einklagen. Vergesst die nicht, die in einer Diktatur leben – vollkommen rechtlos. Wenn euch materielle Armut droht, dann ist unter euch ein soziales Netz gespannt. Entdeckt in all dem auch Gottes Fürsorge für euch!“
Paulus schrieb damals an die Gemeinde in Rom: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes“ (Röm 12,2). Das ist auch uns gesagt.
Mit dem Geist des Niedermachens kommen wir nicht durch diese schwierigen Zeiten. Wir brauchen einen anderen Geist: Zukunftsmut statt Untergangsstimmung. Bereitschaft zum Kompromiss statt im Empörungsmodus zu verharren. Gemeinsame Suche nach Lösungen statt Spaltungen zu vertiefen. Gott will uns diesen neuen Geist schenken. Ja, Gott setzt auf uns. Er will – auch durch uns! – der vergifteten Stimmung im Land etwas entgegensetzen.
Paulus spricht zwei konkrete Punkte an: „Gebt Ehre, dem die Ehre gebührt.“ Damit sind auch unsere Politikerinnen und Politiker gemeint. Würdigen wir eigentlich, was sie leisten? Sie nehmen ja einen Auftrag Gottes wahr, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Und indem sie sich für unser Land einsetzen, nehmen sie viel auf sich. Tagtäglich setzen sie sich öffentlicher Kritik aus. Sie eilen wahrlich nicht von Erfolg zu Erfolg, sondern müssen um mühsame Kompromisse ringen. Bei aller Kritik, die wir haben mögen – sie darf nicht in Verachtung umschlagen. Paulus trifft den Nagel auf Kopf: Kein Mensch kann ohne Anerkennung leben. Auch unsere Politiker nicht. Sie haben unseren Respekt und unsere Achtung verdient.
Noch ein heißes Eisen packt Paulus an: „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt…“. Damit fragt er uns ganz unverblümt: „Zahlt ihr eigentlich eure Steuern?“ Und sagt klipp und klar: Steuerflucht und Steuerhinterziehung – nicht mit uns Christen! Trotzdem seufzen wir manchmal angesichts der Steuerlast. Dann hilft es, sich klar zu machen: Damit tragen wir mit dazu bei, unseren Sozialstaat zu erhalten. Ein Blick in andere Weltgegenden lehrt uns, welch hohes, schützenswertes Gut er ist. Darum ist Steuerbetrug kein Kavaliersdelikt. Er untergräbt die staatlich organisierte Solidarität zwischen Starken und Schwachen.
Exkurs: Der Missbrauch politischer MachtDieses Thema können wir heute nicht ganz ausklammern, auch wenn es Paulus hier nicht behandelt. Aber sonst in der Bibel spielt es eine große Rolle. Machtmissbrauch ist die Urerfahrung des Volkes Israels. In Ägypten sind sie Sklaven: rechtlos, geschunden, ausgebeutet. Aber Gott nimmt das nicht hin. Er führt sein Volk in die Freiheit. Doch das Problem bleibt auf der Tagesordnung. Denn Menschen sind gefährdet, von Machtgier überwältigt zu werden. Israel wird ein Staat und sein Volk Israel will auch einen König. Gott bleibt skeptisch. Kann diese Machtfülle in einer Person gut gehen? Es geht oft nicht gut. Könige und reiche Eliten missbrauchen ihre Macht auf Kosten der Armen. Wieder schreitet Gott ein – und schickt seine Propheten. Gott will auch heute, dass Macht kontrolliert und begrenzt wird. Welch ein Segen, dass wir in einer Demokratie leben und nicht in einer Diktatur! Wissen wir das noch? Bei uns kann ein Politiker ohne Gewalt, sprich: durch Wahlen wieder von der Macht entfernt werden. Für Menschen in der Diktatur ist das unvorstellbar. Darum können wir die paulinische Aufforderung: „Seid untertan der Obrigkeit“ so für heute aktualisieren: „Sagt ein entschiedenes Ja zur Demokratie. Schützt und stärkt sie
Wider die Überschätzung von Politik und Politikern
Verachtung der einen und Überhöhung der anderen geht oft Hand in Hand. Das ist auch in unserer Zeit zu beobachten. Denn mit den Krisen in der Welt steigt die Sehnsucht nach einem irdischen Erlöser. Nach einem starken Mann. Der uns im Handstreich von der ganzen Problemlast befreit. So verständlich diese Sehnsucht ist, so verführerisch ist sie. Denn diese vermeintlichen Lichtgestalten haben die Menschen immer in die Finsternis geführt.
Paulus bezeichnet die Obrigkeit als „Dienerin Gottes“. Damit sagt er klipp und klar: Auch die Mächtigen stehen unter Gott. Sie sind keine Götter. Sie sind nicht unsere Heilsbringer. Und noch klarer spricht Gott zu uns durch das erste Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Damit schärft er uns ein: „Seid wachsam gegenüber denen, die sich als Heilsbringer ausgeben. Überprüfe deine Erwartungen an die Politik. Sind sie realistisch oder illusionär? In den Regierungen und Parlamenten sitzen keine Erlöser, sondern irdische Volksvertreter, fehlbar wie du selbst. Politik ist Teil dieser unvollkommenen Welt. Es ist viel, wenn sie diese ein klein wenig gerechter und menschlicher macht.“
Die große Wende zum Guten, liebe Gemeinde, die sollen wir allein von Gott erhoffen! Die Offenbarung (Kap. 21 und 22) gewährt uns einen ersten Blick auf die neue Stadt Gottes. Johannes beschreibt ihre Häuser und Straßen als erleuchtet und transparent wie Glas. Offene Straßen und Plätze – da begegnest du Menschen, da gehörst du dazu, da spielt Musik, Lebensmusik. Und Einer mittendrin: Gott selbst! Kein Tempel und kein Königspalast, nein, die „Hütte Gottes“ ist nah bei den Menschen. Leben mit Gott – auf Tuchfühlung. All die Rätsel unseres Lebens – gelöst, erlöst. Und die Tore im himmlischen Jerusalem stehen immer offen (vgl. Offb 21,25). Die Gewalt hat ein Ende. Alle können sich ohne Angst bewegen. Dann - aber erst dann braucht es keine politische Herrschaft mehr. Amen
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