21. Sonntag nach Trinitatis (24. Oktober 2021)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Angelika Segl-Johannsen, Bad Mergentheim [Angelika.Segl@elkw.de]

Matthäus 10, 34-37

IntentionJesus – ein Pazifist? Matthäus lehrt: Jesus bringt keinen faulen oder falschen Frieden, sondern Trennung, Klärung und Klarheit. Letztendlich sind Menschen vor Gott verantwortlich und nicht vor anderen Menschen.

Liebe Gemeinde,
Mittwochnachmittag, Konfirmandenunterricht. Heute habe ich Plakate ausgelegt. Auf jedem eine Abbildung Jesu. Kein Foto natürlich, Fotos gab es damals noch nicht. Auf diesen Bildern finden sich Vorstellungen von späteren Menschen über Jesus. Und dann lade ich die Konfirmandinnen und Konfirmanden ein, sich eine Abbildung Jesu herauszusuchen, die ihnen sympathisch ist.
Es gibt da eine Nummer eins unter den Darstellungen – und jedes Mal gehen welche leer aus, weil dieses Bild schon weg ist. Eine Kohlezeichnung von Jesus, ein Gewehr quer in der rechten und linken Hand, Jesus legt das Gewehr übers Knie und bricht es mitten durch.
Dieser pazifistische Jesus ist eindeutig der Renner, sicher ist er nicht nur den Konfirmandinnen und Konfirmanden sympathisch.
Und dann, liebe Gemeinde, werden wir unsanft aus unseren schönen Vorstellungen über Jesus herausgerissen durch unseren heutigen Predigttext.
„Ihr sollt nicht meinen“, sagt Jesus da, „dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Sohn zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“

Heile-Welt-KircheIch habe mir in der vergangenen Woche diesen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium jeden Tag laut vorgelesen. Lange war mir unklar, was ich Ihnen heute dazu sagen könnte.
Ich beginne mit einem Gedicht des Schweizer Pfarrers Kurt Marti:

Trefflich sorgt
hierorts die Kirche
für einige Nebenbedürfnisse des Mittelstands.
Gefragt sind
Ein Hauch heiler Welt mit Dias und Filmen bei Kuchen und Tee.
Ist dafür
einer
einst aufgehängt
worden?

Wir vergessen das gerne, dass es bei Jesus um Leben und Tod ging, und nicht um eine Wellness- oder Kuschelkirche. Konsequent blieb er bei seiner Botschaft, bei seiner Verkündigung des Heils für die, die am Rand der Gesellschaft stehen. Für seine Zuwendung zu jedem Menschen ohne Ansehen der Person, ohne Ansehen des Glaubens, des Geschlechts, der finanziellen Möglichkeiten. Er war revolutionär, aber keiner, der eine Waffe dazu brauchte, er wollte unsere Herzen umstürzen und brennend machen vor Liebe zu Gott. Diesem Gott, der das Leben ist, und will, dass alle leben, galt sein Dienst an den verschiedensten Menschen.

Gefahr für die etablierte KircheDamals wurde dem religiösen Establishment schnell klar, dass hier eine Gefahr drohte, die beseitigt werden musste.
Auch als Luther vor 500 Jahren anfing, die Bibel ganz neu zu entdecken und den lukrativen Religionsbetrieb scharf angriff, wurde einem inzwischen christlichen Establishment schnell klar, dass ihre wohlgefügte Welt aus den Fugen geraten könnte. Und sie geriet aus den Fugen, vor 2000 Jahren und vor 500 Jahren und hoffentlich immer wieder!
Ich bete, dass auch ich mich dann und wann aus der Ruhe bringen lasse, aufstehe von den Kaffeekränzchen und den Heile-Welt-Inszenierungen, die wir alle – machen wir uns da nichts vor – so sehr lieben.

„Was wir lieben“ toppt „Um des lieben Friedens willen“Es geht darum, was wir lieben. Und es geht darum, dass das, was wir lieben, Auswirkungen hat auf unser Leben.
Ich denke an das Kirchengemeinderatsgremium. Engagierte Menschen gehören da dazu, die eine Vision von ihrer Kirche haben, die mehr wollen als das, was Kirche halt schon immer so gemacht hat. Gerade im Leitungsgremium einer Gemeinde ist der Druck groß, alles besser machen zu müssen als außerhalb der Kirche: Bloß nicht streiten – unausgesprochen steht es im Raum! Und das Ergebnis ist ein fauler Friede. Weil die Harmonie beschworen wird, hält man halt seinen Mund, obwohl man platzen möchte. Aber das Ergebnis ist, dass jede weitere Sitzung schwerer zu ertragen ist. Das unter den Teppich Gekehrte beginnt unversehens zu schimmeln und zu stinken. Und am Ende verlässt man vielleicht frustriert das Gremium. Der Vorsatz, nicht zu streiten, war dann größer als Ehrlichkeit und Treue gegenüber sich selbst.
Jesus weiß, wie leicht man seine Botschaft vor den Karren von Friede, Freude, Eierkuchen spannen kann. Und deshalb streitet er: wenn es um das Glück des Menschen geht, wenn Missstände offenkundig sind, wenn seine frohe Botschaft Gefahr läuft, verzerrt zu werden. Jesus hat immer deutliche Worte gefunden und Menschen auch vor den Kopf gestoßen. Er macht nicht gute Miene zum bösen Spiel. Er streitet, wo es nötig ist, damit dauerhafter Friede, dauerhaftes Glück, dauerhaftes Heil möglich werden. Die Versöhnung, die er schaffen will, ist teuer. Sie kostet sein Leben.
Wenn Jesus sagt, er sei gekommen, Streit zu bringen, dann ist das Ziel nicht der Streit, sondern dauerhafter Friede mit Gott. Als Petrus einem Legionär bei der Verhaftung Jesu mit dem Schwert ein Ohr abhaut, da tadelt er ihn und erinnert ihn daran, dass der, der das Schwert nimmt, durch das Schwert umkommt.
Das Schwert, das Jesus zitiert, ist zu seiner Zeit alltäglich im Gebrauch. Es ist nicht in erster Linie eine Mordwaffe, sondern es scheidet, es trennt.
Und so könnte man auch übersetzen:
Ich bin nicht gekommen, faulen Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, faulen und falschen Frieden zu bringen, sondern Trennung, Klärung und Klarheit. Wenn es sein muss, auch innerhalb der Familie.

Was wichtiger ist als die FamilieVater und Mutter zu haben ist ein Vorrecht. Ohne ihre Liebe würde keiner und keine heute hier sitzen. Aber sie geben uns auch, ob sie wollen oder nicht, eine Menge Gepäck mit, das uns hart ankommt zu tragen. Innere Urteile, Vorstellungen darüber, was sich gehört und was nicht, Prägungen, Süchte, Vernachlässigung, Vorwürfe, Rücksichtslosigkeiten, vielleicht sogar Gewalt oder Missbrauch. Viele Menschen brauchen ein Leben lang, um damit fertig zu werden.
Echte, neue Begegnung mit den Eltern ohne den Ballast von früher ist manchmal erst möglich, wenn eine Trennung stattgefunden hat oder es zu einer Klärung gekommen ist.
Einen Partner zu lieben und zu ehren, mit ihm oder mit ihr zu leben, ihn zu genießen und ertragen zu können, das ist ein Vorrecht. So viele sehnen sich danach. Aber kein Mensch kann uns sein, wer Christus für uns ist. Jesus liebt uns ganz ohne Bedingungen, ganz ohne Gegenleistung. Er ist das Ziel unserer Sehnsucht. Nur das Brot des Lebens macht uns wirklich satt. Nur das lebendige Wasser stillt wirklich unseren Durst. Jeder Mensch ist damit überfordert. Wer trotzdem von seinem Partner verlangt, ihm alles zu sein, überfordert und gefährdet die Beziehung. Nur Jesus kann das.

Eine ErlaubnisHier angekommen, lese ich den Text jetzt eher als Erlaubnis: Ich darf mich trennen von meiner Familie, wenn sie mir nicht gut tut. Ich bin nicht festgelegt auf meine Familiengeschichte, auf die Geschichte meiner Kränkungen und Verletzungen. In jedem Moment kann ich mich trennen und für klare Verhältnisse sorgen.
Jeder Mensch ist wie Christus aus Gott geboren, ist Gottes Kind, und erst in zweiter Linie Kind eines Vaters und einer Mutter. Und das heißt auch: Wir müssen nicht so werden, wie unsere Väter und Mütter es wollten. In uns schlummert Gottes unvergängliche Gabe. Wir sind Gottes Kinder. Das sprengt unseren Stammbaum, eröffnet alle Möglichkeiten.
Als Gottes Kind muss ich keine faulen Kompromisse eingehen. Ich darf und muss Klarheit schaffen, wenn ich das vor Gott als richtig erkannt habe. Verantwortlich bin ich letztlich allein dem Gott des Lebens, der wollte, dass alle Menschen zum wahren Leben finden. Sonst bin ich niemandem in letzter Instanz verantwortlich.
Dann verliere ich vielleicht das, was bis dahin mein Leben ausgemacht hat, Beruf, Familie, Freundinnen und Freunde, aber Jesus verheißt uns, dass wir dann das Leben neu finden werden.
Jesus bringt keinen faulen oder falschen Frieden, sondern Trennung, Klärung und Klarheit. Für diejenigen, die Angst davor haben, fügt er noch dieses Wort an: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden!“
Amen.


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