21. Sonntag nach Trinitatis (21. Oktober 2018)
Pfarrerin Dr. Elisabeth Jooß, Stuttgart-Riedenberg [Elisabeth.Jooss@elkw.de]
Jeremia 29, 4-7; 29, 10-14
Liebe Gemeinde,
die Literatur zur guten Lebensbewältigung, die Anleitungen zum Glücklichsein, sie füllen viele Regalmeter in Buchhandlungen. Karten mit Lebensweisheiten wie „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“ sind in großer Vielzahl und Auswahl im Angebot. Von konfettibesprühten rosafunkelnden Karten bis zu tiefschwarzen ernstzunehmenden Lebensweisheiten reicht die Palette der Wahrheiten.
Aber – und das ist schon erstaunlich: wenn man auf den Bibeltext des heutigen Sonntags hört und die lutherische Altertümlichkeit der Sprache einmal abzieht – so klingt er wie eine 2600 Jahre alte Anleitung zum Glücklichsein, verfasst vom Propheten Jeremia:
„Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte –
So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl.
Denn so spricht der Herr: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören.
Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.“
Der Bibeltext und seine SituationDie Situation damals: Die Israeliten waren unter König Nebukadnezar nach Babel ins Exil verschleppt worden – verbannt in die Fremde. Sie verstanden die Sprache nicht, sie glaubten an ihren eigenen Gott, sie hatten einen anderen kulturellen Hintergrund. Kurz gesagt: Die Lage war verzweifelt, und das Volk Israel stand vor der alten und immer wieder brandaktuellen Frage: Ist Abschottung besser als Integration, wieviel Assimilation braucht es? Die Menschen waren entwurzelt und verunsichert, auch über den Zeitraum ihres Verbleibs in der Fremde. Sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Sie waren ängstlich, ob es in solchen Zeiten überhaupt zu verantworten war, eine Familie zu gründen...
Mitten in diese Gemengelage aus Überforderung und Zukunftsangst, aus Abgrenzungsdrang und Anpassungszwang schreibt der Prophet Jeremia, der selbst in Jerusalem verblieben ist, an seine verschleppten Landsleute in der Fremde. Was Jeremia den Exil-Israeliten vermittelt, liest sich tatsächlich wie eine Anleitung zum guten Leben unter widrigen Bedingungen. Allerdings mit kleinen, aber feinen Unterschieden zu dem, was teilweise in unseren Regalen heute steht. Insofern ist es reizvoll, unseren 2600 Jahre alten Predigttext einmal neben hochmoderne Ratgebersätze unserer Zeit zu legen. Die von mir dafür verwendete Anleitung zum Glücklichsein findet sich unter der Internetadresse „Be your best – mehr Erfolg im Leben“.
Jeremia versus „Be your best“„Setz dir ehrgeizige Ziele“, so lautet der erste Hinweis, den wir auf der besagten Homepage aufgelistet finden. Wichtig sollen ehrgeizige Ziele deswegen für uns sein, damit wir nicht unter den eigenen Möglichkeiten bleiben und unzufrieden werden. Denn aus Herausforderungen, so die Verfasser, erwächst uns Erfolg und Glück…
Von Zielen ist auch bei Jeremia die Rede, allerdings in ganz anderer Weise. Sehr konkret listet er auf, welche Ziele die Israeliten in nächster Zeit umsetzen sollen: Häuser bauen und darin wohnen, pflanzen und ernten, heiraten, eine Familie gründen. Alles Ziele, die unmittelbar zu verwirklichen sind und für eine gewisse Lebenszufriedenheit sorgen sollen – gerade in der Fremde des Exils. Denn sie garantieren zunächst mal ein Ankommen in der dortigen Situation, bedeuten eine Beruhigung der Lage und Stabilität für die Vertriebenen.
Allerdings – und das macht Jeremia sehr deutlich: All die von uns gesteckten und umgesetzten Ziele sind keine Garantien für ein glückliches, gelingendes Leben. Gelingendes Leben – das ist unsere Sache nicht. Das ist Gottes Sache. Wir können bauen und pflanzen und uns bemühen – aber wir können unser Leben nicht selbst zum Gelingen bringen. Diese tiefe Wahrheit leuchtet an verschiedenen Stellen des Bibeltextes auf, etwa darin, dass Jeremia seine Landsleute zum Beten auffordert. Beten heißt: noch etwas anderes kennen und bekennen außer sich selbst. Beten heißt: von sich selbst und den eigenen ehrgeizigen Zielen einmal absehen und stattdessen auf Gott sehen. Beten heißt: selbst still zu werden und sich für etwas Größeres zu öffnen: „Denn ich weiß wohl, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“
Es ist Gott, der uns Zukunft gibt und nicht wir selbst. Jeremia ruft seine Landsleute auf, Ziele zu verfolgen, ja. Aber die Zukunft und die Hoffnung liegen in Gottes Hand, nicht in unserer. Wir sind im letzten nicht auf uns selbst angewiesen, sondern verwiesen – auf Gott und seine Gedanken. Das Gelingen unseres Lebens – können und müssen wir ihm anheimstellen. Gott sei Dank, wie ich meine!
„Sei beschäftigt, aber nicht abgehetzt“, so lautet die zweite Glücks-Anleitung aus dem Internet, die dritte lautet „Komm in Bewegung!“ Tatsächlich lesen sich die Hinweise aus dem 1. Jahrtausend vor Christus gar nicht so weit davon entfernt. Jeremia spornt seine Landsleute an, sich aus der Schockstarre herauszubewegen. Er ermutigt sie dazu, ein normales Leben aufzunehmen und sich den Belastungen des Alltags auszusetzen. Natürlich ist hier nicht von Trainingsplänen zur persönlichen Fitness die Rede wie beim Ratgeber „Be your best“ – aber es ist doch eine eindeutige Aufforderung bei Jeremia, das eigene Leben aktiv zu gestalten, sich zu bewegen, auch mental. Und die Ziele, siehe Hausbau, Ackerbau, Heirat etc. sind so gehalten, dass sie erreichbar sind – auch ohne Stress und Abgehetztsein. Sehr nah dran also…
„Denk weniger an Dich!!“ und „Investiere in enge Beziehungen!“ so die nächsten beiden Leitsätze aus dem Internet. Der Rat: Von sich selbst absehen, um das eigene Glück zu erhöhen… Wie hält es Jeremia damit? Ausführlich geht Jeremia darauf ein, dass die Israeliten sich um ihre familiären Beziehungen bemühen sollen. Bis in die Familienplanungsdetails führt Jeremia das aus – für uns moderne Leserinnen und Leser eher zum Schmunzeln. Aber nicht nur die Familie wird von ihm bedacht – sondern auch die Gemeinschaft und die Gesellschaft. Darauf liegt sein Schwerpunkt. „Suchet der Stadt Bestes!“
Das ist seine dezidierte Aufforderung an die Israeliten, sich nicht zurückzuziehen und nur noch die eigene Seelenwellness im Blick zu haben. Für Jeremia ist Triebfeder und Ziel des Lebens nicht persönliches Glücksempfinden, sondern eine Lebensüberzeugung, die trägt. Ein Lebenssinn, der wirkt. Und zwar so, dass diese Überzeugung der gesamten Stadt, also dem Gemeinwesen dient. Und sich nicht darin ergeht, das Maximum für meine Firma oder für mich persönlich rauszuholen. Oder anders gesagt: Es geht Jeremia im Gegensatz zu den Glücksspezialisten im Internet nicht darum, Punkte auf dem persönlichen Glückskonto zu sammeln, indem Dinge getan werden, die ein gutes Gefühl erzeugen. Nein, es geht ihm nicht um ein Gefühl. Glück ist die Nähe zu Gott und die damit verbundene Aufgabe, dass wir uns am je eigenen Lebens- und Arbeitsort um lebenswürdige Strukturen bemühen – selbst wenn sie für mich persönlich nicht das Maximum an Gewinn bedeuten. Und ich vielleicht sogar in Kauf nehmen muss, dass ich eine Weile ganz und gar nicht glücklich bin, weil ich z.B. auf Missstände hinweise…
Genau das aber ist der entscheidende Unterschied zum wohlfeilen Internet-Glücksratgeber: Glück bei Jeremia hat keinen Wellness-Charakter. Es besteht vielmehr darin, dass Gott sich finden lässt, wenn wir ihn von ganzem Herzen suchen werden. Weil dieser Gott uns trägt. Auch durch unglückliche Zeiten. Gott sei Dank – und: zum Glück. Amen.
Anmerkungen:
1 Evtl. V.1 beim Verlesen weglassen und mit V.4 einsetzen. V. 1 wird später in der Predigt erklärend eingeholt.
2 https://www.beyourbest.de/erfolgsgrundsaetze/eine-anleitung-zum-gluecklichsein/
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