21. Sonntag nach Trinitatis (16. Oktober 2016)
Epheser 6, 10-17
Liebe Gemeinde,
nein! So nicht! Glaube und Waffengewalt – das passt nicht zusammen. Nicht für mich!
Nochmals unpassender wirkt die Rede von der „geistlichen Waffenrüstung“ – so die Überschrift in der Lutherbibel – vor dem Hintergrund fundamentalistischer „Glaubenskriege“ und fanatisierter Selbstmordattentäter mit – wenn auch kruder – religiöser Motivation. In unseren Tagen sind die Nachrichten voll davon.
Unpassende BilderDas Christentum hat die dunkle Zeit hinter sich gelassen, in denen die Ausbreitung des Evangeliums, sagen wir besser: der kirchlichen Machtsphäre, mit blutiger Gewalt vorangetrieben wurde. Vorbei die Zeiten der Kriege, die im Namen Jesu Christi geführt wurden! Vorbei die Zeiten, in denen in der einen Hand die Bibel, in der anderen Hand das Schwert getragen wurde!
Vorbei – zum Glück! Und dennoch ist das unselige Kapitel der Menschheitsgeschichte, in der Religion und kriegerische Gewalt miteinander vermengt werden, noch nicht vorüber. Heute drohen islamistische Verblendungen und holen die alte Gewaltgeschichte nach – sehr zum Leid und zum Ärger unzähliger Muslime übrigens, die selbst ganz anders von ihrer Religion denken und unter der Barbarei eines sogenannten „Islamischen Staats“ ebenso leiden wie wir unter dem Erbe der Gewalt im Christentum.
Die Rede von der „geistlichen Waffenrüstung“ also ein Kapitel verfehlter und irregeleiteter Glaubensbotschaft?
Das wird leider auch dann nicht viel besser, wenn sich die Bilder von Kampf, Krieg und Waffenrüstung gar nicht auf das Gegenüber anderer Menschen beziehen, sondern auf die Auseinandersetzung mit den antichristlichen Mächten des Teufels. Vers 12 in unserem Predigttext macht ja deutlich, dass es nicht um einen Kampf „mit Fleisch und Blut“ geht, sondern um einen Kampf gegen die „bösen Geister unter dem Himmel“, ja gegen „die listigen Anschläge des Teufels selbst“ (Vers 11). Aber wer oder was sind denn diese bösen Mächte? Und wo zeigen sie sich in unserer Welt, wenn nicht wiederum im Handeln von Menschen, von „Mächtigen und Gewaltigen“ eben.
Ich gestehe zu, dass es Zeiten in der Geschichte gegeben hat, in denen Christen sich in einem solchen Kampf befunden haben und sich zur Wehr setzen mussten – ganz massiv. Die Märtyrersituation im antiken römischen Reich mit seinen brutalen Christenverfolgungen war eine solche. Auch der Kampf der Bekennenden Christen in der Zeit der Nazi-Diktatur in Deutschland kann hier erwähnt werden. Es gibt Situationen, in denen die Kampfes- und Waffenmetaphorik aus Epheser 6 Sinn machen kann. Aber leben wir heute ernsthaft in einer solchen Zeit? Was also sollen uns diese Worte sagen?
Archaische BilderMitten in diesen Überlegungen hilft es mir, noch einmal zurückzukehren zu den Versen aus dem Epheserbrief und aufmerksam hinzuhören. Wovon ist denn da genau die Rede, wenn von der „Waffenrüstung Gottes“ gesprochen wird?
Wenn Kinder die Aufgabe bekommen, einen Soldaten zu malen, werden sie kaum eine Figur mit Helm, Schild, Brustpanzer und Schwert zu Papier bringen. Ganz anders, wenn ich zum Beispiel meine Grundschüler ein Bild zur Gefangennahme Jesu malen ließ. Da tauchten die historisch bekannten Einkleidungen eines römischen Soldaten mit großer Selbstverständlichkeit auf. Das zeigt: Schon für Kinder ist die Welt, die hier beschrieben wird, eine von unserer Realität entrückte. Und das macht den Umgang mit diesen Bildern wiederum leichter.
Helm, Schild, Brustpanzer und Schwert – die erwähnten Kampfgegenstände haben etwas sehr Vereinfachtes, Elementares. Und das bietet sie als Bilder geradezu an. Es geht nicht um die technischen Feinheiten dieser Waffen oder Instrumente des Kampfes, schon gar nicht um die über Jahrhunderte hinweg verfeinerte Waffentechnologie. Die hat die Rüstungsinstrumente zwar präzisiert, aber sich zugleich von dem Ursprünglichen, ja Archaischen, das in diesen Bildern liegt, meilenweit entfernt.
Was ist dieses Einfache, Elementare? Ein Helm schützt den Kopf. Und der Kopf als körperlicher Ort der meisten Sinnesorgane, als Ort der Bewusstseinssteuerung muss ganz besonders geschützt werden, denn er ist besonders empfindlich. Das gilt übrigens nicht nur im Kampf. Helme werden auch beim Fahrradfahren oder auf Baustellen getragen, in Gruben und Minen ebenso wie beim Bergsteigen.
Mehr auf den Kampf bezogen ist da schon der Schild. Er dient der Abwehr von Schlägen, die auf den ganzen Körper zielen, ist aber auch ganz allgemein einem Schirm vergleichbar, der vor Regen oder starker Sonneneinstrahlung schützt, oder einem Unterstand im Freien, der Wanderern oder Landarbeitern Obdach vor plötzlich hereinbrechenden Unwettern bietet.
Auch der Brustpanzer schützt – so wie der Helm den Kopf. Der Brustpanzer schützt Herz und Lungen, das organische Zentrum des menschlichen Leibes, den Sitz wichtiger Lebensfunktionen.
Helm, Brustpanzer und Schild dienen dem Schutz, der Verteidigung, der Abwehr. Anders – zumindest teilweise – das Schwert. Auch ein Schwert kann zur Verteidigung eingesetzt werden. Gute Fechter wehren mit einem Degen oder Säbel weit mehr an Hieben ab als mit einem möglicherweise etwas schwerfälligen Schild. Doch zugleich ist das Schwert Instrument des Angriffs. Und scharf geschliffen hat es die Kraft der Scheidung, des Zerteilens, der Trennung.
Bilder der VerwandlungDer kleine Streifzug durch das Waffenmuseum, den wir eben unternommen haben, hat uns auf die Bildhaftigkeit dieser Waffen geführt. Gerade weil sie selbst so elementar sind, verweisen sie uns auf Elementares in unseren Lebensvollzügen. Und damit bin ich bei dem angelangt, was nun die Bilder der „geistlichen Waffenrüstung Gottes“ für uns heute leisten und austragen können. Dabei ist immer wieder der Aspekt der Verwandlung wichtig, denn es geht nicht nur um die Waffen selbst, sondern um das, wofür sie stehen, und um das, was nun für uns Christen an die Stelle dieser Waffen tritt und deren Funktion viel besser erfüllt.
Unser Predigttext enthält übrigens noch mehr als die von mir bislang genannten Instrumente: Vom „Lendengurt“ ist da zum Beispiel auch noch die Rede (Vers 14) oder von den Stiefeln (Vers 15). Und jedes dieser Instrumente wird als Bild aufgegriffen und verwandelt: Der Lendengurt steht für die Wahrheit – das heißt, die Wahrheit soll für uns Christen sein wie der Lendengurt für einen Soldaten. Der Brustpanzer steht für die Gerechtigkeit, die Stiefel stehen für das Bekenntnis zum Evangelium.
Ich will mich abschließend nicht mit allen diesen Bildern beschäftigen. Jeder und jede kann und mag das für sich selbst weiterdenken und entfalten, was in diesem „Bildprogramm“ steckt. Stattdessen beschränke ich mich auf die drei Instrumente, die in Vers 16 und 17 genannt werden und uns „vor allen Dingen“ ans Herz gelegt sind.
Zunächst der „Schild des Glaubens“: Ich habe es bereits gesagt – ein Schild ist ein bewegliches, dynamisches Verteidigungsinstrument, das zur Abwehr aller möglichen Schläge, Hiebe und Stiche auf den Körper dient, aber im weiteren Sinn auch als Schirm oder Unterstand verstanden werden kann. Der beste Schild, mit dem wir als Christen ausgestattet sein können, ist der Glaube selbst. Auch er wird verstanden als etwas Bewegliches und nicht als etwas Starres. Er kommt überall dort zum Einsatz, wo wir gerade besonders gefordert oder auch angegriffen sind. Das, was den Schild des Glaubens so wertvoll und widerstandsfähig macht, ist das Material, aus dem der Schild gemacht ist, im übertragenen Sinn: die Botschaft, auf die der Glaube gründet. Sie lautet: „Du bist ein geliebtes Kind Gottes.“ Oder: „Gott hat dich ins Leben gerufen.“ Oder: „Er hat ein Interesse an dir. Er will dich durchs Leben begleiten.“ Vielleicht ist es für einen jeden von uns eine Hilfe, sich einmal einen solchen Kernsatz zu überlegen, auf den sich der eigene Glaube konzentrieren lässt. Das kann auch ein Bibelwort sein, ein Denkspruch zur Taufe oder zur Konfirmation. In einem solchen Kernsatz lässt sich zusammenziehen, was Glaube mir persönlich bedeutet; weniger, welche Inhalte, und mehr, welche Haltung für mich damit verbunden ist. Und mit eben diesem Kernsatz, mit diesem Schild des Glaubens heißt es dann, sich den Herausforderungen, vielleicht auch den Widerständen, ja Hieben und Schlägen des Lebens zu stellen.
Einen besonderen zusätzlichen Schutz bietet dabei der „Helm des Heils“: Er schützt den Kopf, das Bewusstseinszentrum, den Ort gewissermaßen, von dem aus wir denken, planen, handeln usw. Oder sagen wir es nochmals anders: Der Kopf ist der körperliche Ort, von dem aus wir uns orientieren. Dass wir hierbei an das Heil verwiesen sind, dass das Heil also unser gesamtes Orientieren schützend umgibt, ist für mich von besonderer Bedeutung. Denn „Heil“ ist nochmals etwas anderes als „Glaube“. Heil ist etwas mir Zugedachtes, eine ganz persönliche Zuwendung Gottes an mich, sein Geschenk; manche sagen auch „Gnade“. Ich übersetze „Heil“ für mich modern mit „Sinn“: Gott gibt meinem Leben Sinn und Richtung. Er bewahrt damit meine Lebensorientierung, richtet sie (neu) aus, führt sie auf seinem Weg.
Ein Drittes: das „Schwert des Geistes“, hier auch „Wort Gottes“ genannt. Damit hat sich die Bildrichtung schon selbst präzisiert: Das Schwert, von dem hier die Rede ist, hat weniger den Zweck zuzuhauen oder zuzustechen, sondern vor allen Dingen zu teilen. Es ist wie ein scharfes Messer, das zertrennt, was undurchdringlich scheint; das scheidet und unterscheidet, mit einem messerscharfen Kriterium, und damit wiederum klärt, wie die Dinge des Lebens – oftmals schwammig oder undurchschaubar – zu beurteilen und zu werten sind. Der Geist Gottes übernimmt diese Aufgabe für uns – oder anders: das Wort Gottes. Es gibt das Maß vor, und es scheidet Gut und Böse, Gottgemäß und Gottwidrig, Lebensdienlich und Lebenszerstörend… Es ist die Quelle unserer Erkenntnis, die Quelle auch für das, was uns hilft, im Leben die (für uns) richtigen Entscheidungen zu treffen.
Ausgestattet mit dem Glauben, der uns umgibt wie ein Schild, mit dem Gnadengeschenk einer sinnvollen Lebensgrundierung oder -orientierung, das unseren Kopf bewahrt wie ein Helm, und mit dem Wort und Geist Gottes, der uns in unseren Lebensentscheidungen leitet wie ein scharf geschliffenes Schwert, sind wir als Christen bestens gerüstet für die Herausforderungen des Lebens.
Amen.
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