Pfingstsonntag (24. Mai 2015)
Johannes 14, 23-27
Liebe Leserinnen und Leser!
An Pfingsten wurden aus einem verschreckten Haufen, der sich hinter verschlossenen Türen verschanzte, wortmächtige Menschen. (Wir können das nachlesen in Apostelgeschichte 2.) Sie gehen in den Tempel und halten dort Reden. Was sie sagen, kommt an bei Menschen aus aller Herren Länder. Einfach so, ohne Dolmetscher. Es erreicht ihren Verstand und ihre Herzen. Und noch verrückter: Es ist, als würde durch sie der sprechen, der doch gerade jämmerlich gestorben ist – dieser Wanderprediger Jesus von Nazareth.
So würde ich gerne sprechen können. In meinem Amt als Leiterin der zweiten Ausbildungsphase von Pfarrerinnen und Pfarrern in Württemberg am so genannten „Pfarrseminar“ in Stuttgart-Birkach. Ganz unterschiedliche junge Menschen begegnen mir dort. Ganz vielfältig sind ihre Begabungen, ihre Lebensgeschichten, ihre Lebens- und Bildungswege. Es wäre toll, sie alle so ansprechen zu können, wie es ihnen entspricht. –
Wenn ich in meinem Tübinger Wohnort durch den Stadtteil laufe, begegnen mir manchmal einzelne von denen, die zu uns geflohen sind aus vielen unterschiedlichen Orten dieser Welt. „Die Flüchtlinge“, nennen wir sie. Wie toll wäre es, jede und jeden von ihnen je in ihrer und seiner Sprache erreichen zu können – einfach nur dadurch, dass ich so spreche, wie ich es kann. Ja, wenn gar Gott durch mich zu ihnen sprechen und sie in der Tiefe trösten könnte! Ich sehne mich danach, so reden zu können.
Die haben’s in sichDenn Worte haben es in sich. Sie können mich so ansprechen, dass mir ein Licht aufgeht.
Abschiedsworte haben es in besonderer Weise in sich. Manchmal verstehe ich nicht gleich, was mit ihnen gemeint ist. Erst im Rückblick merke ich, dass es Worte waren, in denen die Oma uns zum Abschied vor ihrem Tod noch etwas mitgeben wollte. „Weißt du noch…?“ sage ich dann vielleicht beim Treffen anlässlich ihres Geburtstags. „Weißt du noch, wie sie gesagt hat….“ Es hat etwas Feierliches, die Worte noch einmal auszusprechen.
Am heutigen Geburtstag der Kirche denken wir zurück an Abschiedsworte, die der Evangelienschreiber Johannes uns weitergeben wollte. Drei Kapitel seines Evangeliums sind in Johannes 14 bis 17 den so genannten Abschiedsreden Jesu vorbehalten. Wir hören einen Abschnitt aus dem 14. Kapitel, die Verse 23 bis 27:
Jesus sagte zu seinen Jüngern:
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer mich aber nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das Wort des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch war.
Aber der Tröster, der heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und euch an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe.
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Worte fürs LebenWorte haben es in sich. “Du solltest Sänger werden!“ Dieser Satz ging dem 15-jährigen Karl nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte im Hinterhaus des Gasthofs einfach nur vor sich hingeträllert. Ein Gast hörte ihn und ließ ihn rufen. „Junge, du hast eine phantastische Stimme!“ sagte er. „Du solltest Sänger werden!“
Das war alles. Dieser Satz hat das weitere Leben von Karl geprägt. Er wurde ihm zu Gottes Ruf für sein Leben. Ein paar Monate später hat er sich aufgemacht, sein Dorf und seine Familie verlassen und sich in der Stadt sein Geld verdient fürs Gesangsstudium. Alle haben den Kopf geschüttelt. „Er ist verrückt geworden!“ Aber er hat es geschafft. Er wurde Sänger in einem berühmten Opernchor.
Die Worte, die die Menschen damals beim ersten Pfingstfest im Tempel gehört haben, hatten es auch in sich. Sie gingen dreitausend Menschen durchs Herz. Und haben auf einen Schlag deren Leben ver-rückt.
Dabei hatte doch alles so trostlos ausgesehen – damals, als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet hat. Woran sollten sie sich halten?
Worte, an die ich mich klammereWoran halten wir uns, wenn ein Mensch gestorben ist, den wir lieb hatten? Manchmal lesen wir in einer Todesanzeige: „Wer in den Herzen seiner Lieben lebt, ist nicht tot.“ Ja, es stimmt, dass die Liebe nicht mit dem Tod endet. Oft spüren wir die Liebe dann allerdings zuerst im Schmerz. Alles in einer gemeinsamen Wohnung erinnert an den Verstorbenen und lässt die Lücke spüren. Manche Menschen versuchen, ihre Liebe so auszudrücken, dass sie das Zimmer des Verstorbenen jahrelang unberührt lassen. Krampfhaft versuchen sie festzuhalten, was zum Anderen gehörte. Und doch: Er kann das Zimmer nicht mehr mit Leben erfüllen. Wieder und wieder klammern sie sich an Worte des Verstorbenen, die ihnen noch im Gedächtnis sind. Es treibt sie die Angst, dass die Erinnerung verblassen könnte.
Ich stelle mir vor, dass auch die Jünger Angst hatten, dass die Erinnerung an Jesus verblassen könnte. Vielleicht saßen sie beisammen und tauschten sich aus. „Erinnert ihr euch noch, wie er damals gesagt hat…? Oder hat er es anders gesagt? Wie war das noch mal genau?“
Wenn’s nur so sprudeltAm Festtag gingen sie in den Tempel. Und auf einmal wurde es Pfingsten. Die Worte sprudeln nur so. Staunend verstehen die Zuhörer, was gesagt wird. Jeder auf seine Weise und in seiner Sprache. Es gibt keine Fragen mehr, was das alles bedeuten soll mit diesem Gott und diesem Jesus. Die Worte gehen einfach durchs Herz.
Vielleicht ist da ein zweiter Zachäus, der plötzlich erkennt: Nicht mein Hab und Gut macht mich glücklich! Geteilte Freude ist ja doppelte Freude, geteiltes Leid ist halbes Leid. Und er teilt aus. Alle merken: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“
– Dort drüben steht eine Frau, die sich auf einmal aufrichtet. Sie kann wieder fröhlich anderen in die Augen sehen. Sie beginnt Danklieder zu singen. Es ist, als habe Jesus direkt zu ihr gesagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!“ – Ganz hinten sitzt ein Dorfältester. Ihm klingt im Ohr: „Selig seid ihr Armen, denn das Himmelreich ist euer!“ Auf einmal spricht er die Witwe neben sich an. Er hört, wie es ihr geht und überlegt mir ihr, wie sie sich und ihre Kinder durchbringen kann.
Frieden kehrt ein in Herz und Haus. Frieden auf diesem Stück Erde. Praise the Lord!
Leere Worte, leere TagePfingsten ist nicht alle Tage. Es gibt Tage, an denen bleiben Worte, auch Jesu Worte, eigentümlich leer. Auch wenn ich sie schon lange kenne und im Herzen trage. So wie: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“ (Matthäus 5, 4). Vielleicht ist der Patensohn gerade an Krebs gestorben. Weit weg von jedem seligen Zustand fühle ich mich dann. Vor einem Jahr konnte ich dieses Wort noch einfach als schönen Zuspruch hören angesichts der vielen Leidenden in aller Welt.
Oder: „Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden!“ (Matthäus 5, 6). Ja, ich möchte so gerne, dass es gerechter zugeht auf der Welt. Als der Arabische Frühling kam, war ich voller Hoffnung. Jetzt sehe ich die Staaten dort zusammenbrechen. Wie können dort wieder Lebensorte entstehen, an denen die kostbaren zur Flucht Gezwungenen eine Bleibe haben?
Ich kann nicht erzwingen, dass ein Wort tröstet. Dass es nicht leer bleibt. Dass es mir Hoffnung schenkt.
Gespräch am PfingstabendIch stelle mir vor, dass die Jünger am Abend des ersten Pfingstfestes noch zusammen gesessen sind. „Praise the Lord!“ sagt einer. „Jetzt ist er gekommen, der Beistand, der Geist, von dem Jesus gesprochen hat in seinen Abschiedsworten!“ – „Ja, und unsere Worte sind einfach aus uns heraus geflossen! Als kämen sie gar nicht aus uns selbst!“ ergänzt ein anderer.
„Jesus hat doch damals zum Abschied gesagt: ‘Haltet euch an meine Worte!‘ Wir haben uns Sorgen gemacht, wie das gehen soll: Sich an Jesu Worte halten. Ob wir uns alles gut genug gemerkt haben. Am liebsten hätten wir eine Konservenbüchse hingehalten und hineingesteckt, was Jesus gesagt hat.“
„Und dann hat Jesus uns zugerufen: ‚Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht! Der Beistand, den mein Vater in meinem Namen senden wird, der Heilige Geist, der wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich euch gesagt habe!‘ – So hat Jesus damals gesagt.
Und heute ist genau das passiert! Als würde Jesus in uns wohnen, kamen seine Worte aus uns heraus. Ich kann es immer noch nicht fassen! Oh – praise the Lord!“
Reiben bis es duftet„Haltet euch an meine Worte!“ hat Jesus gesagt. Wie kann das für uns aussehen?
Martin Luther hat einmal ein schönes Bild gebraucht: Mit den Worten der Bibel ist es wie mit einem Gewürzkraut, das unter vielerlei Gräsern wächst. Erst wenn ich es an meine Nase führe, beginne ich zu ahnen, dass es sich unterscheidet von dem faden Grashalm daneben. So richtig zu durften beginnt es aber erst, wenn ich beginne, es zwischen meinen Händen zu reiben.
Manchmal muss ich ganz schön lange reiben, ehe ein Bibelwort zu mir spricht.
Am besten reichen wir das „Kraut“ reihum und reiben es gemeinsam und überlegen miteinander, was die Worte zu sagen haben. Bewegen sie im Herzen.
Es lohnt sich – denn Gottes Worte haben es in sich.
Und plötzlich kann es geschehen, mittendrin, dass mir ein Wort durchs Herz geht und mich tröstet. Im Rückblick merke ich dann: die schwere Zeit des Trauerns wurde kostbar für meinen weiteren Weg. Ich bin getröstet.
Manchmal ver-rückt so ein Wort sogar ein ganzes Leben.
Praise the Lord!
Amen.
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