Lätare / 4. Sonntag der Passionszeit (15. März 2015)
Pfarrer Martin Kaschler, Aspach [martin.kaschler@elkw.de]
Johannes 12, 20-26
Historische SituationUnablässig strömen die Festpilger in diesen Tagen Jerusalem zu, müssen, woher sie auch kommen, „hinaufziehen“, um die Stadt auf dem Berge mit ihrem gewaltigen Tempel zu erreichen und mitfeiern zu können das nahende Passa-Fest.
Wer die Altstadt Jerusalems kennt, mag ahnen, was sich in solchen Wallfahrtszeiten in den Mauern Jerusalems abgespielt hat: drangvolle Enge in den schmalen Gassen, Quartiere Mangelware, Basare überquellend und gefüllt vom Stimmen- und Sprachengewirr zahlloser Menschen. Nicht wenige von ihnen sind zum ersten Mal hier, haben damit zu tun, sich zu orientieren, zu organisieren und zurecht zu finden. Ihr Ziel ist der Tempel, wo Gott wohnt, Ort ihrer Sehnsucht und darum aller Strapazen wert; gekommen sind sie, „zu schauen die schönen Gottesdienste des HERRN und seinen Tempel zu betrachten. Denn ER deckt mich in seiner Hütte“ (Ps 27), ist mir hier nahe wie nirgendwo sonst.
KontextHierher gehört die Predigtperikope dieses Sonntags Lätare aus dem 12. Kapitel des Johannesevangeliums, wo es Vers 20 heißt: „Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.“
Heraufgezogen waren diese „Griechen“ wahrscheinlich von Caesarea am Meer, wo sie mit dem Schiff angelandet waren, herauf gewandert die eher sanft ansteigende Westseite des judäischen Berglandes, während zur selben Zeit ein Anderer von Osten her den steilen Weg nach Jerusalem nahm. „Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem“, hatte er seinen Jüngern am Beginn des mühevollen Aufstieges aus dem Jordantal gesagt, „und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn... verspottet, gegeißelt und getötet wird er werden und am dritten Tage auferstehen“ (Lk 18). Aber niemand begreift, was er sagt, niemand will hören, was er weiß. Es passte nicht zur Stimmung dieser Tage, zur Popularität Jesu. Leiden, Tod und Scheitern „jetzt“, wo der Rabbi aus Galiläa auf seinem Zug in die Berg-Metropole immer mehr Menschen begeistern und mitzureißen vermag? Ein Ende mit Schrecken gerade jetzt, wo seine Schülerschar doch darauf wartet, dass oben in Jerusalem für jedermann sicht- und offenbar werden wird, was sie schon wissen: dass er der Messias ist – Messias, wie sie sich ihn dachten, Davidsohn, wie sie ihn sich wünschten, Befreier und Herrscher nach ihren Fantasien und Träumen... und sie teilhabend an diesem Triumph in aussichtsreicher Position.
Zwei Welten begegnen sichZwei Welten ziehen da aufeinander zu und sie scheinen sich in den beiden folgenden Versen unserer Perikope zu begegnen. Denn nun wird berichtet: Sie, diese „Griechen, traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.“
Zumindest ein Anklang antiken Star-Kults meine ich in dieser Szene zu erleben: Bei Jesu Jüngern wird um Audienz nachgefragt, der Meister so begehrt und um-ringt, dass Jüngereinfluss zum Türöffner zu werden verspricht. Der als Erster an-gefragte Philippus – möglicherweise ja wegen seines vertrauensbildenden griechischen Namens – ist überrascht, fühlt sich wohl geehrt und sucht sogleich den Rat seines Freundes Andreas, um die neue Rolle auszuprobieren. Miteinander gehen sie zu Jesus und tragen den Wunsch der Griechen unverzüglich vor, dem von Menschen Umringten ins Ohr flüsternd: „Rabbi, hast du nen Augenblick für diese Griechen da, Fan-Pflege quasi... ein nettes Wort und eine wirksame Geste, unverbindlicher Smalltalk und Shakehands, für den ‚kleinen Mann‘ ein paar unvergessliche Augenblicke halt?!“<br />
Zwei Welten ziehen da aufeinander zu und sie „scheinen“ sich in den beiden folgenden Versen unseres Predigttextes zu begegnen, haben wir eben vermutet. Und „scheinen“ scheint zu stimmen; denn Philippus´ und Andreas´ Erwartungen an Jesus standen wohl eher im Einklang mit als im Kontrast zu denen dieser griechisch sprechenden Gottesfürchtigen: Auch die beiden Jünger wollen Jesus offenbar „sehen“, wollen erleben einen Menschen von Macht, der diese Rolle souverän annimmt und virtuos ausfüllt: Nahbar und distanziert-arrogant zugleich; stattlich, erhaben, beredt und doch (angeblich) immer noch „einer von uns“; der Mensch schlechthin, in dem sich unsere Sehnsüchte, Wünsche und Machtphantasien wie in einem Brennglas bündeln. <br />
Solche Macht ist stets nur geliehen, Leihgabe der Vielen an einen Einzelnen oder auch eine Gruppe – verliehen, um das zu bekommen, wonach meine Seele hungert und dürstet: Worte, die mich bestätigen; materielle Perspektiven, die mich locken; Feindbilder, die ich brauche, um mit meinen inneren Spannungen umgehen und leben zu können; einfache Wahrheiten, die mir unangenehme vom Hals halten. <br />
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*In der Falle der Macht?*Haben nicht die Menschen Griechenlands vor Wochen wenigstens zwei Männer gewählt und auf den Schild der Macht gehoben, die jene Worte öffentlich auszusprechen bereit waren, nach denen sich die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler schon lange sehnte: „Wir sind Opfer des europäischen Spardiktats und alles wird besser und (quasi selbstheilend) gut, wenn wir wieder in die alten politischen Bahnen zurückgehen!“ Durch diese ohrenschmeichelnde „Wahrheit“ an die Macht gekommen, mussten der neue Ministerpräsident und sein smarter Finanzprofessor schon am Tag nach der Wahl ihre Macht zu sichern versuchen. Von einer zur nächsten Regierungszentrale der Euro-Zone sah man sie nun reisen; aber auch der zweifellos gekonnt zur Schau gestellte Charme konnte den Verdacht nicht aus-räumen, dass die mit Zweifelhaftem auf die Stühle der Macht Gelangten im Hand-umdrehen zu Sklaven des Machterhalts wurden, weil sie den jähen Liebesentzug ihrer emotional aufgeladenen Fan-Kurve zu fürchten haben. <br />
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*Heilsame Desillusionierung*Als Philippus und Andreas Jesus den Wunsch dieser griechischen Festpilger vorgetragen haben, berichtet der Evangelist Johannes Folgendes: „Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Amen, Amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird
s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird`s erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“
Ist das der Augenblick, in dem die vermuteten zwei Welten einander begegnen und schroff aufeinander prallen, zwei, die sich kaum verstehen können, weil sie ähnliche oder sogar gleiche Worte verwenden und dabei dennoch Verschiedenes, womöglich sogar Gegensätzliches meinen?
Sehen wollen diese Griechen, einen Blick werfen auf den ersehnten Heilsbringer; er aber will erkannt werden, denn „seine Stunde“ ist gekommen – Stunde der Erkenntnis, dass das schmerzhaft Heilsame erst noch geschehen muss: Das Weizenkorn muss in die Erde!
Nachfolgen wollen diese Jünger, gehen in der Spur ihres gefeierten Lehrers und dienen ihrem Herrn.
Er aber muss sie desillusionieren, zeigt ihnen nun, was sein Dienst sein und wo darum auch die Spur seines Dieners laufen wird – in der Hingabe des eigenen Lebens, in der Preisgabe von Macht-, Erfolgs- und Lebensglücks-Fantasien. Die Welt braucht das ganz Andere, braucht das eine Weizenkorn Gottes: Gott selber, der sich leidend und liebend einsät in den Ackerboden der Welt, damit die göttliche Pflanze der Versöhnung hervorwachse und fortan besiedle mit seiner nahrhaften Frucht den Garten Erde – der so üppig bewachsen ist mit den anderen Pflanzen: Der prächtigen Staude Selbstliebe und der artverwandten Selbstgerechtigkeit; oder dem wuchernden Bodendecker Neid, der alles Lebendige, Schöne und Heitere unter sich verschlingen kann; oder der riesigen Eiche Stumpfheit, die selbstverliebt auf ihre Größe, Potenz und Schönheit schaut und stets gut damit leben kann, dass unter ihrem großen Schatten kein anderes Pflänzchen Licht und Luft zum Atmen und Leben finden kann.
Weizenkorn-NachfolgeIm Bild und Gleichnis des Weizenkorns offenbart Jesus seine HERRlichkeit. HERR wird er dienend und nicht sich dienen lassend (Mk 10) – „Er wird ein Knecht und ich ein Herr“ (EG 27,5): Verkehrte Welt, Welt auf dem Kopf. Das Kreuz wird zum Zeichen des Lebens, der Gescheiterte zum Überwinder und der Tod des Gerechten zum Quell des Lebens.
Welt auf dem Kopf im Alltag: Wer sein Leben ein Leben lang sichert, wird es verspielen; denn er muss hart werden, Misstrauen kultivieren und Mitmenschen zuallererst als Konkurrenten begreifen. Wer sich aber verschenkt in Liebe, wer sich verschwendet in Großzügigkeit und sich fallen lassen kann in gottvertrauender Sorglosigkeit, wird das Andere finden: Versöhntes Leben, geschenkt, umsorgt und getragen von Gott; und die Mitmenschen Schwestern und Brüder, die auch geliebt, umsorgt und getragen von Gott sind.
Verkehrte Welt – das ist die Umwertung aller Dinge von Christus her. Zwei Milliarden getaufte Menschen auf unserem Planeten haben jeden Tag neu die Chance, Weizenkorn-Nachfolge zu leben, und einer davon bin ich selber. Und ich wünschte mir, dass ich viel öfter und konsequenter bereit werden würde, mich zu verschenken, zu verschwenden und vertrauend hinzugeben in die Weizenkorn-Nachfolge Jesu.
Noch einmal die GriechenDie Welt auf dem Kopf: „Umdenken und neu denken von Christus her“ könnte aktuell heißen: Der Mensch ist das entscheidende Maß für unser politisches Denken und Handeln und weit weniger von Menschen gemachte Finanzsysteme. Auf Griechenland angewandt: Wir, die wohlhabenden Länder der Euro-Zone, legten unser Herren-Gebahren ab, ja verzichteten gänzlich darauf. Stattdessen würden wir bereit, diesem Land am Boden seine Würde zurückzugeben, für mich die elementare mentale Voraussetzung, aus der Menschen die Kraft zum Neubeginn gewinnen können.
Nicht billig dürfte das geschehen, nicht an der Wahrheit – der bitteren – vorbei. Heilung gibt es nicht an der Wahrhaftigkeit vorbei, und finanztechnische Zusammen-hänge können natürlich nicht einfach außen vor gelassen werden. Wir hätten aber die Möglichkeit, dieses Land am Boden und in der Falle einer deflatorischen Abwärtsspirale durch ein großzügiges weitsichtiges Aufbau- und Entwicklungsprogramm zu unterstützen, so wie wir Deutschen am Ende des 2. Weltkriegs im Zuge des Marshall-Plans nachhaltig unterstützt wurden. Ohne diese „beschämende“ Großzügigkeit wären wir nicht, wo wir heute sind!
Stunde der HerrlichkeitDie Welt auf den Kopf stellen, indem Menschen und ganze Gesellschaften nicht bei ihrer Schuld und ihrem Versagen behaftet bleiben, sondern dass in den Schuhen der Nachfolge Jesu wieder und wieder neue Wege gesucht und aufgetan werden: Ist das nicht die Stunde, in der die Herrlichkeit Christi aufleuchtet, die Stunde der Gnade, in deren Licht Menschen die Kraft zur notwendigen und heilsamen Umkehr empfangen? Amen.
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