Karfreitag (03. April 2015)
Johannes 19, 16-30
„Es ist vollbracht!“- Das sagt einer, der zum Tod verurteilt wurde und der nun hingerichtet wird.
„Es ist vollbracht!“ - Das sagt einer, der die schimpflichste, die am meisten verachtete Strafe erleidet, die das Altertum kannte.
„Es ist vollbracht!“ - Das sagt ein Jude, der einen Tod stirbt als ein von Gott selbst Verfluchter. Denn: „Verflucht ist, wer am Holze hängt.“ - So sagt es das alttestamentliche Gesetz.
„Es ist vollbracht!“ - Das sagt einer, der nach kurzer Wirkungszeit im Alter von wenig mehr als dreißig Jahren sterben muss.
Er sagt eben nicht: Es ist alles aus.
Er sagt nicht: Ich bin am Ende.
Nicht: Mein Leben war sinnlos.
Nicht: Soll denn das alles gewesen sein?
„Es ist vollbracht!“ sagt er. Und das meint: Doch, das war alles.
Mehr geht nicht. Und mehr braucht auch nicht zu gehen.
Ich habe es geschafft. Ich bin am Ziel.
Wundern müssen wir uns über diese Worte in dieser Situation.
Wundern, wenn wir nicht schon stumpf geworden sind durch fromme Selbstverständlichkeiten.
Sie durchkreuzen ja die Art und Weise, wie sonst über Wert und Unwert, Erfolg und Misserfolg menschlichen Lebens gesprochen wird.
Wenn einer zum Tod verurteilt wird, dem wird damit gesagt: Dein Leben ist verwirkt, zerstört, ja untragbar geworden.
Du hast verspielt. Du hast den Sinn des Ganzen verfehlt.
Und bündelt sich in diesem Urteil über Jesus nicht das, wovor wir alle in unserem Leben Angst haben:
die Angst, wir könnten scheitern, die Angst, wir könnten zerstören, was uns anvertraut ist, die Angst, die Menschen könnten uns verwerfen und ablehnen?
Kurz: Bündelt sich nicht im Kreuz Jesu unser aller Angst, wir könnten den Sinn unseres Lebens verfehlen?
Jesus aber sagt: „Es ist vollbracht!“ Und er drückt damit aus: „Doch, mein Leiden und Sterben hat Sinn. Mein Tod gehört zu einem Weg, den Gott so gewollt hat. Zu einem Weg, der gut ist.
Und darum steckt in diesem kleinen Satz „Es ist vollbracht!“ das ganze Geheimnis Jesu. Es ist das Geheimnis, wie er Sinn hineingebracht hat in unsere sinnlose Welt.
Wie hat er das getan?
Blicken wir zurück.
Erstens: Er hat geglaubt.Jesus hatte zu Gott ein zärtliches, inniges Verhältnis. „Abba“ - Väterchen - hat er ihn liebevoll genannt. Mit ebendem Kosewort, das kleine Kinder für ihren Vater gebrauchen. Nähe und Vertrautheit also, und nicht die scheue Ehrfurcht seiner Zeitgenossen, die es nicht einmal wagten, den Gottesnamen auszusprechen.
Jesus hat seinen Gott in den heiligen Schriften der Juden gesucht und sein eigenes Leben von diesen Schriften her verstanden:
Er wollte der Gottesknecht sein, von dem das Jesajabuch schreibt.
Er wollte den Glaubensweg gehen, wie ihn einst Israel ging in der Wüste. Er widerstand dem Versucher, als dieser ihn auf den breiten statt des schmalen Weges bringen wollte.
Jesus sah es als seinen Auftrag an, den Willen Gottes zu erfüllen.
Darum gibt es in den Evangelien zahlreiche Stellen, wo es heißt:
„So sollte die Schrift erfüllt werden.“ Wenn die Soldaten um das Obergewand Jesu würfeln, erfüllt sich ein Wort aus dem 22. Psalm:
„Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“
Jesus Christus war der „Anfänger und Vollender unseres Glaubens“.
So sagt es der Hebräerbrief.
Er war der einzige Mensch, bei dem das Wagnis des Glaubens ganz gelungen ist. Er hat seinen Glauben, seinen Gehorsam durchgehalten - trotz aller Gottverlassenheit - bis er am Kreuz sagen konnte: „Es ist vollbracht.“ So hat er Sinn hineingetragen in unsere sinnlose Welt.
Zweitens: Er hat geliebt.Johannes erzählt davon, wie Jesus sich noch in seiner Todesstunde um die Zukunft seiner Mutter kümmert. Dem Lieblingsjünger, der unter dem Kreuz steht, befiehlt er die Mutter zur Fürsorge an. Er verweist die beiden gegenseitig aneinander: Ihr seid jetzt füreinander verantwortlich. Denen, die um ihn trauern, tut er so noch einen Liebesdienst, mitten im Sterben.
Er knüpft ein Band, das seinen eigenen Tod überdauern soll.
Liebe - das ist das zweite Stichwort, das über dem ganzen Weg Jesu steht. Beim Evangelisten Johannes steht am Beginn der Passionsgeschichte nicht das Abendmahl, sondern die Fußwaschung.
Jesus erweist seinen Jüngern eine Wohltat, indem er ihnen dient wie ein Sklave. Wie in einem Spiegel ist in dieser Handlung der Sinn seines Leidens und Sterbens ausgedrückt.
Seine Hingabe und sein Opfer - als Wohltat für uns.
Unter allen Religionsstiftern der Menschheit ist Jesus von Nazareth der große Liebende: der Heiland, der Helfer, der Retter.
Er nimmt sich der Kranken genauso an wie der Verachteten.
Diese Liebe hat er durchgehalten, bis er sagen konnte - trotz aller Anfeindung und Verachtung - „Es ist vollbracht!“
So brachte er Sinn hinein in unsere sinnlose Welt.
Drittens: Er hat gehofft.Auch wenn der Weg Jesu ins Leiden und Sterben führte, so war er dennoch kein Pessimist oder Fatalist. Er hat sich nicht blind einem übermächtigen Schicksal ergeben. Er wusste, dass auf diesem Weg Gott an seiner Seite mitgeht. Er wusste, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod.
Und darum hat er gehofft. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.
So hat Jesus zwar gelitten. Aber er wurde nicht zuschanden. Er hat seine Würde behalten - mitten im Martyrium.
Seine Hoffnung ist die Erfüllung eines alten Liedes vom Gottesknecht im Jesajabuch. Dort heißt es:
„Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.
Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir!
Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.“ (Jes 50,6-9)
„Siehe, Gott der HERR hilft mir.“ - Diese Hoffnung hat Jesus durchgehalten, bis er sagen konnte: „Es ist vollbracht!“, bis ihn Gott von den Toten auferweckte.
Und so hat er Sinn hineingetragen in unsere sinnlose Welt.
Und wir?Was Jesus ganz getan hat - und was nur er ganz und ohne Abstriche tun konnte: nämlich glauben, lieben und hoffen -, das dürfen wir bruchstückhaft tun, das dürfen wir versuchen ohne die ängstliche Überforderung, dass dabei nur das Hundertprozentige zählt.
Er ist den ganzen Weg gegangen.
Wir sollen und wir dürfen ihm nachfolgen.
Soweit und so gut wir es eben können.
Auf unseren Wegen, in seinen Spuren, mit unseren kleinen Schritten.
Das Ganze, das Heilsame und Rettende steht dabei auf der Seite Jesu.
Unser Beitrag ist wie das Echo, auf die Melodie, die er angestimmt hat. Unser Beitrag ist Stückwerk und wird Stückwerk bleiben.
Aber glaubend, liebend und hoffend wissen wir, dass irgendwann einmal das Vollkommene kommen wird. Dass der Tag kommt, an dem wir schauen von Angesicht zu Angesicht. An dem wir erkennen werden, wie wir erkannt sind. Dann wird all das, was wir glaubend, liebend und hoffend als Sinn hineingetragen haben in unsere sinnlose Welt, aufstrahlen in einem ewigen Licht. Die zaghaften Spuren der Nachfolge, sie werden bleiben. Und Gott, der die Liebe ist, wird sein alles in allem. Dann, aber erst dann, wird auch im Blick auf uns gelten:
„Es ist vollbracht!“ Amen.
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