Kantate (03. Mai 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrer Professor Bernhard Leube, Eislingen [leube.eislingen@web.de]

Matthäus 11, 25-30

Liebe Gemeinde!

Manche Bibelsprüche sind so bekannt, dass man gar nicht mehr genau hinhört. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid …“ Das gehört sicher dazu. Ach, das kenn‘ ich – und bin mit den Gedanken schnell woanders.
Halt! Bleib da, da ist was drin, was du vielleicht noch nicht gehört hast!

Ruhe für die Seele verspricht Jesus.
Warum sind Sie heute Morgen hier? – Vielleicht deswegen?

In der Werbung begegnet einem ja oft die Formel: „Zur Ruhe kommen“. Ratschläge und Hilfsmittel, wie man „zur Ruhe kommt“, werden in Hülle und Fülle angeboten:
Stress-Abbau durch regelmäßiges Laufen, - - -
zur Ruhe kommen mit Tai Chi oder mit autogenem Training, - - -
„zur Ruhe finden mit Meisterwerken der Klassik“ heißt eine CD, heute bestellt, morgen da. Und dann Edvard Griegs „Morgenstimmung“, oder die „Air“ von Bach oder vielleicht sogar was Mystisches von Arvo Pärt. - - -
„Schenk dir einen Wüstentag!“ Geht auch. Entspannungstage im Kloster mit Meditation, mit Schweigen, und mit Gregorianik. - - -
Bei allgemeiner Unruhe nimmt man am besten Baldrian erst mal oder Johanniskraut. – Und wenn das nicht hilft, hat der Medikamentenmarkt jede Menge Pflanzliches parat, oder, wenn es sein muss, auch Härteres.

Gegen Ende letzten Jahres ergab eine Umfrage, dass sich ein gutes Drittel der Leute hier im Land ständig unter Zeitdruck fühlt, bei den Berufstätigen sind es sogar 42 Prozent. Von Burnout ist dauernd die Rede. Menschen, die für eine Sache brennen, müssen in der Tat da-rauf achten, dass sie nicht ausbrennen. Deshalb haben viele der Angebote, die ich da genannt habe, ihren guten Sinn, und die Vielfalt zeigt, wie stark das Bedürfnis nach Ruhe ist. Nicht nach der ewigen Ruhe, nein, nein, nach einer Ruhe, die in einem tiefen Sinn Erholung bringt, eine Erholung, die uns wieder an die Quellen unserer Kraft führt. Eine Erholung, die uns mit unseren Gefühlen wieder in Kontakt bringt. Im Alltagsgeschäft rücken die doch immer wieder auf die Seite.


Die Vorgeschichte des PredigttextesWas für eine Erleichterung, was für eine Erholung ist das nun im heutigen Evangelium? „Zu der Zeit“ – so geht’s los, und das muss ich kurz erklären. Der Evangelist Matthäus berichtet vor unserem heutigen Text, wie Jesus in Galiläa umherzieht, das Evangelium vom Reich Gottes predigt, Kranke gesund macht, und wie er mit seiner einladenden Botschaft immer wieder auch auf taube Ohren und harte Herzen stößt. Wir lesen, wie Jesus seine Jünger aussendet zum Predigen, Kranke gesund zu machen, böse Geister auszutreiben und sie darauf vorbereitet, dass sie sich mit alledem nicht nur Freunde machen werden, dass sie abgewiesen werden, dass es zu Auseinandersetzungen kommen wird, und auch zu Verfolgung, mit einem Wort: zu Misserfolgen.

Da können wir gut mithalten: unsere kirchliche Arbeit stößt auch nicht immer auf die Resonanz, die wir uns wünschen. Viele Menschen unternehmen in der Kirche gewaltige Anstrengungen, um auch die zu erreichen, die wir bisher mit unserer Predigt, unseren Gottesdiensten, der Diakonie, unserem Unterricht, unserer Seelsorge und unserer Musik bisher noch nicht er-reicht haben. Aber wir werden nie alle erreichen. Das geht gar nicht. Denn es wollen nicht alle. Das ist eine Entlastung, die schon die Vorgeschichte unseres Predigttextes bereithält: Es ging Jesus selber so. Er hat selber Misserfolge gehabt, war durchaus nicht immer und überall der erfolgreiche Missionar. Ein paar galiläische Dörfer hat er regelrecht verflucht.


Der Lobpreis an den himmlischen VaterZu eben der Zeit erhebt Jesus seine Stimme zu einem Lobpreis zu Gott, seinen himmlischen Vater! Lobpreis hat immer einen Grund. In den Psalmen finden wir dafür unzählige Beispiele: „Ich preise dich, Herr, denn du hast mich aus der Tiefe gezogen“, heißt es da mal (Ps 30,2; vgl. EG Wü 715).
Jesus gibt auch den Grund an, warum er grade jetzt Gott loben muss: weil du es vor den Schlaumeiern und Hartherzigen versteckt und den einfachen Leuten gezeigt hast. Nur, was gezeigt? Dahinter mag stehen, dass Jesus sich selber meint, dass er bei den einfachen Leuten gut ankommt. Bei den klugen Köpfen war er ja tatsächlich immer wieder abgeblitzt. Jesus ist der Himmelsbote, der Botschafter Gottes, der zu Gott in einem einzigartigen Verhältnis steht, ja, in dem sich Gott selbst zeigt. Das hat Protest und Widerstand hervorgerufen. Kann man auch verstehen. Wenn da einer sich auf der Straße hinstellt und sagt, mit mir kommt Gott zu Euch, da würden wir uns auch erstmal an die Stirn tippen, stimmt‘s?

Jedenfalls ist in unserem Text eine Front enthalten, eine Abgrenzung. Es beginnt mit diesem Lobgebet:
Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde,
weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast
und hast es den Unmündigen offenbart.
Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.


Die Abgrenzung von den Klugen und WeisenUnd dann kommen diese unglaublich selbstbewussten Worte, exklusiv abgrenzend, ausgrenzend:
„Alles ist mir übergeben von meinem Vater;
und niemand kennt den Sohn als nur der Vater;
und niemand kennt den Vater als nur der Sohn
und wem es der Sohn offenbaren will.“

Man muss sich mal die Schlauköpfe in den galiläischen Dörfern vorstellen, denen Jesus das vor die Füße wirft. Jesus wirft ihnen nicht weniger vor, als dass sie von Gott keine Ahnung haben. Mein lieber Mann, das ist starker Tobak! Man sieht förmlich, wie ihnen der Hals schwillt.


Die Hinwendung zu den „Mühseligen und Beladenen“Aber Jesus macht nicht weiter, sondern wendet sich denen zu, an denen das Leben sonst vor-beigeht, den „Mühseligen und Beladenen“ – so hat Luther übersetzt. Das ist ja zur kirchlichen Insider-Sprache geworden. Die Abgeschafften sind gemeint, die sich abrackern und kaum über die Runden kommen.
„Ich will euch erquicken.“ Nochmal so ein Kirchendialekt. Aber „erquicken“ ist ein sehr schönes altes Wort. „Quicklebendig“, das kennt jeder, und „Quecksilber“ ist der Stoff, der lebendig immer in Bewegung ist. Also: Ich will euch Leben geben.
Was ein Joch ist, muss man erklären. Es gibt heute noch Gegenden in der Welt mit Häusern ohne Wasserleitungen. Da muss man jeden Tag zum Brunnen und Wasser holen. Das kann ein anstrengender Weg sein. Trag mal zwei Eimer und jeden mit zehn Litern Wasser einen Kilometer! Eine Riesenarbeit. Ein Joch ist ein Gestell, das man über die Schulter legen kann, das nicht so sehr drückt, an das man rechts und links die beiden Eimer dranhängen und sie dann leichter tragen kann.
Also: Erleichterung ist gemeint, Erfrischung, Stärkung. Im Griechischen steht da ursprünglich sogar: „Ich werde euch eine Pause verschaffen.“


Den Predigttext in seinen drei Rederichtungen als Musiktext lesenUnd jetzt haben wir eine Spur, wie wir unseren Predigttext heute am Sonntag Kantate auch als einen Musiktext lesen können. „Gott predigt nämlich das Evangelium auch durch die Musik“, hat Martin Luther einmal gesagt. Die drei Rede-Richtungen, die unser heutiger Text enthält, sind nämlich auch drei Richtungen, die wir in der Musik erfahren: zuerst den Lobpreis zu Gott, dann die Abgrenzung gegenüber den Unverständigen und schließlich die warmherzige Zuwendung zu den Abgeplagten.

Sicher ist der Lobpreis Jesu zu Gott der erste Anknüpfungspunkt für den heutigen Sonntag Kantate. Aber was sagt uns das? Ist Jesus unser Lobpreis-Vorbild? Gewiss, beim Singen ist ein gutes Vorbild entscheidend, jemand, der vormacht, wie’s geht. In der Musik geht viel über Vormachen und Nachmachen. Aber wörtlich kann das nicht gemeint sein, lobpreisen wie Jesus. Wir wissen gar nicht, wie Jesus geklungen, wie er gesungen hat. Musikwissenschaftler würden vielleicht sagen, das klang für unsere westlichen Ohren ein bisschen wie ein Muezzin. Das hilft nicht weiter. Es geht nicht darum, wie Jesus zu singen, selbst wenn wir es wüssten, sondern darum, auch in widrigen Umständen einen Grund für Erleichterung und Dankbarkeit zu finden. Das gab’s immer. Lobpreis zu Gott geht quer durch die Zeiten, quer durchs ganze Gesangbuch, von den Psalmen über die ersten Christen, Ambrosius von Mailand, über Luther und Paul Gerhardt bis in die Gegenwart. Lobpreismusik ist nicht in unseren Tagen erfunden worden, auch wenn manchmal der Eindruck erweckt wird.

Der mittlere Vers unseres Textes ist eine Klarstellung: Alles ist mir übergeben von meinem Vater, niemand kennt den Sohn, als nur der Vater, und den Vater auch niemand, außer der Sohn zeigt’s dir. Da ist eine Abgrenzung drin, und so wirkt Musik auch manchmal: Ich versteh sie manchmal nicht, sie erschließt sich mir nicht, sie grenzt mich aus. Das kommt vor. Musik ist nicht immer eine Bestätigung. In einem Lied oder in einer Musik ist manchmal auch etwas drin, was uns zuerst abstößt, aber da gibt’s vielleicht was Wichtiges zu hören. Das kann anstrengend sein. Aber es eröffnet eine neue Sicht.

Und schließlich: die entlastende, die beruhigende Einladung. Nehmt auf euch mein Joch. Oh-ne Tragen geht’s nicht. Aber Musik kann so ein Joch sein, eine Traghilfe also, die manches leichter macht, die neue Kräfte fließen lässt. Sicher: Singen kostet Kraft, und es gibt Kraft. Manchmal mehr, als es kostet. Es nährt uns, gibt ein Fundament im Glauben, gibt uns also einen Unterhalt, und ist deshalb im besten Sinne Unterhaltung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!
Amen.

Die in vielen Predigthilfen gestellte Frage, warum dieser Text am Sonntag Kantate gepredigt wird, wird sich nicht mehr lange stellen. Im Entwurf der neuen Perikopenordnung, die am 1. Advent 2018 kommen soll, rückt er zum 2. Sonntag nach Trinitatis. Dabei wird es wohl bleiben, denn Mt 11,25-30 enthält den Wochenspruch dieses Sonntags. An Kantate hingegen werden wir es mit neuen Texten zu tun bekommen. Nun also gewiss zum letzten Mal Mt 11,25-30 an Kantate.

Ich finde eine Gliederung schon allein aus der Lesung des Textes. Es gibt zunächst zwei Sprecherrollen: Jesus und den „Erzähler“, der die allerersten Worte spricht. Nach diesen allerersten Worten empfiehlt sich beim Lesen eine deutliche Zäsur, damit man im Hören den Rollenwechsel mit vollziehen kann.
Was Jesus dann sagt, ist deutlich in drei Teile unterteilt, die nach ihren Sprechrichtungen unterschieden werden können. Es ist sinnvoll, sich bei der Lesung des Predigttextes diese drei verschiedenen Rederichtungen im Kopf, die Hinwendung zu einer neuen Gruppe bildlich vor-zustellen und den Wechsel jeweils durch deutliche Zäsuren zu markieren:
1) Verse 25-26 sind ein an Gott, den Vater gerichtetes Gebet.
2) Den exklusiv klingenden Vers 27 stelle man sich an die im Gebet zuvor genannten Klugen und Weisen gerichtet vor. Die Stimme darf hier an Deutlichkeit gern etwas zunehmen, aber nicht zu theatralisch!
3) Die berühmten Verse 28-30 hingegen sind direkt an die „Mühseligen und Beladenen“ gerichtet, die im Gebet zuvor den „Unmündigen“ entsprechen. Hier wird nun auch die Stimme barmherzig, wenn auch wiederum nicht in theatralischer Weise.
In Vers 28 überlege man, wo bei „alle“ die Zäsur kommt: wenn man vor „alle“ innehält, dann sind nur die „Mühseligen und Beladenen“ angesprochen, aber nicht die anderen, die Leichtfüße. Macht man die Zäsur nach „alle“, dann sind wirklich alle angesprochen, und auch alle als belastet bezeichnet. Dürfte eher im Sinne des Textes sein.
In Vers 30 beim Lesen keinen Akzent auf die Worte „Joch“ und „Last“ legen, also diese Worte nicht schwer machen, sondern leicht lassen, ohne Akzent, und betonen: … meín Joch …, … meíne Last.

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