Judica / 5. Sonntag der Passionszeit (22. März 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrer Gottfried Hengel, Plochingen [Gottfried.Hengel@elkw.de]

Markus 10, 35-45

Liebe Gemeinde,
„Papa, ich will was, und du darfst nicht nein sagen…“
Aus der Vergangenheit kenne ich diese Bitte noch sehr gut.
Die Erfahrung lehrt, in so einem Fall vorsichtig zu sein.
Wer weiß, was für Wünsche dann kommen: eine Portion Eis extra, eine Stunde länger aufbleiben, das ersehnte Computerspiel.
Ein wenig erinnert mich die Frage von Jakobus und Johannes an das Verhalten kleiner Kinder. Es ist nicht nur eine höfliche Frage, sondern ein dringender Wunsch, der gar keine Ablehnung mehr zulässt.

Die knifflige Frage nach der SitzordnungAllerdings geht es nicht nur um Kinderkram. Jakobus und Johannes wollen den Vorzugsplatz im Himmel, den Platz zur Rechten und zur Linken von Jesus.

Allzu große Bescheidenheit kann man ihnen also nicht nachsagen, den beiden Brüdern. Jesus selbst hat ihnen den Beinamen „Donnersöhne“ gegeben, vielleicht wegen ihres Temperaments. Er scheint viel von ihnen gehalten zu haben. In besonderen Situationen, wie bei seiner Verklärung oder im Garten Gethsemane sind es Jakobus und Johannes, die Jesus außer Petrus noch mit sich nimmt.
Ob die beiden deshalb von Jesus so ungeniert ihren Logenplatz einfordern?

Dabei erkennen sie ganz richtig, dass die Frage nach der Sitzordnung nicht nebensächlich ist.
Schon bei Hochzeiten oder Familienfeiern führt das manchmal zu kniffligen Überlegungen. Wer darf neben dem Brautpaar sitzen, wer nebem dem Jubilar? Sitzordnungen drücken etwas aus. Das ist schon bei weltlichen Feiern so. Also muss es im Himmel doch erst recht so sein!

Was bringt mir die Nachfolge?Es ist nicht das erste Mal, dass Jesus sich mit solchen Fragen konfrontiert sieht. Bezeichnenderweise tauchen sie immer dann auf, wenn es ums Leiden geht. Wenn Jesus von seinem bevorstehenden Leiden spricht, beginnen die Jünger nachzudenken.

Schließlich haben sie ihr altes Leben verlassen, manche Nacht im Freien geschlafen, ihren Besitz mit den anderen Jüngern geteilt. Da muss es doch erlaubt sein zu fragen, was das bringt.

Schon Petrus hat direkt vor diesem Gespräch diese Frage gestellt: „Siehe wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Wozu eigentlich?

Doch das ist nicht nur die Frage der Jünger. Die Frage: „Was bringt es mir?“ bestimmt auch unser Denken und Handeln. Wer etwa eine neue Arbeitsstelle antritt, möchte schließlich vorher auch wissen, was er verdient.
Die Frage: Was bringt es mir? steckt in jedem von uns.
Auch Jesus hört sich Jakobus und Johannes ganz offen an. Er weist sie nicht ab. Eher nachdenklich als kritisch fragt er, ob ihnen die Folgen ihrer Bitte klar ist.
Mit ihm zu gehen, heißt Leiden und Entbehrung auf sich zu nehmen. Können sie das?

Wie schon bei ihrer Forderung fehlt es Jakobus und Johannes auch bei dieser Frage nicht an Selbstvertrauen. Na klar können wir das! Die Antwort kommt ohne Zögern. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Sie werden später im Garten Gethsamame einschlafen, und Jesus mit seiner Todesangst allein lassen. Sie werden entsetzt fliehen, als er kurz darauf gefangen genommen wird. Jakobus und Johannes überschätzen ihre Möglichkeiten – ebenso wie Petrus, der vollmundig ankündigt, Jesus niemals zu verlassen und zu verraten.

„Ihr wisst nicht, was ihr bittet“ antwortet ihnen Jesus deshalb.
Auch das klingt nicht verächtlich oder verurteilend, sondern eher traurig. Denn im Unterschied zu seinen Jüngern weiß er, was diese Bitte beinhaltet.

Jesus hat keine Logenplätze zu vergebenJesus sieht auch sehr klar, dass er nicht der richtige Adressat für ihre Bitte ist.
Himmlische Logenplätze kann und will er nicht verteilen – denn er hat etwas ganz anderes im Sinn.
Nicht herrschen will er, sondern dienen. Nicht thronen, sondern knien, so wie bei der Fußwaschung.
Doch bevor er das seinen Jüngern erklären kann, passiert das, was immer passiert, wenn sich die einen auf Kosten der anderen ihren Logenplatz sichern wollen.
Es kommt zu Streit und Missgunst. Die Reaktion der anderen Jünger lässt nicht lange auf sich warten.
Warum drängeln die sich vor? Warum sollen die da sitzen dürfen? Warum nicht wir?

Die Jünger teilen sich plötzlich in zwei Gruppen – die beiden Bittsteller und die Zehn. Die Einheit der Zwölf ist in Gefahr.
Deshalb ist ein klärendes Wort angebracht. Jesus ruft alle zusammen.

Er beginnt seine Schlichtungsrede mit der Beschreibung von denen, die in der Welt auf Thronen und Chefsesseln sitzen.

„Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und die Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“

Das ist für die Jünger nichts Neues. Das Land ist unter der Herrschaft der Römer und ihrer Vasallen. Sie definieren, was Macht und was Recht ist. Wer Kritik vorbringt, bekommt schnell ihre Härte zu spüren.
Leider ist dieses Wort auch für uns nichts Neues. Auch 2000 Jahre später ist es nicht von der Geschichte überholt. Die Machtkämpfe in der Ukraine, der Terror der IS – auch hier geht es um Macht und Herrschaft, die mit Blut und Gewalt durchgesetzt werden. Die Leidtragenden sind die Völker und Gruppen, die in die Schusslinie geraten.
Auch heute noch gilt die Regel: Wer oben ist, hat das Sagen.
Wer auf dem Thron sitzt, gewinnt.

Die Großen im Reich Gottes erkennen wir daran, dass sie klein sindDoch alles, was wir über Macht und Herrschaft wissen, dreht Jesus um. Die Großen im Reich Gottes erkennt man nicht daran, dass sie auf Logenplätzen sitzen. Die Großen erkennt man daran, dass sie sich klein machen. „Wer groß sein will, der soll euer Diener sein“, sagt Jesus. Die Karriereleiter im Reich Gottes wird von oben nach unten geklettert. Jesus selbst zeigt, wie es geht. Er, der eigentlich dem Herrscher des Himmels gleich ist, kommt als dienender Knecht.
Deshalb hat die frühe christliche Gemeinde sehr bald in den Gottesknechtlieder von Jesaja Jesus wieder gefunden.
Denn für Jesus geht es nicht um die Frage: Welchen Platz im Himmel verdiene ich? Sondern um die Frage: Wem diene ich?

Doch so wenig, wie sich im Wunsch der Menschen, ganz oben zu sein, seit der Forderung der beiden Jünger geändert hat, so wenig hat sich auch bei der Bereitschaft zum Dienen geändert.
Obwohl wir heute in einer sogenannten Dienstleistungsgesellschaft leben – wer dient schon gerne?
Auch in christlichen Kreisen sind das Reden vom Dienen und seine Umsetzung zwei sehr verschiedene Dinge.
So wie es ein Bischof einmal treffend ironisch gesagt hat:
„In der Kirche dienen wir schon gerne. Aber am liebsten in leitender Stellung!“
Jesus kennt diese Schwächen der Menschen – damals wie heute. Er verurteilt die nicht, die nach den Logenplätze schielen.

Mit Jesus geht es nicht bergab, aber nach untenAber Jesus geht einen anderen Weg – Gottes Weg. Den Weg von oben nach unten.
Dieser Weg wird in dem fast schon zu abgedroschenen Gebet ausdrückt, das allen möglichen Autoren zugeschrieben wird:

O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
Lass du mich trachten:
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer da hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet.

Dieses Gebet ist schon oft missverstanden worden. Wir können nicht alle Sätze einfach auf uns übertragen, sonst kann es zu einer gnadenlosen Überforderung werden.

Doch diese Worte zeichnen den Weg nach, den Jesus gegangen ist. Deshalb macht er auch uns Mut, immer wieder diesen Weg des Dienens zu versuchen. Denn es ist der Weg, auf dem Gottes Segen ruht. Wenn wir an Gott glauben, können wir diesen Weg nicht ignorieren.

Dienst-Leistungen sind nicht gefragtDabei müssen wir auf diesem Weg keine „Dienst-Leistung“ erbringen. In dieser Welt ist Leistung zwar gefragt beim „Sich-hoch-Dienen“, von unten nach oben. Aber in Gottes Reich zählt Leistung nicht. Auch beim Dienen nicht.

Jesus erwartet von uns keine Leistung. Er erwartet, dass wir Frucht bringen – jeder und jede auf die eigene Weise. Wenn wir mit ihm verbunden bleiben, gelingt es uns.

Ein fruchtbares Leben ist eines, in dem Dienen vor dem Verdienen steht. Eines, in dem andere Maßstäbe gelten.
Eines, in dem es wichtiger ist, die Menschen neben mir zu sehen, als über möglichst vielen zu sitzen.

„Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der erste sein will, der soll aller Knecht sein.“

Jakobus und Johannes, die beiden Jünger, standen am Anfang. Am Schluss stehen wir – wir selbst. Als Dienerinnen und Diener für Jesu Sache. Wann immer wir versuchen, das zu sein, begleitet uns das Versprechen von Jesus:

„Siehe ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt…“
Amen

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