Christi Himmelfahrt (14. Mai 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrer und Studienleiter Johannes Gruner, Bad Urach [Johannes.Gruner@elkw.de]

Lukas 24, 0-49; 24, 50-53

Liebe Gemeinde!

Hinführung: Abschiedlich lebenSie ist von ihm gegangen. Traurig sitzt er im Sessel und starrt vor sich hin. Er kann es noch kaum begreifen. Es war absehbar. Aber dass es dann so schnell geht, damit hat er nicht gerechnet. Manches haben sie noch vorgehabt. Hatten gemeinsam geplant. Doch dann sagte sie: „Mit mir geht es nicht mehr lange.” Er wollte es damals nicht wahrhaben. Er sprach sich und ihr Mut zu. Irgendwie hoffte er, es käme doch noch anders. Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagte er sich. Heute aber sagt er: Ich habe wohl an der Realität vorbei gehofft.

Wie soll es weitergehen? Kopf hoch!, so sagen manche. Auch so ein törichtes Sprichwort. Das ist leichter gesagt als getan. Er sieht zwar, was jetzt zu machen wäre. Aber ihm fehlt die Kraft dazu. Ja, er sieht: Das Leben geht weiter. Aber er kann nicht mitgehen. Er sitzt da und stiert vor sich hin. Er hofft. Aber vor allem: Er hat Angst. Angst vor der Veränderung. Angst davor, sein Leben neu ausrichten zu müssen. Mit ihr zusammen wäre das leichter gewesen. Sie hatten sich gemeinsam gestützt. Gemeinsam ermutigt. Sie war es, die neue Vorschläge machte. Und so machten sie sich auf den Weg. Jetzt aber sitzt er allein hier. Er kann nicht. Er will nicht. Abschied ist so schwer. Was bleibt? Vielleicht die Erinnerung. Genügt das? Sie ist nicht mehr hier. Das Leben wird sich verändern. Er weiß das. Aber er hat Angst.

Hinführung zum Predigttext: Die Ostererfahrung der JüngerAbschied. Veränderung. Neuanfang. Das muss bewältigt werden. Auch von den Jüngern, den Freunden Jesu. Damals, als Jesus gekreuzigt wurde. Der Tod ihres Herrn stürzt sie in tiefe Verzweiflung. Doch dann, drei Tage später, hören sie die unglaubliche Botschaft: Der Herr ist auferstanden. Wären sie ihm nicht begegnet, sie hätten es nicht geglaubt.

Einige wenige Male danach ist er seinen Freunden noch erschienen, so berichtet die Bibel. Aber dann gibt es auch für sie den endgültigen Abschied. Der Evangelist Lukas berichtet am Ende seines Evangeliums darüber.

Ich lese aus Lukas 24 die Verse 50-53:
Jesus führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
Narration: Was Himmelfahrt verändertLiebe Gemeinde! Ein letztes Mal ist der Auferstandene mit seinen Jüngern unterwegs. Hautnah erleben sie ihn. Sie sehen seine Wunden an Händen und Füßen. Sie gehen nach Betanien. Abschiedliche Stimmung herrscht. Die Jünger merken: Jesus spricht letzte Worte. Er beauftragt sie, das Evangelium zu verkünden. Alle Welt soll davon hören, dass Gott seine Gegenwart schenkt.

Dann bleibt Jesus stehen. Sie umringen ihn. Jesus hebt seine verwundeten Hände. Es ist die alte, die vertraute Segensgeste. Die Jünger sehen die Wundmale an seinen Händen. Sie sehen seine verletzten Hände. Die Hände, die Gewalt ausgesetzt waren. Die Hände, die wehrlos waren. Die Hände, die nichts mehr tun konnten. Jesus war wehrlos. Doch es sind dieselben Hände, die sich jetzt erheben zum Segen.

Und jetzt hören sie die altbekannten Worte: „Der Herr segne dich.” In Gedanken sprechen sie mit. Und noch während Jesus sie segnet, sehen die Jünger ihn nicht mehr. Plötzlich sind sie allein. Sie sind allein, aber gesegnet. Jesus schenkt ihnen seinen Segen. Jedem Einzelnen. Jeden segnet der Auferstandene, jeden, der von ihm gesegnet werden will. Er ist ihnen nahe. Auch jetzt, wo sie ihn nicht mehr sehen. Der Segen hilft ihnen in der neuen und ungewohnten Situation. Der Segen schenkt ihnen Kraft in der Trauer.
Gesegnet beten sie den Auferstandenen an. Es wird ihnen klar: In diesem Menschen Jesus von Nazareth ist uns Gott selbst begegnet. Seine Worte sind Worte des lebendigen Gottes. Seine Taten sind Taten, die Gott vollbringt. Sie spüren: Gott geht ins Leiden. Gott geht selbst in den Tod. Aber er überwindet den Tod. Die Verwundungen bleiben. Aber irgendwann schmerzen sie nicht mehr.
Da schöpfen die Jünger Mut. Bei allem Abschiedsschmerz werden sie fröhlich. Im Segen erleben sie: Gott ist da! Erstaunlich. Da geht der bisherige Mittelpunkt ihres Lebens – und sie können fröhlich sein. Da sind sie von nun an auf sich allein gestellt – aber mit großer Freude kehren sie nach Jerusalem zurück. Denn sie wissen: Sie sind auch weiterhin nicht allein. Gott bleibt in unserer Nähe. Ob wir Jesus sehen oder nicht, das spielt von nun an keine Rolle mehr. Ob wir die Gegenwart Gottes unmittelbar erleben oder nicht – wir wissen: Gott ist da. Er verlässt uns nicht. Wir wissen, wir sind nicht allein. Jesus fehlt zwar in unserem Kreis – und doch ist er mitten unter uns. Wir sehen unser Leben jetzt mit ganz anderen Augen. Wir haben Jesus erlebt. Das kann uns nicht genommen werden. Wir wissen, dass uns nichts von Gott trennen kann, auch wenn er uns weit weg erscheint. Gott vergisst uns nicht.

Infragestellung 1: Gottes Nähe erleben wollenMitten im Abschied Freude erleben? Mitten in der Trauer spüren: Ich bin von Gott gehalten?! Das mutet seltsam an. Dietrich Bonhoeffer, an dessen 70. Todestag wir in diesem Jahr gedenken, sagte einmal: „Die Unsichtbarkeit macht uns kaputt ... dies wahnwitzige dauernde Zurückgeworfenwerden auf den unsichtbaren Gott selbst – das kann doch kein Mensch mehr aushalten” (D. Bonhoeffer, Gesammelte Schriften 1, 19783, S. 61). Bonhoeffer sagt zurecht: Es ist schwer, Gott immer nur unsichtbar zu erleben. Manchmal gelingt dies. Und dann sind das herrliche Glücksmomente, wo wir mit uns selbst und mit Gott in Einklang sind. Wir fühlen uns Gott nahe. Häufig aber scheint er uns fern zu sein. Fern im Himmel und nicht nahe bei uns Menschen. Wir beten zu Gott – aber es scheint nichts zurückzukommen.

Das ist auch die Erfahrung bei Jesu Himmelfahrt: Gott verspricht seinen Jüngern, nahe zu sein – doch wo ist er?

Infragestellung 2: Mangelnde ResonanzerfahrungSo ähnlich erleben wir es auch in unserem Alltag. Wir warten darauf, dass unsere Arbeit anerkannt wird. Aber da kommt nichts zurück. Schüler strengen sich in der Schule an. Ihre Noten werden dann aber nicht wahrgenommen – von den Eltern nicht und von den Lehrern nicht. Die Aufgabe, die der Chef gestellt hat, wird pünktlich und zuverlässig erledigt. Doch da kommt nichts zurück. Die einzige Anerkennung besteht darin, dass nicht kritisiert wird. Und manchmal hat es den Eindruck, als ob das Lob, das doch manchmal kommt, nur deshalb kommt, damit die nächste Aufgabe noch schneller erledigt wird. Wird überhaupt gesehen, was ich mache?

Lösungsmöglichkeit: Verwundete Hände segnenVielleicht waren es die verwundeten Hände, die den Jüngern weitergeholfen haben. Der, von dem sie den Segen empfangen haben, ist der, der selbst geschunden wurde. Der, der ihnen Nähe schenkt, kennt selbst Widerstand und Anfeindung. Aber Gott hat sich von ihm nicht abgewandt. Gott hat Jesus aus dem Tod ins Leben gerufen. Der Tod ist dort, wo nichts mehr ist. Jesus aber hat den Tod besiegt. Jetzt blühen dort Blumen, wo zuvor nichts mehr war. Dort, wo nur Schrecken zu erwarten ist, keimt jetzt neues Leben. Wo Verletzungen entstanden sind, wird jetzt Heilung erlebt. Mit Jesu Auferstehung ist Hoffnung mitten im verwundeten Leben entstanden.

Es sind die verwundeten Hände, die Segen spenden. Die Jünger haben verstanden: Mitten im zerbrechlichen Leben ist Gott erfahrbar. Gott ist in ihrem Leben. Gott ist auch dort, wo Wunden klaffen. Er ist dort, wo Menschen unsicher sind und tastend nach neuen Wegen suchen. Er ist dort, wo Menschen einsam sind. Und er ist auch weiterhin dort, wo Menschen fröhlich sind und sich ihrer Arbeit freuen.

Lösungsverstärkung: Der Unsichtbare ist gegenwärtigDarum kehren sie fröhlich zurück. Sie wissen: Sie brauchen Jesus nicht mehr um sich herum. Sie müssen ihn nicht mehr sehen. Vor ihren Augen ist er entschwunden. Aber in ihnen ist er ihnen nahe. Er ist immer um sie. Nichts und niemand kann ihnen Jesus nehmen. Die Himmelfahrt Jesu ist für die Jünger die Erkenntnis: Jesus ist auch bei ihnen, wenn sie ihn nicht sehen. Es ist die Erkenntnis: Jesus gibt ihnen dann Kraft, wenn sie Kraft brauchen. Er stärkt sie, wenn sie schwach und niedergeschlagen sind. Die Freude am Leben bringen sie mit Gott in Verbindung, der ihnen die vielen Lebensmöglichkeiten eröffnet. Darum können sie nicht anders, als diesen Segen Gott zurückzugeben. Danken ist nichts anderes, als sich dem zuwenden, der einem seine Gegenwart und seine Zuwendung geschenkt hat.

Schluss: Abschiedlich leben könnenSie ist von ihm gegangen. Traurig sitzt er im Sessel und starrt vor sich hin. Er kann es noch kaum begreifen. Doch langsam spürt er: Sie ist nicht mehr da. Aber vieles von ihr ist immer noch in ihm und um ihn. Er ist nicht allein. Allmählich wacht er auf aus seiner Niedergeschlagenheit. Er spürt: Was sie ihm gewesen ist, kann ihm nicht genommen werden. Sein Leben wird sich verändern. Es wird nicht mehr das alte sein. Aber er weiß sie in Gedanken bei sich. Sie geht mit ihm, den mühsamen und schweren Weg. Mitten im Abschied ein Neuanfang. Was kommen wird, davor ist ihm zwar immer noch bange. Aber er weiß: Es wird weitergehen. – Amen.

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