Gründonnerstag (02. April 2015)
Kirchenrat Dr. Frank Zeeb, Straßburg [frank.zeeb@elk-wue.de]
Johannes 13, 1-15
Liebe Gemeinde,
bei der Geschichte von der Fußwaschung steht vielen von Ihnen vermutlich die Szene plastisch vor Augen, wie sie Rembrandt gemalt hat. Bilder prägen unsere Vorstellung, sie bringen zum Ausdruck, wie sich Künstler die Geschichte vorgestellt haben. Sie in-szenieren den biblischen Text, das heißt, sie bringen ihn szenisch für ihre jeweilige Zeit auf die Bühnen
In-szenierungenKein Zufall also, dass bei einem solchen Kunstwerk immer auch die Szenerie der jeweiligen Zeit als Hintergrundbild gegenwärtig ist.
Bei unserer Szene 1, dem Bild von Rembrandt, sehen wir eine barocke niederländische Szene. Mit der ursprünglichen Szenerie im Orient zur Zeit Jesu hat das natürlich nichts zu tun. Aber Rembrandt ist kein Historienmaler, der die damalige Zeit darstellen will, sondern er malt die biblische Geschichte für seine eigene Zeit zu übertragen. So geschieht das auch in zwei modernen Szenen, in denen Menschen die Fußwaschung in Szene setzen und damit eine Deutung in-szenieren.
Szene 2: Rom, Gründonnerstag 2013. Üblich ist, dass der Papst 12 Männern die Füße wäscht. Der neugewählte Papst Franziskus kommt seiner Pflicht nach. Er tut das aber nicht im Petersdom, sondern in der Kapelle eines Jugendgefängnisses. Er interpretiert die Geschichte – aus römisch-katholischer Sicht völlig neu – indem er keinen Unterschied unter den Häftlingen macht und auch zwei jungen Mädchen diesen Dienst der Barmherzigkeit zuteil werden lässt. Damit will er – was für empörte Kommentare aus konservativen Kreisen sorgte – sagen: Jeder Mensch bedarf, dass er sich dienen lasse, und der Dienst der Liebe in der Nachfolge Christi macht keine Unterschiede.
Dies bestätigt er im Jahr 2014, da geht er in ein Therapiezentrum zu behinderten Menschen, und unter den Zwölfen, denen er die Füße wäscht, ist auch ein libyscher Muslim.
Szene 3: Der Film „Jesus liebt mich“ aus dem Jahr 2012. Marie lebt als Single in Malente und plant ihre Hochzeit mit Sven – kleine Pointe am Rande: Beim Heiratsantrag im Buch massiert Sven seiner Marie die Füße. Jedenfalls: die Hochzeit platzt, Marie lernt kurz darauf den Palästinenser Jeschua kennen, in den sie sich verliebt, noch ohne zu wissen, dass er der wiederkehrende Gottessohn und die Endzeit nahe ist. Eines Abends sitzen sie im Restaurant, ein Obdachloser kommt herein, Jeschua bittet ihn an den Tisch und fängt an, ihm die Füße zu waschen. Das ungewohnte Bild ruft den Kellner auf den Plan, der hat erhebliche hygienische und ästhetische Bedenken – „bei dem Geruch denken doch die Leute, unser Sushi ist vergammelt“ – und wirft sie hinaus.
Wie Johannes die Fußwaschung erzähltMit diesen drei Szenen im Kopf versetzen wir uns in die Zeit Jesu, an den ursprünglichen Gründonnerstag. Jesus liegt mit seinen Jüngern zu Tisch und verzehrt die Abendmahlzeit. Bei Johannes ist es kein Passamahl und er berichtet auch nicht von der Einsetzung des Heiligen Abendmahls. Das hat damit zu tun, dass auch er die Geschichte so erzählt und interpretiert, dass sie in seine Zeit hinein spricht. Johannes schreibt für eine Gemeinde, in der zu seiner Zeit das Thema der Sakramente nicht so wichtig war. Es geht ihm vielmehr darum, wie die Menschen leben sollen.
Deshalb erzählt er eine Beispielgeschichte. Jesus und die Jünger liegen beim Mahl, ausführlich wird erzählt, wie Jesus sich aufmacht und die Rolle annimmt: Er legt das Obergewand ab.
Die Kirchenväter und auch Martin Luther haben sich gefragt, warum wird das so ausführlich erzählt – und sie finden den Grund in der Christologie. Die Geschichte steht genau in der Mitte des Johannesevangeliums. Was hier und in den nächsten Kapiteln steht, ist gleichsam das Vermächtnis Jesu, was er zurücklässt, bevor er zum Vater geht. Er hinterlässt uns das Beispiel der Fußwaschung, das Gebot der Liebe, die Abschiedsreden, den Frieden und den Tröster. Mit seinem Obergewand legt er gleichsam die Göttlichkeit ab. Er ist jetzt ganz Mensch, ganz unten.
Johannes ist ja ein Theologe des Weges. Der Weg Jesu geht vom Vater aus, geht nach unten, in die Erniedrigung und hier ist der Tiefpunkt – denn der Weg ans Kreuz ist für Johannes schon ein Teil des Weges nach oben, er spricht von der Erhöhung.
Aber noch ist es nicht soweit. An Gründonnerstag erniedrigt sich der Gottessohn, er nimmt an eines Knechts Gestalt. Dass es eine Zeichenhandlung ist, müssen die Jünger sofort begriffen haben, denn die Füße werden im Orient vor dem Essen gewaschen. Die Menschen liegen ja auf Kissen, und Füße und Gesicht sind sozusagen auf Augenhöhe, deshalb achtet man hier auf hohe Reinlichkeit. Und einem anderen die Füße zu waschen, ist das höchste Zeichen von Ehrerbietung, denn das heißt: Du bist mir so wichtig, dass ich dir den allerniedrigsten Dienst tue, einen Dienst, den man nicht einmal von allen Sklaven fordern darf, nur von den niedrigsten. Das tut Jesus für seine Jünger. Er sagt damit: Ihr seid mir so wichtig, dass ich euch alle Dienste tue.
Von der Fußwaschung zum KreuzUnd damit weist er natürlich auch auf die letzte Konsequenz hin – er wäscht ihnen, also uns, nicht nur die Füße, er geht für die Seinen auch ans Kreuz. Die Stunde ist gekommen, und er liebte sie bis ans Ende. Die Lutherübersetzung verschleiert den Bezug, der im Griechischen klar ist: Das Wort „Ende“ wird am Kreuz aufgenommen in dem Ruf „es ist vollbracht“. Die Fußwaschung ist also der Hinweis auf die große Liebe Jesu, die das Leitmotiv für seinen Weg vom Vater auf die Erde, hinauf nach Golgatha und wieder zurück in die Herrlichkeit ist.
Die Fußwaschung – ein BeispielJesus schildert sein Tun als Beispiel. Er fordert die Seinen auf, es ihm gleichzutun. Dass in Jesus Gottes Sohn Mensch wird, hat Konsequenzen. Abendmahl und Fußwaschung sind in den Evangelien gleichsam zwei Seiten derselben Medaille: Im Abendmahl wissen wir Jesus unter uns, denn in Brot und Wein ist uns seine Gegenwart verheißen. Die Fußwaschung mahnt uns, dass die Nachfolge in der Liebe geschieht, dass Gegenwart Jesu sich auch im Engagement für den Nächsten ereignet.
Wenn wir also gleich das Abendmahl miteinander feiern, dann feiern wir, dass Jesus bei uns ist. Wir sollen und wollen es aber dabei nicht bewenden lassen. Wir sind gerufen, die Liebe Christi weiterzugeben. Ich möchte darauf verzichten, das jetzt an konkreten Beispielen durchzubuchstabieren – jeder und jede muss für sich selbst im eigenen Leben suchen, wie und wo er oder sie dem Nächsten den Dienst der Liebe erweisen kann.
Fußwaschung: der Blick nach unten – die Liebe zu allen – die Nachfolge als VeränderteIch möchte uns aber die drei Bildszenen vom Anfang noch einmal vor Augen führen, die Künstler und der Papst haben sich dabei ja etwas gedacht, als sie die Geschichte genau so für ihre jeweilige Zeit in-szeniert haben. Vielleicht ist ja etwas dabei, was uns hilft, die Geschichte für uns lebbar zu machen.
Bei Rembrandt van Rijn fasziniert mich, wie sich der Blick der Jünger umkehrt. Vorher sitzen alle am Tisch und sind gleichsam auf Augenhöhe. Jetzt richtet sich der Blick auf Jesus, der am Boden kauert. Etliche sitzen, andere stehen. Wo die Augen vorher geradeaus gerichtet waren oder gar im Aufsehen nach oben gewandt, da gilt es jetzt, den Kopf zu senken. Vielleicht könnte das ein Weg sein, es Jesus gleichzutun – den Blick nach unten richten, schauen, was in den Sphären vor sich geht, die eigentlich unter unserer Würde sind. Jesus hat sich genau dorthin begeben.
Dann der Papst. Bei seinem Tun ist das Eigentliche, dass er der Form nach genau das tut, was man von ihm erwartet. Er vollzieht das Ritual, wie es seit Urzeiten am Gründonnerstag vorgeschrieben ist. Aber er sprengt es gleichzeitig, indem er es ernst macht.
Jesus macht keine Unterschiede bei den Anwesenden. Er wäscht allen die Füße, und zwei der Jünger werden namentlich genannt: Petrus, der ihn später schmählich verleugnet, und Judas, der Verräter. Der Papst tut desgleichen.
Die liturgische Vorschrift sagt, die Apostel sind Männer gewesen, und deshalb sind Männern die Füße zu waschen, aber er setzt sich darüber hinweg und wäscht auch zwei jungen Frauen die Füße. Und einem Muslim.
Die Liebe Jesu gilt allen Menschen ohne Unterschied. Gut möglich, dass es auch bei uns altgewohnte Regeln und Traditionen gibt, die uns gerade in ihrer Vertrautheit daran hindern, andere Menschen in den Blick zu nehmen, die Christi Liebe und unsere Zuwendung brauchen. Wem wird Franziskus dieses Jahr die Füße waschen?
Und zuletzt der Film. Maria und Jeschua fliegen hochkant aus dem Restaurant hinaus. Aber beim Hinausgehen drehen sie sich noch einmal um und sehen, dass sich etwas verändert hat. Die Menschen sitzen nicht mehr vereinzelt an den Tischen. Sie haben begonnen, sich miteinander zu unterhalten, miteinander zu teilen. Sie beziehen auch den Obdachlosen mit ein. Das Vorbild Jeschua hat die Menschen verändert. So verändert Nachfolge die Menschen, verändert die Gesellschaft.
Jesus fordert uns auf:„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“
Und er verheißt uns:
„Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“
So lädt er uns ein, uns an seinem Tisch seiner Liebe zu vergewissern und sie weiterzutragen. Er wird uns auch die Fantasie und künstlerische Kreativität geben, dies umzusetzen in unserem Alltag und unseren Lebensbezügen.
Amen.
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