Kantate (18. Mai 2014)
Offenbarung 15, 2-4
Liebe Gemeinde,
manchmal leben wir so dahin, wir Christinnen und Christen, wie alle anderen Menschen auch. Es tut sich nichts. Nichts, oder nur ganz wenig wendet sich zum Guten, so scheint’s.
In der Welt obsiegt so oft das Böse, das Widersinnige ereignet sich im eigenen Leben.
Die Raffgierigen, die Gewaltmenschen, die gerade bei der Nachbarin festgestellte Krebsdiagnose krallen sich in unser Bewusstsein.
Gott, so scheint’s, schweigt dazu oder überlässt die Welt sich selbst, oder kann’s nicht ändern. Das Böse fegt er nicht einfach weg, die Krankheiten radiert er nicht aus.
Und es gewinnt immer noch und immer wieder der, dem der Zweck die Mittel heiligt.
Nur der.
Wie soll man an Gott festhalten, wenn alles beim Alten bleibt?
Ist das so? Für die Christinnen und Christen, denen der Seher Johannes vor langer Zeit schreibt, war das so. Sie sahen und fühlten von Gott, dem „Allmächtigen“, nichts. Schon wollten sie aufgeben, nicht mehr an Gott glauben und in der Welt an ihm leiden:
Einmal Verfolgung und Häme um Jesu Christi Willen nicht mehr ertragen müssen. Wollten auch einmal mit den Wölfen heulen, sich auch einmal nehmen, was sie kriegen konnten, auf gerechtes und mitmenschliches Verhalten pfeifen. Wer wollte ihnen das verdenken, wenn ihnen täglich die offensichtliche Ohnmacht Gottes vor Augen geführt wurde – und die Allmacht des Römischen Staates und seiner Schergen?
Ja, was bringt es denn, an Gott festzuhalten, an Jesus Christus, der, wie wir an Himmelfahrt singen werden, als König herrscht, wenn doch alles oder doch zumindest vieles so in der Welt geschieht, als gäbe es Gott, den lieben und guten, nicht?
Schon ertappe ich mich bei ähnlichen Gedanken – und ich fühle mich den Menschen von damals, die so dachten und litten, nahe, sehr nahe. Wer weiß, ob’s wahr ist? Die Sache mit Gott. „Jesus Christus herrscht als König; alles wird ihm untertänig“ – wo sehe ich das denn?
Johannes sieht hinter den Vorhang: Gott hat in Christus alle festgehalten
Da aber sieht der Seher Johannes, wie sich der Himmel öffnet. Der Vorhang, der diese Welt, so wie sie ist, von der himmlischen Welt trennt, wird zur Seite gezogen. Ein großes, ein gewaltiges Bild taucht auf. Ein Bild von atemberaubender Schönheit, das man mit menschlichen Worten eigentlich gar nicht ausreichend beschreiben kann. Ein Meer, durchsichtig wie Kristall, saphirblau, feuer-rot. Feuer und Wasser durchmischt, ungetrennt.
Es breitet sich vor dem Thron Gottes aus.
Und da sind Menschen. Menschen, denen man ansieht, was sie durchgemacht haben.
Ihre Seelen und ihre Körper tragen noch die Spuren des Bösen, das sie erlitten haben. Spuren der Verfolgung. Spuren von den Gemeinheiten dieser Welt, von der Ungerechtigkeit, die sie erlebt haben.
Und doch haben sie überlebt. Überwunden. Gott hat sie festgehalten. Deshalb konnten sie sich an Gott festhalten. Manchmal unter Tränen, manchmal unter großen Schmerzen ihrer Leiber und ihrer Seelen.
Jetzt aber ist alles gut. Alles Widrige, alles, was Gottes Macht beschneiden, verneinen und bekämpfen wollte – vergangen. Nicht mehr da. Nur noch Gott. Und sie vor Gott, am Ufer des unsagbaren Meeres. Da stimmen sie mit ihren Harfen ein Loblied an auf Gott.
Nicht sehr laut, aber sehr bestimmt.
Erst eine, dann eine zweite Stimme, dann immer mehr. Alle. Ein Loblied auf Gott singen sie, der sie befreit hat von dem Bösen und Gemeinen und Furchteinflößenden in ihrem eigenen und im fremden Leben. Gott, der sie durch den Menschen Jesus von Nazareth, Lamm Gottes, befreit hat vom Kreisen um sich selbst, von der Selbstgerechtsprechung, von der Furcht und der Angst ihres Herzens, dass alles vergeblich, dass letztlich nichts einen Sinn habe in ihrem und im fremden Leben. Kein Gott da, der rettet, verbindet, in den Arm nimmt und auffängt im freien Fall.
Gott ist da, wunderbar, klar, einsichtig, von unwiderstehlicher Schönheit.
Auf ihn, so sehen sie jetzt, läuft doch alles hinaus:
„Du allein bist heilig. Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir…“
Alle
Da fehlt niemand. Nichts und niemand, ich nicht und du auch nicht, kein Mensch,
ist ihm entglitten. Alle sind sie da, bei ihm versammelt, die Tränen getrocknet.
Alle, die Opfer dieser Welt, die bekannten und die unbekannten, bei Gott wertgeschätzt, nicht vergessen, bei ihrem Namen gerufen.
Und die Täter und Täterinnen sind sicher auch da: „Ja, alle Völker werden kommen“ und Gott die Ehre geben. Täter und Opfer.
Die Gerechten und die Ungerechten dieser Welt. Gott verwandelt sie, versöhnt sie: alle.
So kommt es, dass das Gericht Gottes, vor dem mancher und manche bisher insgeheim zitterte und es fürchtete, zuletzt heilsam ist, zurechtbringt. Alle vereint in der Anbetung Gottes.
Das neue Lied: Jetzt schon vom neuen Himmel und der neuen Erde singen
So, sagt und sieht Johannes, der Seher: So wird’s kommen. Es geht mit der Welt gut aus, mit dir und mit mir.
Und inzwischen – ja, was bringt denn das, wenn wir das wissen oder ahnen und das Bild vor Augen sehen: das Meer aus Kristall, saphirblau, mit Feuer durchmischt?
Die Harfenspielerinnen und Harfenspieler, die da das neue Freiheits- Lied vom allmächtigen Gott und vom Leben anstimmen und singen? Vom Leben, das siegt, weil Gott alles neu macht? Leben aus dem Tod? Ja, was bringt es, wenn wir das hören, sehen und dann wissen?
Wenn wir das nur „wissen“, wie wir irgendeine x-beliebe Tatsache wissen, sicher nichts, oder nicht allzu viel.
Lasst uns dieses neue Lied, der Harfenspielerinnen und Harfenspieler am gläsernen Meer aber trotzdem anstimmen und singen. Lasst es uns singen, schon jetzt, heute, hier, vielleicht erst ganz verhalten, tränenerstickt. Unterbrochen mit unseren leisen und auch lauten Klagen und Schreien über die Verletzungen, die uns das Leben beigebracht hat. Sie sollen ja nicht vergessen oder einfach weggesungen werden.
Wenn wir das Gotteslob so sängen, wäre das in der Tat nur ein billiger Trost für die Leidenden und Klagenden unter uns, für die, die nicht mehr weiter wissen, an sich und an Gott verzweifeln.
Das Lob Gottes als Überlebensmittel des Glaubens
Wir müssen dieses Lied von der Befreiung also anders singen. Wir nehmen es gleichsam vorweg, wenn wir vom neuen Himmel und der neuen Erde singen, von Gottes Macht und Liebe, die hinter dem Vorhang dieser irren und wirren Welt schon Wirklichkeit sind und auf uns zu kommen.
Da und so wird das Lob Gottes für uns zum Überlebensmittel unseres Glaubens mitten in unseren Zweifeln, mitten in unserer Verzweiflung darüber, dass wir von ihm so wenig sehen und spüren, dass wir so wenig, manchmal auch gar nichts in unseren Händen halten von seiner neuer Welt. Wir singen das neue Lied gegen Not und Tod, Krankheit und Leiden an.
Gott entgegen, der kommt, rettet und heilt, was gerettet und geheilt werden muss in dieser Welt, in diesem Leben, dem eigenen und dem fremden.
Nein, wir leben nicht so dahin, wir Christinnen und Christen, wie alle anderen Menschen auch. Wir stimmen schon jetzt das Danklied der Erlösten an. Stimmen in ihre Stimmen ein. Singen es mitten in der unerlösten und kranken Welt. Wir wagen es zu singen, diese Gegenstimmen. Wer sonst, wenn nicht die Christinnen und Christen, die von Ostern herkommen?
Dabei kann Erstaunliches geschehen – wir können es nicht erklären, wie, aber es geschieht, wir erhalten genug Kraft, Mut und Zuversicht für uns und andere, schon jetzt und heute aus der Neuen Welt Gottes, so dass wir plötzlich wieder wissen und noch entschiedener singen, dass alles gut wird, gut ausgeht mit uns und unserer Welt:
„Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaft sind deine Wege, du König der Völker.“
Amen – das ist gewiss.
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