Christi Himmelfahrt (29. Mai 2014)
Pfarrerin Barbara Vollmer, Bad Wurzach [barbara.vollmer@elkw.de]
Epheser 1, 20-23
Liebe Gemeinde,
die Engländer haben es leicht. Sie unterscheiden zwischen „sky“ und „heaven“ und müssen deshalb nicht ständig dem Missverständnis wehren, dass Gott irgendwo dort oben im Himmel auf einer Wolke schwebe.
Juri Gagarin, hätte er Englisch gekonnt, hätte auf seiner Weltraumfahrt erst gar nicht auf die Frage kommen können: Wo denn Gott nun sei, er sehe ihn nirgends im Himmel.
Himmel ist da, wo Gott „regiert“
Denn er hätte begriffen, dass der Himmel, den die Engländer mit “heaven” bezeichnen keine kosmische, sondern eine geistliche Dimension umschreibt. Dass also dieser Himmel nicht einfach der Himmel „dort oben” ist, dass er uns vielmehr von allen Seiten umgibt, ja mitten unter uns ist.
So kann es an Himmelfahrt auch nicht darum gehen, dass wir die Augen zum Himmel erheben und allein auf ein besseres Leben in der Zukunft hoffen. Nein, an Himmelfahrt geht es darum, dass Gott unter uns ist und die Welt regiert. Es geht um Jesus Christus, im Bild gesprochen, an seiner Seite. Darum, dass die Sache Jesu weiter geht.
Es geht um Leben, wie Gott es will, um Gerechtigkeit und Recht und Barmherzigkeit und Liebe. Und darum, dass sich dies alles durchsetzen soll unter uns Menschen, auch wenn es im Alltag oft ganz anders aussehen mag.
Wenn es um Gerechtigkeit geht, dann muss man an Himmelfahrt also nicht nur einfach in den Himmel blicken, dann muss man sehen, was unter uns durchscheint von dieser Gerechtigkeit.
Denn Himmelfahrt ist nicht einfach etwas für naive Gottgläubige, Himmelfahrt hat mit Gottes Macht in und auf dieser Welt zu tun.
Wer regiert die Welt?
Wer regiert diese Welt? Um diese Frage geht es an Himmelfahrt, und das ist natürlich sowohl eine politische Frage als auch ein Glaubensthema. Schon deshalb, weil diejenigen, die mit ihrer Macht und oder ihrer Wirtschaftsmacht die Welt regieren, auf ihre Weise häufig zutiefst gläubige Menschen sind.
Und damit meine ich nicht nur jene Politiker, die sich zum christlichen Glauben bekennen (und dabei leider oft eine fundamentalistische Weltsicht an den Tag legen). Damit meine ich im übertragenen Sinne auch den Glauben der Politiker und Wirtschaftsleute an marktwirtschaftliche Prinzipien allein.
Gottes Gerechtigkeit und unsere Welt
Freilich erleben wir immer mehr, dass das Prinzip, dass der Tüchtige überlebt und für den weniger Tüchtigen noch etwas übrig bleibt, das die deutsche Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre hinein geprägt hat, nicht mehr funktioniert. Wir erleben, dass viele mit Sorge in die Zukunft blicken. Die inzwischen so begründete Angst um die Rente zum Beispiel, zeigt uns, dass viele, die ein Leben lang tüchtig gearbeitet haben, aber für wenig Geld, sich vor Armut im Alter fürchten müssen.
Auch in unserer Stadt gibt es jetzt schon alte Menschen, die jeden Pfennig umdrehen müssen, weil sie mit dem bisschen Rente kaum hinkommen.
Dazu haben wir im reichen Deutschland immer mehr Menschen, denen ein Job nicht ausreicht, um ihre Familie zu ernähren. Die Diskussion um den Mindestlohn ist ja keine Frage, die aus Spaß und Tollerei geboren wäre. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass Menschen unter uns tüchtig arbeiten, und trotzdem nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen oder womit sie leben sollen, wenn die Miete gerade noch zu bezahlen war.
Wussten Sie zum Beispiel, dass bei Hartz IV für Kinder unter 14 Jahren am Tag keine drei Euro für Essen pro Tag veranschlagt sind? Für drei Mahlzeiten am Tag, wohlgemerkt. Können Sie sich vorstellen, wie Sie damit ein wachsendes Kind ernähren könnten? Ganz zu schweigen davon, dass diese Kinder ein warmes Essen in der Schulkantine einnehmen könnten. Denn für weniger als drei Euro wird da nichts zu haben sein.
Klar, es gibt viele Familien, für die ist das kein Problem. Es gibt auf dieser Welt auch Menschen, wenige eher, aber von denen hört man viel, die können sich schnell mal für Millionen eine Yacht kaufen oder eine Zweit- und Drittvilla am Meer und in den Bergen.
Dass das Geld auf dieser Welt so ungleich verteilt ist wie die Rohstoffe ist kein Geheimnis. Aber dass die Schere immer weiter klafft, auch in unserem Lande, das sich einst auf die Fahnen geschrieben hatte, mit seinem Wohlstand auch für die sozial Schwachen zu sorgen, das muss uns schon zu denken geben.
Denn damit sind wir meilenweit von dem entfernt, was im Alten Testament unter der “Gerechtigkeit Gottes” verstanden wurde. Meilenweit von einem Ausgleich zwischen Arm und Reich, für den es im Alten Testament immerhin die Idee des Jubeljahres gab und den wöchentlichen Sabbath, den man auch deshalb bis in unsere Zeit mit ruhender Arbeit und schöner Kleidung feierte, weil man sich damit wenigstens an einem Tag in der Woche als das fühlen konnte, wozu uns Gott bestimmt hat: als freier Mensch, der niemandem gehört, außer Gott und der zu keiner Arbeit gezwungen wird, sondern freie Zeit hat, sich auszuruhen und das Leben, Gemeinschaft und Gottes schöne Schöpfung zu genießen.
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird
Wir sind meilenweit entfernt von der Aussage des Neuen Testaments: Gott, will, dass allen Menschen geholfen werde.
Allen Menschen. Den Erfolgreichen und den Erfolglosen; denen mit den guten und denen mit den schlechten Startmöglichkeiten, die trotz aller Tüchtigkeit ihr Brot nicht verdienen können. Ja, sogar denen, die nicht so tüchtig sind, wie wir meinen, dass sie sein müssten. In einem reichen Land, wie wir es sind, müsste es eigentlich auch für sie ein Auskommen geben.
Aber dazu müsste man bereit sein, zu teilen. Dazu müssten wir bereit sein, für einander Verantwortung zu übernehmen. Und diese Bereitschaft ist mehr und mehr am Schwinden. Und Werte wie Nächstenliebe, Pflichtbewusstsein, Gemeinwesen sind nicht mehr angesagt. Jeder sorgt nur noch für sich.
Wo wir hinschauen, ob das in der Rentendiskussion ist, in der Frage der Krankenversicherung, selbst bei den Konfirmanden, die um eine Konfirmandengabe für einen sozialen Zweck gebeten werden und nicht daran denken, aus ihren Geldgeschenken eine kleine Summe abzuzwacken: der Gedanke der Solidarität ist ganz im Schwinden. Was geht mich der andere an? Soll doch jeder für sich sorgen!
Unsere Gesellschaft ist derzeit in großer Gefahr, weil wir auf dem Weg von einer funktionierenden solidarischen Wertegemeinschaft zur egomanischen Wertpapiergemeinschaft sind.
Solidarität oder Egoismus?
So ist sie also an Himmelfahrt dringender als je, die Frage: Wer regiert die Welt?
Der Egoismus oder Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde? Gott, der Menschen geschaffen hat, weil er – wie manche Theologen sagen – sich nicht selbst genügen wollte. Gott, der uns Menschen auf Gemeinschaft angelegt und dafür bestimmt hat.
Regiert er die Welt oder ist es der kurzsichtige Egoismus einzelner Staaten und einzelner Menschen, der ins Verderben führen muss, weil wir aufeinander angewiesen sind und bleiben (auch wenn wir es nicht begreifen)? Freilich (auch die Globalisierung zeigt das unmissverständlich), wenn wir nicht lernen, miteinander zu handeln und füreinander einzustehen, dann kommen wir über kurz oder lang an ein Ende.
Wer regiert die Welt? Egoismus, Geld, die Wirtschaft oder Gott? Dieser politischen Frage, die gleichzeitig ein Glaubensthema ist, dürfen wir nicht ausweichen.
Das Himmelsfahrtsfest und unser Predigttext setzen hier einen deutlichen Akzent, der die Machtverteilung auf dieser Welt in ein anderes Licht rückt.
Die Medien lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Zentren der politischen Macht, und der großen Konflikte: auf Syrien, die Ukraine und Afrika; auf Berlin, Washington, Brüssel und Moskau. Und auf die Börsen in Frankfurt, Tokio, London und New York.
Das Himmelsfahrtsfest lenkt unseren Blick auf den Himmel. Auf Gott um uns und unter uns. Und wir müssen uns kritisch fragen: Regiert er? Regiert er unter uns?
„Jesus Christus herrscht als König“
Nicht nur am Himmelsfahrtsfest, sondern in jedem Gottesdienst bekennen wir: „Ich glaube an Jesus Christus, ... aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur rechten Gottes.”
Wir bekennen uns dazu, dass Jesus Christus den Platz neben Gottes Thron eingenommen hat. Wir bekennen uns zu diesem Machtzentrum und glauben, dass dessen Werte sich durchsetzen werden: die Liebe, die keine Grenzen kennt, die Gerechtigkeit, die alle Menschen, ja die ganze Schöpfung umfasst.
Wir bekennen uns zu Gottes Macht und glauben, dass sie größer ist als alles, was menschliche Machthaber ausrichten können. Wir hoffen und glauben und wissen, dass sie unendlich ist und weiter reicht als der Arm der Mächtigen und Reichen dieser Welt. Wir haben Gottes Versprechen und die Zusage, dass der, der in den Schwachen mächtig sein will, zu uns steht und das Unterste zu Oberst kehrt, die Schwachen mächtig und die Armen reich macht.
Wer dieses Bekenntnis mitspricht, bekennt sich also zur Macht Gottes, die allemal menschliche Macht begrenzt.
Wir besinnen uns heute an Christi Himmelfahrt auf die Macht Gottes, die größer ist als alle Mächte und Gewalten dieser Welt.
Darauf hoffen und vertrauen wir. Und weil wir dies tun, kann uns nicht egal sein, wohin unsere Gesellschaft treibt. Wir dürfen nicht müde werden, uns auch politisch als das kleine Rädchen, als das wir uns oft empfinden, für den Erhalt von Arbeitsplätzen, für gerechte Löhne, für auskömmliche Renten und menschenwürdige Hilfssätze einzusetzen.
Wir dürfen vor allem nicht vergessen, Menschen menschenwürdig zu behandeln und unserem Nächsten ein Nächster zu sein.
So kann Gottes Macht schon jetzt unter uns erlebbar und spür werden. Der Himmel unter uns.
Amen.
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