Erntedank (05. Oktober 2014)
Hebräer 13, 15-16
„HERR, tue meine Lippen auf,
dass mein Mund deinen Ruhm verkündige!“ (Psalm 51,17)
Liebe Festgemeinde,
da staunen wir. Immer wieder neu.
Was für eine Erntepracht. Was für ein herrlicher Duft. Parfüm des Herbstes. Pflaumen, Äpfel und Birnen, Kartoffeln, Lauch und Sellerie, Wein und Most, und was noch alles wächst und diesen betörenden Ernteduft der Erntezeit verbreitet. Gott lässt wachsen – diese Früchte des Feldes. Uns Menschen zu Gute – zur „ Speise“ –, „Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde“ und „Bäume mit Früchten, die Samen bringen“ (1.Mose 1,29). So von Anbeginn versprochen. So wie es auch unser Psalm besingt: Brot, das das Herz stärkt, Öl, damit wir schön werden,
Wein, der unser Herz erfreut (Psalm 104,15).
Ja, wir können das so erleben: Wir werden satt von den Gütern seines Hauses. Gott tränkt uns mit Wonne – wie mit einem Strom (Psalm 36,9).
Schön, dass die Zeit der Ernte wieder von vielen als eine Festzeit erlebt und gefeiert wird.
Gottlob, Gott lässt etwas wachsen.
Gottlob, dass etwas wächst, wieder gewachsen ist. Auf dieser Erde.
Auch hier bei uns.
Trotz alledem.
Ich mag jetzt gar nicht daran denken und schon gar nicht weiter ausführen, wie unsere industrielle Zivilisation Ackerböden versiegelt, zubetoniert und asphaltiert, sie ausbeutet und sie ihrer Fruchtbarkeit beraubt. Und was für skandalöse Spottpreise landwirtschaftliche Erzeuger für ihre Früchte bekommen.
Nein, das ist mir zu abgründig jetzt. Das nicht an diesem Tag.
Darum zu wissen, ist allenfalls ein Grund mehr, jetzt – hier und heute – umso dankbarer zu sein, für diese wunderbare Erfahrung: dass überhaupt etwas wächst. Und das in voller Pracht. Sogar in Hülle und Fülle. Genug für alle. Immer noch. Wir müssen um Essen und Trinken keine Angst haben, so wenig wie die Spatzen, die bekanntlich der himmlische Vater ernährt. Und sogar ohne, dass sie etwas anbauen und beackern. Ja, „Der HERR ist mein Hirte, mir – und dir und uns – wird nichts mangeln“.
Liebe Festgemeinde,
auch in der Stadt spüren wir etwas von dieser Pracht der Ernte – auf Märkten an Gemüse- und Obstständen. Oder wenn wir nur ein paar Kilometer rausfahren, an den Stadtrand. Oder weiter raus aufs Land. Was wir da sehen und schmecken, das liefert keine Kühlkette und gibt kein verpacktes Fertiggericht her. Und ich für meinen Teil vermisse in solchen Momenten nicht wirklich Steaks und Schnitzel, Beefburger oder Bratwürste. Die unblutigen Früchte des Feldes haben für mich etwas Paradiesisches. Augenscheinlich. Aus sich heraus. Sinnlich erfahrbar.
So haben wir gute Gründe, Gott aus vollem Herzen zu loben.
Genau dazu ermutigt uns das Wort für diesen Festtag:
So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen,
das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen (15).
Unsere „Frucht der Lippen“ – unser Gotteslob – als Antwort auf die Ernte dieses Jahres.
Merkwürdige Früchte: und was noch querbeet wächst...
Dieses Jahr gilt mein Augenmerk besonders den sonderbaren Früchten. Ich meine die bizarr gewachsenen. Die nicht nur die Kinderkirchkinder faszinieren. Die Kleingärtner und Bauern schon mal fotografieren und als Foto an die Lokalzeitung schicken: Tomaten wie ein Herz, Kartoffeln mit Nasen, Möhren wie Menschenkörper. Schön, dass wir heute unter den Erntegaben solche haben.
Sie sind nicht uniformiert. Sie passen in keine Verpackung. Und viele genügen den verlangten, marktüblichen Qualitätsstandards nicht. Sie passen nicht ins Industrieformat, nicht in die DIN-Norm bzw. den EU-Normen von Lebensmitteln. Sie haben etwas Nichtindustrielles. Sie wachsen nicht so reguliert. Und sind deshalb nicht marktgängig und würden vermutlich aussortiert, ehe sie an einen Gemüse- oder Obststand kommen.
Klar, die einen oder anderen haben eine Macke – das kommt vor.
Ein Apfel oder eine Pflaume mit einem Schorf.
Aber sind sie nicht prächtig! In ihrer Art – und auf ihre Weise!
Ich finde es schön, dass auch große Handelsketten solche Früchte anbieten. Jedenfalls gab es zeitweise schon die eine und andere Kampagne mit der Werbung: „eigenwilliges Gemüse“. Es hieß: Die Kunden würden das gerne annehmen.
Die Uniformität der Früchte wird offenbar in Frage gestellt.
„Wohltun“ und „Mitteilen“
Bei Selbstvermarktern und Hofläden ist das in aller Regel so. Da fallen diese Sonderlinge nicht raus. Da gibt es oft Unförmiges, in allen Größen.
Wenn es nun darum geht, wie es in unserem Wort heißt – anderen wohlzutun und mit ihnen zu teilen – dann denke ich heute am Erntedankfest besonders an die, die hier bei uns in der Landwirtschaft Früchte des Feldes kultivieren. Wie können wir Betriebe in unserer Nähe unterstützen?
Es gibt Vermarktungswege, Hofläden, Stadt-Land-Partnerschaften und dergleichen.
Und seit geraumer Zeit auch eine Initiative, die das Wohltun und Teilen in besonderer Weise praktiziert. Die finde ich sehr bemerkenswert. Sie ist an etlichen Orten aktiv, unter der Bezeichnung SoLaWi, die Abkürzung für „Solidarische Landwirtschaft“. Hier wird nicht nur geliefert und gekauft. Hier sollen aus Konsumenten sogenannte „Prosumenten“ werden. Was soviel heißt wie: Die Kunden zahlen im Voraus, und die Landwirte liefern immer gerade das, was zur Zeit geerntet werden kann. Das sichert den Landwirten ein Einkommen – und die Verbraucher tragen das Risiko der Landwirte mit. Ein echtes Mit-teilen, denn hier werden Erträge und Risiken geteilt. Hier können Verbraucher auch beim Ernten mithelfen – mit Kind und Kegel.
Hier werden freilich sonderbare Früchte nicht gleich aussortiert.
Da wird wert geschätzt und verbraucht, was gewachsen ist.
Geraten oder missraten? Zu genießen oder weg damit?
Aber, liebe Gemeinde, dabei geht es im Grunde nicht nur darum, dass die Früchte verzehrt werden und nicht auf den Kompost kommen. Es geht dabei um mehr.
Im Umgang mit sonderbaren unnormalen Früchten kommt mehr zum Ausdruck. Ich denke, hier geht es auch darum, wie wir ganz generell auf Normales und Unnormales schauen.
Das berührt nicht zuletzt auch unsere Vorstellungen von geglücktem und gelungenem Leben – von Pflanzen, Tieren und Menschen.
Ob ich sonderbare, eigenartige Früchte als Missratene ansehe. Und nur darauf warte, dass Biologen Sorten züchten, die nur noch makellose Früchte hervorbringen.
Oder ob ich sage: krumm und quer und lecker. So herrlich duften und schmecken Tomaten mit einem Makel. So prächtig sind Äpfel, deren Schale nicht glänzt.
Und die alle hat Gott wachsen lassen – gepriesen sei der Allerhöchste!
So, liebe Gemeinde, wächst eine Achtung und Wertschätzung für das angeblich Makelhafte, für das Unperfekte, für Früchte und „Früchtchen“ aller Art.
Da sind wir ganz nah dran, an dem, was unser Wort sagt: „Gott durch ihn – nämlich durch Christus – loben“.
Der Verschmähte, Verstoßene, der Beschuldigte und Verachtete, der Geknickte und gering Geachtete – der ist wahrlich Gottes Sohn, der ist der wirkliche Mensch, den hat Gott nicht verlassen, den hat er erhöht – zu neuem Leben, zur Gemeinschaft mit ihm.
Unser Umgang mit den Früchten des Feldes ist wie ein Gleichnis für den Umgang mit unserem eigenen Leben.
An den sonderbaren Früchten erkenne ich: Ein Leben mit Macken ist reizvoll und wertvoll.
Und diese Macken sind nichts, was weg muss. Sie gehören zu unserem Leben. Zum Besonderen. Sie machen unser Leben aus.
Nehmen wir diese Seiten als gute Gaben Gottes an – so sehen wir uns als seine Früchtchen! So loben wir Gott, der uns so geschaffen hat mit allen Kreaturen.
Amen.
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