1. Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 2014)
Prälat i.R. Paul Dieterich, Weilheim a.d. Teck [Paul.Dieterich-online.de]
Lukas 2, 15-20
Engel - als Kultobjekte hoch im KursWas wäre gewesen, wenn die Hirten nicht nach Bethlehem gegangen wären? Wenn sie draußen geblieben wären auf den Feldern. Wenn sie miteinander diskutiert hätten, was für merk würdige Wesen eben noch da waren. Ob sie Flügel hätten oder nicht, ob sie männlich oder weiblich seien oder nichts von beidem? Von dieser Welt oder von einer anderen?
Die Hirten hätten auf dem Feld Steine zusammentragen und einen Altar bauen können. Sie hätten diesen Engeln kulten können. Vielleicht hätten wir das getan. Die Engel stehen ja derzeit als Kultobjekte hoch im Kurs. In unserer Studienzeit hätte der als ein wenig verschroben gegolten, der mit Engeln umgeht, und wäre zum Pfarrdienst nur bedingt geeignet gewesen. Aber die ihn damals belächelt haben, halten heute die üppigsten Engelwochen. So ändern sich die Zeiten und wir uns mit ihnen. Sehen wir uns vor, dass wir nicht das Christkind in einer Wolke von Engeln verstecken.
Aber die Engel, von denen die Bibel redet, dienen nicht als Kultobjekte. Sie sind Boten. Ein anständiger Bote verschwindet, wenn er seinen Auftrag erfüllt hat. Er bleibt nicht, um sich bewundern zu lassen. Die Boten weisen die Hirten nach Bethlehem, zu Jesus. Würden die Hirten jetzt nicht nach Bethlehem gehen, dann hätten sie das Christfest verpasst.
Aufbrechen nach BethlehemEs wird ihnen gar nicht leicht gefallen sein, die Herden im Stich zu lassen. Was kann da alles passieren. So wird es manchem von uns heute schwer fallen, einmal unser tägliches Geschäft hinter uns zu lassen und nicht an das zu denken, was uns umtreibt, was uns verletzt, was unerledigt ist, was uns Tag und Nacht gefangen nimmt.
Aber wozu dann das Christfest? Wozu „0 du fröhliche“, wozu Weihnachtsbaum und Lametta, wenn wir hocken bleiben in unseren festgefrorenen Ansichten und Gefühlen, in unseren Sorgen und Ängsten, in unserer gesammelten Verzagtheit? Wenn wir die Engelsbotschaft hören aber uns keinen Zentimeter bewegen lassen, heraus aus den Löchern, in die wir uns eingegraben haben? Dann geht auch dieses Christfest aus wie das Hornberger Schießen. Viel Lärm um nichts.
„Lasst uns nun gehen nach Bethlehem", lass die Schafe hinter dir. Auch du Pfarrer. Geh selbst zu Jesus Christus. Geh voraus. Andere werden dir folgen.
„Sie kamen eilend". In Carl Orffs „Weihnachtsgeschichte" hört man so richtig, wie sie über alle Hürden springen. Oder in dem Lied „Kommet, ihr Hirten".
Maria und JosefWahrscheinlich haben sie Josef todmüde gefunden. Es wird heute Nacht unruhig gewesen sein. Und die Tage vorher, das Betteln um ein Nachtquartier, war auch nervig. Und all die Angst. Je älter ich werde und je öfter ich über dem Schreibtisch einschlafe, desto mehr verstehe ich, dass die alten Maler die Jünger so oft schlafend malen. Die Helden sind müde. Aber während wir todmüde sind, tut Gott das Entscheidende.
Und Josef? Ein katholischer Prälat sagte einmal, wenn er sehe, wie die Christenheit mit Josef umgehe, komme der ihm vor wie eine Hintertreppenfigur der Heilsgeschichte. Er zitierte dagegen den Pater Alfred Delp: Der dienstwillige Gehorsam, das sei Josefs Gesetz. „Die dienstwillige Bereitschaft, das ist sein Geheimnis."
Doch er ist nicht der große Täter, wenn Gott sein Werk tut. Mit Recht schreibt Karl Barth: Männer machen Geschichte, sage man. Und sie sehe danach aus. Unheilsgeschichte. Wenn Gott seine Heilsgeschichte voranbringe, da könne Josef allenfalls die Laterne halten. Den aktiven Teil der Menschheit lasse er da außen vor. Er könne da nur den passiven Teil brauchen, der sagt: „Mir geschehe ..."
Und Maria. Sie ist nicht die Hauptperson der Heilsgeschichte. Sie wird im Neuen Testament auch nicht zur „Himmelskönigin". Sie ist „des Herrn Magd", die an sich geschehen lässt, was sie nicht versteht und was sie in große Nöte bringt. Und sie lernt es zu vertrauen. So wird sie die große Schwester derer, die schlicht glauben.
Im Stall kommt Gott in seine WeltDie Mitte der Heilsgeschichte ist dieses ganz normale Kind, das da ohne Glanz und Gloria in der Futterkrippe liegt, weil sie unterwegs keine Wiege hatten. Gott wird einer von uns. Ganz unten kommt er in seine Welt, im Stall.
Für manchen von uns ist das sehr tröstlich. Das, was wir unsere Seele nennen, haust oft nicht im wohlaufgeräumten bürgerlichen Salon, sondern da, wo die Ratten rascheln, im unordentlichen Stall. Wer sich so empfindet, der soll wissen: Gott ist dir ganz nah. Gott ist bei dir.
Das Kind in der Krippe ist der Mann, der uns vorausgehtVergessen wir nicht: Aus diesem Kind wird der Mann Jesus, der Konflikt bringt, der uns zur Entscheidung ruft, der für uns ans Kreuz geht. Er ist nicht das Herrgöttle im Westentaschenformat, das nur holdselig lächeln und sonst kein Wasser trüben kann. Es geht um den, der alles verkörpert, was uns retten kann aus all den Sklavereien, mit denen wir uns und anderen das Leben beschädigen. Es geht für uns selbst um Sein oder Nichtsein, Leben oder Tod. Ihn verkennen heißt das eigene Leben missachten, ihn erkennen und lieben, heißt das eigene Leben lieben. Es geht um mehr als das bisschen Christkindlromantik und Weihnachtswehmut.
Gott klopft leise anDarum geht es, dass wir selbst vor dem Kind knien, dass wir vor ihm alles niederlegen, „was uns quält, was uns fehlt", und dass wir ihm zutrauen, dass er uns zum Leben führt. Gott klopft bei uns leise an. Vielleicht hätten wir lieber einen „Allmächtigen", der uns zu unserem Glück zwingt. Der mit psychischer Gewalt seine Wahrheiten „durchstellt". Aber so ist er nicht. Er klopft leise bei uns an wie eine Kinderhand. An einer Tür, die nur innen eine Klinke hat.
Mit leeren Händen vor dem KindDie Hirten galten als grobe, ungebildete Leute. Aber sie haben im Stall etwas gespürt vom Wunder der Gnade Gottes. Sie haben durch alle Ärmlichkeit hindurch die Herrlichkeit Gottes gesehen. Sie haben die Macht gespürt, die ohne Druck und Zwang erlöst zum Freiheit der Kinder Gottes.
Ich denke nicht, dass sie dem Kind etwas mitgebracht haben. In unseren Krippenspielen überbieten wir uns, indem wir den Hirten allerlei Geschenke mitgeben. Das ist unsere Phantasie, die nicht mit leeren Händen dastehen will. Aber die Hirten standen offenbar mit leeren Händen vor der Krippe Jesu. Wie auch wir mit leeren Händen vor ihm stehen. Er kann nur leere Hände und Herzen füllen.
Sie „breiten" das Wort ausDie Hirten haben dann das Wort „ausgebreitet", das zu ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Sie wollen es nicht für sich behalten. Es betrifft alle Menschen. Die mögen den Kopf schütteln, mögen sich wundem. Sie „breiteten" das Wort aus. Schon dieser Ausdruck „ausbreiten" lässt ahnen, dass es nicht fruchtlos bleiben würde.
Noch einmal: Maria und die HirtenMaria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. So wäre ich gern. So wären wir gern als Gemeinde: Menschen, die diese Botschaft im Herzen bewegen. Die alles von ihr her bedenken wie Maria. Es liegt ein Glanz über dieser Schwester des Glaubens. Von ihr, mit ihr, an ihrer Seite können wir glauben lernen. Maria, die Begnadete. Auch wenn ihr ein Schwert durch die Seele dringen wird. Sie wird ausharren können unter dem Kreuz.
Und die Hirten? Sie gehen zurück an ihre Arbeit zu ihren Herden. Und sie loben Gott. Gewiss auch mit Liedern. Vor allem aber mit der fröhlichen Art, mit der sie unverzagt ihre Arbeit tun. Und wenn sie nachts unter den Sternen einschlafen, wissen sie: Wir kämpfen nicht auf verlorenem Posten. Wir sind so wenig verlassen wie der Erzvater Jakob. Der Himmel über uns ist offen. Gott ist für uns und Gott ist mit uns. So können wir nachts ruhig schlafen und tags beharrlich arbeiten. Voller Hoffnung.
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