Altjahresabend (31. Dezember 2014)

Autorin / Autor:
Prof. Dr. Thomas Knöppler, Kulmbach [th.knoeppler@lmu.de]

Lukas 12, 35-40

Liebe Gemeinde!
Am Ende des Jahres sind wir hier zusammengekommen, liebe Gemeinde, um vor dem Angesicht Gottes innezuhalten. Wir blicken zurück, erinnern uns und bewerten das, was gewesen ist. Dabei fallen uns erfreuliche und beschwerliche Begebenheiten ein. Aus ihnen erwachsen uns Sorgen und Hoffnungen für das kommende, das neue Jahr. Wir schmieden Pläne und gute Vorsätze.
Von besonderer Bedeutung sind die Beziehungen, in denen wir leben. Wir sind verbunden mit Verwandten und Bekannten, mit Nachbarn und Freunden. Bei einigen treten Lehrer und Schüler hinzu oder Vorgesetzte und Untergebene. Manche Beziehungen haben sich im vergangenen Jahr entwickelt, bei anderen ist ein Stillstand eingetreten, wieder andere sind an ein Ende gelangt.
Zu unseren Beziehungen gehört auch der Glaube. Durch ihn sind wir mit dem dreieinigen Gott verbunden. Jesus ist unser Herr; (zu) ihm gehören wir. Er hat versprochen, dass er kommt. Auf seine Ankunft sollen wir warten. Für ihn sollen wir wach bleiben. Für sein Kommen sollen wir bereit sein. Es ist gut, wenn wir ein wenig innehalten und uns darauf besinnen.

SehenMit unserem Predigtwort treten wir ein in die Bilderwelt eines Gleichnisses. Ein Haus wird uns vorgestellt und Knechte darin. Aber der Hausherr ist abwesend. Ein Gleichnis von einem Herrn und seinen Knechten beziehen wir ungern auf uns selbst. Niemand ist gern ein Knecht. Wir wollen frei sein. Dies war jedoch die gesellschaftliche Situation zur Zeit Jesu und weit darüber hinaus. Wie wir aber später hören, ist das Gegenüber von Herr und Knecht kein letzter Gegensatz. Wir sollten uns daher auf das Bild einlassen.
Daneben erscheint das Bild von einer Nacht. In ihr soll der Herr zurückkommen. Um des Herrn willen ist von den Knechten die Rede. Sie sollen umgürtet, also ordentlich angezogen sein. Licht soll auch brennen als Zeichen dafür, dass der kommende Herr erwartet wird. Diese Nacht ist also nicht eigentlich zum Fürchten, wohl aber zum Wachen.
In der Ferne wird zudem ein Fest gefeiert: eine Hochzeit. Der Hausherr dürfte, wenn er zurückkehrt, jedenfalls gute Laune mit ins Haus bringen: das Gefühl tiefer Befriedigung, die Empfindung eines umfassenden Wohlseins. Guter Dinge klopft er an. Frohgemut tritt er ein. Die Aufforderungen haben das Ziel, dass die Knechte wach sind, damit sie die Tür öffnen, damit er nicht vergeblich klopft, damit seine frohgemute Stimmung nicht verdorben wird. Die Bilderwelt des Gleichnisses malt vor Augen, worauf es ankommt im Leben.

WartenWenn der Herr zu seinen Knechten und Mägden kommt, dann erwartet er von ihnen, dass sie ihn als freundlichen Herrn erwarten. Dabei geht es keineswegs nur darum, dass sie bei seiner Ankunft wohlgestimmt sind. Die Rückkehr des Herrn hat zur Folge, dass sie von versklavten Knechten zu freien Herren werden.
Kommt der Herr mitten in der Nacht nach Hause, müssen seine Knechte ihm aufwarten. In der Regel wird er von ihnen zu Bett geleitet. Nicht so dieser Herr. Er tut etwas für einen Herren gänzlich Unübliches. Dieser Herr ist nach seiner Rückkehr ganz für seine Knechte da. Er nimmt selbst die Position eines Knechts ein, um seine Knechte zu Tisch zu geleiten. Und sie dürfen sich nun wie Herren seinen Tischdienst gefallen lassen.
An diese Szene erinnern zwei Strophen, die wir an Weihnachten gesungen haben: "Er äußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding, der Schöpfer aller Ding. ... Er wird ein Knecht und ich ein Herr: das mag ein Wechsel sein! Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein, das herze Jesulein!" (EG 27,5). Es ist der ausgesprochen freundliche Herr, der auf diese Welt kam, um uns Menschen zu dienen.
Dieser Herr – Jesus Christus – wird erneut kommen: aus Gottes festlicher Welt zu uns. Auch wenn es schon spät geworden ist, sollten wir auf ihn warten. Denn der Herr Christus bringt die himmlische Festfreude mit. Von eben dieser Freude werden die Seinen ergriffen, wenn er sie an seinen Tisch einlädt.

WachenZweimal werden diejenigen Knechte selig gepriesen, die beim Kommen des Herrn wach sind. Ihnen wird damit das Heil zugesprochen. Denn der kommende Herr ist in ihnen lebendig. Er hält den Glauben wach.
Zunächst ist die Beobachtung wichtig, dass es im Zusammenhang unseres Predigtwortes nicht in erster Linie um den einzelnen Christen geht. Die Jünger sind angesprochen und damit die Kirche als ganze. Eine schlafende Kirche ist zwar verständlich: Es ist schon nach Mitternacht, und Jesus Christus kommt ja erst noch. Eine schlafende Kirche ist gleichwohl unerträglich. Denn sie droht, die Wiederkunft Christi zu verschlafen.
Die Kirche soll angesichts des noch ausstehenden Kommens Christi wach bleiben. Die Frage ist, was sie wach hält. Es sind nicht die immer neuen Programme und Projekte. Es ist auch nicht die stete Arbeit an Erklärungen, die in die Gesellschaft hineingegeben werden – so sinnvoll das alles erscheinen mag. Die Kirche bleibt dadurch wach für ihren Herrn, indem sie hofft und seufzt und glaubt. Und indem sie in die urchristliche Bitte einstimmt: "Unser Herr, komm!"

Schlafen?In Hinsicht auf die Aufforderung zum Wachen sind Missverständnisse auszuräumen. Diese Aufforderung bedeutet keineswegs, dass wir uns in Erwartung des Herrn keinen Schlaf mehr gönnen. Der Schlaf ist ein Gottesgeschenk: eine Wohltat. In ihm verarbeitet jeder von uns das eigene Erleben und schöpft neue Kraft.
Auch ist hier keineswegs der Kirchenschlaf im Blick, so sehr dadurch auch das Hören des Wortes Gottes beeinträchtigt wird. Ich denke an einen Gottesdienst am Altjahrsabend zurück, an dem das Wachen Thema der Predigt war. Ein entlassener Strafgefangener saß im hinteren Teil der Kirche. Während der Predigt nickte er ein und gab schließlich gleichmäßige Geräusche von sich. Der zwei Reihen vor ihm sitzende Büroleiter eines Notariats fragte sich: "In welche Gesellschaft bin ich hier hineingeraten?" und distanzierte sich seitdem von der Kirche. Ist das Schlafen während des Gottesdienstes ein Vergehen?
In einem anderen Gleichnis Jesu (Mt 25,1-13) haben nicht nur die fünf törichten, sondern auch die fünf klugen Jungfrauen geschlafen. Das, was die klugen auszeichnete, war, dass sie für das späte Erscheinen des Bräutigams vorgesorgt hatten. So auch hier: In Hinsicht auf das Kommen des Herrn sollen wir wach bleiben. Das schließt einen vorübergehenden Schlaf nicht aus. Wichtig ist aber, dass die Erwartung des kommenden Herrn lebendig und wach bleibt.

Bereit seinDie fünf klugen Jungfrauen waren bereit für das Kommen des Bräutigams. Sie hatten vorgesorgt für den Zeitpunkt seiner Rückkehr. Als seine Ankunft ausgerufen wurde, entzündeten sie ihre Lampen, und so erwarteten sie ihn. Der Bräutigam nahm sie daraufhin mit in den Festsaal, in dem Hochzeit gefeiert wurde.
Ein anderes, weit weniger festliches Bild tritt uns am Ende unseres Predigtwortes entgegen. Es ist dort die Rede von einem Dieb, der unversehens ins Haus einbrechen könnte. Der Hausbesitzer weiß freilich nicht, wann der Zeitpunkt des Einbruchs sein wird. So kann er auch keine auf dieses Ereignis abgestimmten und damit zeitlich begrenzten Vorkehrungen treffen. Er muss dauerhaft auf der Hut sein. Oder er sagt sich: Ich lebe schon so lange in meinem Haus. Noch nie ist ein Dieb eingebrochen. Mein Haus ist für Diebe uninteressant.
Ähnlich gestaltet sich die Situation beim Kommen des Menschensohnes. Wann Jesus wiederkommt, das weiß Gott allein. Und die Zeitdauer, die seit seiner Ankündigung der Wiederkunft schon vergangen ist, macht uns zu schaffen. Sie verleitet uns womöglich zu der Ansicht, dass da keiner mehr kommt. Und in dem Fall wären wir nicht bereit, wenn er dann doch erscheint.
Es ist aber der Menschen- und Gottessohn, der seine Wiederkunft ankündigt. Ihm dürfen wir trauen. Und mit diesem Ereignis ist es wie mit dem Weihnachtsfest, das kräftig in die Adventszeit hineinstrahlt: Schon jetzt wird die irdische Zeit der Kirche vom Ereignis des Wiederkunft Christi beleuchtet. Wer das glaubt und darauf hofft, der wird bereit sein für den kommenden Christus.

HoffenVon da aus fällt ein Licht auf das Jahr, das heute Abend seinen Abschluss findet. Es war zwar erneut ein Jahr, in dem wir vergeblich auf die Wiederkunft Christi gewartet haben. Aber es war doch auch ein Jahr, das wir im Licht des kommenden Christus betrachten und bewerten dürfen.
Die Hoffnung auf das Erscheinen des Menschen- und Gottessohnes weist den Erfahrungen des vergangenen Jahres ihren Platz zu. Freude und Leid, Sorgen und Wünsche haben uns zu schaffen gemacht. Und diese geschundene "Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast" (EG 11,5) hat uns nicht wenig beschäftigt. Aber das Licht der Ewigkeit, das von Jesu Kommen her in unsere Zeit hineinstrahlt, ordnet Letztes und Vorletztes.
Das ist unsere Hoffnung: Jesus Christus wird erneut aus Gottes Welt in unsere Welt kommen. Und er ist dabei, etwas aus uns zu machen. Menschen, hineingezwängt in ihre Umstände und Verhältnisse, werden zu freien Bürgerinnen und Bürgern des Reiches Gottes. Wer immer sich für einen hoffnungslosen Fall hält, darf aufatmen. Denn der kommende Menschen- und Gottessohn wird uns zu Diensten sein. Das hat er bereits zu irdischen Lebzeiten getan. Und er hört damit nicht auf.
Dieser kommende Herr ist es wert, dass wir wach bleiben, auf ihn warten und bereit sind für ihn. Und gegen alle Hoffnungslosigkeit seufzen wir und bitten ihn: "Amen, ja, komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20b).

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)