2. Weihnachtsfeiertag (26. Dezember 2014)
Johannes 1, 2-5; 1, 9-14
Liebe Gemeinde,
zweiter Weihnachtsfeiertag, das heißt: Langsam neigt sich auch dieses Weihnachtsfest seinem Ende zu. Die Bescherung ist vorüber, das Festessen auch. Fast schon vergessen all die Vorbereitungen – vielleicht bleibt noch Zeit für einen Besuch heute Nachmittag. Und morgen hat uns dann der Alltag wieder.
Doch, natürlich: Wir haben sie wieder gesehen, die vertrauten Bilder von Krippe und Stall. Wir haben sie wieder gehört, die Geschichte von den Hirten und den Engeln, von Maria und Josef. Und wir haben sie wieder gesungen, die Lieder vom Kind in der Krippe.
Was wird uns von all dem bleiben, was bleibt von Weihnachten? Um diese Frage geht es dem Evangelisten Johannes, wenn er uns das Weihnachtsgeschehen noch einmal in einer ganz anderen Weise vor Augen stellt. Nicht nur sehen sollen wir, hören und singen, sondern auch verstehen und begreifen, ja annehmen. Ich lese aus dem Anfang des Johannesevangeliums:
(Text Johannes 1,1-5.9-14)
Mit dem Anfang beginnt die Geschichte„Im Anfang war das Wort“ – so beginnt Johannes seine Weihnachtsgeschichte. Und was für uns beim ersten Hören verwirrend klingen mag, das spannt doch einen ungeheuer weiten Bogen: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.... Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht“ (Verse 1.3a).
Bis an die Grenzen unseres Denkens werden wir mit diesen Worten geführt. Und noch weit darüber hinaus: Es geht zurück an den Anfang der Welt. Dorthin, wo alles begonnen hat. Dorthin, wo Gott einen Anfang setzt, indem er spricht. Indem er durch sein Wort die Schöpfung ins Leben ruft. In-dem er nicht für sich bleibt, sondern das All entstehen lässt, vielfältig und schön: Himmel und Erde, Land und Meer, Pflanzen und Tiere, Licht in der Welt und Leben. Und inmitten von allem: den Menschen, Teil der Schöpfung und doch Gottes Gegenüber.
„Ohne das Wort ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (Vers 3b). Mit diesen Worten erinnert uns Johannes an die ersten Seiten der Bibel, auf denen wir lesen: Gott sprach und es ward, Gott sprach und es geschah. Wie anders ist das als bei uns: Wo Gott spricht, da geschieht etwas, da steht er voll und ganz hinter seinem Wort.
Nähe statt FerneDieser Gott und sein Wort, mit dem die Welt und wir Menschen es immer schon zu tun haben, kommt uns nun, so sagt Johannes, an Weihnachten noch einmal in völlig ungeahnter Weise nahe: „Und das Wort ward Fleisch, es wurde Mensch, und wohnte unter uns“ (Vers 14).
Auch die kühnste menschliche Phantasie reicht nicht aus, um dieses Ereignis zu erfassen: Gott wird Mensch, in Jesus Christus kommt er zu uns.
An Weihnachten selbst, in Stall und Krippe, ist das ja noch kaum zu ahnen. Aber je mehr die Menschen von Jesus von Nazareth, je mehr sie von seinem Leben gesehen haben, desto offensichtlicher wurde das Geheimnis seiner Person: Dieser eine, dieser eine ist wirklich anders als alle anderen. In unerhörter Vollmacht spricht er vom Willen Gottes und von Gottes Liebe zu uns Menschen. Und er lebt diese Liebe. Auf den Straßen Palästinas legt er sie aus in Wort und Tat.
Zuerst sind es die Elenden und an den Rand Gedrückten, die spüren: In der Nähe dieses Menschen ist man dem lebendigen Gott nahe. Durch ihn spricht Gott selbst zu uns. Das Wort Jesu ist wie das Wort des Schöpfers selbst: Kranke werden heil, Sündern wird vergeben.
Eine ungeheure Kraft hat dieses Wort. Es zieht die Menschen an, es lockt sie heraus aus der Dunkelheit ins Licht, Zachäus und Nikodemus, die Frommen und die Unfrommen, alle, die sich ziehen lassen.
Wen Schuld quält, wen Sorge nicht schlafen lässt, wem Angst alle Freude nimmt, Jesus befreit und erfüllt mit nie gekannter Hoffnung. Und das Leben kann noch einmal beginnen. Wirkliches Leben. Erfülltes Leben. – So, wie Johannes es sagt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit“ (Vers 14).
Und wir, wir ahnen, welche Liebe zu uns Menschen hinter all dem stecken muss. Wir ahnen, was wir ihm wert sein müssen, dass er so zu uns kommt, um für uns erreichbar zu sein. Martin Luther sagt: „Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der von der Erde bis an den Himmel reicht.“
Gottes Not bei seinen MenschenSo kam Gott zu uns, so kam er in sein Eigentum. Und alle Welt könnte, ja müsste sich freuen. Müsste jubeln vor Glück.
Und mit einem Mal stehen wir vor dem Erschütternden, das auch zu Weihnachten nicht verschwiegen werden kann: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf“, schreibt Johannes (Vers 10). „Er kam in die Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht“ (Vers 11).
Schon damals in Bethlehem, gleich am Anfang, war es so gewesen. Keinen Platz gab es für ihn in der Herberge. Kein Platz war für ihn auch am Ende in Jerusalem. Pilatus und Kaiphas, staatliche Macht und religiöse Herrschaft, sie drängten ihn heraus aus der Welt, brachten ihn ans Kreuz. Kein Platz war für ihn in den Herzen der Masse, die mit Anderem beschäftigt war.
Und wir, die wir sein Kommen feiern, was tun wir mit ihm? Nehmen wir ihn wirklich auf? Oder sind auch bei uns schon alle Freiräume belegt? Besetzt mit Terminen und Verpflichtungen, mit Sorgen und eigenen Vorstellungen vom Leben? So besetzt, dass wir im Grunde auch nicht mehr für ihn haben als die Krippe damals? Ein Plätzchen am Rande, wo er besser nicht stört?
Manchmal könnte man sich fragen, ob hinter unserem Bestreben, alle Lebensbereiche restlos auszufüllen, nicht ein merkwürdiges Ausweichen steckt. Ein Ausweichen vor ihm, der auch bei uns in sein Eigentum kommen will.
Johannes spricht das sehr direkt an: „Das Licht scheint in der Finsternis, aber die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (Vers 5). Menschen, sagt er, fassen, ergreifen, begreifen das Licht nicht. Merkwürdig, aber sie lieben das Dunkel mehr als das Licht. Auch wenn sie wie in einer dunklen Höhle leben, in sich selbst verkrümmt, sie scheuen das Licht. Sie scheuen das Licht und wissen auch warum: Al-les, was sie denken, planen und tun, es würde sichtbar in diesem Licht. Und so können sie nicht glauben, dass das Licht auch ihnen Befreiung brächte.
„Die Finsternis hat’s nicht ergriffen, die Welt erkannte ihn nicht“ (Vers 11). – Wenn das das letzte Wort wäre, bliebe uns von Weihnachten nichts. Wir blieben eingeschlossen in unserer Welt mit ihren Dunkelheiten. Wir blieben unter uns, eine „geschlossene Gesellschaft“.
Gottes Kind und Gottes KinderDoch im selben Atemzug hören wir nun zum Schluss etwas ganz Anderes. Ein großartiges Versprechen, das uns gegeben wird. Johannes schreibt: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (Vers 12).
Denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Keine Macht der Welt kann das. Keiner von uns kann das machen. Niemand macht sich selbst zum Kind. Menschenkinder werden wir, zum Leben kommen wir durch unsere Eltern. Gottes Kinder werden wir, ins Licht des Lebens kommen wir durch das Wort des Vaters, der uns liebt. Verdienen können wir es nicht. Nur annehmen, aufnehmen, was er uns schenkt. Seine Kinder werden durch das, was er an uns tut, was er für uns tut: Er kommt zu uns.
Seht, liebe Gemeinde, das ist Weihnachten: Die Hände aufhalten und sich beschenken lassen. Gott gegenüber können wir überhaupt nichts weiter tun, als uns von ihm beschenken lassen.
Und die sich beschenken lassen, machen überreiche Erfahrungen. Sie merken, wie sie immer mehr glauben lernen (Vers 12). Das neue Leben ist wirklich wie eine neue Geburt (Vers 13), wie ein großes Wunder, das nicht aus unserer menschlichen Kraft zustande gekommen ist. Wir sehen Jesus auf einmal nicht mehr bloß von seiner irdisch sichtbaren Seite, sondern von seiner verborgenen Herrlichkeitsseite.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Wozu bin ich eigentlich in dieser Welt? – Manchen plagt das Dunkle dieser Frage, vielleicht gerade an einem einsamen Weihnachtsfest. Dazu bist du da, lässt Gott dir an Weihnachten sagen, um mein Kind zu sein, Gottes Kind, erhellt von meinem Licht, erfüllt von meinem Leben.
„Du magst alle anderen großen Verheißungen durchgehen“, sagt Martin Luther, „du findest keinen Spruch wie diesen. Man muss ihn mit goldenen Buchstaben schreiben.“
Was bleibt?Was bleibt uns von Weihnachten? Dass wir Gottes Kinder werden, das macht Weihnachten möglich. Und wann immer wir ja dazu sagen, dass wir Gottes Kinder sein wollen und er unser Vater, ist Weihnachten. Nicht nur im Dezember. Nicht nur alle Jahre wieder. Sondern alle Tage wieder. Das schenke uns allen der dreieinige Gott.
Amen.
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