11. Sonntag nach Trinitatis (31. August 2014)
Pfarrerin Bärbel Koch-Baisch, Schwäbisch Hall [Baerbel.Koch-Baisch@diakoneo.de]
2. Samuel 12, 1-15
Liebe Gemeinde,
Krimis sind scheinbar zeitlos attraktiv. Zum Wochenend-Fernsehprogramm gehören sie ebenso wie zur Urlaubslektüre. Zeitschriften bemühen sich um Kurzkrimis und Fernsehanstalten um Serienkrimis. Es muss eine eigene Faszination von dieser Gattung „Krimi“ ausgehen, dass sie eine solch durchgehende Attraktivität besitzt.
Vielleicht kommt diese Faszination daher, dass wir beim Krimi sozusagen zuschauen bei einem Geschehen, das das Böse in der Welt zeigt: Täter und Opfer. Und das so, dass irgendwann alles wieder ins Lot kommt. Das Schöne am Krimi ist doch, zuzusehen, wie der Täter gefasst wird. Auch zu erfahren, was ihn zu seiner Tat getrieben hat. Und insgeheim festzustellen, dass wir selbst da nicht drin vorkommen. Wir sind weder so schlimm wie die Täter, noch geht’s uns so schlecht wie den Opfern.
So handeln Krimis von dieser Welt und lassen uns doch außen vor. Sie behandeln die Welt, so dass sie wieder in Ordnung kommt, und lassen uns selbst doch in Ruhe. Das ist das letztlich Angenehme an der Zuschauerrolle beim Krimi. Es scheint, als hätten dies auch schon die Menschen vor zweieinhalbtausend Jahren gewusst. Die, die die Texte im zweiten Samuelbuch aufgeschrieben haben. Denn hier wird vom König David erzählt wie in einem Krimi. Ein Krimi mit Überraschungen sozusagen.
König David begeht Ehebruch
Da werden wir zunächst Zeugen eines Vergehens. König David begeht Ehebruch. Er sieht eine Frau, Bathseba mit Namen, und begehrt sie. Er, der an seinem Hof schon viele Frauen hat, will sie, die ihrerseits verheiratet ist. Und es kommt zum Ehebruch, mit Folgen. Bathseba ist schwanger.
Nun können wir mitverfolgen, wie sich die Spirale des Übels dreht. David gerät immer tiefer ins Unheil. Denn nun gilt es, den Ehemann Bathsebas, Uria mit Namen, auszuschalten. David benutzt dazu Macht und Intrigen. Ein Hauptmann erhält die geheime Order, Uria in einem besonders gefährlichen Kampf in die erste Reihe zu stellen. Und wie zu erwarten – der Plan geht auf. Uria kommt in den Wirren der Schlacht um.
Mit innerer Empörung erleben wir die Durchtriebenheit des David mit. Der große König – was für ein Rechtsbrecher und Übeltäter! Und wie verfahren seine Situation, in der eine Untat die nächste nach sich zieht, eine Vertuschung die nächste Intrige erfordert.
Und dann sieht es doch tatsächlich so aus, als ob David damit durchkommt. Uria ist tot, und Bathseba zieht an Davids Hof. Oder muss sie an Davids Hof ziehen? Ungerechterweise schweigt sich hier der biblische Text aus.
„Aber dem HERRN missfiel die Tat“
Doch dann – und wir Krimi-Zuschauer stellen das mit Befriedigung fest – schaltet sich die höhere Instanz ein. Aber dem Herrn missfiel die Tat, die David begangen hatte - heißt es im Bibeltext (11,27). Also die Rechnung des Übeltäters geht nicht auf. Gott selbst interveniert. Beziehungsweise lässt intervenieren. Er schickt seinen Propheten Nathan zu David. Jetzt kommt die Überführung, denken wir in unserer Zuschauerrolle. Spannung kommt auf.
Und fast gar genüsslich werden wir Zeuge davon, wie Nathan dem David sozusagen eine Falle aufbaut. Denn wir wissen, worum es geht. David nicht. Er meint, Nathan komme mit einem ganz normalen Rechtsproblem zum König. Und wir hören, wie Nathan sagt:
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war (12,1b-4).
Und dann schnappt die Falle zu. Ohne dass David es merkt. Wir lesen:
"Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der Herr lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes verschont hat" (V 5+6).
David spricht sich selbst das Urteil. Voller Genugtuung können wir uns zurücklehnen. Jetzt kommt die Sache wieder in Ordnung. Jetzt muss nur noch die höhere Instanz das Urteil vollstrecken.
Und da hören wir auch schon die Überführung:
"Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!" (V 7a).
Es schließt sich an, was wir erwartet hatten. Die Einleitung zur Strafverkündigung:
"So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hethiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter" (V 7b-9).
Also ereilt den Übeltäter doch noch die gerechte Strafe. Die Krimi-Zufriedenheit stellt sich ein: So wie David sind wir nicht. Und so wie Bathseba ergeht es uns nicht. Ganz so schlecht stehen wir also nicht da, und insgesamt kommt die Welt wieder ins Lot, Gott sei Dank.
Doch die Strafe ist „unbefriedigend“
Doch halt – die Zufriedenheit war vorschnell. Denn die Strafe ist unbefriedigend. Da wird angedroht:
"Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hethiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei" (V 10).
Nichts mehr von der Strafe, die David selbst gefordert hatte: "Der Mann ist ein Kind des Todes" (V 5). Und nach den Gesetzen steht ja auch auf Mord die Todesstrafe. Aber hier wird nur das Schwert im Hause angekündigt, also gewalttätige Streitereien innerhalb der Familie um die Thronnachfolge.
Und ebenso störend für die Krimi-Zufriedenheit der zweite Strafspruch:
"So spricht der Herr: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei ihnen liegen soll an der lichten Sonne" (V 12).
Auf Ehebruch steht doch auch die Todesstrafe. Und jetzt nur dies: Der Harem wird dem David geraubt werden. Die ganze Krimi-Zufriedenheit bricht in sich zusammen, bzw. sie wird aufgebrochen. Dass Gott hier Gnade vor Recht ergehen lässt, passt nicht. Es stört direkt. Und regt deshalb zum Nachdenken an.
Und dann geht das Gespräch vollends verblüffend weiter:
"Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde hinweggenommen; du wirst nicht sterben" (V 13).
Der Übeltäter gibt alles zu! Wo gibt’s denn das: dass ein Politiker von Rang klipp und klar seine Fehler zugibt. Und nicht nur bei Politikern ist das eine Rarität. Zudem fällt auf, dass David von Sünde gegenüber Gott spricht. Sein Vergehen gegen Bathseba und Uria wird in einen ganz neuen Kontext gestellt: Das Vergehen unter Menschen ist zugleich ein Vergehen gegen Gott.
Und dann dieses für einen Krimi völlig überraschende Wort des Nathan: "So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben." Mit diesem Ausgang ist die Krimi-Zufriedenheit vollends verflogen. Nichts ist mehr im Lot. Das muss alles erst einmal überdacht werden.
Womit die Schreiber dieses Textes am Ziel wären. Es ist ihnen wahrhaft gut gelungen: Die Begebenheit von David so zu erzählen, dass sie einen packt bei der Neugier der Krimi-Zuschauer. Und dann mit der überraschenden Wendung zum Nachdenken anzuregen. Dieser Krimi lässt uns doch nicht außen vor. Er lässt uns auch nicht in Ruhe, sondern er nimmt uns mit hinein.
Gottes Gnade und die Freiheit Davids, Schuld zuzugeben
Da kommt der Gedanke auf: Es wäre eigentlich ganz gut, uns könnte es einmal ergehen wie David. Dass wir befreit werden davon, Schuld immer abstreiten zu müssen. Dass wir befreit werden davon, zu verdrängen, zu vertuschen, zwanghaft das Gesicht zu wahren. Dass wir frei werden, zuzugeben, wo wir auf Abwegen sind, um neu anfangen zu können.
Wie war das bei David möglich? Dreierlei kam da zusammen:
Zuerst wurde, was trennend zwischen Menschen steht, vor Gott gebracht. Beziehungsweise Gott selbst öffnet die Augen dafür, wie wir vor ihm dastehen. Was wir einander antun, kommt vor Gott in den Blick. Erst diese neue Sichtweise macht Veränderung möglich. Denn sonst bleibt der Blick haften allein bei dem, was einer dem anderen angetan hat. Der Kreislauf, in dem sich Menschen unerbittlich ihre Schuld aufrechnen, einander verächtlich machen und Vergeltung einfordern – dieser Kreislauf wird nicht durchbrochen.
Aber Nathan sagt: "Warum hast du das Wort des Herrn verachtet, dass du getan hast, was dem Herrn missfiel?" (V 9). Er sagt nicht: „Warum hast du Bathseba und Uria Unrecht zugefügt?“ Das Getane wird damit in eine neue Dimension gerückt. Es wird dadurch nicht weniger schlimm, nicht weniger belastend. Aber es wird in einer Dimension gesehen, in der auch anderes möglich ist als Aufrechnen, Vergelten und Verachtung. Diese Sichtweise vor Gott ist das eine, was dazu befreit, Schuld einzugestehen und neu anfangen zu können.
Ein Zweites kommt hinzu: Gott zeigt, dass er nicht aufrechnet. Er sieht Schuld, er kennt auch ihr Gewicht und weiß um ihren Schaden. Aber er rechnet nicht auf. Er kann und will gnädig sein. Bei David hat er Gnade vor Recht ergehen lassen. Und wer die Bibel liest, erfährt, dass er auch bei uns Gnade vor Recht ergehen lassen will. Denn im Kern ist doch das die Botschaft: dass Gott denen gnädig ist, die vor ihm im Unrecht sind. Dass er denen, die sich vor ihm verschließen, neu das Leben eröffnet. Dass er denen, die verhärtet sind gegenüber den Mitmenschen, die Herzen weitet durch seine Liebe und Vergebung. Ja, Gott ist gnädig, um unseres Lebens willen. Das zu wissen, befreit auch dazu, Schuld einzugestehen und neu anfangen zu können.
Und dann das Dritte: Es ist ein offenes Gespräch, in dem dies alles vor Augen gestellt wird. Ein Gespräch, in dem uns jemand in Frage stellt, ohne uns zu verurteilen. In dem jemand eine Schwachstelle benennt, ohne sie an die Öffentlichkeit zu zerren. Ein Gespräch, in dem im Vertrauen geredet wird – und deshalb offen. Schuld kann da offen benannt und von der Vergebung Gottes offen gesprochen werden. Manchmal brauchen wir solche Nathans, Menschen, die uns von außen den Spiegel vorhalten. Im Vertrauen, aber schonungslos. Und im Wissen um Gottes Güte.
So also kann es möglich werden, Schuld einzugestehen, ohne das Gesicht zu verlieren. Und mit Schuld zu leben, ohne von ihrer Last erdrückt zu werden. Ein Neuanfang – von Gott geschenkt, um tatsächlich neu anzufangen.
Von David heißt es, dass er nach der Begegnung mit Nathan betete – betete mit Worten aus Psalm 51, mit dem auch wir uns eingangs an Gott gewandt haben. Er betete mit den Worten: „Gott sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit“ (Psalm 51,3). Und weiter: „Schaffe in mit Gott ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist“ (V 12). Worte zum Mitbeten. Weil Gott uns dazu befreit.
Ein wahres Meisterwerk also, diese beiden Kapitel im 2. Samuelbuch: ein Krimi, der das Beten lehrt. Lesenswert!
Amen.
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