1. Advent (30. November 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Angelika Segl-Johannsen, Bad Mergentheim [Angelika.Segl@elkw.de]

Matthäus 21, 1-9

In den Fernsehnachrichten können wir sie immer wieder sehen, liebe Klinikgemeinde, mächtige Männer oder zuweilen auch Frauen, die ein ‚Bad in der Menge‘ nehmen. Da stehen die Menschenmengen dann Fähnchen schwingend am Straßenrand und jubeln. Sie bringen damit zum Ausdruck: Du bist unser Hoffnungsträger, auf dich setzen wir, von dir erwarten wir alles, du sollst es richten!
So eine Szene wird uns auch von Jesus überliefert. Jesus zieht in Jerusalem ein, und ihm wird ein Empfang bereitet wie einem König:

Hören Sie den Predigttext aus Matthäus 21:

„Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr. Bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sach.9,9): ‚Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.‘ Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna, dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe.“

Ein Fauxpas?

Soweit unsere Geschichte. Wie einem König jubeln sie Jesus zu.
Aber was ist das für ein König? Sagen Sie mal selbst, sieht so ein König aus? Angezogen wie das einfache Volk, keine Streitmacht bei sich, keine Insignien der Macht? Nun ja, das ginge ja noch, aber ein völliger Fauxpas ist doch der Esel, meinen Sie nicht? Das Reittier der einfachen Bauern. Welcher König reitet denn auf einem Esel, da macht er sich ja lächerlich! Ein König in dieser Zeit hat auf einem edlen Ross einherzureiten!
Also: Die Berater dieses Königs müssen schleunigst gefeuert werden!

Der ganz andere König

So denken wir! Nicht Jesus. Er will kein König sein wie die Könige des römischen Reiches. Er ist ein anderer König, ein Gegenbild zu allen bisher bekannten Herrschern, ein Gegenbild zur Machtausübung aller Zeiten.
Damals bestand ein Volk aus Untertanen, die nichts zu melden hatten, ja, die froh sein mussten, wenn sie nicht unangenehm auffielen. Denn dann konnte es sein, dass schneller Prozess gemacht wurde. Die Römer geizten nicht mit der Todesstrafe.
Durch alle Epochen funktionierte Machtausübung so, dass Menschen eingeschüchtert, im Extremfall auch getötet wurden.
Bei diesem seltsamen, aus der Rolle fallenden König ist es genau umgekehrt: Sein Ruf eilt ihm voraus bis Jerusalem, er heilt die Unheilbaren! Er schafft auf wunderbare Weise Brot und Nahrung für tausende von Leuten, so dass alle satt wurden. Und vor allem: Er erweckt Tote zum Leben!
Und wir, das Volk, spüren damals und heute, wo auch bei unseren Politikern noch etwas Echtes, Ehrliches und Lebendiges ist. Wir wählen die, von denen wir den Eindruck haben, sie sind noch nicht erstarrt im Besitz der Macht, es geht ihnen um die Sache und nicht nur um Geld und Einfluss. Es ärgert uns nämlich, nur eingelullt zu werden mit beruhigenden, wolkigen Worten.
Jesu neue Form von Macht hat die Menschen überwältigt und fasziniert, weil sie so quer liegt zu allem, was wir kennen. Und so kam es, wie es kommen musste: Nur wenige Tage nach den Jubelrufen sollte die Menge schreien: Kreuzige ihn!

Kein süßes Christkind

Warum, liebe Gemeinde ist diese so wenig adventliche Geschichte für den heutigen ersten Advent ausgewählt worden? Ich denke, es soll deutlich gemacht werden, dass nicht alle Jahre wieder das kleine und süße Christkind zu uns kommt, sondern dass es darum geht, dem aus der Krippe längst herausgewachsenen Christ-König die Tore weit und die Türen in der Welt hoch zu machen, so dass unerhört Neues in unser Leben einziehen kann!
Das Neue zieht ein auf einem Esel.
Unser Evangelist versucht uns zu erklären, dass Jesus dies getan habe, um ein alttestamentliches Schriftwort zu erfüllen – das mag sein, aber ich meine, da geht es noch um etwas anderes.
Jesus reitet nicht auf dem Ross, dem Tier der Herrscher, sondern auf dem Tier der armen Leute. Damit macht er sehr deutlich, auf wessen Seite er sich stellt, ja, damit macht er sich selbst zum Esel in den Augen der Mächtigen. Darüber hinaus ist der Esel ein bockiges und störrisches Tier, völlig ungeeignet für Herrscher, die funktionierendes Personal brauchen.

Esel – ein Symbol für Leib

Der Esel, hier noch pointierter, die Eselin, auch noch mit einem Füllen dabei, hat, meine ich, symbolische Bedeutung. In den Mythen und Märchen der Völker und in der bildenden Kunst steht der Esel für unseren Leib, für alles Leibliche und Irdische, für alles Bodenverbundene.
Jesus ist kein Überflieger. Der Weg, den er geht, hat mit unserem irdischen Leib zu tun, hat mit Schmerzen zu tun und mit den Signalen, die der Körper uns gibt.
Viele kranke Menschen in unseren Kliniken sind da gelandet, weil sie nicht auf ihren Körper, den alten Esel gehört haben, der sollte immer nur funktionieren, auf den wurde immer nur eingedroschen, so dass er das getan hat, was man von ihm wollte.
Aber dann, scheinbar plötzlich, aus heiterem Himmel, stellt sich die Eselin quer, bockt, und es geht keinen Schritt mehr weiter. Viele von Ihnen können vermutlich ein Lied davon singen.
„Der Herr bedarf ihrer“, sollen die Jünger sagen, wenn man sie auf das Ausborgen der Eselin anspricht. Leib und Seele – wir können, wir dürfen sie nicht auseinanderdividieren, abspalten, sie gehören zusammen. Wir brauchen unseren Körper und das, was er uns zu sagen hat.

Angebundenes lösen

Wie gehen wir heute, am 1. Advent, mit dem Anspruch Jesu um, womöglich gerade das, was wir bei uns angebunden haben, zum Einsatz zu bringen?
Advent – Jesus will Einzug halten in unser Leben, in unseren Geist und in unseren Leib. Der so ganz andere König will in unser Leben kommen und das, was kaputt ist, heilen.
Warum soll nicht auch in meinem Herzen etwas Einzug halten, was mich in Bewegung bringt? Und so lautet die Frage, die der erste Advent durch diese Geschichte an mich heute stellt: Bist du bereit für Wandlung, dafür, dass sich etwas verändert in deinem Leben? Dafür, dass erstarrte Fronten sich auflösen? Dafür, dass etwas, das du angebunden hast, das du an die Kandare genommen hast, sich lösen kann?
In Wirklichkeit, liebe Gemeinde, wollen wir das gar nicht. Wir haben unsere Gründe für das, was wir angebunden, festgezurrt haben, damit es uns nicht in die Quere kommt.
Ich durfte einen Krebspatienten begleiten, der bis zu seiner Erkrankung ausgesprochen effektiv gearbeitet hat und Unglaubliches gestemmt hat, ein Manager wie sie heute wohl sein müssen. Einer, der straight seinen Weg gegangen ist und nicht rechts und links geschaut hat.
Dann wie ein Paukenschlag die Diagnose. „Sie haben noch 6 Monate Lebenszeit“, sagte der Arzt, „wir können Ihnen eine Chemo anbieten, viel bringen wird das aber nicht.“
Und nun versuchte der Mann, alternative Wege zu gehen. So landete er auch bei mir und beim Handauflegen als einer Form des Gebets, des spirituellen Heilens. Er ist skeptisch, er kennt sich selber nicht mehr, so etwas hätte er sich bis vor kurzem noch nicht vorstellen können, hätte er als völlig abgedreht und unsinnig bezeichnet.
Aber er versucht sich einzulassen, mit dem Gebet hat er auch seine liebe Not. Während der Behandlung bitte ich, wie immer, um Gottes Gegenwart und Kraft.
Und das Erstaunliche passiert: Er ist völlig begeistert, soviel Wärme gespürt zu haben, einen unglaublichen Kraftstrom, der ihn durchflossen hat. Als er nach der ersten Behandlung geht, ist er ziemlich durcheinander, aber er kommt wieder und immer wieder.
Auch das kann gemeint sein, wenn ich sage: Jesus will in unser Leben, in unseren Leib einziehen. Und dann kann Angebundenes frei werden.
Was ist in ihrem Leben angebunden?
Halten wir inne in dieser Adventszeit, damit Neues in unser Leben einziehen kann. Ich weiß nicht, welchen Impuls gerade Sie in dieser Adventszeit brauchen, aber ich weiß, er steht vor der Tür und klopft an. Warum machen Sie nicht auf?
Amen.

Wichtige Anregungen für diese Predigt sind entnommen aus:
Klaus Berger, Wie ein Vogel ist das Wort, Stuttgart 1987 zu Johannes 12,12-19.


Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)