Buß- und Bettag (20. November 2013)

Autorin / Autor:
Prof. Dr. Thomas Knöppler, Kulmbach [th.knoeppler@lmu.de]

Lukas 13, 22-27

Wer kommt zu Gott?

Würden wir das nicht auch gerne wissen, liebe Gemeinde: Wer kommt alles am Ende zu Gott in den Himmel? Sind es viele? Sind es wenige? Nach meinem Eindruck wird die Frage heute eher anders gestellt. Wir gehen davon aus, dass Gott gnädig ist. Das reduziert die Anzahl der Menschen, die nicht in den Himmel kommen. Wir fragen vermutlich eher: Wer kommt eigentlich in die Hölle? Gibt es die denn überhaupt? Ist nicht die Hölle am Ende leer?
Auch wenn wir Jesus heute andere Fragen vorlegen würden – wir sollten uns auf die Frage von damals einlassen. Ein nicht näher bezeichneter Mensch hatte Jesu Botschaft vom Reich Gottes gehört. Offenbar hatte er daraus den Schluss gezogen, dass es schwierig sei, ins Reich Gottes zu kommen. Das veranlasste ihn zu der Frage: "Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?"
Wie gerne würden wir jetzt hören, Jesus habe prophetisch verkündet: "Nein, ihr braucht keine Sorge zu haben. Gott ist ein gnädiger Gott. In die Hölle kommen nur solche Scheusale wie Hitler, Stalin und Pol Pot." Nachdem das geklärt ist, könnten wir dann beim nächsten Fasching wieder fröhlich singen: "Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind ..."
Aber so einfach macht es Jesus uns nicht. Das Reich Gottes, so stellt er fest, ist nicht ohne weiteres zugänglich: "Denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können." Es ist also eine ernste Sache mit dem Eintritt in das Reich Gottes. Jesus verdeutlicht dies in bildhafter Sprache. Weil wir Menschen keine zureichenden Begriffe für die Wirklichkeit Gottes haben, benötigen wir Bilder. Ihnen wollen wir uns jetzt zuwenden.

Das Bild von der engen Pforte

Ich erinnere mich gut an das Poster, das, als ich noch ein Kind war, bei uns zuhause im Flur hing. Die Grundidee zu diesem Poster stammte von Charlotte Reihlen, der Gründerin der Evangelischen Diakonissenanstalt Stuttgart. Es stellte den breiten und den schmalen Weg dar. Der eine Weg, schmal und steil, führt ins himmlische Jerusalem. Der andere, breit und voll verlockender Angebote, endet im feurigen Pfuhl.
Am Beginn des schmalen Weges muss sich der Pilger durch eine "enge Pforte" zwängen. Das Problem ist dabei nicht die Körperfülle, sondern das Bündel, das er mit sich herumschleppt. Dazu wird der Psalmvers zitiert: "Meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden" (Ps 38,5). Das Bündel steht also für die Sünden, die das Leben des Menschen belasten. Dadurch ist der Weg zu Gott versperrt.
Das soll uns am heutigen Buß- und Bettag in Erinnerung gerufen werden: Die Sünden sind Ausweis unserer Schuld, die uns am Weg zu Gott hindert. Die Schuld steht für das Leben ohne Gott, für unsere Daseinsverfehlung, für die selbstgewählte Emanzipation von Gott. Wir kommen davon nicht los.
Was uns daran hindert, zu Gott zu kommen, dürfen wir getrost Jesus Christus übergeben. Von uns aus kommen wir nicht durch die enge Pforte in das Reich Gottes hinein. Christus aber nimmt uns das Bündel ab, befreit uns von aller Last. Weil er alles für uns getan hat, ist die enge Pforte kein Hindernis mehr. Er vergibt uns unsere Schuld. Er nimmt unsere Sünden weg. Durch ihn ist der Weg frei zu Gott.

Das Bild von der verschlossenen Tür

Der Evangelist Lukas stellt sich beim Bild von der engen Pforte nicht zwei mögliche Wege vor, sondern ein Haus. Die enge Pforte und die verschlossene Pforte sind ein und dieselbe Tür. Im griechischen Grundtext steht für beide das gleiche Wort.
Vorgestellt ist die Situation der hereinbrechenden Nacht. Es kommt der Augenblick, in dem der Hausherr sich von seinem Sitz erhebt, zur Tür geht und sie schließt. Dann aber ist sie verriegelt. Wer jetzt noch in das Haus eintreten will, gehört nicht hinein. Er kommt zu spät.
Lukas verknüpft dieses Bild mit einer Szene aus dem Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen. Auch dort wurde die Tür verschlossen. Als die Törichten danach noch Einlass begehrten, wurden sie abgewiesen: "Ich kenne euch nicht." Es gibt ein "Zu-Spät". Und das ist definitiv.
Da hilft auch kein Diskutieren. Der Hinweis, dass man sich ja früher oft begegnet sei, ist zwecklos. Die Argumente der räumlichen Nähe, des gegenseitigen Bekanntseins, ja sogar des Hörens der Botschaft – das alles fruchtet hier nicht. Im Grunde verraten diese Menschen damit, dass sie das Evangelium verkannt haben. Sie führen eine schreiende Anklage gegen sich selbst. Sie lebten in der Nähe Jesu und begriffen doch seine Botschaft nicht. Sie standen vor der Pforte seiner Lehre und traten nicht ein in das Haus, in dem die Lehre zum Leben wird.
Wohlbekannt ist uns der Satz, der dem russischen Präsidenten Gorbatschow zugeschrieben wird: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Hier müsste es heißen: Wer zu spät kommt, der ist abgeschnitten vom Leben. Das Leben findet innerhalb des Hauses statt. Wer zu spät kommt, muss draußen bleiben. Draußen aber ist nicht das Leben. Draußen – das ist der Tod.

Die Gefahr, draußen zu bleiben

Entsprechend drastisch schildert unser Predigtwort die Situation der Menschen draußen. Sie müssen zuschauen, wie festlich das Leben drinnen abläuft. Unter den Feiernden befindet sich auch gehörige Prominenz: Die Erzväter und alle Propheten sind mit dabei. Und Menschen aus vielen Nationen sind da zum endzeitlichen Freudenmahl versammelt. Die aber, die von draußen zuschauen müssen, weil sie nicht hineinkommen, überfällt das Heulen. Und weil sie es nicht akzeptieren können, dass sie ausgeschlossen sind, kriecht die Wut in ihnen hoch: Sie fangen an, mit den Zähnen zu knirschen. Verzweiflung und Auflehnung machen sich unter ihnen breit. Das ist die Hölle.
Gehen wir davon aus, dass Jesus seine Worte in Israel gesprochen hat, so liegt gehöriger Sprengstoff in ihnen. Neben den Erzvätern und den Propheten werden vor allem Menschen von außerhalb des Volkes Israel an Gottes Freudenmahl teilhaben. Die Angehörigen des Volkes, mit dem Gott einst einen Bund geschlossen hat, haben sich nicht auf die Botschaft Jesu eingelassen. Und ausgerechnet die Frommen in Israel haben Jesus abgewiesen. Sie werden allenfalls als Letzte noch hinzukommen.
Damit soll uns am heutigen Buß- und Bettag in Erinnerung gerufen werden: Es ist entscheidend wichtig, dass die Botschaft Jesu uns verändert. Sie will uns in das Haus Gottes führen, so dass wir unser Leben danach ausrichten. Ein wenig kirchlich und ein bisschen fromm zu sein, reicht nicht aus. Gottes Wille soll in unserem Leben Gestalt gewinnen. Das ist eine dringliche Forderung. Denn es gibt ein "Zu-Spät". Wir sollten uns selbst nicht ausschließen vom endzeitlichen Freudenmahl.

Das Bild vom kleinen Tor

Mit dem Wort von der "engen Pforte" nimmt der Evangelist Lukas eine Überlieferung auf, die auf ein weiteres Umfeld verweist. Vorgestellt ist ein schweres Stadttor, das bei Anbruch der Dunkelheit geschlossen wird. War dieses Haupttor geschlossen, so hielt man für diejenigen, die später noch in die Stadt gelangen wollten, ein kleines Tor offen. Es bestand aus einer Öffnung, die entweder in das Stadttor oder daneben in die Mauer eingefügt war. Es konnte jeweils nur eine Person eintreten.
Dieses Bild sagt aus, dass das große Tor bereits geschlossen ist. Vielleicht ist die Zeit schon so weit fortgeschritten – wir leben in der Endzeit – dass der Eintritt nur noch durch das kleine Tor möglich ist. Vielleicht haben wir es aber auch versäumt, durch das große Tor einzutreten; nun aber sollen wir die Gelegenheit nutzen, durch das kleine Tor doch noch in die Stadt hineinzukommen. Wie dem auch sei – wir sollten den Eintritt in die Stadt Gottes nicht versäumen.
Das Bild ruft uns am heutigen Buß- und Bettag in Erinnerung: Niemand ist gezwungen, sein Dasein außerhalb der Gemeinschaft mit Gott zu fristen. Es gibt einen Zugang zur Stadt Gottes. Eintreten kann nur jeder für sich. Aber drinnen gehören alle zusammen.

Noch einmal: Wer kommt zu Gott?

Blicken wir noch einmal zurück, liebe Gemeinde, auf die Frage, die Jesus damals vorgelegt wurde: "Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?" Nach den drei Bildern, die wir unserem Predigtwort entnehmen können, fiele die Antwort eigentlich eher positiv aus. Es komme auf uns an, dass wir in das Reich Gottes, in das Haus Gottes, in die Stadt Gottes eintreten. Ein paar mutige Schritte voran, und wir hätten es geschafft.
Der Grundton unseres Predigtwortes bleibt freilich skeptisch. Warum hat sich die Mehrheit des Volkes Gottes damals von Jesu Botschaft nicht einladen lassen? Und warum gibt es auch heute so viele Menschen, die die Botschaft Jesu nicht in ihr Leben hineinlassen? Jesus sagt ja nicht umsonst: "Denn viele ... werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können."
Wie aber können wir das: hineinkommen? – Wir können es nicht, liebe Gemeinde. Aber der, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat schon längst alles getan. Er hat uns unsere verfehlte Existenz, unser verlorenes Dasein, unser in sich verkrümmtes Leben abgenommen. Nun sind wir frei. Dafür dürfen wir ihm danken. Und ihn zugleich bitten: Nimm uns an der Hand. Führe uns hinein in Gottes Reich, in Gottes Haus, in Gottes Stadt. Amen.

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