2. Weihnachtsfeiertag (26. Dezember 2022)
Matthäus 1,1-17
IntentionSo spröde und wenig aussagekräftig der sogenannte Stammbaum Jesu beim ersten Lesen bzw. Hören wirken mag, so ist in ihm doch das Weihnachtsevangelium verborgen. Menschen fragen angesichts des Laufs der Welt: Wo wird all das noch enden? Matthäus antwortet: in einem Wunder, der Geburt Jesu. In Jesus Christus durchbricht Gott unsere Hoffnungslosigkeit und schafft neue Anfänge – auch heute.
1,1 Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. 2 Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. 3 Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram. 4 Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon. 5 Salmon zeugte Boas mit der Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai. 6 Isai zeugte den König David. David zeugte Salomo mit der Frau des Uria. 7 Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abija. Abija zeugte Asa. 8 Asa zeugte Joschafat. Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Usija. 9 Usija zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskia. 10 Hiskia zeugte Manasse. Manasse zeugte Amon. Amon zeugte Josia. 11 Josia zeugte Jojachin und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. 12 Nach der babylonischen Gefangenschaft zeugte Jojachin Schealtiël. Schealtiël zeugte Serubbabel. 13 Serubbabel zeugte Abihud. Abihud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Azor. 14 Azor zeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud. 15 Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob. 16 Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus. 17 Alle Geschlechter von Abraham bis zu David sind vierzehn Geschlechter. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind vierzehn Geschlechter. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind vierzehn Geschlechter.
Das ist ja nun, wie wenn ich Ihnen aus dem Telefonbuch vorgelesen hätte. Sind Sie überhaupt noch dabei, liebe Gemeinde? Warum beginnt Matthäus seine Weihnachtsgeschichte ausgerechnet so? Ist ihm nichts Spannenderes eingefallen? Doch, ich möchte Ihre Neugier dazu wecken. So trocken sich dieser Stammbaum liest – vielleicht lässt er uns die Geburt Jesu nochmals tiefer verstehen. Schauen wir genauer hin.
Wie Gott den Lauf der Geschichte unterbrichtEs geht um die Geschichte Israels. Auf verborgene Weise geht es auch um die Geschichte der Menschheit. Matthäus entwirft sie als Familiengeschichte. Darum die nicht enden wollende Abfolge von Generationen. Name reiht sich an Name. All diese Namen werfen Licht und Schatten. Menschen mit vielerlei Gesichtern, mit schillernden Lebensgeschichten. Keine Heiligen. Keine Gutmenschen. Oft hat das Volk Israel das Gefühl: Die Schatten werden immer länger. Und es fragt sich: Wo führt das hin? Wo wird all das noch enden? Das ist ja auch unsere Frage in diesen Zeiten. Die Krisen spitzen sich zu. Unsicherheit und Angst nehmen von uns Besitz.
Wo führt das hin? Wo wird das enden? Matthäus sagt: in einem Wunder. Dem Weihnachtswunder! Es passiert das Unglaubliche: Gott macht ernst und wird Mensch. Er fädelt sich selbst in die ach so verworrene Geschichte der Menschen ein. Um sie zu retten. Man hält den Atem an. Weiß Gott, was er tut? Welchem Risiko er sich aussetzt? Jetzt fallen die Schatten ja auch auf ihn. Er wird ein Teil dieser Welt, die voll von Gewalt und Ungerechtigkeit ist. Kaum ist Jesus geboren, ist sein Leben von den Mordplänen des Herodes bedroht. Seine Familie muss nach Ägypten fliehen. Doch Gott setzt sich in Jesus dieser Welt aus. Er ist sich nicht zu schade dafür. Es ist seine Weise, den unheilvollen Lauf der Welt zu unterbrechen. Und tatsächlich: Mit Jesus kommt Neues in die Welt. Wo er in Gleichnissen vom Reich Gottes erzählt oder im Namen Gottes Fesseln sprengt und böse Geister austreibt, wo er sich mit Sündern und Zöllnern an einen Tisch setzt, da geschieht es: Jesus drängt die Schatten zurück. Erstorbene Hoffnungen blühen in seiner Gegenwart auf. Er gibt den Menschen den Glauben zurück, dass Menschenverachtung und Hass, Leid und Tod nicht das letzte Wort behalten. So bringt Jesus viele Menschen auf andere Gedanken, auf eine neue Spur.
Liebe Gemeinde, angesichts vieler bedrohlicher Entwicklungen suchen wir nach Quellen der Hoffnung. Nach dem, was wir der Resignation und Verzweiflung entgegensetzen können. An Weihnachten werden wir fündig. Dank Matthäus und seinem Stammbaum. So spröde dieser uns anmutet, er birgt einen großen Trost. „Seht her“, sagt Matthäus, „der Bogen reicht von Abraham über David und das babylonische Exil bis hin zu Jesus – dreimal vierzehn Generationen überspannend. Das Königtum Davids markiert den Höhepunkt der Geschichte Israels. Die babylonische Gefangenschaft – das ist der absolute Tiefpunkt. Doch nicht das Ende. Denn Gottes Geschichte ist nicht zu Ende. Sein Wirken umfängt Glanz und Elend der Menschen. Er bringt seine Geschichte mit dem Volk Israel – und mit der Welt – ans Ziel. Durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch! All die Generationen haben nicht vergeblich gehofft. Gott löst ihre Hoffnungen ein. Mit der Geburt Jesu.“
Wir leben ja nun wieder in einer Zwischenzeit. Denn Jesus hat nicht nur Hoffnungen erfüllt, sondern auch eine neue große Hoffnung geweckt. Die Hoffnung, dass Gott diese Erde einmal sichtbar verwandeln wird und seine neue Welt im Kommen ist. All die vielen bedrückenden Nachrichten greifen diese Hoffnung an, wollen sie zerstören. Wie können wir sie uns bewahren? Indem wir die Botschaft des Stammbaums Jesu in uns groß werden lassen: Verlasst euch auf Gott! Er bringt seine Geschichte mit euch Menschen, mit der ganzen Welt, ans Ziel. Er wird sein Versprechen wahr machen, das er euch in Jesus Christus gegeben hat: eine radikal verwandelte Welt – ohne Hass und Krieg, ohne Pandemie und Tod.
Wie Gott die Hoffnungslosigkeit durchbricht und neue Anfänge schafftIm Stammbaum Jesu gibt es etwas Verblüffendes zu entdecken. Plötzlich tauchen da vier Frauen auf. In dieser nicht enden wollenden Linie von Vätern und Söhnen sind sie leicht zu übersehen. Und um die Überraschung perfekt zu machen: Es sind nicht die angesehenen Stammmütter Israels: Sarah, Rebekka, Lea und Rahel. Sondern vier eher zwielichtige Frauen: Tamar, Rahab, Ruth und Bathseba. Merkwürdige Geschichten ranken sich um ihr Leben.
Frauen im Stammbaum Jesu: Damit deutet Matthäus an, dass Jesus auch in seinem Verhältnis zu Frauen ein neues Kapitel aufschlagen wird. Er wird ihnen ohne Berührungsangst begegnen. Er wird sie nicht kleinmachen – sie nicht auf die hinteren Plätze verweisen! Doch warum haben ausgerechnet diese vier Frauen einen festen Platz im Stammbaum Jesu gefunden? Auffällig ist: Alle vier sind Ausländerinnen gewesen. Damit ist die Zukunft schon vorgezeichnet. So fest Jesus in der Geschichte Israels verwurzelt ist und bleibt, – er wird zur Hoffnung für die ganze Welt.
Es gibt bei diesen Frauen aber noch etwas Auffälligeres. Die Geburten ihrer Kinder waren nie selbstverständlich, sie passten nicht in das Schema unseres Denkens und unserer Moral – eigentlich waren sie „unmöglich“. Immer gibt es da eine Vorgeschichte, die von der Not und Ausweglosigkeit oder auch der Schuld der handelnden Personen erzählt. Und dennoch gibt es Zukunft. Und dennoch wird ein Kind geboren.
Beispiel Tamar, die Kanaaniterin: Was für Schicksalsschläge treffen sie. Zweimal ist sie mit Söhnen Judas verheiratet, zweimal wird sie Witwe. Ihr Schwiegervater will ihr daraufhin keinen Platz mehr in seiner Familie gewähren. So steht sie vor dem Nichts. Doch mit List und Klugheit – gegen den Willen ihres Schwiegervaters – setzt sie ihr Recht auf einen Nachkommen durch. Am Ende muss Juda bekennen: Sie ist gerechter als ich. Und sie wird zur Ahnmutter des Messias, der die Welt erlösen wird.
Beispiel Rahab, die Prostituierte. Den Kundschaftern Josuas gewährt sie in Jericho Unterkunft und Schutz und verhilft ihnen zur Flucht. Dabei setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel. In der jüdischen Tradition wird sie zum Inbegriff einer Gerechten unter den Völkern. Später schließt sie sich dem Volk Israel an. Sie setzt ihre Zukunftshoffnung ganz auf den Gott Israels. Und siehe da: Als Mutter eines dann geborenen Sohnes gelangt Rahab in die Ahnenreihe Jesu. Die Geschichte, wie Ruth, die Moabiterin, zur Urgroßmutter von David wird, die kennen wir. Ebenso die Geschichte von Bathseba mit all dem Schrecklichen, was sich damit verbindet. Und doch auch hier wieder: Ein Kind wird geboren. Es trägt den Namen Salomo. Das heißt: Er ist Frieden.
Vier Geschichten, vier Frauen. Warum gehören sie ganz zwingend in die Vorgeschichte der Geburt des Erlösers der Welt? Wenn wir von uns aus gehen, scheint es die normalste Sache der Welt zu sein, dass Kinder geboren werden. Doch in der biblischen Tradition ist das anders. Da ist die Geburt eines Kindes etwas ganz Großes: ein viel versprechender Anfang. Da wird das Leben erneuert und Zukunft geschenkt.
Erst recht gilt das für diejenigen Geburten, die Menschen nicht für möglich gehalten hätten. Geburten, die aus der Reihe tanzen – und die damit zu einem Zeichen werden. Zum Zeichen dafür, dass Gott unsere Hoffnungslosigkeit durchbricht und einen neuen Anfang setzt. So haben diese vier Frauen Gott erfahren. Für sie stand alles auf dem Spiel, ihre ganze Zukunft. Darum riskieren sie viel, handeln oft schillernd, zweideutig – und doch ruht Gottes Segen auf ihrer Geschichte. Sie erfahren sehr konkret seine rettende Kraft. Mit ihren Geburten, die aus dem Rahmen fallen, schenkt Gott diesen Frauen Zukunft und Frieden.
Wie Gott mitten unter uns Hoffnungslosigkeit durchbricht und neue Anfänge schafftLiebe Gemeinde, so bereiten uns diese vier Frauen im Stammbaum Jesu mit ihren so unnormalen „Geburtsgeschichten“ auf die größte Überraschung vor: nämlich die Schwangerschaft Marias. Sie erscheint vordergründig als ganz und gar unmöglich. Denn sie trägt keinen anderen als den Sohn Gottes in ihrem Leib. Wenn das kein Zeichen ist! Nun muss jeder, der von dieser Geburt hört, ins Staunen geraten. Darum feiern wir Weihnachten! Darum haben wir allen Grund, uns zu freuen. Gott hat unser Elend gesehen. Er lässt diese Welt nicht in ihrer Not und Ausweglosigkeit sitzen. Er wird selbst Mensch. Gott klinkt sich ein in die Geschichte der Menschheit. Er ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Und siehe da: Wir selbst treten aus dem Schatten. Wir, die wir manchmal nichts mehr glauben, nichts mehr hoffen und erwarten wollen. Aber Christ, der Retter ist da. Und deshalb lohnt es sich zu leben und dieses Leben – trotz aller Sorgen und Schwierigkeiten – lieb zu haben. Und im Lichte Jesu sehen wir nicht nur die bedrohlichen Schatten. Wir sehen auch, wie die Schatten weichen. Kranke werden gesund. Jugendliche erhalten Hoffnung für ihr Leben. Bedrückte lernen, wie sie ihre Schatten besiegen. Und Menschen können in Frieden sterben – und finden heim. Verletzte werden heil. Und Gekränkte kommen zur Ruhe. Erschöpfte kriegen neue Kraft. Und von Gier Überwältigte werden frei. Und die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Denn Gott hört nicht auf, unsere Hoffnungslosigkeit zu durchbrechen und neue Anfänge zu schaffen – mitten unter uns. Amen.
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