2. Sonntag nach Trinitatis (09. Juni 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer Malte Jericke, Stuttgart [Malte.Jericke@elkw.de]

Epheser 2,11-22

IntentionAm 9. Juni ist Europawahl (und in Baden-Württemberg auch Kommunalwahl). Viele „europäische Themen“ finden sich im 2. Kapitel des Epheserbriefs, über den an diesem Sonntag gepredigt wird, wieder: Friede, was verbindet Menschen unterschiedlicher Herkunft, Umgang mit Fremden oder Andersgläubigen… Es ist aus meiner Sicht naheliegend, diese Themen aus dem Text herauszuarbeiten und auf das heutige Europa zu beziehen.
Der Text in der Lutherübersetzung ist sehr schwer zu verstehen. Ich rate zur Übersetzung der Basisbibel. Zu überlegen ist auch, ob Vers 11 verlesen werden sollte. Dieser ist ohne religionshistorische Kenntnisse kaum verständlich und trägt für die Übersetzung in die Gegenwart eigentlich nichts aus.

Liebe Gemeinde,
wen würde Jesus heute bei der Europawahl wählen? Doch sicher die Partei mit dem C im Namen, oder? Zwei Politiker:innen argumentierten vor kurzem in den sozialen Medien ganz anders: Jesus wäre Spitzenkandidat der Europäischen Linken im Kampf gegen die Sicherung der Europäischen Außengrenzen und die Festung Europa, behauptete ein Abgeordneter der Linkspartei. Quatsch, erwiderte ein Abgeordneter der AfD. Nur die AfD trete glaubhaft für den Erhalt des christlichen Abendlandes ein. Jesus wäre selbstverständlich Spitzenkandidat seiner Partei.
Ob Jesus nun lieber Spitzenkandidat der Linken oder der AfD wäre? Fragen können wir ihn ja leider nicht mehr…
Ich glaube, eine konkrete Antwort wäre anmaßend. Jesus hat nun mal zu einer völlig anderen Zeit gelebt. Nicht einmal unsere älteste Partei, die SPD, gab es damals schon.

Die Bibel ist auch ein politisches BuchIch finde, es ist trotzdem nicht beliebig, was ich als Christ sage oder tue und wem ich meine Stimme gebe, damit er mich repräsentiert. Die biblischen Erzählungen machen Vorschläge, wie Zusammenleben gelingen kann. Die Evangelien setzen sich auch kritisch mit der Gesellschaft, Machtstrukturen und Herrschenden auseinander. Die Bibel ist natürlich kein Parteiprogramm einer heutigen Partei und sie würde sich als solches auch nicht eignen. Aber die Bibel ist in diesem Sinne auf jeden Fall auch ein politisches Buch.
Im Predigttext des heutigen Sonntags aus dem 2. Kapitel des Epheserbriefs geht es darum, wie Menschen zusammenleben können, wie Trennendes überwunden werden kann und wie man mit Fremden umgehen soll. Ich lese die Verse 11 bis 22:

(11Erinnert euch deshalb daran, dass ihr früher rein körperlich Heiden wart. Von den sogenannten Beschnittenen wurdet ihr die Unbeschnittenen genannt. Dabei haben auch sie nur die körperliche Beschneidung, die von Menschen vollzogen wurde.)
12Denkt daran, dass ihr damals von Christus getrennt wart. Ihr habt nicht zu Israel gehört. Als Fremde galt für euch keiner der Bundesschlüsse, mit denen Gott sein Versprechen gab. Ohne Hoffnung und ohne Gott habt ihr in dieser Welt gelebt.
13Aber jetzt gehört ihr zu Christus Jesus. Ihr, die ihr einst fern wart, seid ihm nahe gekommen durch das Blut, das Christus vergossen hat.
14Ja, Christus selbst ist unser Frieden. Er hat aus beiden, aus den Juden und den Völkern, ein Ganzes gemacht. Er hat die Mauer niedergerissen, die sie trennte. Er hat die Feindschaft zwischen ihnen beseitigt, indem er seinen Leib hingab.
15So hat er das Gesetz aufgehoben mitsamt seinen Geboten und Vorschriften. In seiner Person hat er die beiden Teile zu einem neuen Menschen vereint und dadurch Frieden gestiftet.
16Zugleich hat er die beiden Teile durch seinen Tod am Kreuz als einen Leib mit Gott versöhnt. So hat er durch seinen Tod die Feindschaft getötet.
17Er kam und verkündete Frieden: Frieden für euch in der Ferne und Frieden für die in der Nähe.
18Denn durch ihn haben wir beide in ein und demselben Geist Zugang zum Vater.
19Ihr seid also nicht mehr Fremde und ohne Rechte in Israel. Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft.
20Ihr seid gegründet auf dem Fundament der Apostel und Propheten, dessen Grundstein Christus Jesus ist.
21Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten. So wächst er zu einem heiligen Tempel empor, der dem Herrn gehört.
22Weil ihr zum Herrn gehört, werdet auch ihr als Bausteine in diesen Tempel eingefügt. Gott wohnt darin durch den Heiligen Geist.

Wichtiger als die Unterschiede sind die GemeinsamkeitenEs ist ein heftiger Konflikt, der hier thematisiert wird. Es geht um das Verhältnis der sogenannten Judenchristen zu den Heidenchristen. Die Judenchristen verstanden sich als Weiterentwicklung des Judentums.
Die Heidenchristen waren Menschen nichtjüdischer Herkunft. Beide Gruppen lebten aber in der Nachfolge Christi. Sie waren die ersten Christen.
Genau das wird hier im Epheserbrief unterstrichen. Beide Gruppen sind vereint in Christus. Christus hält den ganzen Bau zusammen heißt es. Dadurch gelingt es, die Trennung, den Streit zu überwinden.
Der Epheserbrief richtet sich in erster Linie an die ersten Christinnen und Christen. Ein innerchristlicher Konflikt soll befriedet werden, daher wird die Einheit in Christus betont.
Aber ich glaube, dass der respektvolle, tolerante, einende Umgang, der hier gefordert wird, sich nicht nur auf den Umgang von Christen und Christinnen untereinander beziehen muss. Religiöse Praxis und religiöse Wertvorstellungen beziehen sich nicht nur auf Gleichgesinnte. Die eigene religiöse Überzeugung sollte sich gerade im Umgang mit Andersglaubenden, Menschen anderer Herkunft oder Fremden zeigen.
Und das ist heute noch aktuell. Das wichtigste Thema des Wahlkampfs für die Europawahl war Migration.
Da wird, finde ich, immer viel auf das geschaut, was uns von anderen trennt. Man will sich abgrenzen. Die sind anders als wir – die mal wieder aufgewärmte Debatte um eine deutsche Leitkultur zeugt davon. Die anderen sollen sich bitteschön – wenn sie denn hier nach Deutschland kommen – anpassen.
Und natürlich kann man festhalten: Menschen sind unterschiedlich, kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und sind mit verschieden Traditionen vertraut. Es ist herausfordernd, wenn man plötzlich zusammenlebt. Aber ich glaube, es ist hinderlich für das gemeinsame Zusammenleben, wenn man vor allem auf das Trennende schaut. Förderlich ist es, auf das Gemeinsame, das Vereinende zu schauen.
So war es bei den Judenchristen und Heidenchristen. Der Konflikt ist entstanden, weil sich die Heidenchristen der judenchristlichen Leitkultur anpassen sollten. Gelöst wurde der Konflikt, als sie nicht mehr auf die Unterschiedlichkeit, sondern auf das Gemeinsame – Christus – geschaut haben.

Nun kann man heute wohl kaum als gemeinsame Klammer für eine Gesellschaft Christus ins Feld zu führen. Dafür sind die Menschen, die heute in Europa zusammenleben (sollen) religiös und kulturell zu heterogen.

Was eint die Menschen in Europa?Was also kann unseren gesellschaftlichen Bau zusammenhalten? Ich finde, der Anfang ist, darauf zu schauen, was uns vereint. Auf welches gemeinsame Projekt können wir uns einigen?
Ich denke, dass viele Menschen, die zu uns kommen, Sicherheit und Frieden suchen. Der Wunsch ist einfach ein „normales“ Leben in Frieden und Freiheit. Ist das nicht ein Wunsch, den die allermeisten von uns haben? Ein Projekt, an dem man gemeinsam bauen kann?
Dafür muss man aber die Menschen, die kommen, als gleichwertig anschauen und nicht als Menschen zweiter Klassen. Wie sind alle Gottes Hausgenossen, heißt es im Predigttext. Mitbewohner Gottes.
Und in so einer Wohngemeinschaft kann man natürlich die eigene Zimmertür zuzumachen. Man hat ein Recht darauf, einen eigenen Rückzugsbereich zu haben. Und ich finde, den haben wir auch alle. Aber einem Mitbewohner die Wohnungstür zuzuschließen oder ihn auszusperren – das geht gar nicht. Natürlich kommt es darauf an, wie man den anderen sieht. Als Fremden oder als Mitbewohner auf der Welt. Aber ist nicht der Geburtsort etwas ziemlich Zufälliges ist? Ich glaube, egal wo geboren, sind wir alle Mitbewohner derselben Welt. Als Christ sage ich: Wir alle sind Mitbewohner der einen Schöpfung Gottes. Es geht darum, Menschen – egal wo sie herkommen – auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Sehnsucht nach Frieden stiftet GemeinschaftDer Epheserbrief wird da an einer Stelle bemerkenswert konkret.
„Ihr seid nicht mehr Fremde und ohne Rechte in Israel.“ Aus den Heidenchristen, aus Fremden werden Einheimische mit Bürgerrechten.
Die Trennung wird überwunden, weil die Menschen sich als gleich(wertig) ansehen und alle die gleichen Rechte und auch Pflichten haben. Das ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.

Ja, Frieden ist möglich, wenn Trennendes überwunden wird. Heute ist Europawahl. Nach dem 2. Weltkrieg haben sich viele Europäische Staaten auf den Weg gemacht, ihre Feindschaft zu überwinden. Sie haben sich vereint.
Und ganz sicher ist diese Europäische Union nicht perfekt. Vieles kann man kritisieren. Aber sie hat doch über Jahrzehnte für eine gewisse Stabilität und vor allem für Frieden – zumindest innerhalb Europas – gesorgt. Nachdem man sich, wie zum Beispiel Deutschland und Frankreich, quasi jahrhundertelang bekriegt hat, finde ich das schon immer noch bemerkenswert.
Im Epheserbrief wird Christus als Friedensstifter beschrieben. Friede ist ein urchristliches Anliegen. Und ich glaube deshalb, Jesus würde eine Partei wählen, die Europa fördert. Die das Friedensprojekt Europa vorantreiben und nicht einstampfen will. Eine Partei, die versucht zu einen und nicht zu spalten; die versucht zu integrieren und nicht auszugrenzen. Amen.

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