2. Sonntag nach Trinitatis (18. Juni 2023)
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]
Lukas 14,15-24
IntentionDie Predigthörerinnen und Predigthörer einzuladen, achtsam durch die neue Woche zu gehen, achtsam für Gottes Einladungen zum Leben/ Staunen/ Genießen/ Miteinander.
Persönliche Highlights in dem Text:
Gott stört und hält an seiner „Störung“ fest.
Zorn hat eine transformierende Kraft.
Die Frage stellt sich: Lassen wir uns stören? Wo liegen unsere Prioritäten?
Und die Eingangsbemerkung im Predigttext wird am Ende konturiert: Selig is(s)t, wer sich stören lässt.
Komm!Kommt her, sagt Jesus im Wochenspruch und lädt ein. Kommt (bzw. Komm) fordert das Wochenlied auf. „Komm!“ impliziert jede Einladung. Wer einlädt, möchte Gemeinschaft haben. Wer einlädt, stellt Beziehung her. Tja. Und was ist mit abgelehnten Einladungen? „Komm!“, heißt es heute. Und wir sind eingeladen.
Verlesung des Predigttextes (Lukas 14,15-24)„Da aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.“
Vorfreude. Nichts als VorfreudeSabine zupft ein Tischtuch zurecht. Es sieht alles richtig festlich aus. Die Lampions hängen in den Bäumen, die Terrasse ist bis zur letzten Bodenplatte bestuhlt, der Wintergarten leergeräumt ebenso Ess- und Wohnzimmer. Und überall stehen Stühle und Tische. Tische mit Tischtüchern und Stühle mit Hussen. Auf den Tischen funkelt das Kristallglas, das Besteck blitzt und das gute Geschirr von Oma, Mama und ihr eigenes ist gedeckt. Sabine freut sich. „Klasse“, bewundert Anna ihr gemeinsames Werk. Klar, dass bei einem so großen Fest die Mädels Sabine unter die Arme greifen.
Nach drei Jahren mit mehr oder weniger Corona will Sabine jetzt endlich mal wieder richtig feiern. 2020 im Mai wäre ihr 30. gewesen. Doch es geht ihr gar nicht um ihren Geburtstag. Sie will feiern. Mal wieder so richtig Gastgeberin sein. Schon Ende Januar, als sie kaum vom Sommer zu träumen wagte, hat sie ganz vielen Freunden und Freundinnen von ihrem Plan geschrieben. Die Vorfreude begleitet sie jetzt schon über Monate. Minutiös hat sie das Menü geplant. Inklusive einem Gaumenschmeichler, einem Appetizer. Und jetzt ist es so weit. Früher als erwartet hat sie ein freies Wochenende bekommen und ihre Freunde und Freundinnen informiert.
Jetzt ist es so weit. Durch die Räume zieht schon seit dem frühen Morgen der Duft von Zitronenöl und Knoblauch, von Wild und krossen Kroketten. Auf der Anrichte duftet ein Träubleskuchen. Die Baiserschicht sieht perfekt aus. Das Wasser läuft einem im Munde zusammenlaufen. Der Postbote hatte schon am Vormittag gefragt, ob Sabine nicht einen Vorkoster gebrauchen könnte. Sabine hat das dankend abgelehnt. Der Postbote hat das bedauert. Sabine hat sich auch über sein Bedauern gefreut. So langsam könnten die Geladenen kommen. Vorfreude macht ungeduldig.
Tine, Paul, Magda und andere lassen sich nicht störenTine seufzt. Sabines Einladung liegt vor ihr. Doch sie hat einen Abgabetermin einzuhalten und gerade läuft es so gut. Sie greift zum Handy und tippt „Sorry, schaff es nicht, bin gerade im Schreib-Flow. Feiert schön!“
Paul dankt Sabine für die Einladung, doch gerade jetzt kam die Mitteilung, dass sein neuer Maserati beim Händler eingetrudelt ist. Und den muss er unbedingt sehen.
Magda hat das Datum verpennt und sich zum Shoppen mit ihrer Schwägerin in Augsburg verabredet.
Petra hat einen Anruf vom Makler bekommen, sie solle ganz dringend sich eine neue Immobilie ansehen, und Klaus hat just eine große Lieferung erhalten. Sie wären ja gerne gekommen, doch jetzt geht es leider nicht. Irgendwie stört die Einladung die aktuellen Pläne.
Jens schickt per Insta ein Foto von Bali mit seiner neuen Freundin: Ist super hier!
Statt „Dinner for one“ „open house“. Jetzt erst recht.„Pling“, macht es von Sabines Handy. Und nochmal. Und nochmal. Drei entgangene Nachrichten und ganz viele Messages. Im Eifer des Gefechtes hatte Sabine ihr Handy zur Seite gelegt. Sie liest und erstarrt: Einer nach dem anderen sagt ab. Und jetzt?
Sabine schluckt. Ist sie, ist Sabine so wenig wert, dass sich keiner die Zeit für sie nimmt? Die Vorfreude zerbröselt zu Staub. Und jetzt? Der Kloß in ihrem Hals wächst. Was macht sie mit all ihren Vorbereitungen? Mit den leeren Plätzen und dem vielen Essen? Und jetzt?
Leise fängt Anna an, den ersten Tisch wieder abzuräumen. „Komm“, sagt sie, „dann schaffen wir uns jetzt mehr Platz, und dann feiern nur wir Mädels.“
Doch da wird Sabine energisch. „Kommt nicht in die Tüte“, sagt sie. „So lange habe ich mich auf das Fest gefreut. Auf das Miteinander. Wir haben so viel zu essen. Willst Du das einfach wegwerfen? Außerdem haben wir uns so sehr angestrengt. Alles für die Katz?! Bestimmt nicht. Ich habe das gute Geschirr nicht vom Staub befreit, um es jetzt ungenutzt wieder verstauben zu lassen. Ich will mit anderen Menschen zusammen sein, will lachen, will Geschichten hören und Geschichten erzählen, will Gesichter im Kerzenlicht schimmern sehen und mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischen können vor Glück.“
„Dinner for one bzw. dinner für uns fünf kommt nicht in die Tüte!“, wiederholt Sabine, schaut ihre Freundinnen an und sagt unvermittelt: „Wir brauchen neue Gäste. Andere.“ „Und wo bekommen wir die jetzt so schnell her?“, fragt vorsichtig eine Stimme. Doch Sabine kennt jetzt keine Vorsicht. „Wir ziehen jetzt los. Und laden alle ein, die Zeit haben. Die keine Probleme damit haben, sich stören zu lassen. Die Lust haben auf ein gutes Essen in netter Gesellschaft und entspannter Atmosphäre.“ „Und wo finden wir die?“, fragt eine andere skeptisch. „An der Promenade am Fluss.“ „Im Schlosspark.“ „Auf dem Bahnhofsvorplatz“. „Auf dem Bahnhofsvorplatz?“ fragt Anna nach. Sabine lacht übermütig: „Warum nicht?“ Sabine schaut nach dem Fleisch im Ofen, dreht die Temperatur runter und verkündet: „In einer Stunde treffen wir uns wieder hier!“ Und los geht’s.
Nach einer Stunde kommen sie aus allen Himmelsrichtungen wieder zusammen. Jede hat ein paar Gestalten im Schlepptau: Eine wilde Mischung. Da trifft der Junkie auf den frisch Verwitweten, die Schulschwänzerin auf den Bettler mit seinem Akkordeon in der Hand. Der Obdachlose hat noch seine Zeitungen im Wägelchen und zwei hungrige Klima-Aktivistinnen haben sich auch angeschlossen. Anne hat noch die Menschen mitgebracht, die bei der Tafel mangels Masse leer ausgegangen waren. „Herzlich willkommen!“, begrüßt Sabine die Ankömmlinge. Die Nachbarn schauen aus den Fenstern. Eine fragt: „Ihr Ernst?“ Sabine lacht auf. „Mein Ernst.“ Und korrigiert sich im selben Atemzug: „Nein. Mein Vergnügen!“
Als der ganze Haufen drinnen ist, stellt der Mädelstrupp verblüfft fest: Es gibt noch immer freie Plätze. Das geht nicht, findet Sabine. Full house, volles Haus ist heute angesagt. Kurzentschlossen greift sie zum Handy und ruft erst bei der Flüchtlingsbeauftragten und dann noch bei der Bahnhofsmission an und lädt ein: Reisende und Gestrandete. Keine Ahnung, wer da jetzt noch auftauchen wird. Doch das Fest kann steigen. Jetzt und hier. Sabine holt die Gaumenschmeichler und reicht sie rum. Zum Genießen, während sie auf den Rest warten. Da entdeckt sie den Postboten unter ihren Gästen. Er nimmt sich ein Stück gebeizten Lachs auf Wildkräuterbutter, schüttelt den Kopf und sagt: „Wie kann man nur so blöd sein, sich so ein Fest entgehen zu lassen. Lecker. Wie das schmeckt!“
Lasse ich mich stören?Wie kann man nur so blöd sein. Gute Frage aus seiner Perspektive. Doch die ursprünglich Geladenen fanden es eine dumme Idee, sich in ihren Plänen, in ihren Prioritäten stören zu lassen. Und ich fühle mich ertappt: Wovon lasse ich mich stören? Wofür schmeiße ich meine Pläne um? Oder für wen? Wo liegen meine Prioritäten? (Ich z.B. finde mich schnell in Tine wieder: Die Arbeit erlaubt es nicht. Arbeit hat Vorrang. Pflicht hat Vorrang.) Wo handle ich dumm, wo klug?
Jesu Geschichte, Sabines Erfahrung, sie erinnern mich: Mir könnte etwas entgehen. Oder anders formuliert: Gestört zu werden, sich stören zu lassen, könnte etwas haben. Vor allem, wenn durch die Störung – oder besser noch: Vor allem, wenn durch die Einladung etwas von Lebensfülle, von Gottes Reich durchscheint:
Da steht ein Regenbogen am Himmel – eine Einladung zum Staunen. Komm und sieh! Jetzt. Später ist er weg.
Da bekomme ich mit: Eine gute Bekannte ist schwer erkrankt. Eine Einladung, sie noch einmal zu besuchen, wird mir klar. Jetzt ist die Zeit. Es gibt ein „Zu spät“.
Auf der Dienstfahrt komme ich an einer Kapelle vorbei. Komm rein, flüstert sie mir zu. Eine Einladung, mich unterbrechen zu lassen. Wenn ich weiterfahre, war’s das. Jedenfalls mit und in dieser Kapelle.
Einladend stehen die Stühle vor dem Eiscafé. Mir jetzt ein Eis in der Sonne gönnen. Kann ich’s mir zeitlich leisten? Wenn ich weitergehe, entgehe ich dem Moment der Lebensfreude: Krokanteis. Lecker.
Die Kirchengemeinde feiert ihr Sommerfest. Die Einladung steht im Gemeindebrief und ist auf Plakaten abgedruckt. Ich bin doch nicht gemeint. Oder doch?
Lasse ich mich stören? Vom wem? Wo liegen meine Prioritäten?
Das schmeckt, die Einladung zum Leben. Lecker!Andererseits: Sabine lässt sich auch nicht stören. Kurz aus dem Gleichgewicht gebracht, beharrt sie dann doch auf ihrer Absicht: Das Fest mit vielen findet statt. Gemeinschaft findet statt. Sich nicht stören zu lassen, bringt ihr etwas, bringt ihr Freude, macht sie glückselig. Und ihre Gäste auch.
Glückselig. Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes. Weil Gott sich nicht stören lässt. Das Fest mit vielen findet statt.
Glückselig. Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes. Die sich stören lassen und der Einladung folgen. Die den Regenbogen bestaunen, ihre Pläne unterbrechen, Gemeinschaft genießen und Essen und das Leben.
Jetzt/ In dieser Woche sind wir gefragt: Wir sind eingeladen! Kommt, denn es ist alles bereit! Ergreift, was euch geboten wird und lasst es euch schmecken!
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