2. Sonntag nach Trinitatis (26. Juni 2022)
Pfarrerin Dr. Karoline Rittberger-Klas, Tübingen [karoline.rittberger-klas@elkw.de]
Jona 3,1-10
IntentionGott geht mit, wenn sich die Welt und das Leben verändern. Die Predigt soll Mut machen, Veränderungen mitzumachen anstatt auf einmal gefassten Grundsätzen zu beharren.
Wer A sagt, muss nicht B sagenWer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.
Liebe Gemeinde, wie geht es Ihnen mit diesem Satz von Bertolt Brecht? Meistens hören und sagen wir es ja umgekehrt. Wer A sagt, muss auch B sagen. Am Ball bleiben, durchhalten, konsequent sein: Das sind wichtige Tugenden. Aber manchmal führen sie auch in die Irre. Manchmal ist es wichtig zu erkennen: Wie ich es bisher mache, ist es nicht gut. Und wenn ich daran festhalte, wird es noch schlimmer.
Das zuzugeben, auch vor sich selbst, ist meistens nicht einfach. Und noch schwerer ist es, dann auch wirklich etwas zu verändern. Oder zuzulassen, dass sich um mich herum etwas ändert. Dass es in der Familie ruckelt, wenn ein Familienmitglied merkt: So wie bisher passt die Aufgabenverteilung für mich nicht mehr. Dass sich in der Kirchengemeinde vor Ort etwas anders entwickelt als es ursprünglich geplant war, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben.
Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. Das ist nicht einfach, aber: Es ist eine wichtige Möglichkeit für uns Menschen. Und: Es ist sogar eine Möglichkeit für Gott. Hören wir dazu einen Abschnitt aus der Geschichte des Propheten Jona:
„Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der HERR gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht.“
Ninive kehrt um – und Gott auchErkennen, dass A falsch war – die Menschen von Ninive sind dazu fähig. Eine radikale Kehrtwende legen sie hin. Sie verstehen, dass es niemandem gutgetan hat, wie sie gelebt haben – weder ihnen selbst noch anderen. Und sie verstehen es nicht nur mit dem Kopf, sondern lassen es sich selbst am ganzen Körper spüren. Sie gehen sprichwörtlich in Sack und Asche. Sie essen und trinken nichts. Und zwar alle – vom König bis zum Schaf. Und sie beten, suchen die Verbindung zu Gott – denn sie haben die verwegene Hoffnung, dass Gott es ebenso machen könnte wie sie. Dass auch er nach A nicht einfach B sagt: Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut…, an dieser Möglichkeit halten sie sich fest.
Und tatsächlich – auch Gott kehrt um. Er ist beeindruckt davon, wie ganz Ninive beherzt einen neuen Weg einschlägt. Und es reut ihn nun, dass er der ganzen Stadt den Untergang angekündigt hat. Es reut Gott: das hebräische Wort dafür, das finde ich spannend, steht ursprünglich für das befreiende Aufatmen nach einer Atemnot. Gott, heißt das doch, hätte die schreckliche Strafe nur mit angehaltenem Atem ausgeführt. Dieses Strafgericht lässt seinen Atem stocken. Nein, Gott will sie nicht vernichten, er, der Menschen und Tieren hilft, wie wir vorhin im Psalm gebetet haben. Und als die Menschen umkehren, da atmet Gott selbst erleichtert auf. Ninive darf leben. Aus A folgt nicht zwangsläufig B.
Jona und die Frage nach der VerlässlichkeitEigentlich ist jetzt alles gut. Nur für einen nicht: für den Propheten Jona, dem die Niniviten ihre Rettung verdanken. Jona, so wird im letzten Kapitel des Buches erzählt, hadert mit Gottes Reue. Von Anfang an war ihm dieser Auftrag zuwider. Weggelaufen ist er, auf ein Schiff gestiegen, um ihm zu entgehen. Aber Gott hat ihn nicht entkommen lassen. Im Sturm über Bord geworfen, im Bauch des Fisches gerettet, landet Jona schließlich doch in Ninive – und ist am Ende zornig: Ich wusste, dass du gnädig, barmherzig und langmütig bist, hält er Gott entgegen. Deshalb wollte ich von vornherein nicht gehen. Ich wusste, du ziehst das nicht durch!
Können Sie Jonas Enttäuschung verstehen? Ich sehe zwei Gründe für seine Wut auf Gott. Der eine ist nur zu verstehen, wenn man sich klar macht, welche Bedeutung die Stadt Ninive hatte. Ninive war die Hauptstadt und Machtzentrale des assyrischen Weltreichs – bekannt für seine brutale Kriegsführung und gnadenlose Unterjochung der besiegten Völker. Wer heute Bilder vom Krieg im Fernsehen sieht, bekommt ein Gespür dafür, was das bedeutet. Und jetzt soll Ninive – auch der König und seine Getreuen – einfach straflos davonkommen, nur weil sie bereuen? Kann das angemessen sein, ist das gerecht – bei dem Maß an Schuld, dass sie auf sich geladen haben? Jona findet: Nein. Und ist enttäuscht. Das ist nicht die Gerechtigkeit, die er von Gott erwartet hat.
Was es aber noch schlimmer für ihn macht, ist das zweite: Er hat das Gefühl, dass er sich nicht auf Gott verlassen kann. Er misstraut Gott. Verlässlichkeit, das bedeutet für Jona genau das: Wer A sagt, muss auch B sagen. Verlässlichkeit bedeutet, nicht plötzlich eine Kehrtwende hinlegen.
Ich habe den Eindruck: So wie Jona empfinden das viele Leute. In der Corona-Zeit zum Beispiel. Da haben sich viele furchtbar geärgert, wenn die Regierung erst gesagt hat, Masken sind nicht so wichtig, und man dann doch überall Masken tragen musste. Mit anderen Vorschriften war es ähnlich. Klar, das hing oft mit neuen Erkenntnissen der Experten zusammen. Aber trotzdem hat es viele Menschen verunsichert – und dann auch geärgert.
Auch in anderen Bereichen reagieren immer einige empfindlich, wenn plötzlich scheinbar andere Grundsätze gelten als vorher. Wenn Kirchengemeinden erst möglichst selbstständig sein sollen – und plötzlich alles mit dem Nachbardorf abstimmen müssen. Oder wenn das, was in der Bibel zur Homosexualität steht, heute anders gelesen wird als früher. Das wirkt auf manche so, als würde man Gottes Meinung ändern wollen. Und wenn nicht einmal Gott für ewige und unverrückbare Grundsätze steht – wo soll das hinführen? So fragen sich einige – und ziehen sich manchmal ganz aus der Gemeinde oder sogar aus der Gesellschaft zurück.
Die Menschen in Ninive und das GottvertrauenNun, die Geschichte von Jona zeigt: Der Gott Israels, den Jesus Vater nennt, war nie ein Gott der unverrückbaren Grundsätze. Seine Verlässlichkeit zeigt sich nicht darin, dass immer alles gleich bleibt, dass nach A immer B folgt. Sondern darin, dass er bei uns bleibt – auch wenn sich vieles ändert.
Genauso hat es ja auch Jona erfahren: Gott bleibt bei ihm, als er im Meer versinkt. Und Gott bedauert es, als Jona sich am Ende trotzig zurückzieht. Ob Jona das irgendwann spüren und begreifen kann – dass Gott verlässlich bleibt, auch wenn sich alles ändert? Ob er Gott neu vertrauen kann? Im Buch Jona erfahren wir es nicht mehr.
Da sind es andere, die Gott vertrauen: Die Leute von Ninive. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott, wird von ihnen erzählt. Das bedeutet: Sie hatten Vertrauen. Ein Gott, der frei ist und deshalb gnädig sein kann – für die Menschen in Ninive ist das keine Zumutung, sondern ein Hoffnungsschimmer. Ihre einzige Chance.
A und O statt A und BUnd was das Beste ist: Mit diesem Vertrauen in einen Gott, der mitgeht, auch wenn sich alles ändert, gelingt es den Menschen in Ninive auch, sich selbst zu verändern. Ich glaube, das ist auch heute so. Gott bleibt bei mir, auch wenn mein Leben sich ändert. Wenn ich darauf vertraue, tue ich mich mit Veränderungen leichter. Dann kann ich leichter zugeben, dass A falsch war. Zum Beispiel, dass andere Familienmitglieder ein anderes Tempo haben als ich und es niemandem gut tut, wenn ich meines durchsetzen will. Oder dass es für die Kirchengemeinde jetzt besser ist, sich mit der Nachbargemeinde zusammenzuschließen, auch wenn das vorher nie gewollt war.
Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. Bei Gott ist Raum für beides. Denn Gott ist nicht A oder B, sondern A und O – Anfang und Ende. Seine Güte reicht, so weit der Himmel ist. Gottes Güte macht mir Mut zu erkennen, wenn A falsch war – und macht mich frei, einen neuen Weg einzuschlagen. Gottes Güte macht mich gelassen, wenn der Weg anders verläuft als geplant. Und sie macht mich zuversichtlich. Denn ich glaube: Gott sieht einen Weg für mich – und geht ihn mit. Amen.
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