2. Sonntag nach Trinitatis (14. Juni 2015)
Lukas 14, 15-24
Eine verrückte GeschichteFast auf den Tag genau ein Jahr ist sie nun her, jene Einladung des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Den Haag; die deutsche evangelische Gemeinde wurde in den wunderschönen Räumen der Residenz erwartet und bewirtet. Essen und Trinken standen bereit. Für viele wurde dieser Empfang zu einem unvergesslichen Ereignis. Es war einfach schön, mit einem Tropfen Wehmut dabei, denn wir feierten Abschied.
Heute taucht jener Abend wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich komme auf eine seltsame Idee: Was wäre gewesen, wenn wir damals – ein Pfarr-Ehepaar und eine ganze Gemeinde – nicht hingegangen wären? Wenn der glänzende Saal leer, der schöne weiße Flügel stumm, das leckere Essen unangetastet geblieben wäre? Wenn der Botschafter an der Tür gestanden hätte, um seinen Gästen die Hände zu schütteln – und kein einziger wäre überhaupt erschienen? Eine verrückte Vorstellung. Das gibt es doch gar nicht!
Aber doch, genau das gibt es. Es war einmal – beginnt Jesu zu erzählen – ein Mensch. So namenlos und unbedeutend kann er nicht gewesen sein, denn er kann sich ein Riesenfest leisten. Essen und Trinken soll es geben, so viel das Herz begehrt. Eine Menge Leute werden erwartet. Der Hausherr wird sie gekannt haben: seine Freunde. Gute Bekannte.
Zu Jesu Zeit: die Menschen, die Jesus gerne als Tischgenossen in der neuen Welt Gottes um sich haben möchte. Eben noch lag da ein richtiger Vorgeschmack auf diese neue Gemeinschaft in der Luft: „Glücklich, selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ Einer der Pharisäer, die mit ihm am Tisch saßen, hatte gespürt: Das hier ist ein besonderer Moment. Es ist wie ein offenes Fenster, ein kurzer Blick wird frei auf das Ziel der Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Ein Festmahl, das die Phantasie schon jetzt in den höchsten Tönen der Glückseligkeit besingt. Und man höre und staune: für diesen Pharisäer reicht am Tisch im Reich Gottes ein einziger Bissen Brot, um selig zu sein!
Jesu Geschichte beginnt, wie andere enden: Sie nimmt das gute Ende schon zu Anfang vorweg. Was anderes sollte unser Gastgeber im Sinn haben als nur dieses Eine: dass seine Gäste ablassen von Streit und Sorge und Alltag und Hetze – und dass alle miteinander fröhlich sind? Man lehnt sich zurück, lauscht der Geschichte, freut sich mit und möchte dabei sein. „Kommt, denn es ist alles bereit!“
Und ich stelle mir vor, wie sie strömen in Massen, wie sie drängeln und schubsen, sich gegenseitig zuwinken, wie sie einander begrüßen und umarmen. Vielleicht auch, wie sich da ein paar Leute durch die Menge schieben, die eigentlich noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen hätten: Was, der da – was hat er hier zu suchen? Der Halunke, der mich neulich so schäbig über den Tisch gezogen hat! Und die da? Die mich mit ihrer Hochnäsigkeit so von oben herab behandelt und stehen hat lassen! Aber das sagen sie jetzt nicht. Es spielt keine Rolle. Sie bleiben ein wenig auf Abstand, aber sie sind da und die Zornesfalten auf ihrem Gesicht fangen an sich zu glätten. Alle Gedanken, die dem anderen etwas neiden oder nachtragen wollen, sind verflogen. So stelle ich sie mir vor, diese Einladung zum großen Fest.
Eine grundlose Einladung …Eines erzählt Jesus nicht, wie viel Arbeit es macht, so ein Riesenfest vorzubereiten. Und was es kostet. Der Gastgeber rechnet nicht. Rechnen verdirbt die Laune. Es lenkt den Blick weg von den Gästen und hin aufs Bankkonto.
Nichts gegen die vielen Einladungen, nichts gegen die Feste, die wir alle feiern: in unseren Familien, unter Freunden, bei der Arbeit – und auch in unserer Gemeinde. Aber einfach so, grundlos und ganz und gar ohne einen berechnenden Gedanken im Hinterkopf? Das kommt wohl nicht so oft unter uns vor. Das fasziniert an Jesu Geschichte: „Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein.“ Und wartet nur auf das Eine: dass sie kommen.
… und viele (gute) Gründe, sich zu entschuldigenAber es passiert das Undenkbare. Das Essen steht auf dem Tisch, aber es wird kalt. Der Saal bleibt leer. Niemand, der kommt und Platz nimmt. Ein völlig entgeisterter Gastgeber. Er glaubt es nicht. Jesus selbst kann seine eigene Geschichte kaum glauben. Der erste sagt ab. Er hat einen Acker gekauft. Und es ist, als wollte Jesus sich selbst auf die unfassbare Situation einstellen, die man ja beim ersten Mal gar nicht so richtig wahrnimmt: Was? Hat er eben abgesagt? Ja, er hat abgesagt. Und falls ihr’s nicht glauben wollt, sage ich euch: Auch der zweite Gast wird nicht kommen. Fünf Ochsengespanne hat er sich gekauft. Jetzt muss er sie begutachten, ob er auch gute Ware erhalten hat. Und wer dann immer noch denkt: das war bisher nur Zufall, der hält beim dritten Mal die Luft an. Eine Hochzeit macht auch den dritten Gast zu einem verhinderten Gast.
Zorn und EnttäuschungEnttäuschung, ja Zorn kocht in dem Gastgeber hoch. Was sind das für faule Ausreden! Die Sache mit dem Acker und auch die mit den Ochsengespannen hätten die glücklichen Käufer auch auf später verschieben können. Schwieriger wird es mit der Hochzeit. Wer nimmt schon am Tag der eigenen Hochzeit eine Einladung zu einem anderen Fest an? Ist es die Liebe zwischen Mann und Frau etwa nicht wert, gefeiert zu werden? Oder ist der Gastgeber einfach nur eifersüchtig?
Die Sache beginnt heikel zu werden. Was begonnen hat als Aussicht auf ein strahlendes Fest, droht zu kippen in Zorn und Enttäuschung. Wenn es wahr ist, dass die Geschichte vom großen Festmahl den Blick freigibt auf die neue Welt Gottes, in der Streit und Not ein Ende finden, dann geht es ums Ganze, um das Ziel menschlichen Lebens überhaupt.
Irgendetwas fehlt bei unserem Festmahl. Es sind nicht nur die Gäste, die nicht kommen wollen. Fast sieht es so aus, als hätten gerade sie den Gastgeber erst auf die Idee gebracht: Es gehörten noch ganz andere Leute an den Tisch. „Geh schnell hinaus!“ sagt er zu seinem Knecht, „und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein! Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.“
Was wäre die neue Welt Gottes ohne die vielen, die in Not sind?
Was wäre die Gemeinde Jesu Christi ohne den wachen Blick auf die Menschen, die Hunger haben und Durst nach Gerechtigkeit?
Was wäre der Himmel einer mit Gott und mit sich selbst versöhnten Menschheit, wäre er nur eine Veranstaltung für besonders glückliche Gäste? Die scheinen ja auch ohne den Gastgeber glücklich zu sein. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass ihr Leben ein Geschenk ausgerechnet dieses Gastgebers ist, der ihnen so gleichgültig ist. Und so erfährt die Geschichte nach der unerwarteten Absage der Gäste erneut eine unerwartete Wende:
Das Fest findet stattDas Haus muss voll werden. Jetzt erst recht – mit den zahllosen Menschen, die gar nicht mit einer Einladung gerechnet haben. Mit den vielen, die sich gerade deshalb unbändig freuen, schon lange bevor das Fest überhaupt losgeht. Gar keine Frage: natürlich werden sie kommen!
Wie war noch die Bemerkung jenes Pharisäers, der mit Jesus zu Tisch saß? „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ Ja, so ist es: ein Bissen Brot. Mehr bedarf es nicht, um auf diesem Fest fröhlich zu sein. Man wird es dieser Gesellschaft ansehen, dass sie ein Vorgeschmack ist auf die neue Welt Gottes.
Und wir, heute in diesem Gottesdienst?
Es wird sich wohl lohnen, noch einmal auf den Anfang unserer Geschichte zu hören. So hatte Jesus begonnen zu erzählen: „Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!“
Amen.
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