2. Sonntag nach Epiphanias (20. Januar 2019)
Pfarrer Johannes Schleuning, Weinstadt-Schnait [Pfarramt.Schnait@elkw.de]
Römer 12, 9-16
IntentionIm heutigen Predigttext entfaltet der Apostel Paulus, wie eine Kirche aussieht, die aus dem Brunnen schöpft, aus dessen Wasser Wein wird. Wie es in einer Gemeinde zugeht, die auf den Freudenmeister hört. Und wie jede und jeder Einzelne das ausstrahlt und spüren lässt, was ihm die Gnade schenkt.
Zur Predigt: Die in Anführungszeichen gesetzten Überschriften sind Teil der Predigt.
„Der Freudenmeister“ heißt dieser zweite Sonntag nach dem Erscheinungsfest. Das Evangelium für diesen Sonntag erzählt von der Hochzeit zu Kana als dem ersten Zeichen, das Jesus tut. Dieses erste Zeichen ist ein Freudenzeichen, da wird Wasser zu Wein verwandelt, damit das Hochzeitsfest weitergehen kann. Jesus ist eben gerade kein Spielverderber. Jesus ist ein Freudenmeister. Wo er ist, da ist Grund zur Freude. Zu einer Freude, die mehr ist als gute Partylaune. Sie ist eine Freude, die hell erstrahlt und alle Finsternis vertreibt.
Der Dichter Johann Franck kann deshalb auch sagen: „Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus, tritt herein“ (EG 396, Vers 6). Das Licht dieser Freude macht unser Leben hell. Trotz aller Probleme ermöglicht er Freude.
Im heutigen Predigttext entfaltet der Apostel Paulus, wie eine Kirche aussieht, die aus diesem Brunnen schöpft, aus dessen Wasser Wein wird. Wie es in einer Gemeinde zugeht, die auf den Freudenmeister hört. Und wie jede und jeder Einzelne das ausstrahlt und spüren lässt, was ihm die Gnade schenkt.
Römer 12,9-16: "Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.
Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.
Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht.
Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.
Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug."
„Die Liebe sei ohne Falsch.“Die Agape, die geschwisterliche Liebe, sie war für Paulus immer die kostbarste Gabe des Heiligen Geistes. Die Agape ist ein Charisma, das alle anderen Gnadengaben überstrahlt und zusammenbindet. Wo keine Liebe ist, ist vom Geist Jesu Christi nichts zu spüren. Ohne Liebe bleibt alle Arbeit in einer Gemeinschaft unfruchtbar und sinnlos.
Und wie viel wird möglich, wo geliebt wird. Wie verzweifelt sind Menschen auf der Suche nach Orten, nach Gemeinden, nach Menschen, bei denen brüderliche und schwesterliche Liebe zu spüren ist. Sie sind auf der Suche danach, wo es warm ist, wo sie einer sieht und wahrnimmt. Wo sie einer anhört, ohne gleich ein Urteil über sie zu fällen.
In Stuttgart betreibt die Evangelische Gesellschaft, die „eva“, sogenannte „Wärmestuben“, wo obdachlose Frauen und Männer hinkommen können. Dort gibt es Wärme, Essen und Menschen, die zuhören. Meine Mutter, die viele Jahre bei der „eva“ ehrenamtlich mitgearbeitet hat, hat davon so lebendig erzählt, dass ich heute noch meine, ich sei dabei gewesen. Der Hunger derer, die kommen, ist unbeschreiblich. Nicht nur nach Pizza, Brezeln und Kuchen – das auch! Vor allem aber nach Wärme, nach menschlicher Wärme. Sie sind auf der Suche nach Liebe und Zuwendung. Auf der Suche danach, dass ihnen jemand zuhört und sie annimmt mit allem, was das Leben aus ihnen gemacht hat. Da ist Jesus ganz nah. Er begegnet einem in jedem sehnsuchtsvollen, vom Alkohol gezeichneten Gesicht, das die Tür von der Straße her aufstößt. Er begegnet in jeder Hand, die hilft, die tröstet oder Brote schmiert.
Ich wünsche mir, dass unsere Gemeinden solche „Wärmestuben“ sind, unsere Gottesdienste und unsere Häuser als Christen. Ich wünsche mir, dass jeder, der von draußen kommt, spürt: „Hier ist gut sein.“ Dass Menschen den Freudenmeister bei uns erleben, die wir uns Christen nennen.
„Die Liebe sei ohne Falsch.“ Was wären wir für eine einladende Gemeinde, wenn unsere Liebe ohne Falsch wäre. Die Sitzplätze in Kirche und Gemeindehaus würden nicht ausreichen! Es wäre ein Gedränge wie damals in Kapernaum vor dem Haus, in das der gelähmte Mann hinuntergelassen wurde (vgl. Mk 2,1-12). Wenn wir alle Heuchelei aus unserer Mitte vertrieben. Wenn wir den anderen, die andere als Schwester und Bruder in Christus sähen mitsamt ihrer Last und ihrer Freude und mit allen Ecken und Kanten, Fehlern und Schwächen. Wenn wir lieben könnten ohne Falsch, ohne Hintergedanken, ohne Eigennutz, ohne Missionsabsicht, ohne Erbsenzählerei, einfach nur lieben, wie Christus geliebt hat.
Wir bräuchten weder Gemeindebrief noch Homepage als Werbeträger. Alle Welt würde staunend sagen: „Seht nur, wie lieb sie einander haben.“
„Seid brennend im Geist.“Nur wo es brennt, gibt‘s Licht. Nicht ohne Grund wird in den sieben Sendschreiben der Offenbarung des Johannes die Gemeinde am schärfsten verurteilt, die lau ist, träge und selbstzufrieden. „Ich werde dich“, sagt Christus, „ausspeien aus meinem Munde, weil du lau bist und weder kalt noch heiß“ (vgl. Offb 3,14-22). Wie lauwarmen Kaffee, der weder schön macht noch wach. Das war und ist wohl zu allen Zeiten die größte Gefahr der Kirche in der Nachfolge Jesu, dass sie bequem wird, träge und ganz zufrieden mit sich selbst und der Welt. Dass sie vergisst, mit welch brennender Liebe der Herr sie geliebt hat. Dass sie sich einrichtet, jedem wohl und niemandem weh tut und ihre Botschaft nicht mehr vernehmlich und begeistert verkündigt. Wo der Schulgottesdienst zur Sendung mit der Maus degeneriert und die Jungschar zur bloßen Unterhaltungsstunde. Wo Pfarrer und Mitarbeiter meinen, das Vorhandene gut zu verwalten, sei schon mehr als genug.
Dem hält Paulus entgegen: „Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.“
Die Quelle dieser Lebendigkeit nennt Paulus im nächsten Satz: „Seid beharrlich im Gebet.“ Lasst die Verbindung zum Vater nicht abreißen. Bringt ihm eure Freuden, eure Sorgen, eure Bitten. Holt euch bei ihm neue Kraft, neues Feuer, neue Ideen. Bleibt beharrlich an ihm dran, auch wenn scheinbar keine Antwort kommt. Eine andere Quelle als ihn werdet ihr nicht finden.
„Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“Es ist keine christliche Tugend, unerschütterlich zu sein. Im Gegenteil! Die Menschen sollen unsere Freude spüren und unsere Traurigkeit auch. Und keiner sollte unter uns sitzen, nach dem niemand fragt. Dem niemand die Hand auf die Schulter legt und sagt: „Wie geht es dir heute?“
Die Freude verdoppelt sich bekanntlich, wenn sich jemand mit mir freut. Und das Leid wird ein klein wenig weniger schwer, wenn`s einer mit mir trägt. Es ist schlimm genug, wenn Menschen schon auf dem Rückweg vom Grab wieder vom Geschäft oder vom Wetter anfangen. Wir aber, die wir Christi Namen tragen, sollten das nicht tun. Wir sollten wie er stehen bleiben bei dem, der trauert und mit ihm weinen oder ihn nur still umarmen. Hat Jesus nicht selbst geweint, als sein Freund Lazarus gestorben war? Ich werde nie vergessen, wie mir einmal die Haustür geöffnet wurde mit den Worten: „Ah, kommen Sie rein, wir heulen gerade ein bisschen.“
„Nehmt euch der Nöte der Heiligen an.“Fragt nach den Christen, die weniger haben als ihr habt – und das sind die allermeisten auf der Welt. Paulus sammelt ohne Unterlass Geld für die Urgemeinde in Jerusalem, obwohl er dort seine herbsten Kritiker hat. Aber er weiß, dass ohne Einstehen für andere unser Glaube tot an sich selber wäre, ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.
„Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht.“Daraus klingt unüberhörbar die Stimme dessen, der Paulus berufen hat. Es ist die Stimme des Bergpredigers mit seiner beharrlichen Liebe, die keinen aufgibt. Es ist die Stimme, die selbst am Kreuz noch sagen kann: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).
Ob wir soweit kommen? Paulus jedenfalls traut es uns zu: Ihr seid von Gott so sehr geliebt, von Schuld befreit, gerecht gesprochen aus Gnade – wie sollte da eure Liebe nicht weiter reichen als zu euren Lieben? Schließt eure Feinde ein in euer Gebet. Segnet sie und verflucht sie nicht. Ihr werdet sehen, was das für Wunder wirken kann.
„Haltet euch nicht selbst für klug.“Nicht dass wir uns für dumm halten sollen oder uns für dumm verkaufen lassen! Aber unsere Klugheit soll dem Ganzen dienen, soll eingebracht werden in die Gemeinschaft aller Christenmenschen. Sich selbst für klug zu halten, führt meist in die Irre. Auch hier bestimmt Jesus die Richtung: nicht nach eigener Größe trachten, sondern sich kleiner machen als die anderen. Mehr sein als scheinen. Und so den anderen dienen. Wie der, der es „nicht als einen Raub erachtete, Gott gleich zu sein, sondern erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an“ (Phil 4,6-7). In dieser Knechtsgestalt liegen seine Größe und seine heilende Kraft. Wie sollte das bei uns anders sein?
Von Papst Johannes XXIII. sagt man, er habe auf seinem Schreibtisch eine Karte stehen gehabt mit dem Satz: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“ In dieser Haltung lagen seine Weisheit, sein Humor und sein kindlich fester Glaube. Gerade durch dieses Sich-selbst-nicht-für-klug-Halten hat er seiner Kirche gedient. Er hat sie, wie ich meine, reformiert wie kein Papst vor ihm und vielleicht auch keiner nach ihm.
„Die Liebe sei ohne Falsch.“ Wie schön und frisch ist eine Kirche, die aus diesem Brunnen schöpft, der aus Wasser Wein werden lässt. Wie lebendig ist eine Gemeinde, die auf den Freudenmeister Jesus hört. Und wie hell strahlt jeder Einzelne von uns, wenn er aus dessen Gnade lebt und sie weitergibt.
Amen.
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