2. Sonntag nach Epiphanias (14. Januar 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Barbara Vollmer, Bad Wurzach [barbara.vollmer@elkw.de]

1. Korinther 2, 1-10

Liebe Gemeinde,

„Nicht Menschenweisheit, sondern Gottes Kraft“. Bei diesen Worten, die Paulus nach Korinth schreibt, fiel mir gleich eine Frau ein, die ich in einer meiner früheren Gemeinden auf der Schwäbischen Alb besucht habe.
Sie war eine einfache Bauersfrau, in dem Dörfchen geboren, in dem sie auch als Hochbetagte noch lebte. Dort war sie zur Schule gegangen, dort hat sie geheiratet, dort hat sie ihr Lebtag gelebt und wurde nun im Hause ihrer Kinder alt.
Sie war nicht weit herumgekommen, in ihrem Leben. Sie war nie in Stuttgart gewesen, warum auch? In Ihrer Kindheit und Jugend waren Reisen nach Bad Urach schon größere Unterfangen: man musste ja überwiegend zu Fuß gehen, und außerdem bekam man (auch in späteren Jahren) in Münsingen ja doch alles, was man brauchte.
Natürlich hatte sie auch keine höhere Bildung genossen, und doch war sie auf ihre Art eine weise alte Frau, von der ich immer beschenkt und bereichert nach Hause ging. Ihr Reichtum lag in ihrem Glauben. Sie hatte ein unerschütterliches Vertrauen in Jesus Christus, schlicht und unangefochten und tief, wie ich mir es nur träumen konnte.
Sie wusste nichts von historisch-kritischer Bibelforschung; sie beschäftigte sich nicht mit theologischen oder philosophischen Fragen; sie vertraute einfach!
Sie vertraute ihrem Herrn Jesus Christus, und sie wusste ganz fest, dass er für sie gestorben war und sie dadurch erlöst hatte. Und dies half ihr im Leben und schließlich auch im Sterben.
Ihr Glaube stand „nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“.
Und ich, die Zweiflerin, die je und je (nicht zuletzt durch vermeintlich kluge Gedanken) Angefochtene, beneide sie bis heute darum.

Die Bibel hat doch RechtDie Worte des Paulus lassen mich auch an die Diskussionen in der Schule denken, wenn es um die Frage geht, ob die Bibel denn nun Recht habe oder nicht. Meist entzündet sich solch eine Diskussion an unseren Schöpfungsgeschichten und wird als Kontroverse zwischen Glaube und Wissenschaft geführt: Wenn sich die Welt – wie die naturwissenschaftlichen Ansätze ja durchaus plausibel nahelegen – in Jahrmillionen von Jahren entwickelt hat, dann kann die Bibel doch nicht recht haben!
Ich versuche dann, meine Schüler und Schülerinnen auf die Spur zu bringen, dass in der Bibel Wahrheiten ganz anderer Natur enthalten sind. Sie will nicht immer geschichtliche oder wissenschaftliche Realitäten vermitteln, die nachprüfbar oder beweisbar wären (niemand hat bis heute beweisen können, dass es einen Gott gibt), sie beantwortet vielmehr Fragen, die wissenschaftlich nicht zu beantworten sind: Fragen nach dem Woher und Wohin? Fragen nach dem Warum und Wieso? Fragen nach Schuld und Erlösung.
Und da gibt sie uns Christen und Christinnen eine ungeheure Antwort: Wir kommen von Gott, wir gehen zu Gott. Dies ist ein Gott, der ewig ist, das heißt vor aller Zeit da war und auch nach dem Ende aller Zeiten da sein wird (für uns Menschen ist Ewigkeit einfach nicht vorstellbar, und schon gar nicht nachweisbar). Und: Wir haben einen Gott, der sich selbst für
uns einsetzt. Einen Gott, der uns so liebt, dass er sich für uns hingibt.

Das Kreuz als Mitte des Evangeliums ...Und das ist gewiss eine Ungeheuerlichkeit: dass ein Gott sich ans Kreuz schlagen lässt. Hätte er nicht herabsteigen können vom Kreuz und mit Macht einmal aufräumen können unter den Gewalttätern, unter den Zynikern und Machtmenschen?
Diese Frage bewegt uns ja alle bis heute: Warum lässt Gott all das zu? Warum greift er nicht ein, wenn ein amerikanischer Präsident kurz mal die Welt aufmischt? Wenn der Islamische Staat seine Bomben wirft? Wenn ein kleines Kind an Krebs erkrankt und stirbt?
Warum steigt Gott nicht von seinem Kreuz herunter und erweist sich als der Allmächtige, den wir in unserem Glaubensbekenntnis bekennen?
Und die Antwort ist so einfach wie anstößig: Unser Gott erweist seine mächtige Liebe zu uns Menschen eben gerade nicht in Machtspielen, sondern darin, dass er sich uns gleichmacht. Er wird einer von uns, arm, elend, unbedeutend, wie das Kind im Stall, dessen Geburt wir an den Sonntagen nach Epiphanias noch immer feiern.
Er wird einer von uns: lebt, isst, trinkt, freut sich, hat Freunde und wird von vermeintlichen Freunden enttäuscht. Wie wir.
Er wird einer von uns: hat Höhen und Tiefen, ist brillant und erschöpft, leidet Todesängste, muss schrecklichste Schmerzen aushalten und Einsamkeit und wähnt sich sogar gottverlassen und schließlich stirbt er. Wie wir.
Paulus sieht in diesem Tod am Kreuz die Mitte des Evangeliums. Das Kreuz ist für ihn das, was uns die Erlösung bringt. Dass Gott sich selbst hingibt, dass er – wie er es sich „sühnetheologisch“ vorstellt – unsere Schuld auf sich nimmt und uns dadurch erlöst.

… aber: wem dient ein ohnmächtiger Gott?Ein sterbender Gott, ein am Kreuz hingerichteter Christus, das – so sieht Paulus selbst – kann für viele nur als Unsinn gelten. Ein ohnmächtiger Gott – wem soll der denn helfen? Kann der überhaupt helfen? Und dann wieder die Frage – warum hilft er denn nicht?
Ein ohnmächtiger Gott – ich gestehe, mir hilft er. Mir hilft die Vorstellung, dass unser Gott kein Gott ist, der nicht wüsste, was es heißt, als Mensch zu leben. Er weiß es: Er ist einer von uns geworden.
Und mir hilft auch, dass unser Gott einer ist, der Schluss gemacht hat mit dem „Auge um Auge-Prinzip“, einer, der die Spirale der Machtspielchen und Gewaltexzesse nicht weiter in die Höhe treibt, sich ihr vielmehr verweigert.
„Begreift doch endlich“, höre ich darin: „Gewalt ist keine Lösung! Euer Wettbewerb um den höchsten Rang, den größten Einfluss und die meiste Macht dient nicht mir, dient nicht dem Miteinander, sondern immer nur euch selbst.“

Machtspiele in KorinthUm Machtspiele ging es auch in Korinth. Paulus hatte die viel versprechende Gemeinde in der Multi-Kulti-Hafenstadt Korinth gegründet. Aus der Synagoge, wo er in jeder Stadt zunächst mit seiner Mission anfing, wurde er bald verbannt. Vielleicht gut so, denn so blieb nichts übrig, als die „Heiden“ zu missionieren. Und die fanden sich ein: Herren und Sklaven, hoch gestellte Frauen und einfache Mägde. Die Gemeinde wuchs gefährlich schnell, so schnell, dass Paulus schließlich die Stadt und die Gemeinde verlassen musste.
Man stelle sich nun vor: eine junge christliche Gemeinde, gerade mal in grundsätzlichen Fragen unterwiesen und nun ohne „Fachmann“ auf sich gestellt. Das wirft Fragen auf, zumal nach Paulus andere christliche Missionare kommen, die andere Schwerpunkte setzen. Die auf „Erkenntnis“ und „Weisheit“ setzen, die geschliffen reden können, anders als Paulus, der Zeit seines Lebens damit kämpft, dass er wohl nicht halb so gut reden wie schreiben kann.
„Mit Zittern und Zagen“ sei er deshalb auch vor ihnen gestanden, schreibt er nach Korinth. Und auch nicht mit irgendwelchen philosophischen Konzepten oder beeindruckenden Weisheiten, sondern allein mit dem unerschütterlichen Glauben an den gekreuzigten Christus. Ihm war Paulus vor Damaskus „begegnet“, ihn konnte er nicht mehr aus dem Herzen verbannen. Ihm, der am Kreuze hingerichtet wurde, traute er alles zu. Und, so beschwört er die Korinther fast: Auf ihn allein kommt es an.

„Der Glaube ist ein steter und unverwandter Blick auf Christus“ (Martin Luther)Und da bin ich wieder zurück in meiner früheren Gemeinde auf der Alb, bei der alten Frau, die nichts weiß von philosophischen Haarspaltereien und die ihren Glauben sicherlich in keinem Symposium verteidigen könnte. Jedenfalls nicht mit geschliffenen Worten und klugen Gedanken.
Vielleicht aber doch mit ihrem unerschütterlichen Vertrauen in ihren Herrn Jesus Christus, dem sie sich anvertraut hat im Leben und im Sterben; diesem Erlöser, dessen Stärke es ist, uns nahe zu sein, ganz nahe, weil er alle Höhen und Tiefen, alle Lust und alle Abgründe des menschlichen Lebens kennt; unserem Gott, der uns lehrt, worauf es im Leben ankommt: nicht auf Klugheit, die uns vor anderen glänzen lässt; nicht auf Macht, die notfalls mit Gewalt demonstriert werden muss, sondern auf Liebe und Erbarmen, mit der der vermeintlich ohnmächtige Gott sich hingibt am Kreuz. Uns zugute.
Martin Luther hat einmal gesagt (und bestimmt hat er das bei Paulus gelernt): „Der Glaube ist ein steter und unverwandter Blick auf Christus.“ So schlicht offenbart sich uns die Weisheit Gottes. So schlicht und so befreiend.
Amen.

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