2. Sonntag nach Epiphanias (15. Januar 2017)
Pfarrerin Barbara Vollmer, Bad Wurzach [barbara.vollmer@elkw.de]
2. Mose 33, 12-23
Der unverfügbare GottGottes Angesicht, liebe Gemeinde, kann man nicht sehen! Ein wahrer, aber auch ein frustrierender Satz. Denn ist es nicht gerade das, wonach wir alle mehr oder weniger auf der Suche sind? Auf der Suche nach dem wahren Gesicht Gottes, dem wir unser Leben anvertrauen wollen? Und dieser Gott sagt zu Mose, sagt zu uns: „Mein Angesicht kann man nicht sehen.“
Und nicht nur das. Er nennt seinen Namen: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“
Was ist das für ein Name? Er passt zu dem letzten Satz unseres Predigttextes: „Mein Angesicht kann man nicht sehen.“
Unmissverständlich macht auch dieser Name klar: Gott ist nicht verfügbar, keinem Menschen. Er bleibt erfahrbar und doch unbekannt. Er fügt unser Leben und bleibt selbst unverfügbar. Er ist herrlich, und doch bleibt uns nur der Abglanz seiner Herrlichkeit. Er geht vorüber, und wir können ihm allenfalls nachblicken.
Die zweifelnden MenschenAber betrachten wir die Geschichte, in der diese Worte Gottes vorkommen, genauer. Es ist eine Mose-Geschichte. Kurz davor steht die Geschichte vom „Goldenen Kalb“, von der Untreue der Menschen Gott gegenüber, die wohl aus Unzufriedenheit und Zweifeln entstanden ist: Mose war lange auf dem Berg Sinai, so lange, dass man schon nicht mehr an seine Rückkehr glaubte. Zuvor war das Volk Israel schon lange durch die Wüste geirrt. So lange, dass es schon nicht mehr an ihr Ziel und ein Ende der Unsicherheit glaubte. So lange, dass die leisen Zweifel an Gott nicht viel mehr als ein paar Sprachrohre brauchten, um laut zu werden.
Mose war weg und Unzufriedene erhoben ihre Stimme.
Es war ein Leichtes, den zweifelnden Menschen einen neuen Gott aufzuschwatzen. Man glaubt so gern an eine starke Macht, wenn man sich ohnmächtig fühlt. Man will sie gerne sehen und erleben. Man lässt sich gern einen neuen Weg aufschwatzen, wenn der alte beschwerlich ist. Das sehen und erleben wir ja gerade heute wieder.
Wir wissen, was damals weiter geschehen ist: Mose kam zurück und bat um Vergebung für sein abtrünniges Volk. Und Gott erbarmt sich. „Ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme“, so ist sein Name.
Und dann erhält Mose den Auftrag, sein kleingläubiges Volk weiter durch die Wüste zu führen, dem versprochenen Ziel entgegen.
Mose war wohl sehr bewusst, welch schwere Aufgabe ihm da abermals übertragen wurde.
Gottes Versprechen und Moses FragenUnd wie bei seiner ersten Berufung, traut er sich diese Aufgabe alleine nicht zu. „Siehe, du sprichst zu mir: Führe das Volk hinaus, und lässt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst… lass mich deinen Weg wissen“, beschwört er Gott geradezu. Und Gott verspricht, dass er vorangehen will.
Aber das ist Mose nicht genug: „Wenn nicht dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf“, hakt er nach. Und wir sind vielleicht verwundert, welchen Ton Mose Gott gegenüber anschlägt. Der hat ihm doch schon seinen Beistand versprochen – braucht es da denn eine weitere Nachfrage? Muss er Gott da nochmals bitten, ja nimmt er ihn den nicht beim Wort?
Biblische Geschichten wie diese, liebe Gemeinde, sind manchmal wie ein Spiegel. Wir sehen hinein und sehen uns, ohne dass uns das immer bewusst würde. Wir sehen uns und unser Leben.
Das große Wissen um Gott und die kleine Kraft des GlaubensMose ist ein Mensch wie wir, einer von uns. Man kann sicher nicht sagen, dass Mose ein glaubensschwacher Mensch gewesen sei. Man kann, wenn man den biblischen Geschichten folgt, auch nicht sagen, dass Gott sich dem Mose verweigert oder entzogen hätte. Er war immer da, hat immer neu geredet, hat sich gezeigt und erbarmt und immer wieder mit neuer Geduld angefangen, mit Mose und mit seinem Volk. Und dennoch: Das Volk hadert, zweifelt und fällt ab. Mose hat es schwer, verliert fast den Mut, braucht immer eine neue Ermutigung und braucht Gottes Beistand, weil er weiß: ‚Ohne Gott kann ich das Ziel nicht finden.‘
Und sehen Sie, liebe Gemeinde, in diesem Punkt geht es Mose nicht anders als uns: Wissen wir denn nicht auch, dass Gott mit uns ist? Wissen wir nicht auch, dass er uns Hilfe und Beistand zugesagt hat? Wissen wir nicht auch, dass unserem Leben ein gutes Ziel bestimmt ist, zu dem Gott uns führen will?
Ja, wir wissen es, wir glauben daran, wir vertrauen darauf, zumindest hoffen wir darauf – und dennoch geht es uns oft und oft wie Mose, der den Mut verliert und die Kraft und den Glauben und der nichts mehr spürt von Gottes Führung und Gottes Beistand und Nähe.
Wie oft beten wir: hilf du mir Gott. Geh du mit mir. Hilf mir wieder. Komm doch. Sei doch da. Zeige dich. Führe mich. Geh voran.
Wissen wir nicht, dass Gott mitgeht? Wissen wir nicht, dass er uns führt? Wissen wir nicht, dass er uns nahe sein will?
Doch, wir wissen es; und wissen es doch nicht. Wir wissen es, und unsere Erfahrung scheint in eine ganz andere Richtung zu gehen.
Der unverfügbare Gott …„Ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme“ – so stellt Gott sich vor – und wir mögen denken: „Ja, genau, so ist er; und es ist so ungerecht, dass es den einen gut und den anderen schlecht geht. Gott ist unberechenbar – Gott ist unverfügbar. „Mein Angesicht kann man nicht sehen.“
Mose, liebe Gemeinde, kommt mit der Unverfügbarkeit Gottes ebenso wenig zurecht wie wir. Er will seinen Beistand erzwingen – und Gott sagt ihn zu. Er will aber mehr noch, seinen Namen wissen. Das ist besonders brisant, denn in alten Zeiten glaubte man, dass man über den, den man mit Namen kennt, auch in gewisser Weise Macht habe, dass man über ihn verfügen könne.
Es ist deshalb geradezu genial, mit welchem Namen sich Gott vorstellt: „Ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme“, sagt er hier und an einer früheren Stelle, bei der Erscheinung am Dornbusch: „Ich werde sein, der ich sein werde.“
Das heißt Gott legt sich mit seinem Namen nicht fest. Sein Name drückt geradezu aus, wie souverän und unverfügbar er ist und bleibt. Das gilt für Mose und das gilt für uns.
Gott ist unverfügbar, wir können ihn nicht einordnen, nicht festlegen. Wir können ihn nicht umfassend kennen.
… und der verunsicherte Mose„Lass mich deine Herrlichkeit sehen“, bittet Mose Gott. Ich verstehe dies als die letzte Bitte eines verunsicherten Menschen. Mose soll sich mit einem schwierigen Volk auf einen schwierigen Weg machen; zu einem Ziel, das nach langer schwerer Wegstrecke, noch immer in weiter Ferne liegt.
Wer von uns wollte da nicht Klarheit und Gewissheit? Wer wollte nicht genau wissen, mit wem er es zu tun hat? Und vor allem, wer wüsste nicht gern, wie groß die Macht und Herrlichkeit dessen ist, auf dessen Hilfe man angewiesen ist?
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen“ – das ist die Bitte eines Menschen, der durch viele zermürbende, leidvolle Erfahrungen Kraft und Mut verloren hat, allein auf Gottes Zusagen, allein auf sein Versprechen zu trauen.
Ja, Mose glaubt, wir glauben, dass Gott mit uns gehen will. Er ist uns nahe, hilft uns weiter – was aber wird aus diesem Glauben, wenn so lange schon nichts mehr von seiner Nähe, nichts von seinem Beistand und erst recht nichts von seiner Hilfe zu spüren ist? Dann wollen auch wir endlich einmal „seine Herrlichkeit“ sehen.
Gott kann man nur hinterhersehen„Mein Angesicht kann man nicht sehen“ – bekommt Mose zur Antwort, „aber ich will dich in eine Felskluft stellen, wenn ich vorüberziehe meine Hand über dich halten und dann darfst du hinter mir hersehen“.
Auch das ist eine Erfahrung, die mit Mose alle Menschen machen werden: Gott kann man nur hinterhersehen.
Was soll das heißen?
Ich meine, damit ist die ebenso schlichte, wie schmerzliche Tatsache umschrieben, dass der Mensch Gott nicht fassen kann, nicht begreifen und manchmal nicht einmal mehr ahnen.
Besonders in den schweren Stunden unseres Lebens werden wir Gott immer erst im Nachhinein darin entdecken. Wo wir uns hilflos, ratlos und vollkommen verlassen vorkommen, gerade auch von Gott. Dort wird uns erst im Nachhinein bewusst, dass Gott doch immer in unserer Nähe war. Wo wir schmerzlichste Lebenserfahrungen machen, mit Krankheit und Tod, mit Trennung und Abschied konfrontiert werden, da werden wir erst im Neubeginn erkennen, was Gottes gute Absicht mit uns war.
Gottes Herrlichkeit kann kein Mensch anschauen, Gottes Wesen kann niemand umfassen, wahrnehmen, niemand kann ihm in sein Angesicht schauen.
Das gilt für schwere Zeiten genauso wie für gute, wenn auch in den guten Zeiten die Fragestellung eine andere ist.
Da mag es uns nämlich mehr um die Frage gehen, wie Gott denn nun zu verstehen sei, wer er ist, welche Gestalt, welches Wesen, welches Wirken ihm zuzuschreiben sei. Und wir wissen, wie viele Antworten Menschen darauf suchen und finden. Wie viele verschiedene Versuche es allein im Christentum gibt, Gott umfassend und angemessen zu beschreiben. Und wir wissen auch, wie viel Eifer, wie viel Unfreundlichkeit, wie viele Gehässigkeiten und Streitigkeiten es gerade darum gibt: um den richtigen Glauben an den richtigen Gott.
Gerade auch in diesem Zusammenhang scheint es mir wichtig, dass wir uns von unserem Predigttext aus dem Alten Testament sagen lassen: Gott ist unverfügbar, sein Angesicht kann man nicht sehen. Seine Herrlichkeit weder erfassen, noch aushalten, und seine Wege nur begreifen, wenn man ihm hinterher sieht.
„Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir“, singen wir nach der Predigt. Gott hinterhersehen, heißt wohl auch: An ihm festhalten, wenn er unverständlich bleibt; und lange, lange, lebenslang darauf achten, wie er sich mir zeigt, dieser unverfügbare Gott, den wir nicht festlegen können, der sich aber selbst gleichwohl festgelegt hat.
Gottes Angesicht in ChristusDieser 2. Sonntag nach Epiphanias, liebe Gemeinde, trägt die inhaltliche (liturgische) Überschrift „Der Freudenmeister“. Jesus, der Freudenmeister, ist damit gemeint und deshalb darf dieser Predigt der Hinweis nicht fehlen, dass wir als Christen in Jesus, dem Christus, sehr wohl eine Anschauung von Gott haben. Von Gott, dessen Wesen die Liebe zu uns Menschen ausmacht. Aus diesem Grunde wissen und glauben wir ja auch in schweren Zeiten, manchmal allem Augenschein zum Trotz, dass Gottes Weg mit uns zu einem guten Ziel führt und dass er uns vorausgeht, nahe bei uns ist und bleibt.
Von Gottes liebendem Wesen wissen wir, weil Jesus in unsere Welt gekommen ist. Und zur Liebe hat sich Gott verpflichtet. Wie er aber diese Liebe zum Ausdruck bringt, das hat er sich vorbehalten. Darin bleibt er unverfügbar der, der er sein will und sein wird.
Und dennoch ist auf Gottes Liebe Verlass – das sagt uns nicht nur die biblische Geschichte um Mose. Das sagt uns auch unser Leben, besonders dann, wenn wir Gott hinterherblicken können und wollen. Amen.
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