2. Advent (08. Dezember 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Sonja Kuttler, Bondorf [sonja.kuttler@elkw.de]

Jesaja 35,3–10

IntentionDie Predigt zielt darauf, dem Sinn der Adventszeit auf die Spur zu kommen: Dass Gott in Jesus in eine gebrochene Welt hineingekommen ist, um Hoffnung zu schenken und Menschen aufzurichten.

Liebe Gemeinde!
Was verbinden Sie mit der Adventszeit? Als erstes denke ich selbst an die vielen Lichter: die Kerzen, die wir anzünden, und die Lichterketten, die wir aufhängen. Die Adventszeit ist eine Zeit, in der wir es uns gemütlich machen mit Tee und Plätzchen. Eine Zeit, in der es besinnlich und schön heimelig sein soll.

Aber manchmal scheint es mir, als ob wir uns in der Adventszeit etwas vormachen. Wir schmücken die Wohnung mit Sternen und Lichtern, tauchen ein in den Duft von Zimt und Nelken. Und draußen bleibt die Welt wie sie ist. Es ist, als ob wir versuchen, durch unser adventliches Tun und Treiben der rauen Wirklichkeit zu entkommen.

Das Bibelwort für heute beschwört keine adventliche Stimmung. Es sind Worte, die in unser Leben hineinsprechen, so wie es ist (Jesaja 35,3-10):

„Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: ‚Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.‘ Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“

Trostwort in unsicheren Zeiten„Stärkt die müden Hände! Macht fest die wankenden Knie!“ Was für ein Zuspruch! „Lasst euch stärken, lasst euch aufrichten.“ Zu Menschen ist das gesagt, die müde geworden sind, deren Knie zittern, weil sie nicht wissen, was morgen sein wird.
Auch wenn wir die Wohnung adventlich schmücken und Lichter anzünden, mag es in unseren Herzen vielleicht ganz anders aussehen.
Weil wir mit Sorge auf unsere Welt blicken. Überall Krise, wohin wir schauen: Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Wirtschaftskrise, Klimakrise. „Alles geht vollends den Bach runter,“ das ist die Stimmung, die ich bei vielen Menschen wahrnehme.
Und vielleicht brauchen wir gar nicht in die weite Welt zu blicken. Weil wir im persönlichen Leben belastet sind, und so viel zu tragen haben.
„Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: ‘Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!‘“
Es heißt nicht: „Beißt die Zähne zusammen, krempelt die Ärmel hoch.“ Hier wird nicht appelliert an die vielleicht noch zu mobilisierenden eigenen Kräfte.
Unser Bibelwort nimmt ernst, dass es Momente im Leben gibt, in denen wir am Ende sind, wenn uns die Hoffnung schwindet und der Boden unter uns brüchig wird. Darum »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!«

Worauf richten wir unseren Blick?„Fürchtet euch nicht!“ Das ist gerade denen gesagt, die Angst haben. Nicht als eine Floskel nach dem Motto, „hab dich nicht so!“ Im Gegenteil: „Fürchtet euch nicht.“ Diese Worte spricht der Prophet im Namen Gottes, und sie haben Kraft. Sie wirken, weil Gott es ist, der sie uns zuspricht.
„Fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott.“ Hebt euren Blick, starrt nicht wie gebannt auf das, was euch Angst macht, seht nicht auf euch und eure Möglichkeiten, hebt den Blick, seht auf! Seht auf Gott!
Seht, Gott ist da, mitten in all dem, was euch Angst macht und zum Fürchten ist.

Was ist das für ein Gott?„Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Eine unglaubliche Verheißung: Wenn Gott kommt, dann wird er den Schwachen zu ihrem Recht verhelfen, dann wird er den Unterdrückten helfen. Gottes Rache meint nicht ein böswilliges Heimzahlen, sondern dass er dafür sorgt, dass die Entrechteten zu ihrem Recht kommen. Wenn Gott kommt, dann bricht eine neue Zeit an, in der Krankheit, Leid und Not ein Ende haben. Wenn Gott kommt, dann atmet die ganze Schöpfung auf. Die Wüste blüht.
Aber ist dieses paradiesische Bild nicht eine Wunschvorstellung? Ein schöner Traum, in dem sich unsere Sehnsucht nach einer heilen Welt widerspiegelt. Was haben diese Bilder mit unserer Wirklichkeit zu tun?

Wir warten auf den, der schon gekommen istIn der Adventszeit erinnern wir uns daran, dass Gott schon in unsere Welt gekommen ist. Wir glauben, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist. Jesus ist der Herr der Herrlichkeit, der Retter, der Heiland. So singen wir in unseren Advents- und Weihnachtsliedern.
Jesus wurde einmal von den Anhängern Johannes’ des Täufers gefragt: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ Und Jesus antwortete ihnen: „Sagt Johannes, was ihr hört und seht: ‚Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.‘“
Damit spielt Jesus auf die alten Verheißungen an, und er sagt damit: In ihm erfüllen sich diese Worte – aber ganz anders als alle es erwartet haben.

Gott ist andersSeht, da ist euer Gott, in Jesus kommt er. Aber er kommt nicht mit dem Schwert, um Vergeltung zu üben. Gott kommt in Jesus als kleines Kind, hilflos, ja ohnmächtig, schutzlos. Gott kommt nicht von oben herab, sondern er macht sich klein, um unser Herz zu berühren, um uns in Liebe zu gewinnen. Seht, da ist euer Gott. Kein Gott, vor dem wir uns wegducken müssten, sondern ein Gott, der gekommen ist, um uns zu befreien.
In der Grundschule haben mir Kinder schon öfter gesagt: „Ich würde Gott gerne mal sehen.“ Vielleicht geht es uns Erwachsenen auch manchmal so: So gerne würden wir mehr von Gott sehen, erleben, wie er in unserer Welt wirkt. Wenn wir doch glauben, dass Gott es gut meint mit uns Menschen, dass er uns liebt, warum befreit er uns dann nicht von dem Vielen, das auf uns lastet? Warum nimmt er das Leid und die Not nicht einfach weg?
In Jesus zeigt Gott uns: Er kommt anders als wir uns das oft wünschen. Er kommt unscheinbar, um Menschenherzen zu berühren, um das Licht der Hoffnung zu entzünden. In keinem Winkel unseres Lebens sind wir allein, weil Gott in Jesus in den hintersten Winkel unserer Welt hineingekommen ist. Das stärkt verzagte Herzen.

HoffnungszeichenJesus hat Zeichen gesetzt, um uns die Augen für ihn zu öffnen. Seht, da ist euer Gott. Wenn wir Jesus vertrauen, dann schenkt er uns eine Hoffnung, die uns stark macht, unsere Welt nicht aufzugeben.
Dom Helder Camara, ein früherer Erzbischof von Brasilien ist für mich ein Beispiel, was es heißt, aus dieser Hoffnung, die uns Jesus schenkt, zu leben. Dom Helder Camara war davon überzeugt: „Wenn einer allein träumt, bleibt es ein Traum. Wenn wir aber alle gemeinsam träumen, dann ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ Dieser Bischof war ein furchtloser frommer Mann mit einem großen Herzen für die Armen. Einmal kam eine Abordnung von Fischern zu ihm, weil eine Chemiefabrik ihren Fluss verseuchte, der ihre Lebensgrundlage war. Da eine Demonstration verboten war, beschloss Bischof Camara, zusammen mit den Fischern eine Prozession abzuhalten: Das war erlaubt. Lieder und Gebete waren zu hören, die mahnenden Worte des Bischofs, und die Fischer legten ihre toten Fische als Zeichen vor der Fabrik ab. Noch am gleichen Tag kam es zu Verhandlungen mit der Fabrik, und es wurde eine Kläranlage gebaut.
Aus seiner Hoffnung heraus setzte sich Dom Helder Camara für die Rechte der Armen ein, und er stärkte sie dadurch in ihrem Glauben.

Was Hoffnung schenktDie Bilder der Hoffnung aus unserem Bibelwort sind nicht nur Wunschbilder, sie sind Hoffnungsbilder, weil Jesus uns zeigt: In ihm ist die neue Welt schon angebrochen.
Zwar werden wir eine Welt, in der es keinen Schmerz und kein Seufzen mehr geben wird, erst in der Ewigkeit bei Gott erleben. Aber wenn wir Jesus vertrauen, dann können wir schon jetzt erfahren: Menschen werden aufgerichtet, getröstet, bekommen einen neuen, heilsamen Blick. Und wir können die Hoffnung und die Liebe, die Jesus in unsere Welt gebracht hat, weitertragen.
Advent heißt nicht: heile Welt spielen und die harte Wirklichkeit für ein paar Wochen verdrängen. Advent heißt, dass wir unser Leben, mit allem, was unfertig ist und gebrochen, Gott hinhalten und er sein Licht der Hoffnung in uns anzündet. Weil Jesus gekommen ist, um die verzagten Herzen zu stärken. Amen.

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