2. Advent (08. Dezember 2019)
Pfarrer i.R. Dr. Eberhard Grötzinger, Stuttgart-Weilimdorf [e.groetzinger@vodafone.de]
Lukas 21, 25-33
IntentionIch werbe dafür, Christus schon in der Gegenwart zu erwarten und nicht erst am Ende aller Tage.
21,25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.
31 So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
32 Wahrlich ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.
Leben wir in der „Endzeit“?Auf den ersten Blick scheinen die Voraussagen, die Jesus einst gemacht hat, haargenau auf unsere heutige Zeit zu passen. Es scheint ja wie eine ökologische Katastrophe, von der Jesus hier spricht: „Die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“ Deshalb sagt er voraus: „Die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde.“ Das ist exakt eine Beschreibung unserer Zeit: Furchtbare Wirbelstürme und verheerende Überschwemmungen nehmen zu. Die Wüstengebiete der Erde wachsen als Folge lang anhaltender Dürre. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht geraten. Und die Klimaforscher sagen uns: „Daran ist die Erderwärmung schuld.“ Wenn wir ihre Prognosen ernst nehmen, dann kann uns in der Tat angst und bange werden.
Als Student hatte ich ein Zimmer bei einem Schreiner. Er war ein sehr ernster, frommer Mann und suchte manchmal mit mir das Gespräch über den Glauben. „Da sieht man doch, in was für einer Zeit wir heute leben“, meinte er (damals schon!), „es geht drunter und drüber: die Kriminalität nimmt überhand, man ist sich nicht mehr sicher. Und wenn es Streit gibt zwischen den Russen und den Amerikanern, dann kommt es sowieso zu einem Atomkrieg!“ Daher war er fest davon überzeugt: „Wir leben in der Endzeit! Wir leben kurz vor der Wiederkunft des Herrn!“
Ich wollte meinem Vermieter damals nicht widersprechen. Aber ich konnte auch nicht recht verstehen, warum ihm diese Erkenntnis so wichtig war. Sicherlich müssen wir alle einmal von dieser Welt Abschied nehmen, dachte ich damals. So gesehen, ist für uns doch jede Zeit „Endzeit“, Zeit vor dem Ende, Zeit, die noch bleibt. Das Ende kann ja jederzeit, auch in jungen Jahren, auf uns zukommen. Auch in früheren Jahrhunderten hatte es immer wieder prophetische Stimmen gegeben, die sagten: „Schaut her, es ist heute genauso, wie Jesus es vorausgesagt hat. Die Welt ist völlig aus den Fugen geraten. Wir leben in der Endzeit!“ Das hatte ich im Studium gehört.
Zu jeder Zeit war „Endzeit“Ich glaube: Das, was Jesus einst für die Zukunft vorausgesagt hat, konnten die Menschen in jedem Jahrhundert auf ihre eigene Zeit beziehen. Wann gab es denn eine Zeit, in denen den Völkern nicht angst und bange war „in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen“? Wann gab es je eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war? Die Menschen haben auch in früheren Jahrhunderten unter Naturkatastrophen gelitten, unter tödlichen Krankheiten, unter Kriegen und brutaler Gewaltherrschaft. Und manchmal muss die Lage für sie so bedrohlich geworden sein, dass sie den Eindruck hatten: demnächst wird die ganze Welt untergehen. Doch was bedeutet das? Was ist die Konsequenz für uns Christen?
Jesus sagt: „Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Es gibt wohl kaum ein Wort in der Bibel, das man so gründlich missverstanden hat wie dieses. Man stellte sich bildlich vor, wie Jesus am Ende aller Tage auf einer Wolke auf die Erde niederschweben wird, und stellte dann fest: Gekommen ist er nicht. Bis heute nicht. Nun warten wir schon 2.000 Jahre! Aber kann das Jesus wirklich so buchstäblich gemeint haben? Ich frage Sie: Ist er nicht tatsächlich wiedergekommen, und zwar, so wie es hier heißt, noch zu Lebzeiten seiner Jünger?
Zu jeder Zeit kam der auferstandene Christus wiederDenken wir nur an die zwei, die nach Jesu Tod so traurig unterwegs waren nach Emmaus. Ein Fremder hat sich ihnen zugesellt und ihnen erklärt, warum das alles so sein musste, wie es geschehen war. Sie erkannten ihn nicht. Erst am Abend, als er vor ihnen, wie Jesus es immer tat, das Brot brach, da fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: „Er ist’s!“
Denken wir an Stephanus und an die vielen Märtyrer der ersten Christenheit, die für ihren Glauben ihr Leben riskiert haben. Wer hat ihnen die Kraft dazu gegeben, wenn nicht Christus selbst? Wie ist zu erklären, dass sich der christliche Glaube in den ersten Jahrhunderten rasant im ganzen Mittelmeerraum ausbreitete, obwohl die Christen oft unterdrückt und verfolgt wurden? Wer hat wohl damals in der Antike, in der Feindesliebe ein absolutes Fremdwort war, die Herzen der Menschen berührt, wenn nicht Christus selbst? Und wer hat denn die Kirche in den folgenden Jahrhunderten immer wieder an ihre Botschaft erinnert, wenn sie diese vergessen und sich zu sehr auf weltliche Macht und äußeren Prunk eingelassen hat? Wer gab den Anstoß zu den Reformen der Kirche, wenn nicht der wiedergekommene Herr? Immer wieder redete er zu den Herzen der Menschen, zu gläubigen und auch zu ungläubigen. Immer wieder ließen sich Menschen von seiner Botschaft begeistern. So bekamen sie Kraft, in schwierigen Situationen ihres Lebens mutige Entscheidungen zu treffen.
Wir aber denken, Jesus habe einst seine Botschaft vom Reich Gottes verkündet und wir müssten nun ohne ihn versuchen, sie in die Tat umzusetzen. Damit aber stoßen wir sofort an unsere Grenzen. Wir können die Welt doch nicht retten! Wir können schon in bescheidenem Rahmen dafür sorgen, dass wir mit unseren Nächsten in Frieden leben. Wir können versuchen, dass wir und unsere Kinder die Freude am Leben nicht verlieren. Aber wenn die ganze Welt aus den Fugen zu geraten droht, dann sind wir heillos überfordert. Wir können nicht tun, was nur Gott tun kann!
Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht nur auf das Chaos blicken, das sich in unserer Welt immer wieder breit macht. Die Nachrichten sind voll davon, und sie erzeugen in uns oft ein beklemmendes Gefühl der Hilflosigkeit. Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen halten: Da gibt es auch, ganz real, eine geistige Macht, die immer wieder heilsam in das Weltgeschehen im Großen und im Kleinen eingreift. Für sie ist damals Jesus eingetreten. Für sie wirbt er auch unter uns. Er will uns Mut machen, darauf zu vertrauen, dass Gottes Kraft mächtiger ist als die Kräfte der Zerstörung. „Wenn dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf“, sagt er, „seht auf den, der Rettung verheißt, und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“
Und wo kommt Christus heute her? Vom Himmel natürlich, aus der göttlichen Welt, woher denn sonst? Was hier geschieht, kann niemand arrangieren, organisieren, durch geschicktes Management selbst zuwege bringen, auch die Kirche nicht. Christus kommt – von oben, von Gott. Aber er kommt. Auch heute. Die Wolke ist das Bild für seine himmlische Abkunft. Die Wolke verbindet Himmel und Erde. Und wenn er kommt, dann kommt er als einer, der uns erlösen kann aus den Verstrickungen unserer Seele, in denen wir gefangen sind. Er kommt, um uns davon zu befreien. Er kommt, um denen, die in ständigem Unfrieden leben, Wege zu eröffnen, auf denen sie dem Frieden näherkommen können. Er kommt, damit in Ordnung kommen kann, was in unserer Welt aus den Fugen geraten ist, sicher nicht mit einem Schlag, aber doch nach und nach.
Auch heute gibt es hoffnungsvolle Anzeichen für sein KommenJesus liebte die Natur und sah in den Vorgängen der Natur gerne ein Gleichnis für das Wirken Gottes. So auch hier: Was sagen uns im Winter die Knospen an den Bäumen? Was sagen uns im Frühjahr die Bäume, wenn sie treiben und ausschlagen? Der Sommer ist noch nicht da. Aber er kommt! Die Kraft des Lebens in den Bäumen ist noch verborgen, aber sie ist da! Gott selber wirkt unsichtbar im Verborgenen. Aber er wirkt!
Es ist wahr: Wir durchleben manchmal schwierige Zeiten, und zuweilen haben wir den Eindruck, die ganze Welt liege im Argen. Aber es gibt doch auch bei jedem von uns auch die Momente, die uns Zeichen sein können für Gottes Wirken. Es gibt Zeiten, von denen wir sagen können: Sie sind gut! Zeiten des Friedens, Zeiten der Versöhnung, Zeiten des Trostes, Zeiten des stillen Einverständnisses mit Gott. Solche Momente sind Gold wert. Denn sie zeigen uns, dass Gott diese Welt keineswegs sich selber überlassen hat. Er kommt auch heute, damit sich sein Friede auf ihr ausbreite.
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