2. Advent (04. Dezember 2016)
Pfarrerin Ursula Pelkner, Göppingen [Ursula.Pelkner@elkw.de]
Matthäus 24, 1-14
Liebe Gemeinde,
auf wen sollen wir hören? An was sollen wir uns orientieren? Wem können wir vertrauen?
Wir leben in einer Welt, in der wir immer und überall aus verschiedensten Quellen Informationen beziehen können. Wenn wir wollen, sind wir super informiert. Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet. Wenn ich mir eine Nachrichten-App auf mein Handy lade, weiß ich immer sofort, was gerade in der Welt passiert: Die neueste Katastrophe, die jüngste Entscheidung in Brüssel, der aktuelle Zu-stand der deutschen Wirtschaft … Das ist toll und ein großer Fortschritt gegenüber früheren Zeiten, als man über Tageszeitungen oft nur mit Verzögerung erfahren hat, was los ist.
Wir sind privilegiert gegenüber Ländern, in denen Zensur herrscht und die Bürger sich nur über staatliche gelenkte Medien informieren können. Gleichzeitig sind die unbegrenzten Informationsmöglichkeiten auch ein Problem: Welcher Quelle können wir vertrauen? Wie sollen wir uns ein Bild machen? Wie oft hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass erste Einschätzungen einer Lage völlig falsch waren? Wenn ich heute die Zeitung aufschlage, kann ich mich entscheiden, ob ich an die globale Entwicklung einer Geldherrschaft oder an die Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit glauben will, ob ich der Prognose folgen will, dass sich die Welt nach der Wahl in Amerika auf jeden Fall verdüstern wird oder ob ich der frohen Botschaft, dass Stuttgart 21 im Zeitplan liegt, Glauben schenken soll. Auf wen soll ich hören, an was mich orientieren?
Nun, das Problem der Überinformation herrschte zu biblischen Zeiten nicht. Aber auch damals war es schwer zu entscheiden, wem man folgen sollte. Auch damals gab es sehr unterschiedliche Stimmen, Meinungsmacher, unterschiedliche religiöse und politische Strömungen, die alle die Wahrheit für sich beanspruchten. Es gab falsche Propheten und selbst ernannte Messiasse, die Anhänger um sich scharten.
Auf wen sollen wir hören? – Die Jünger konnten Jesus fragen. Hören wir im heutigen Predigttext, was er geantwortet hat (Matthäus 24,1-14):
„Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.
Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.
Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.
Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie wer-den viele verführen.
Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende.
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.
Das alles aber ist der Anfang der Wehen.
Dann werden sie euch der Bedrängnis überantworten und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.
Dann werden viele zu Fall kommen und werden sich untereinander verraten und sich untereinander hassen.
Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig.
Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen."
Weltuntergangsstimmung damals und heuteApokalypse – es sind düstere Bilder, die Jesus heraufbeschwört: Hungersnöte, Kriege, Erdbeben, Bedrohungen von außen. Aber auch im Inneren der Gemeinde lauern Gefahren: Verrat und Hass, falsche Propheten, die viele in die Irre führen. Typisch apokalyptische Motive tauchen hier auf, Bilder wie wir sie auch beim Propheten Daniel oder in der Offenbarung des Johannes finden können.
Teilweise merkwürdige, fast mystische Bilder, die uns ein vollkommen düsteres Szenario vor Augen malen. Ist uns das fremd, liebe Gemeinde? Einerseits ja, die Sprache ist altertümlich, wir würden vielleicht nicht von Bedrängnissen und von Verführung zum Abfall sprechen.
Andererseits aber auch überhaupt nicht. Nach Kriegen und Erdbeben, nach Hunger und Elend müssen wir dieser Tage nicht lange suchen. Vieles passiert zwar nicht direkt bei uns, sondern in Italien, im Irak und in Syrien, aber über die Nachrichten sickern die schlimmen Ereignisse Tag für Tag in unsere Wohnzimmer. Dazu kommen die düsteren Zukunftsprognosen und Horrorszenarien, die in den Medien gerne ausgebreitet und heraufbeschworen werden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sogenannte Experten geradezu genussvoll alles in den schwärzesten Farben malen. Und auch Menschen in meiner Umgebung scheinen ausgesprochen gerne Weltuntergangsvisionen zu verbreiten. Wohin werden die digitale Revolution und die Entwicklung künstlicher Intelligenz uns führen? Wird menschliche Arbeitskraft bald überflüssig? Werden Computer irgendwann die Macht übernehmen?
Wahre Propheten, falsche Propheten? Auf wen soll ich hören? Bin ich irgendwie schief gewickelt, wenn ich nach Zeichen der Hoffnung suche?
Vielleicht haben Sie den Film „Snowden“ gesehen. Darin wird die Geschichte des US-Amerikaners Edward Snowden gezeigt, seine Entwicklung vom 150%igen Patrioten hin zum Whistleblower. Aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten im Bereich der Softwareentwicklung und aufgrund seiner patriotischen Einstellung gelangt er bis in die Schaltzentrale des US-amerikanischen Geheimdienstes. Nach und nach wird ihm klar, in welchem Umfang die Geheimdienste nicht nur ausländische Spitzenpolitiker, sondern v.a. auch die eigene Bevölkerung ausspionieren. Seine Zweifel an den Zielen der Geheimdienstarbeit werden immer stärker, auch sein Widerwillen, dabei mitzumachen. Bis er sich schließlich entschließt, die ganzen Machenschaften aufzudecken. Wir kennen den Rest der Geschichte. Es ist erschreckend wahrzunehmen, wie angreifbar und letztlich auch manipulierbar wir alle sind, schlicht und einfach, weil wir das Internet nutzen. – Apokalyptische Visionen von der totalen Überwachung.
Die Apokalypse hat Konjunktur, nicht nur damals zur Zeit des Neuen Testaments, sondern auch heute wieder. Der Untergang des Abendlandes wird gerne einmal heraufbeschworen. „Hurra, die Welt geht unter“ – so heißt ein erfolgreiches Lied aus dem vergangenen Jahr, gesungen im Atomschutzbunker.
Das Licht der Liebe anzünden – gegen Dunkelheit und HoffnungslosigkeitAber, liebe Gemeinde, die große Frage ist doch: Was sollen alle diese erschreckenden Enthüllungen? Was bringen uns die Horrorszenarien? Wohin führt es uns, wenn wir auf die hören, die uns eine düstere Zukunft prophezeien? Sollen wir überhaupt auf sie hören, sind das die wahren Propheten? Sollen wir uns erschrecken lassen oder führt das nur zu Angststarre und Resignation?
Und das heute am 2. Advent? Sollen wir da als Christen nicht ein Licht in der Dunkelheit anzünden, anstatt mit den Wölfen heulend die Finsternis zu verstärken? – Ja, genau das sollen wir: ein Licht anzünden in der Dunkelheit gegen die Dunkelheit. Es kann nicht darum gehen, in den Chor der Pessimisten einzustimmen, sondern es geht darum, Lichter anzuzünden und damit auch die Welt in ein neues Licht zu rücken.
Das Licht, das der heutige Predigttext anzündet lautet so: „Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig.“ Nicht im Pessimismus liegt das Heil, sondern im Beharren, im Aushalten und Festhalten, ja, aber an was? Dafür müssen wir den Satz davor zur Kenntnis nehmen: „Weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende …“ Es geht also darum, in der Liebe zu beharren, an der Liebe festzuhalten. Und damit sind wir bei dem, was im Matthäusevangelium sowieso ganz zentral ist: das Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Und, liebe Gemeinde, eines müssen wir klarstellen, bei dieser Liebe zu Gott und den Menschen, da geht es nicht um große Gefühle. Die großen Gefühle sind schön, aber da sie ja leider oft schnell wieder verfliegen, sind sie keine gute Grundlage, um darauf das Reich Gottes und das eigene Leben zu bauen. Nein, es geht um die ganz konkret tätige Liebe. Es geht um Fairness, um Hilfe, um Zuwendung und Wertschätzung. Eben um all das, was ich mir auch von meinen Mitmenschen wünschen würde. Gott lieben heißt, seine Gebote achten und seinen Verheißungen vertrauen, seinen Verheißungen von einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden für alle herrschen. Dass ich darauf bestehe, dass bei Gott mehr möglich ist, als es mir die Schwarzmaler weismachen wollen, das ist gemeint, wenn es heißt: „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“
Am Ende die frohe BotschaftBleibt noch zu klären, was mit dem Ende gemeint ist. Wir tun uns ja vielleicht etwas schwer mit der Rede von der Endzeit oder von der Wiederkunft Christi. Die ersten Christen dagegen, für die das Matthäusevangelium geschrieben wurde, die lebten in der unmittelbaren Erwartung, dass das Ende dieser Welt sehr bald herbeikommen würde. Sie rechneten jederzeit damit, dass Jesus Christus wieder kommen und sein Reich aufrichten würde. Wie das dann genau aussehen sollte, dazu gab es unterschiedliche Vorstellungen. Deshalb fragen sie Jesus nach einem Zeichen: Wann kommt das Ende? Worauf sollen wir achten? Was wird das Zeichen sein? Aber Jesus gibt ihnen kein Zeichen. Es wird keine himmlische Erscheinung und auch kein Menetekel an der Wand geben. Sondern es ist ganz schlicht: „Es wird gepredigt werden dieses Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.“ Jesus hat seinen Jüngern keine Angst eingejagt, sondern Mut gemacht, auszuharren, bis sich am Ende die frohe Botschaft durchsetzen wird.
Und daran können auch wir uns halten: Das Ende ist nicht, wenn unkontrollierbare Computer die Weltherrschaft übernehmen, das Ende ist nicht, wenn der IS uns alle überrollt, sondern das Ende ist, wenn die frohe Botschaft bis ins hinterste Krisengebiet, bis in die letzte Hütte, bis in die Vorstandsetagen und die biederen Wohnzimmer vorgedrungen ist. Es ist kein Ende mit Schrecken, sondern ein Ende der Schrecken.
Und wenn wir jetzt nochmal die Frage vom Anfang stellen: „Auf wen sollen wir hören?“, dann ist die Antwort klar: auf die, die die frohe Botschaft verkünden, auf die, die an der Liebe festhalten, auf die, die uns die Möglichkeiten von Gottes Welt in leuchtenden Farben vor Augen malen und die sich jetzt schon auf den Weg machen, etwas von diesen Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Und wenn wir dann noch fragen: Wer bin ich als Christ/in? Wozu bin ich da? Was ist meine Aufgabe? Dann ist auch hier die Antwort eindeutig: Wir sind frohe Botschafterinnen und Botschafter. Wir machen keine Angst, wir machen Mut.
Die wahren Apokalyptiker decken auf und machen MutAber – das ist mir ganz wichtig – wir sind keine Phantasten. Wir ignorieren nicht die Realität. Wenn wir ein Licht im Dunkeln anzünden, dann kommt damit auch das ans Licht, was viele lieber im Dunkeln lassen würden. Apokalypse, das bedeutet wörtlich Aufdeckung, Enthüllung, es bedeutet eigentlich nicht Weltuntergang. Die biblische Apokalypse deckt Missverhältnisse und schreiende Ungerechtigkeit auf, mit dem Ziel, die Verhältnisse zu verändern. Die wahren Apokalyptiker unserer Tage sind also die Kabarettisten und solche Leute wie Edward Snowden, der Whistleblower. Denn auch ihnen geht es nicht darum, einen Abgesang auf unsere Welt zu halten, sondern darum, Veränderungen in Gang zu setzen. Vielleicht können wir auch die Jungs der Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z. zu den wahren Apokalyptikern zählen: Mit „Hurra, die Welt geht unter“ besingen sie nur vordergründig den Untergang, eigentlich besingen sie eine neue bessere Welt: „Unsere Haustüren müssen keine Schlösser mehr haben, Geld wurde zu Konfetti und wir haben besser geschlafen. Hurra, diese Welt geht unter, hurra, diese Welt geht unter, auf den Trümmern das Paradies.“
Schräg und rau, aber irgendwie auch gut: einfach mal singen, wie es auch sein könnte, wenn Liebe und Vertrauen das Sagen hätten, wenn alle genug hätten und Geld und Gier keine Rolle mehr spielen würden. Neue Worte für alte Visionen. „Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen und niemand wird sie schrecken.“ heißt es im Alten Testament beim Propheten Micha (4,4).
Jede Kerze, die wir am Adventskranz entzünden, sagt: So soll es sein, und so wird es sein, wenn Jesus in diese Welt kommt. Und so ist es schon jetzt, wenn Jesus in unserer Mitte ist: in jedem Hoffnungslied, das wir singen, in jeder Mutmachgeschichte, die wir erzählen, in jeder Hand, die wir einander reichen, in jedem Versuch, die Welt an einer Stelle ein bisschen besser zu machen.
Amen.
Hinweis: Wesentliche Anregungen verdanke ich der Predigtmeditation von Johannes Dürr in: Für Arbeit und Besinnung. Zeitschrift für die Evangelische Landeskirche in Württemberg 20/2016, S.10ff.
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