17. Sonntag nach Trinitatis (13. Oktober 2019)
Josua 2, 1-24
2,1 Josua aber, der Sohn Nuns, sandte von Schittim zwei Männer heimlich als Kundschafter aus und sagte ihnen: Geht hin, seht das Land an, auch Jericho. Die gingen hin und kamen in das Haus einer Hure, die hieß Rahab, und kehrten dort ein. 2 Da wurde dem König von Jericho angesagt: Siehe, es sind in dieser Nacht Männer von Israel hereingekommen, um das Land zu erkunden. 3 Da sandte der König von Jericho zu Rahab und ließ ihr sagen: Gib die Männer heraus, die zu dir in dein Haus gekommen sind; denn sie sind gekommen, um das ganze Land zu erkunden.
4 Aber die Frau verbarg die beiden Männer und sprach: Ja, es sind Männer zu mir hereingekommen, aber ich wusste nicht, woher sie waren. 5 Und als man die Stadttore zuschließen wollte, als es finster wurde, gingen sie hinaus, und ich weiß nicht, wo sie hingegangen sind. Jagt ihnen eilends nach, dann werdet ihr sie ergreifen. 6 Sie aber hatte sie auf das Dach steigen lassen und unter den Flachsstängeln versteckt, die sie auf dem Dach ausgebreitet hatte.
7 Die aber jagten den Männern nach auf dem Wege zum Jordan bis an die Furten, und man schloss das Tor zu, als die draußen waren, die ihnen nachjagten.
8 Und ehe die Männer sich schlafen legten, stieg sie zu ihnen hinauf auf das Dach 9 und sprach zu ihnen: Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat; denn ein Schrecken vor euch ist über uns gefallen, und alle Bewohner des Landes sind vor euch feige geworden.
10 Denn wir haben gehört, wie der HERR das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordans getan habt, wie ihr an ihnen den Bann vollstreckt habt. 11 Und seitdem wir das gehört haben, ist unser Herz verzagt und es wagt keiner mehr, vor euch zu atmen; denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden. 12 So schwört mir nun bei dem HERRN, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, 13 dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.
14 Die Männer sprachen zu ihr: Tun wir nicht Barmherzigkeit und Treue an dir, wenn uns der HERR das Land gibt, so wollen wir selbst des Todes sein, sofern du unsere Sache nicht verrätst.
15 Da ließ Rahab sie an einem Seil durchs Fenster hernieder; denn ihr Haus war an der Stadtmauer, und sie wohnte an der Mauer.
16 Und sie sprach zu ihnen: Geht auf das Gebirge, dass euch nicht begegnen, die euch nachjagen, und verbergt euch dort drei Tage, bis sie zurückkommen, die euch nachjagen; danach geht eure Straße.
17 Die Männer aber sprachen zu ihr: Wir wollen den Eid so einlösen, den du uns hast schwören lassen: 18 Wenn wir ins Land kommen, so sollst du dies rote Seil in das Fenster knüpfen, durch das du uns herniedergelassen hast, und zu dir ins Haus versammeln deinen Vater, deine Mutter, deine Brüder und deines Vaters ganzes Haus. 19 Und wer zur Tür deines Hauses herausgeht, dessen Blut komme über ihn, aber wir seien unschuldig; doch das Blut aller, die in deinem Hause sind, soll über uns kommen, wenn Hand an sie gelegt wird.
20 Und wenn du etwas von dieser unserer Sache verrätst, so sind wir des Eides los, den du uns hast schwören lassen.
21 Sie sprach: Es sei, wie ihr sagt!, und ließ sie gehen. Und sie gingen weg. Und sie knüpfte das rote Seil ins Fenster.
22 Sie aber gingen weg und kamen aufs Gebirge und blieben drei Tage dort, bis die zurückgekommen waren, die ihnen nachjagten. Denn sie hatten sie gesucht auf allen Straßen und doch nicht gefunden.
23 Da kehrten die beiden Männer um und gingen vom Gebirge herab und setzten über und kamen zu Josua, dem Sohn Nuns, und erzählten ihm alles, was ihnen begegnet war,
24 und sprachen zu Josua: Der HERR hat uns das ganze Land in unsere Hände gegeben, und es sind auch alle Bewohner des Landes vor uns feige geworden. (1)
IntentionAus ihrem Glauben heraus schützt Rahab die Kundschafter vor ihren Verfolgern. Damit lebt sie vorbildhaft einen Glauben, der beherzt und couragiert das tut, was jetzt nötig und geboten ist. So wurde sie für die Israeliten und später für die Christenheit zur Glaubenszeugin.
Liebe Gemeinde!
Rahab – eine Kollaborateurin?
Fremde Männer kommen nach Jericho, um die Stadt auszukundschaften Eine Frau namens Rahab nimmt sie freundlich auf und schützt sie vor den Sicherheitskräften der eigenen Stadt. War das Hochverrat? Handelte sie als Kollaborateurin mit den heranrückenden Israeliten? Oder war sie eine Überläuferin, die die eigene Familie rettet und den Untergang ihrer Stadt billigend in Kauf nimmt? In der Tat hätte Rahab die Rolle der Kollaborateurin, wenn das Josua-Buch eine Kriegsreportage wäre. Eine Kriegsreportage, die genau protokolliert, mit welchen Militär-Strategien die Israeliten das Land Kanaan eroberten. Diese Geschichte ist aber keine Kriegsreportage menschlicher Landnahme. Sie ist vielmehr eine Glaubensgeschichte göttlicher Landgabe.
Rahab nimmt die Kundschafter freundlich aufEs beginnt wie eine Agenten-Geschichte: Josua, Moses Nachfolger, steht mit dem Volk Israel im Ostjordanland. Drüben auf der anderen Seite – das dem Volk Israel verheißene Land, das Ziel nach 40 Jahren Wüstenwanderung seit dem Auszug aus Ägypten. Als kluger Anführer schickt Josua zwei Männer als Spione, als Agenten aus, um die Kräfteverhältnisse auf der anderen Seite realistisch einschätzen zu können.
Die beiden Männer sehen sich in der stark befestigten Stadt Jericho um. Gegen Abend suchen sie eine Unterkunft. Sie kehren ein bei der Hure Rahab, übersetzt Luther, und so spricht auch das Neue Testament von ihr. Ob es das Rotlicht-Milieu war, ob es, wie jüdische Ausleger sagen, ein schlichtes Wirtshaus war und Rahab eine Wirtin (2), sei dahingestellt. Offenbar haben die beiden fremden Männer in der Stadt Argwohn erregt. Dem König werden sie als Spione gemeldet. Der lässt sofort Sicherheitspersonal zum Haus der Rahab marschieren und die Herausgabe der Männer fordern.
Erstaunlich: Rahab versteckt die Männer und erfindet eine elegant formulierte Notlüge. Weshalb?
… durch den GlaubenDie Geschichte wechselt nun in eine theologisch tiefgängige Rede Rahabs. Rahab berichtet, dass man in Jericho erfahren hat, wie der Gott Israels sein Volk aus Ägypten befreit und durchs Schilfmeer geführt hat. Er gab seinem Volk die Kraft, die feindlichen Amoriter-Könige Sihon und Og zu besiegen. Rahab ist bewusst: Dieser Gott hat so gewaltige Taten getan. Er hat die heranrückenden Israeliten begleitet. Diesem Gott ist schlechterdings nicht zu widerstehen. Rahab sieht ganz klar: Dieser Gott hat über das Schicksal des Landes schon seine Entscheidung getroffen. Sich ihm entgegenzustellen ist sinnlos, ja eine Äußerung des Ungehorsams. Deshalb ist Rahabs Verhalten weder Hochverrat noch berechnende Schläue, sondern Anerkennung der Wege Gottes mit seinem Volk Israel.
Die Kunde von den Großtaten Gottes an Israel hat die Kanaaniter in Schrecken versetzt. In Rahab aber hat sie den Glauben entzündet, dass der Gott dieses Volkes Israel nicht nur stärker ist als die ihr bisher bekannten kanaanäischen Götter, sondern dass er der höchste, ja der einzige Gott ist. Rahab weiß gewiss: Gott wird den Israeliten das Land geben Vielmehr: Er hat es ihm schon gegeben (3). Und Rahab bekennt: Dieser Gott ist Gott oben im Himmel und Gott unten auf Erden. Damit spricht die heidnische Frau wörtlich aus, was Israel von seinem Gott bekennt: „So sollst du nun heute wissen und zu Herzen nehmen, dass der Herr Gott ist oben im Himmel und unten auf Erden und sonst keiner.“(4)
Rahab – Glaubenszeugin der VorzeitRahab vertraut auf den Gott, der die Unterdrückten befreit, der Wege durch die Wüste führt Sie vertraut Gott, der Raum zum Leben gibt, der mit Macht wirkt oben im Himmel und unten auf Erden. Dieses Vertrauen, dieser Glaube Rahabs macht sie zur Glaubenszeugin der Vorzeit. Im Neuen Testament, im Hebräerbrief, ist Rahab deshalb aufgenommen in die Wolke der Zeugen, die in Wort und Tat ihr Vertrauen auf den Gott Israels lebten.(5)
Rahab weist den Kundschaftern den lebensrettenden Weg: „Verbergt euch drei Tage im Gebirge, bis die Fahndung abgebrochen wird!“ Eine dezente Osterspur im Ersten Testament! Aus ihrem Glauben heraus bittet Rahab ihrerseits um Errettung vor dem Tod, für sich und ihre ganze Familie. Unter Eid werden Verabredungen für den Tag der Einnahme Jerichos getroffen: Rahab soll das rote Seil, über das sie die Kundschafter zur Stadtmauer herab in die Freiheit entlassen hat, ins Fenster knüpfen, wenn die Israeliten ins Land kommen. Alle, die sich dann in ihrem Haus aufhalten, werden vom Tode verschont werden. Das ist ein deutlicher Anklang an die letzte Nacht der Israeliten in Ägypten, als sie ihre Türrahmen mit Lammblut bestrichen hatten. Dieses Zeichen hinderte den göttlichen Würgeengel am Eintritt in ihre Häuser und errettet damit ihre Erstgeburt vor dem Tod.
Ihren Verfolgern entronnen und zu Josua zurückgekehrt, geben die Kundschafter wörtlich die Kernaussagen von Rahabs Rede wieder: „Gott hat das Land den Israeliten gegeben“ und: „Die Bewohner des Landes sind vor Schreck wie gelähmt“. Damit wird deutlich: Das feste Glaubenswort der Kanaaniterin Rahab stärkt den schwankenden Glauben der Israeliten.
Glaube als das Tun des jetzt Nötigen und GebotenenHätte Rahab die Kundschafter verraten und nicht zum Fenster hinaus entkommen lassen, wäre sie samt Jericho untergegangen. Gerade an ihrer beherzten Liebestat kommt heraus, dass ihr Glaube sich nicht mit Lippenbekenntnissen begnügte. Für sie bedeutete Glaube: Das tun, was jetzt nötig und geboten ist.
Wir denken in diesen Herbstwochen an die Geschehnisse vor 30 Jahren in der damaligen DDR. Schon Jahre zuvor erlebten viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger ihren Staat als bedrückend und einengend. Bereits 1979 war zwei Familien mit einem selbstgebauten Heißluft-Ballon die Flucht in den Westen gelungen. Diese waghalsige Flucht wurde in dem Film „Ballon“ verarbeitet, der im letzten Jahr in den Kinos zu sehen war. Nach einem missglückten ersten Flugversuch ist die Stasi den beiden Familien auf der Spur. Noch ist nichts Verwertbares herausgekommen. Da tauchen Stasileute im Kindergarten auf, den Peterchen, eines der Kinder der fluchtwilligen Familien, besucht. Weil bei ihm zuhause schon seit Wochen mit der Nähmaschine die Stoffbahnen für den Fluchtballon zusammengenäht werden, beginnt Peterchen von der Nähmaschine zu erzählen. Ulrike Piehl, seine Kindergärtnerin, erkennt intuitiv die Brisanz der Situation. Geistesgegenwärtig sagt sie ganz ruhig: „Die nähen Wimpel fürs 30jährige Staatsjubiläum!“ Dank dieser Reaktion der Kindergärtnerin werden die Stasi-Leute von der Fährte abgelenkt und gelingt den Familien die waghalsige Flucht.(6)
Wir leben Gott sei Dank nicht unter einer Diktatur. Aber auch uns stellt unser Glaube die Aufgabe: „Du sollst dich nicht vorenthalten. (7) Tu das jetzt Nötige und Gebotene!“ Das werden je persönliche Schritte auf dem Weg des Friedens, der Gerechtigkeit, der Bewahrung der Schöpfung und der Nächstenliebe sein.
„Du sollst dich nicht vorenthalten!“ Das gilt auch für die christliche Kirche und ihr Verhältnis zu den Bewohnerinnen und Bewohnern im Heiligen Land. Mit Rahab sagen wir: Ja, Gott hat dem Volk Israel das Land gegeben. Und setzen hinzu: Die Landgabe ist mit der Verpflichtung verbunden, Gerechtigkeit und Frieden zu suchen, d.h. nicht Disteln, sondern süße Trauben im anvertrauten Weinberg zu kultivieren. Die christliche Kirche hat die Aufgabe, stets von neuem die Bedeutung der Staatsgründung Israels 1948 für Juden und Jüdinnen wahrzunehmen und an Israels Seite zu stehen. Zugleich darf sie die Palästinenser und ihr Schicksal nicht ausblenden. Insbesondere darf sie die Minderheit der christlichen Palästinenser nicht vergessen. Eine, wie es die rheinische Kirche ausdrückte, doppelte Solidarität, die zu verstehen sucht, aber auch Fragen stellt – welch eine Aufgabe!
Rahab grüßt uns nächsten Sonntag noch einmalRahabs Glaube hat sich nicht mit Lippenbekenntnissen begnügt, sondern ist tätig geworden: Sie hat den Kundschaftern den rettenden Weg gewiesen. Das hat Jakobus berührt, als er seinen Brief geschrieben hat, der gegen Ende des Neuen Testaments Platz gefunden hat. Jakobus gehört zu den Stimmen im Neuen Testament, die für einen weltzugewandten, tätigen Glauben eintreten, der Gottes Barmherzigkeit in den Lebensalltag hineinbuchstabiert. Am nächsten Sonntag hören wir einen Abschnitt aus dem Jakobusbrief (8) , in dem er Rahabs beherzte Tat als leuchtendes Glaubens-Beispiel anführt: „War es nicht ebenso bei der Hure Rahab? Auch sie wurde doch aufgrund ihrer Taten als gerecht anerkannt – weil sie die Kundschafter bei sich aufnahm und auf einem geheimen Fluchtweg aus der Stadt entkommen ließ.“ (9) Du sollst dich wie Rahab nicht vorenthalten – nächsten Sonntag dazu mehr. Amen.
Anmerkungen1 Ich würde den langen, aber erzählerisch farbigen Text als Schriftlesung vortragen (lassen), um in der Predigt nicht in Zeitnot zu kommen.
2 Rafael Breuer, Das Buch Josua übersetzt und erläutert. Mit Erklärungen und einem Nachwort hg. von Matthias Morgenstern, Berlin 2014, S. 33ff
3 Josua 2,9; Perfekt!
4 Deuteronomium 4,39
5„Wolke der Zeugen“ vgl. Hebr 12,1; Rahabs Leben als eine Glaubensbiografie inmitten der Glaubensbiografien alttestamentlicher Leitfiguren vgl. Hebr 11,31.
6 Vgl. zum Film „Ballon“, der am 27.09.2018 in die Kinos kam: https://de.wikipedia.org/wiki/Ballon_(Film) abgerufen am 04.10.2019
7 So schrieb Martin Buber seinem Brieffreund Albrecht Goes, dem schwäbischen Dichterpfarrer, im August 1934 auf dessen verzweifelte Frage, was man denn jetzt als Christ tun könne. Vgl. dazu Joachim Scherrieble, …Du sollst dich nicht vorenthalten. Das Leben und der Widerstand von Gertrud und Otto Mörike in der Zeit des Nationalsozialismus, Esslingen 1995, S. 70.
8 So die neue Perikopen-Ordnung für die Reihe I: 17. Sonntag nach Trinitatis: Josua 2, 1-21, die Geschichte von Rahab und den Kundschaftern – die ideale Voraussetzung für den 18. Sonntag nach Trinitatis: Jakobus 2, 14-26, wo neben dem schwierigen Abraham-Beispiel (Jakobus 2,21-23) das Beispiel Rahabs (Jakobus 2, 25) für einen die Werke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit praktizierenden Glauben steht.
9 Jakobus 2,25 (Gute Nachricht, Stuttgart 1997)
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