17. Sonntag nach Trinitatis (08. Oktober 2017)
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]
Markus 9, 14-29
Liebe Gemeinde,
Sie haben eine dramatische Heilungsgeschichte gehört. In allen Einzelheiten wird uns da die schreckliche Krankheit dieses armen Kindes gezeigt. Es leidet von klein auf an Epilepsie. Wer je einen epileptischen Anfall eines Menschen miterlebt hat, ist zu Tode erschrocken und kann diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen.
Und mitten hinein in diese Aufregung tritt Jesus. Und der Dämon, wie die Menschen damals sagten, tobt noch mehr, bis er endlich das Kind loslässt. Dann kehrt Ruhe ein. Zuerst eine gespenstische Ruhe. Bis Jesus die Hand des Jungen ergreift und ihn aufrichtet. Es ist Frieden.
Jesus hat den epileptischen Jungen geheilt. Und diese Heilungsgeschichte ist Teil einer noch viel größeren Heilungsgeschichte. Die Heilung der Menschheit durch den Sohn Gottes, Jesus Christus. Er überwindet und vertreibt die bösen Geister, die die Menschheit in Aufruhr bringen und plagen und zu grässlichen Taten anstiften.
Wenn Sie sich mal Zeit nehmen und die Geschichte im Markusevangelium nachlesen und auch vor- und zurückblättern, dann merken Sie: Diese Heilung geschieht auf dem Weg, sozusagen im Vorübergehen. Jesus kommt gerade mit dreien seiner Jünger von einem hohen Berg herunter. Dort oben haben sie Mose und Elia gesehen. Und sie haben eine Stimme aus dem offenen Himmel gehört, die sagte: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
Und nach den Ereignissen unten im Dorf setzt Jesus dann seinen Weg fort. Er geht nach Jerusalem, nach Golgatha. In den Tod. Das ist sein Weg der Heilung für die ganze Menschheit. Unterwegs auf seinem Weg der Heilung vertreibt er den bösen Geist, der den armen Jungen von klein auf in seiner Gewalt hatte und ihn plagte. Im Kleinen ist das Große abgebildet.
Die große WendeFür den Vater war es die große Wendung in seinem Leben. Vorher litt er unter der unerträglichen Last mit dieser fürchterlichen Krankheit. Danach ist er frei. Die andauernde Angst vor einem plötzlichen Anfall bei seinem Kind war verschwunden.
Er hatte es nicht mehr ausgehalten, dieses Leben in Angst. Hilflos geht er auf Jesus zu und fleht ihn an: „Wenn du kannst, dann erbarm dich und hilf uns.“ Und Jesus entgegnet ihm: „Alles ist möglich dem, der glaubt.“ Und da bricht es aus dem Vater heraus wie ein Notschrei: „Ich glaube – Hilf meinem Unglauben!“ Was für ein Schrei! Was für ein Zwiespalt. So zerrissen ist dieser Vater. So zerrissen ist die Menschheit zwischen Glauben und Unglauben. Zwischen trügerischer Hoffnung und tiefster Enttäuschung.
Dieser Vater hatte ja zuvor wieder mal eine Enttäuschung erlebt. Er hatte seine Hoffnung darauf gesetzt, dass die Jesus-Leute, die Jünger, ihm helfen könnten. Sie konnten’s nicht. Wer weiß, was sie mit dem Jungen alles vergeblich angestellt haben. Immer schon, seit es diese Krankheit gibt, gibt es immer neue todsichere Mittel dagegen: Geisterbeschwörung. Teufelsaustreibung. Kalte Wassergüsse. Schlagen und festhalten. Immer wieder taucht einer auf und behauptet: Ich kann’s. Irgendwas davon werden die Jünger auch versucht haben. Nichts davon half.
Im Kleinen bildet sich das Große ab. Die Welt ist zerrissen. Die Menschheit ist geplagt. Böse Geister scheinen sie im Griff zu haben. Und das Geschrei und der Streit um die richtigen Heilmethoden sind groß. Jeder weiß es besser – nur um das Unheil noch größer zu machen.
„Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“Jesus aber sagt: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“
Auf den ersten Blick ist das ein gefährlicher Satz. Schon mancher hat ihn sich zu eigen gemacht. Schon mancher hat mit einem unbeirrbaren Glauben an sich selbst oder an die Vorsehung oder an sein Auserwähltsein unendliches Unheil über die Menschheit gebracht. Auslöschen. Zerstören. Ausrotten. Mauern bauen. Kurzen Prozess machen. Das alles sind Rezepte zur Rettung der Welt, die auch heute wieder irgendwo in der Welt propagiert und angewendet werden. Dahinter steht dann der feste Glauben: Wir wissen, wie’s geht.
„Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Wir brauchen einen zweiten Blick auf diesen Jesus-Satz. Und dieser zweite Blick zeigt uns: Wer glaubt, der hat alle Überzeugung fahrenlassen, mit der man sagen könnte: „Ich kann’s.“ Wer glaubt, der vertraut keinen schnellen Patentrezepten. Wer glaubt, der schaut auf Jesus. Und sieht nicht einfach den Wunderheiler, der im Handumdrehen die Sache richtet. Der Tote auferweckt oder Lahme zum Springen bringt.
Wer glaubt, der schaut auf Jesus und sieht in ihm Gottes Sohn. Dieser nimmt das Leid auf sich. Dieser erleidet selbst das Schlimmste. Und wird doch herrlich und neu ins Leben gebracht.
Wer glaubt und dies sieht, der sagt und singt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan.“
Wer glaubt, der bittet Jesus um Hilfe. Wer glaubt, der betet.
Schluss mit den schnellen LösungenMarkus gibt uns im Anschluss an die Heilung des epileptischen Knaben noch einen kleinen Einblick in eine kurze Lehrstunde Jesu mit seinen Jüngern. Wir dürfen mithören. Sie sind wieder allein, ohne die vielen aufgeregten Menschen drumherum. Sie sind immer noch irritiert und fassungslos. Sie fragen Jesus: Jetzt sag mal, warum haben wir das nicht hingekriegt? Und Jesus: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch beten.“
Das ist eigenartig. So wie die Geschichte erzählt wird, hat Jesus da gar nicht gebetet. Er hat den bösen Geist angefahren: Mach dich davon! Und jetzt sagt er: Es geht nur mit Beten.
Wir müssen ihn wohl so verstehen: Ihr Menschen, hütet euch davor, die Welt retten zu wollen mit euren eigenen Kräften und mit euren selbstausgedachten todsicheren Rezepten. Das führt nur ins Verderben.
Betet vielmehr.
Betet für alle, die unter bösen Geistern leiden.
Betet für die Menschen, die unter gewalttätigen Herrschern leiden.
Betet für die Opfer der schnellen Patentrezepte, die dadurch Haus und Hof, Heimat und Angehörige verloren haben.
Betet für eure Nachbarn, die im Streit leben und drauf und dran sind, Böses mit Bösem zu vergelten.
Betet für die Kranken und für die, die sie pflegen und versorgen.
Heilung braucht ZeitWunden heilen langsam. Verletzungen an der Seele brauchen noch länger, bis sie vernarbt sind und nicht mehr bei jedem kleinen Anlass neu aufbrechen. Einen Streit zu beenden und wieder gut miteinander zu leben, erfordert viele Schritte. Jesu Weg des Heils war ein langer Weg über Berge und durch dunkle Täler.
Er ging ihn nicht wie der strahlende Held, dem alles gelingt. Er brauchte das Gespräch mit Gott, seinem Vater. Er betete. Und die bösen Geister sahen ihre Macht schwinden. Amen.
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