16. Sonntag nach Trinitatis (11. September 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Kira Busch-Wagner, Karlsruhe [Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de]

2. Timotheus 1, 7-10

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

Der Predigtabschnitt für den 16. Sonntag in der Trinitatiszeit steht in diesem Jahr im zweiten der Timotheusbriefe. Dort heißt es im ersten Kapitel:

7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.


Freundliche Distanz ...

Liebe Gemeinde,
über Einkommen oder über Religion zu reden in einer Gesellschaft oder bei einer Einladung gilt als unschicklich, als unpassend und ungehörig. Das macht man nicht. Darüber redet man nicht, und auch nicht über Scham und auch nicht über Tod. Warum nicht? Weil small-talk, weil ungezwungene, leichte Unterhaltungen immer nur oberflächlich bleiben? Ich denke, die Regel ist der Hinweis, dass eine Einladung mit vielen Menschen, ein zufälliges Zusammentreffen, nicht der Rahmen ist, ans Eingemachte zu gehen. Wenn Menschen, die sich nicht allzu intensiv kennen, miteinander zurechtkommen sollen, sich gerade mal einander annähern, dann ist ein Gespräch über intime Themen unangebracht. Schließlich soll niemand gekränkt werden, es soll niemand verbittert gehen, niemand soll das Gespräch als übergriffig empfinden. Auf eine freundliche, höfliche Art wird Abstand gewahrt.

... hilfreiche Nähe!

Ganz anders das Schreiben, dem unser heutiger Predigtabschnitt entstammt. Wer gar den ganzen Brief liest, spürt sofort: da gibt es einen sehr vertrauten Umgang. Die Sätze sind geprägt von Nähe, von gegenseitiger Anteilnahme, von einem engen Verhältnis.
Selbst wenn das Schreiben einem Brief nur nachempfunden sein sollte, wie viele in der Forschung vermuten: Briefschreiber und Empfänger haben ein enges, persönliches Verhältnis. Man kennt sogar gegenseitig die Familie: von der Großmutter des Timotheus ist an einer Stelle die Rede und von der Mutter (1,5). Das ist der Hintergrund, um dann miteinander auch über Kirche zu sprechen, über die Gemeinde, über Glauben. Über Berufung, über Lohn. Es geht auch um persönliche Schwäche, um das Empfinden von Peinlichkeit, um persönliche Sorgen und gegenseitiges Vertrauen, und es geht um den Tod. All das, was in Gesellschaft nicht angesagt wäre – hier findet es seinen Platz.

Der zweite Timotheusbrief liest sich wie ein Vermächtnis. Im Hintergrund steht die Frage: wenn der große Apostel Paulus einmal nicht mehr da ist, was wird dann aus der Gemeinde werden? Wie soll man bewahren, was wichtig geworden ist. Ohne Paulus - das ist schwer vorstellbar. Paulus gehört zur Gründergeneration, ist vom Auferstandenen eigens berufen worden. Hat – anders als Jesus selbst – Kirche und Gemeinden gegründet. Ohne ihn zu existieren – für manche Gemeindeglieder muss das fast unvorstellbar gewesen sein.
Und so greifen persönliche Anteilnahme und Überlegungen hinsichtlich Gemeindestrukturen bei dem Brief ineinander, um der Ratlosigkeit abzuhelfen.

Drei Hinweise, drei Aufgaben

Die Zeilen, die uns heute zu bedenken der Predigtabschnitt aufträgt, geben drei kleine Hinweise, verweisen auf drei mögliche sinnvolle Aufgaben.

Der erste Hinweis: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht.
Denn der wäre ein schlechter Ratgeber und eine schwache Grundlage. Der wäre das Gegenteil dessen, was über hilfreiche, gute Gaben Gottes je gesagt wurde. Gottes Geist: darin steckt in der Tat Kraft und Liebe und Besonnenheit. Gottes Geist bewegt und richtet auf. Er drückt nicht etwa nieder. Gottes Geist macht lebendig und voller Mut.

Wie war das noch mal in der Pfingstgeschichte gewesen, bei der Gabe des Geistes? Entflammt waren sie alle unter seinem Wirken. Begeistert. Und getröstet wandten sich die Schüler Jesu - in neuer Weise offen für ihre Umwelt – anderen zu. Jeder – so erzählt es die Apostelgeschichte - hörte sie zu sich persönlich reden, in der eigenen Sprache. Der Vermutung gegenüber, dass sie betrunken sein könnten, bleibt Petrus gleichmütig. Er positioniert sich vielmehr mit einer flammenden Rede.

Mit einer ähnlichen Haltung hatte Paulus seinen Brief nach Rom begonnen: Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Ich halte die fremden Blicke aus. Auch die Blicke von oben nach unten. So hatte Paulus geschrieben, und der Timotheusbrief erhofft das gleiche auch in der nächsten Generation: Nicht schämen. Nicht für den Glauben und nicht für das schwierige Leben. Sondern sich stärken an der Kraft Gottes, sich ermutigen lassen durch Gottes Geist, Gottes Liebe, Gottes Ermutigung. Ein erster Hinweis. Eine erste Aufgabe.

Es folgt ein zweiter Hinweis. Eine zweite Herausforderung. Sie sagt: nimm einen anderen Blickwinkel ein. Schau anders hin.
Denken Sie mal an manchen Krimi: Wie oft kommt es da vor, dass nach langer, erfolgloser Suche erst eine andere, ungewohnte Perspektive die Spurenlage zutreffend deuten kann.
Der zweite Hinweis sagt: Schau anders hin: Was dir an Schwerem begegnet, ist nicht Niederlage oder Zufall. Was dir begegnet, ist Berufung. Ist deine Aufgabe. Ist dein Glück. Was dir begegnet ist Ratschluss und Bestimmung. Deine Bestimmung seit ewigen Zeiten. Gott, der dir seine Stärke schenkt, hat Großes mit dir vor. Schau hin. Entdecke es!
Das ist die zweite Aufgabe, die unser kleiner Briefausschnitt bereithält.

Dann kommt ein dritter Hinweis. Der dritte Hinweis sagt: Ostern! Erinnere dich an die Auferweckung Christi aus den Toten. Dem Tod ist die Macht genommen. Der Christus Gottes hat das Leben ans Licht gebracht. Mitten in unserer Vergänglichkeit, mitten in all unseren kurzlebigen Bemühungen hat der Christus Unvergängliches aufgezeigt.

Was du tust, mag dir manchmal sinnlos erscheinen, ohne Folgen, ohne Belang. Gott aber stellt sich an die Seite des Vergänglichen und nimmt es in seine Unvergänglichkeit hinein.
Ändert sich etwas in deinem Leben, wenn du Ostern für dich ganz ernst nimmst?
Probier es aus. Es ist deine dritte Aufgabe.

Drei Hinweise, drei Gaben Gottes: Trost und Ermutigung für dich und für deine Kirche

Liebe Gemeinde, was in den drei Hinweisen in unserem kleinen Briefausschnitt passiert, das ist Seelsorge. Briefseelsorge. Der Briefschreiber lässt mit seinen Hinweisen, seinen Aufgaben neue Räume entdecken. Lässt entdecken die Möglichkeit zu Kräftigung. Zum Perspektivenwechsel. Zu Ostern. Habe ich die neuen Räume erst einmal erkundet, bin ich anders in ihnen zu Hause, als wenn mir jemand davon nur erzählt hätte.

Ich habe eingangs davon gesprochen, dass der Brief, große Vertrautheit widerspiegelt. Große Nähe. Im vertrauten Miteinander wird gegenseitiger Trost, gegenseitige Seelsorge möglich. Da können dann auch all die Themen zur Sprache kommen, die in einer lockeren Gesellschaft unpassend erscheinen und die uns zugleich zutiefst bewegen. Glaube. Scham. Tod. Im Blick auf Gemeinde, auf gestalteten Glauben, auf Kirche, sind das die Sorgen um Kraftlosigkeit, Marginalisierung und Belanglosigkeit. Auch da gilt es immer wieder zu entdecken: die Bestärkung. Den Ruf und Auftrag. Und die Zusage neuen Lebens.

Die Timotheusbriefe, sogenannte Pastoralbriefe, scheinen mir – außer als Steinbruch für Konfirmationssprüche – im evangelischen Raum nicht so besonders angesehen zu sein. Vielleicht, weil sie nicht vom historischen Paulus stammen. Vielleicht weil soviel vom Bischofsamt die Rede ist. Vielleicht weil der Umgang mit den Frauen eher konservativ ist. Nur ein Vers vor unserem Abschnitt ist davon die Rede, dass der Briefschreiber seinem jungen Freund die Hände aufgelegt hat. Er hat für all seinen Zuspruch auch eine starke Geste gefunden. Haben diejenigen, die die Predigtabschnitte festlegten, das als zu katholisch empfunden? Schade drum. Schließlich zeigt sich in den wenigen Zeilen große Seelsorge, starke Fürsorge. Ganz persönlich. Und dann auch Fürsorge für die ganze Kirche, die ganze Gemeinde. In den drei kleinen Hinweisen. In den drei Aufgaben. In den drei großen Gaben Gottes: In seinem Geist. In seinem Ruf. In seinem Leben. Amen.


Kleiner Epilog: Weg zur Predigt

Ich meine, für eine Predigt gilt es, dem Text zu begegnen wie einer Person. Einer Person, die man schätzt und deren Stärken man verstehen möchte. So hat mir am Ende der kleine Textausschnitt gezeigt, wie sinnvoll die Bezeichnung „Pastoralbriefe“ ist. Weil in bester Weise ein seelsorglicher Umgang, ein seelsorglicher Weg entworfen wird.

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