15. Sonntag nach Trinitatis (08. September 2024)
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]
Matthäus 6,24-34
IntentionDer Vater im Himmel weiß, was seine Geschöpfe brauchen. Wer darauf vertraut, kann seine Sorgen loslassen. So können Menschen miteinander Lebensmöglichkeiten finden. Dieses Vertrauen will die Predigt wecken.
PredigttextNiemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
[Zur Abgrenzung des Predigttextes: Nach LPO setzt der Predigttext ein mit V 25: „Darum sage ich euch …“. Zu gern möchte man wissen, was das „Darum“ meint, also aus welchem Grund Jesus sagt „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet …“.
Dieser Predigt liegt der Abschnitt 6,24-34 zugrunde.]
Jesus kennt seine PappenheimerJeder Tag hat seine Plage. Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Jesus weiß das ganz genau. Er kennt uns. Und er weiß, dass die Sorgen zu den allerschlimmsten Plagen gehören. Sie rauben den Schlaf. Sie drücken uns nieder. Sie fressen unsere Energie. Solange wir uns sorgen, können wir keine klaren Gedanken fassen. Wir drehen uns immer im Kreis. Wir malen uns das Schlimmste aus.
Kann ich die Rechnungen, die demnächst kommen werden, bezahlen oder reicht das Geld wieder nicht? Wird mein Mann wieder gesund werden? Er redet kaum noch was in letzter Zeit. Und wenn er mich anschaut, dann sehe ich ganz viel Traurigkeit in seinen Augen. Und der Enkel. Der macht so furchtbar dumme Sachen. Die Lehre hat er auch abgebrochen. Und immer wieder kommt die Polizei, weil er wieder was angestellt hat. Was soll bloß aus dem werden?
Jesus weiß, wie es den Menschen, die vor ihm sitzen, geht. Er kennt seine Pappenheimer und ihre Sorgen: Was sollen die Kinder essen, wenn nichts mehr im Vorrat ist? Was sollen sie anziehen, wenn die Kleider nach dem Durchreichen vom Ältesten zu den Jüngeren zerschlissen und löchrig sind? Und die Schulden beim Pfandleiher. Bald werden sie den Vater holen und ihn als Schuldknecht ausbeuten. Dann gute Nacht.
Vertraut auf Gott, sagt Jesus. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“
Könnte solches Vertrauen wirklich der Ausweg sein?
Domitila Barros, Miss GermanyEs gibt immer wieder Menschen, die den Fußstapfen von Jesus folgen. Domitila Barros ist eine von ihnen. Sie lebt aus demselben Vertrauen wie Jesus. Darum möchte ich Ihnen heute von ihr erzählen.
Vielleicht haben Sie ihren Namen schon einmal gehört. Sie wurde vor zwei Jahren zur Miss Germany gewählt. Sie lebt jetzt in Berlin. Aufgewachsen ist sie in einem Elendsviertel in Brasilien. Ihre Familie lebt in einer Favela, in einer riesigen Ansammlung von irgendwie zusammengeschusterten Behausungen. Dort leben nur die Ärmsten, und zwar viele. Niemand kann sie zählen und keine Behörde kümmert sich darum, wer da lebt. Auch nicht, wer da stirbt und warum: durch Hunger, durch Krankheit oder durch eine Kugel.
Domitilas Eltern kümmern sich um Straßenkinder. Das sind Kinder ohne Eltern oder mit Eltern, die sich nicht um sie kümmern können. Niemand macht ihnen etwas zu essen. Niemand lehrt sie Zähne putzen. Niemand versorgt ihre Wunden. Aber wenn sie zu den Eltern von Domitila kommen, bekommen sie dort zu essen, lernen lesen und schreiben und respektvoll miteinander umzugehen. Drogen und Gewalt sind in ihrem Haus nicht erlaubt. Hier können sie Kind sein. Hier brauchen sie keine Angst haben. Hier werden sie gewürdigt. Hier interessiert sich jemand wirklich für sie. Alles wird durch Spenden finanziert.
Domitila ist zusammen mit ihrem Bruder und mit den Straßenkindern bei ihren Eltern aufgewachsen. Morgens ging sie zur Schule. Nachmittags half sie mit, wo sie gebraucht wurde. Als sie 13 war, fing sie an, die anderen zu unterrichten. Sie brachte ihnen Lesen und Schreiben bei, studierte Tänze und Theater mit ihnen ein. Als sie 15 Jahre alt war, bekam sie dafür eine große internationale Auszeichnung von der UNESCO. 2000 Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt, die sich für soziale Gerechtigkeit und Frieden und ein besseres Leben einsetzen, bekamen zusammen mit ihr diese Auszeichnung. Alle zusammen wurden nach Florida eingeladen. Sie durften vor der UNESCO sprechen. Sie wurden gehört und ernstgenommen. Sie knüpften Kontakte und schlossen Freundschaften, die zum Teil bis heute halten. Und sie traf auf Menschen, die helfen wollten. Wohlhabende Menschen, die sich für ihr Projekt begeisterten und Spender wurden.
Eine neue Welt hat sich für sie geöffnet. Sie hat in Deutschland studiert. Sie reist viel. Überall erzählt sie von Armut und von Ansätzen, sie zu überwinden. Von hier aus kann sie die Arbeit ihrer Eltern am besten unterstützen. Inzwischen hat sie einen deutschen Pass. Dass sie Miss Germany wurde, hat ihr viel mehr Bekanntheit verschafft als zuvor. Sie ist nicht nur schön. Sie ist eine Frau, die etwas zu sagen hat und etwas bewegen will.
Sie sagt: „Viele von den Kindern, die im Projekt meiner Eltern aufgewachsen sind, leben immer noch in der Favela. Aber sie sind nicht im Gefängnis oder auf der Straße gelandet. Und das ist der größte Lohn für unsere Arbeit. Sie arbeiten als Autowäscher, als Pflegekraft im Krankenhaus oder am eigenen Süßigkeitenstand. Es sind oft einfache Jobs, aber darum geht es nicht. Sondern darum, sich selbstständig seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Ein würdevolles Leben zu führen“ (1).
Die meisten Menschen auf dieser Erde sind arm. Bettelarm. Sie müssen mit wenig durchs Leben kommen. Sie können trotzdem ein erfülltes Leben führen und glücklich sein. Domitila Barros setzt sich dafür ein.
Gott oder MammonJesus weiß, wie schlimm das Leben für viele Menschen ist. Und er weiß, dass Entscheidungen nötig sind. Wem dient ihr? Und wem vertraut ihr? Gott oder dem Mammon?
Gott dienen oder dem Mammon dienen. Da gibt es kein sowohl als auch, sondern nur entweder – oder. Jesus sagt: „Niemand kann zwei Herren dienen… Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“
Gott ist der Schöpfer des Lebens und Liebhaber des Lebens. Er ist barmherzig und gnädig. Ihm können wir uns anvertrauen. Wer Mammon ist, das wissen wir nicht so genau. Er ist jedenfalls kein Gott. Es ist eine undurchsichtige Macht. Sie will unser ganzes Leben in Beschlag nehmen. Dafür wendet sie einen besonderen Trick an. Sie verspricht ein sorgloses Leben.
Gott hat das niemals getan. Gott hat uns niemals ein sorgloses Leben versprochen. Gott weiß, dass das Leben diesseits des Paradieses mühselig und oft voller Not ist. Kein Mensch kommt drum herum.
Mammon dagegen verspricht uns ein sorgloses Leben in allen Spielarten. Du musst nur genug verdienen und genug investieren, dann bekommst du alles: Gesundheit. Fitness. Erfolg bei der Arbeit und in der Liebe. Einen sorglosen Ruhestand. Unbeschwerte Urlaubsreisen – all inklusive und ganz günstig. Er verspricht bequeme Finanzierung von all dem, was man sich eigentlich gar nicht leisten kann. Wehe aber, wenn jemandem sein Schuldenberg über den Kopf wächst! Dann wird ein Leben gnadenlos zerstört. Mammon kennt keine Barmherzigkeit. „Wir sind schließlich kein Wohltätigkeitsverein“, heißt es in den Chefetagen der Banken. Der Mammon befreit uns nicht von den Sorgen. Ganz im Gegenteil. Wer auf den Mammon vertraut, wird höchstwahrscheinlich im Elend landen.
Suchet zuerst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit!„Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht. Trachtet zuerst nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit, so wird es euch alles zufallen“, sagt Jesus.
Domitila Barros hat etwas davon erlebt bei der Arbeit für die verwahrlosten Kinder. Wenn sie mit den Kindern lernte und spielte, dann waren sie so bei der Sache, dass sie nicht daran dachten, ob es am Abend etwas zu essen gibt. Sie machten sich darüber keine Sorgen. Immer wieder geschah das Wunder, dass von irgendwoher etwas zum Essen kam. Es kam von wohlgesinnten Menschen in der Umgebung und von Leuten aus anderen Ländern. Es fiel ihnen alles zu, was sie brauchten. Es kam nicht nur das Essen. Es kamen auch Freiwillige, es kamen Computer, weltweite Verbindungen. Sie konnten darauf vertrauen. Sie tun es bis heute. Die Menschen, die sich dort engagieren, wollen den verwahrlosten Kindern etwas von der Gerechtigkeit des Reiches Gottes zukommen lassen. Das ist ihnen wichtiger als ihr eigener Profit und ein Leben im Luxus. Es macht ihr Leben glücklich und erfüllt.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?Wir alle brauchen Nahrung und Kleidung. Aber wir brauchen kein Luxusleben. Es macht uns nicht glücklich. Was nützt ein übergroßes Wohnzimmer mit edlen Möbeln, wenn niemand kommt und einem zuhört oder nach einem fragt?
„Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“
Unser Leben entfaltet sich Tag für Tag. Ein Tag nach dem anderen. Hier und heute sind wir gefragt. Jeden Tag von neuem treffen wir unsere Entscheidungen.
In einem Gespräch am Gartenzaun erzählt eine Frau:
„Ich komme gerade aus dem Altenheim. Ein Bekannter lebt dort seit zwei Monaten. Er hat sich so gefreut über meinen Besuch. Er hat mir das ganze Haus gezeigt und mich zuletzt auch noch zum Kaffee eingeladen. Zwei Stunden war ich bei ihm. Ich habe alles andere vergessen, auch meine kaputten Knie. Ich fühlte mich so wohl.“
Sorgt nicht für morgen, sagt Jesus. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird es euch alles zufallen.“
Amen
Lied nach der Predigt: Wer nur den lieben Gott läßt walten EG 369,1-3.7
Anmerkung
1 Domitila Bartos, Rebel Dreamer, Berlin 2024, S. 72f
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)